
Beatlemania in Deutschland: Kreischende Mädchen und Randale
Beatles in Deutschland "Extase bis zur Bewusstlosigkeit"
Aus der "Bravo" erfuhr ich im Sommer 1966, dass die "Fab Four" für eine dreitägige "Bravo-Beatles-Blitztournee" nach Deutschland kommen würden. Meine Lieblingsband waren eigentlich "Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich", aber die Beatles wollte ich unbedingt sehen. Sie sollten am 24. Juni 1966 in München, am 25. Juni in Essen und am 26. Juni in Hamburg auftreten.
Und so fuhr ich am 25. Juni 1966, fünf Wochen nach meinem neunten Geburtstag, ich mit meinen Eltern in unserem violetten VW-Käfer, Baujahr 1957, nach Essen zur Gruga-Halle. Die "Kindervorstellung" am späteren Nachmittag - es gab zwei Auftritte, um 17 und um 20 Uhr - war wie alle Konzerte die auf deutschem Boden stattfanden, restlos ausverkauft. Meine Eltern waren mit im Konzert, denn alleine durfte ich damals nur zur Schule fahren. Es war damals noch nicht so üblich, als Kind ein Rockkonzert zu besuchen - diese Art von Musik umgab damals noch ein Flair des Wilden, Ungezügelten, Rebellischen oder sogar des Revolutionären.
Angst vor Randale
Die Gesellschaft war damals tief gespalten in eine Schlager- und eine Rock-Fraktion, und Teile der Öffentlichkeit zitterten noch regelrecht vor Auftritten von (damals noch gar nicht so) langhaarigen "Rockern". Ende 1965 hatten die Rolling Stones ein Konzert in der Gruga-Halle gegeben, und bei den dort beschäftigten Garderobe-Frauen saß der Schock noch tief. Meinen Eltern und mir berichteten sie von der Schlacht, die seinerzeit im Saal stattgefunden hatte, und bei der viele Stühle zu Bruch gingen. Sie hofften, dass eine größere Präsenz der Ordnungskräfte ähnliches verhindern würde.
Nachdem ich von der Randale hörte und dann die eintreffenden Fans sah, wurde mir ein wenig mulmig.. Ich fand ja die letzten Hits der Beatles toll - das ruhige "Michelle", das hoch in den Hitparaden stehende "Nowhere Man" oder das neue "Paperback Writer". Aber Stühle umwerfen, randalieren, Polizisten ärgern? So etwas kannte ich noch nicht.
Die anwesende Leute waren schon interessant anzusehen: gelfrisierte Jungs mit Lederjacken, Mädchen mit merkwürdigen, aber tollen Kleidern - irgendwie eine explosive Atmosphäre. Man spürte es, da unten im Bauch. Dann ging es endlich los: Die "Rattles" mit Achim Reichel begannen. Die Band war damals neben den "Lords" die bekannteste Rockband Deutschland. Es folgten "Cliff Bennett & the Rebel Rousers" und "Peter & Gordon".
Ein persönlicher Urknall
Die Beatles, in klassischem Outfit mit schwarzen Anzügen, erschienen zum Schluss und spielten 30 Minuten. Doch diese halbe Stunde veränderte mein Leben. Sie stellte alles auf den Kopf, erweiterte mein Erlebnisspektrum um mehrere Dimensionen, weckte Emotionen, die ich nie wieder los wurde.
Es war ein Urknall, eine Erschütterung, eine Explosion, ein Erbeben gar, eine persönliche Weltneuerschaffung. Kreischende Mädchen, rockende Jungen - Menschen ohne Kontrolle! Gefühlsausbrüche der extremen Art, Ekstase bis zur Bewusstlosigkeit; Mädchen die außer sich waren. Alles tanzte, schrie, manche tobten bis sie umfielen und weggetragen wurden. Die Ordnungskräfte und die Polizei waren ständig im Einsatz.
Von der Musik verstand man wenig, denn während des gesamten Auftrittes dominierte sehr helles, schrilles Kreischen die akustische Szenerie. Auch ich versuchte hier und da ein schüchternes: "Paul! Paul!" McCartney war natürlich mein Liebling. Aber diese Atmosphäre - die Bässe, die Lautstärke, die Hitze, der Geruch - das alles war neu, aufregend und völlig anders, als sämtliche vorangegangenen Erfahrungen.
Generation '66
Viel zu schnell war es vorbei. Die Beatles verschwanden ohne Zugabe, der ängstliche Ringo als erster. Die Menge tobte noch weiter, während meine Eltern, in Sorge um mich, nach draußen drängten. Vergleichbare Krawalle wie bei den Stones hatte es nicht gegeben, aber was ich erlebte, reichte mir völlig. Ich wusste nun, was es hieß, ungezügelte Emotionen zuzulassen und sie auszuleben.
Neun Wochen später gaben die Beatles in San Francisco ihr letztes öffentliches Konzert. Trotz Bemühungen mancher Leute in der Musikbranche sollten sie nie wieder zusammen auftreten. Die Ermordung John Lennons im Jahre 1980 machte die kleine Chance darauf endgültig zunichte. Die Beatles live gesehen zu haben, ist darum heute ein relativ seltenes, weil schon so lang zurückliegendes Erlebnis - aber irgendwie auch ein historisches Ereignis für Deutschland.
Von Alt-68ern hörte man in der Rückschau auf die sechziger Jahre oft, wie befreiend die legendären "Essener Songtage" des Jahres 1968 auf viele Leute gewirkt haben, emotional aber auch politisch. Dieses Gefühl kannte ich schon zwei Jahre länger, nämlich seit 1966 - ich bin, so könnte man sagen eine gestandene "Alt-66erin".
Überarbeitete Fassung eines Textes aus "Beatlemania" 3/06