
Die Karriere der Bee Gees: Familienabend in der Disco
Barry Gibb und die Bee Gees Die Weltstars vom Damenklo
Im April 1967 fanden US-Radiosender in ihrer Post eine Single aus England, auf der weder Band noch Titel standen. Der Song haute amerikanische DJs völlig um: Er klang , als wäre er von den Beatles! Bald lief "New York Mining Disaster 1941" im Radio rauf und runter.
Tatsächlich stammte er jedoch nicht von den "Fab Four", sondern von drei völlig unbekannten Brüdern. Doch dank ihres Managers, der die Minenunglücks-Moritat bewusst blanko verschickt hatte, feierten die Bee Gees 1967 ihren ersten internationalen Hit. Es sollte nicht der letzte bleiben.
Mit mehr als 200 Millionen verkauften Alben gehören die Brüder Gibb heute zu den erfolgreichsten Popmusikern der Geschichte. Bandleader und Hauptkomponist war Barry, der Älteste - und der einzige von ihnen, der noch lebt.
Er war erst neun, als er 1955 in Manchester mit seinen drei Jahre jüngeren Brüdern, den Zwillingen Robin und Maurice, eine Band gründete: "The Rattlesnakes". Ihre Lieblingsproberäume für den Harmoniegesang waren ausgerechnet öffentliche Toiletten. Sie seien wie süchtig nach Hall gewesen, sagte Barry Gibb, und der sei nirgendwo besser gewesen als im WC eines Kaufhauses in Manchester. Wenn auf der Herrentoilette zu viel los gewesen sei, seien sie einfach aufs Damenklo gegangen.

Die Karriere der Bee Gees: Familienabend in der Disco
Der Durchbruch sollte ihnen aber erst auf einem anderen Kontinent gelingen: 1958 wanderte die Familie nach Australien aus. Erst dort wurden die Jungen zu Kinderstars. Sie bekamen eine eigene Show im Regionalfernsehen und feierten 1965 als Teenager ihren ersten Top-Ten-Hit, der ausgerechnet "Wine and Women" hieß.
Ihren Bandnamen "Bee Gees" gaben sich die Brüder wegen der vielen B-G-Initialen in ihrem Umfeld: Brothers Gibb, Barry Gibb, ihre Mutter Barbara Gibb - selbst der DJ, der sie als erster im Radio spielte, hieß Bill Gates.
Harmoniegesang im Treppenhaus
Barry war von Beginn an Chef der Band. Er war nicht nur der kreative Kopf, sondern hatte auch die größte Bühnenpräsenz: Gitarre in der Hand, einen Kopf größer als die Brüder - und natürlich viel, viel schöner. 1968, mit gerade 22 Jahren und noch ohne Vollbart und Löwenmähne, wurde er zum "Sexiest Man Alive" gewählt.
In seiner Jugend nutzte er das schamlos aus. "Ich hatte immer um die hundert Ringe in der Tasche und habe jedem Mädchen, das mir gefiel, einen geschenkt." Die Masche war erfolgreich - obwohl der Modeschmuck von Woolworth kam.
Die Gibb-Brüder hatten 1967 noch so wenig Geld, dass sie auf der fünfwöchigen Schiffsreise von Australien nach England singen mussten, um die Überfahrt zu finanzieren. Zurück in der alten Heimat wartete dann allerdings der erste große Plattenvertrag. Sie unterschrieben bei Polydor.
Für Polydor komponierten sie auch "New York Mining Disaster 1941" - und zwar im Treppenhaus. "Da war es sehr dunkel, es war Nacht, und wir konnten einander nicht sehen", erinnert sich Barry in der autorisierten Bee-Gees-Biografie. Die Brüder stellten sich vor, in einer Mine eingeschlossen zu sein - und schufen so einen Welterfolg.
Nach diesem Durchbruch folgte ab 1967 Hit auf Hit: zunächst "To Love Somebody", den Barry Gibb als seinen wichtigsten Song bezeichnet. Ende 1967 dann ihre erste Nummer eins: "Massachusetts". Wo die Brüder bis dahin noch nie gewesen waren.
Ende der Sechzigerjahre sei die Karriere der Bee Gees dann im Grunde vorbei gewesen und erst mit "Saturday Night Fever" wiederbelebt worden - so die Mär, die seit Ewigkeiten verbreitet wird. Tatsächlich feierten die Bee Gees im Jahr 1971 mit "How Can You Mend a Broken Heart" ihren ersten Nummer-1-Hit in den USA. Laut Barry Gibb habe Michael Jackson den Song so geliebt, dass er seinen Kumpel Barry gelegentlich angerufen habe, um ihn sich am Telefon vorsingen zu lassen.
Neues Markenzeichen: Quietschgesang
Die "Krise" der Bee Gees begann in Wahrheit erst im Jahr 1973 und endete auch schon zwei Jahre später mit "Jive Talkin'", ihrer zweiten Nummer 1 in den USA. Der Song beginnt mit einem herrlich kratzigen Gitarren-Intro von Barry Gibb, der zeigte, wie man aus der Akustikgitarre ein Disco-Instrument macht. Denn "Jive Talkin" war ohne Zweifel der erste Disco-Hit der Band - zwei Jahre vor "Saturday Night Fever".
Den mittelmäßigen Travolta-Film machten die Gebrüder Gibb 1977 mit ihren Songs zum Welterfolg. Der Soundtrack wurde ebenfalls ein Welterfolg: Bis heute verkaufte sich nur die Filmmusik zu "Bodyguard" besser. Zum neuen Markenzeichen der Bee Gees wurde Barrys Falsett.
In den Über-Hits "How Deep Is Your Love", "Stayin' Alive" und "Night Fever" trieb Barry Gibb seine Stimme in so absurde Höhen, dass er die Musikwelt spaltete. Für die einen klang er wie ein Engel, für die anderen nach "Alvin und die Chipmunks". Dass die Bee Gees dabei auch noch mit Föhnfrisuren und aufgeknöpften Glitzerhemden auf der Bühne standen, machte sie für viele zur Hassfigur - und zum Vorbild für Dieter Bohlen und Modern Talking.
In den Jahren 1977 und 1978 war der Erfolg für die Bee Gees unermesslich. Binnen neun Monaten erreichten sieben von ihnen komponierte Titel die Nummer eins der US-Charts. Einmal schrieb Barry Gibb sogar drei Nummer-Eins-Hits an einem Nachmittag. Und nach einer kurzen Pause ging es weiter: "Woman in Love" von Barbra Streisand wurde 1980 eine weltweite Nummer eins, "Islands in the Stream" schaffte es in den USA und Österreich an die Spitze der Charts.
Mit letzterem Song verewigte sich Barry Gibb auch im Country-Genre, das er immer geliebt hatte - so sehr, dass er sogar die Villa von Johnny Cash kaufte. Doch kurz bevor er im Jahr 2007 einziehen wollte, brannte das Holzhaus ab.

Barry Gibbs berühmteste Songs: Die größten Kompositionen des Bee Gees
Ein unvorhersehbares Unglück - denn für die Bee Gees war das siebte Jahr des Jahrzehnts immer ein Erfolgsjahr gewesen: 1967 feierten sie ihren internationalen Durchbruch; 1977 wurden sie durch den Soundtrack für "Saturday Night Fever" Megastars; 1987 kehrten sie nach ein paar Jahren Durststrecke zurück und schafften mit "You Win Again" ihren nächsten europaweiten Nummer-Eins-Hit; 1997 schließlich, nach weiteren mageren Jahren, wurde "Alone" ihr letzter großer Erfolg, der in ein paar asiatischen Ländern noch einmal Platz eins belegte.
Im selben Jahr nahmen die Bee Gees in Las Vegas ihr großartiges Livealbum "One Night Only" auf. Es sollte eigentlich ihr letztes Konzert sein. Barry Gibb hatte so starke Arthritis, dass er die Schmerzen beim Gitarrespielen kaum aushielt.
Doch weil die Resonanz so groß war, gingen die Bee Gees noch einmal auf Tour. Ein großes Problem: Barry Gibb litt nun auch noch an den Folgen eines Bandscheibenvorfalls und konnte nicht sitzen. Für die Fahrten vom Hotel zum Konzert besorgte das Management deshalb einen Mini-Van, in den eine Haltestange eingebaut wurde, sodass Barry Gibb in dem "Barry Mobile" getauften Wagen stehend wie in einem Bus chauffiert wurde.
Bandleader ohne Band
Die Geschichte der Bee Gees endete endgültig 2003 - mit dem plötzlichen Tod von Maurice Gibb, der an den Folgen einer Darmverschlingung starb. Das Entsetzen über seinen Tod belastete das Verhältnis von Barry und Robin schwer, jahrelang sprachen sie kaum ein Wort miteinander. Erst 2009 war die Krise überwunden und beide traten als "Brothers Gibb" wieder gemeinsam auf. Doch nur drei Jahre später starb Robin an Krebs.
Dass er seine drei jüngeren Brüder verloren hat - bereits 1988 war Andy, der jüngste der Familie, gestorben - ist für Barry Gibb auch heute noch kaum zu ertragen. "Ich meine ... was ... was soll ich sagen ... ich kann nichts sagen, was irgendeinen Sinn ergibt", stotterte er im März dieses Jahres in einem Interview im englischen Fernsehen. Außer ihm, dem ältesten Sohn, gibt es nun nur noch seine zwei Jahre ältere Schwester Lesley.
Nach dem Tod von Robin fiel Barry Gibb in ein tiefes Loch und verlor für zwei Jahre die Lust am Leben. Doch dann kehrte die Freude an der Musik zurück, Barry Gibb ging wieder auf die Bühne und brachte 2016 das Album "In the Now" heraus.
Als Solokünstler aufzutreten, fällt ihm immer noch schwer. Denn obwohl er der unbestrittene Bandleader der Bee Gees war, betrachtete er sich als Teil eines Trios, das Individuum Barry Gibb trat immer hinter der Band zurück, wie er sich erinnert: "Ich war es immer gewohnt, die zweite Geige zu spielen."
Diese Zurückhaltung ändert nichts daran, dass Barry Gibb das ist, was die Amerikaner "larger than life" nennen: Laut Guinness-Buch der Rekorde ist er der zweiterfolgreichste Komponist der Popgeschichte, vor ihm liegt nur Paul McCartney. Er ist der einzige Songwriter, der in den USA vier aufeinanderfolgende Nummer-Eins-Hits hatte, in fünf Jahrzehnten schafften es Titel von ihm an die Spitze der Charts.
Vielleicht besser als alle Zahlen belegt dies ein Zitat von ABBA-Superstar Björn Ulvaeus zu Barry Gibb: "Als ich das erste Mal den Soundtrack zu 'Saturday Night Fever' gehört habe, war ich grün vor Neid."