Geschichte-Podcast Die Baader-Befreiung – wie der RAF-Terror begann
»Hände hoch, Überfall«, schreit eine der Frauen. Vier junge Menschen stürmen am 14. Mai 1970 einen Lesesaal des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen in Berlin – und beginnen damit die Zeit des »bewaffneten Kampfes« der Roten Armee Fraktion, der die Bundesrepublik Deutschland in den Siebzigerjahren in Atem halten wird.
Gudrun Ensslin, die Medizinstudentin Ingrid Schubert und die Schülerin Irene Goergens überwältigen mithilfe eines unbekannten Mannes die Polizisten, die den inhaftierten Andreas Baader in der Bibliothek bewachen. Dabei schießen sie einen Institutsangestellten an und verletzen ihn lebensgefährlich. Ihre Komplizin ist die Journalistin Ulrike Meinhof; sie saß bereits mit Baader im Lesesaal, um angeblich an einem Buch zu arbeiten.
Es folgt eine chaotische Flucht. Die Gruppe sucht Hilfe bei Bekannten – und schafft es trotz Pannen und spontaner Planabweichungen, sich den Fahndern zu entziehen. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der den Flüchtenden keine Unterstützung gewährt, wird später festhalten, er habe den Eindruck gehabt, die RAF sei bei dieser Gelegenheit rein »aus Versehen entstanden«.
Dieser Eindruck, so erklärt der langjährige SPIEGEL-Redakteur Michael Sontheimer im Podcast-Interview, sei vielleicht etwas »literarisch zugespitzt«, umschreibe aber treffend den Umstand, dass die Radikalisierung der Terrorzelle mit der wohl ungeplanten Verletzung des Institutsangestellten begann. Zunächst, so RAF-Experte Sontheimer, hätten die Täter sich im Anschluss an die Befreiungsaktion auch von diesem Gewaltakt distanziert – um dann aber später mit umso rücksichtsloserer Haltung zu Gewalt gegen Polizisten und andere Staatsvertreter aufzurufen und diese auch selbst auszuüben. »Wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine«, sagte Ulrike Meinhof auf einem Tonband, »und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden.«
Die linke Szene der Bundesrepublik reagierte 1970 eher distanziert auf die Befreiung von Baader – gerade das gewaltsame Vorgehen der Extremisten schreckte viele ab. Doch die Keimzelle um Baader, Ensslin und Meinhof radikalisierte sich mit der Bluttat und distanzierte sich von den »Schwätzern, den Hosenscheißern, den Alles-besser-Wissern« unter den 68ern, die sie für ihre Tatenlosigkeit verachtete.
Über den Podcast
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