

Der 13. Dezember 1980 war in West-Berlin ein grauer Regentag. Auf der Admiralbrücke in Kreuzberg, wo heute junge Touristen sitzen, lagen zwei umgestürzte Bauwagen, die in der Nacht zuvor als Barrikade gegen die Polizei Verwendung gefunden hatten. Junge Kreuzberger hatten versucht, ein leerstehendes Haus, Fraenkelufer 48, zu besetzen, doch ein übereifriger Einsatzleiter der Polizei hatte sofort räumen lassen. Es gab bereits zwölf besetzte Häuser in Kreuzberg und deren Bewohner fürchteten, dass sie nun auch geräumt würden.
Die Besetzer bauten Barrikaden und warfen Steine, die Beamten setzten Knüppel ein. Rund um das Kottbusser Tor entwickelte sich die heftigste Straßenschlacht, die die Stadt in den letzten zehn Jahren erlebt hatte. Banken wurden entglast, ein Supermarkt geplündert, es war die Geburtsstunde des sogenannten Berliner Häuserkampfs.
Zu den bewegten frühen achtziger Jahren in West-Berlin hat jetzt der Fotograf Lothar Schmid ein Buch mit seinen Bildern veröffentlicht. Schwarz-weiße Fotos aus einer armen, grauen, aber sehr lebendigen Stadt.
In West-Berlin hatten sich schon seit Mitte der siebziger Jahre Bewohner gegen die Kahlschlagsanierung des Senats gewehrt, gegen den systematischen Abriss von Altbauten und gegen Mietsteigerungen durch Luxusrenovierungen. Zu den Stadtteilinitiativen gesellten sich Anarchos, ein paar 68er, Freaks und Hippies.
Am Tag nach der Schlacht am Fraenkelufer stürmten mehrere tausend Demonstranten zum Kurfürstendamm, wieder wurden Luxusläden entglast. Es kam zu Straßenschlachten und zu Verhaftungen wegen Landfriedensbruchs. Vier Tage vor Heiligabend demonstrierten 15.000 Menschen vor der Untersuchungshaftanstalt Moabit: "Eins, zwei, drei, lasst die Leute frei".
Der Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe (SPD) musste einen der notorischen Bauskandale ausbaden. Ein Bauunternehmer namens Dietrich Garski hatte sich in Saudi-Arabien beim Bau von Militärakademien verspekuliert, mit Landesbürgschaften abgesicherte Kredite in den Sand gesetzt und war schließlich verschwunden. Der Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel (SPD) wurde als Nachfolger nach Berlin geschickt, um die seit 1950 in West-Berlin regierende SPD vor dem Machtverlust zu bewahren.
Anfang 1981 kam es so zu einem Machtvakuum in der Stadt, das die Hausbesetzer schnell nutzten. Im Januar, gut drei Wochen nach der Schlacht am Fraenkelufer, wurde das erste Haus im Bezirk Schöneberg besetzt, es folgten Gebäude in Neukölln und Charlottenburg. Im Juni 1981 waren es 165 Häuser in ganz West-Berlin. Der angezählte Senat traute sich nicht, zu räumen. Fast immer unterstützten Nachbarn, die von der Wohnungspolitik die Nase voll hatten, die "Instand(be)setzer".
West-Berlin wurde zum Magneten für unternehmungslustige Jugendliche aus West-Deutschland. Sie kamen aus den bayerischen Dörfern und schwäbischen Kleinstädten, aus den Düsseldorfer Schlafsilos. Sie kamen auf der Suche nach Freiheit und Abenteuer.
Was gab es Besseres als ein besetztes Haus, um sich richtig auszuprobieren? Eine Truppe in Kreuzberg hackte Löcher in alle Decken und ließ vom vierten Stock einen Wasserfall in den Keller schießen.
Die Schlachtrufe waren vielfältig: Kollektiv geht nie schief. Gefühl und Härte. Konkrete Utopie. Frauen gegen Männer. Mollies gegen Müslis. Haut die Bullen platt wie Stullen. Legal, illegal, scheißegal. Nieder mit dem Schweinesystem!
Der Soundtrack kam von den "Fehlfarben": "Keine Atempause, Geschichte wird gemacht - es geht voran." Mit Verspätung war Punk aus England nach Deutschland gekommen, die Attitüde, die Klamotten, die Musik.
Die massenhafte Militanz war beachtlich. Dagegen waren die 68er harmlos. Hunderte warfen Steine. Bei einer Demo hätten die Besetzer und ihre Sympathisanten beinahe das Rathaus Schöneberg gestürmt, in dem das Abgeordnetenhaus tagte.
Aber nach ein paar Monaten hatte die Mehrheit der Normalos in der Stadt genug von den ständigen Krawallen. Die Springer-Zeitungen hetzten gegen die "kriminellen Chaoten", die West-Berliner wählten die SPD ab. Die CDU übernahm die Stadtregierung und begann mit der Räumung der Häuser. Ein Hausbesetzer lag im September 1981 tot auf der Potsdamer Straße, Klaus-Jürgen Rattey. Nach ein paar großen Straßenschlachten lief sich die Militanz tot. Es ging bergab mit der Bewegung.
Die Revolutionäre unter den Besetzern wollten die Hausbesitzer enteignen und in West-Berlin eine Freie Republik erkämpfen. Die Reformisten wollten möglichst viele Häuser legalisieren und als Freiräume retten. Verhandler gegen Nichtverhandler. Die Bewegung spaltete sich und ermüdete.
Bis 1984 wurden mehr als 80 der besetzten Häuser geräumt, in gut 80 bekamen die Besetzer Verträge und sanierten ihre Bruchbuden in Selbsthilfe. Einige von ihnen leben noch heute so ähnlich wie damals, mit Gemeinschaftsküche, Plenum und Subbotnik.
Während des Häuserkampfes entwickelten sich die Autonomen zu einer politischen Kraft in West-Berlin. Doch ihr Versuch, aus der Auseinandersetzung um die Häuser eine permanente Rebellion zu entwickeln, scheiterte. Nach ein, zwei Jahren gingen die meisten Besetzer wieder an die Uni oder arbeiten. Der französische Philosoph Michel Foucault behielt recht: "Revolten sind Feuerwerke, geschossen in das Dunkel der Macht. Sowie sie erleuchten, sind sie am Verlöschen."
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Straßenkämpfe: Am 22. September 1981 ließ der neugewählte Innensenator Lummer eine großangelegte Polizeiaktion gegen die illegalen Hausbesetzer durchführen. Die brennenden Barrikaden sollten die Räumung von acht besetzten Häusern in Schöneberg verhindern.
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"Friede den Häusern - Krieg den Kasernen": Im Besetzereck am Heinrichplatz, hier im Juni 1984, wurden Anfang der achtziger Jahre insgesamt neun Häuser "instandbesetzt".
Widerstand gegen die Staatsgewalt: Nach dem Motto "Bei Räumung gibt's Rabatz!" wehren sich die Besetzer gegen Durchsuchungen und Räumungen der Polizei. Im Februar 1981 reihen sich diese Demonstranten in der Oranienstraße vor der Polizei auf.
Polizeipräsenz: Eine Polizeitruppe steht im Juni 1984 am Heinrichplatz in Berlin.
Trauerfeier: Bei den Straßenkämpfen um die besetzten Häuser in Berlin kommt der 18-jährige Besetzer Klaus-Jürgen Rattay am 22. September 1981 in der Potsdamer Straße ums Leben. Auf der Flucht vor prügelnden Polizisten wurde er von einem Bus überfahren. Freunde und Sympathisanten bauten zum Gedenken ein Kreuz auf, brachten Blumen und zündeten Kerzen an.
"Ein Land, unser Land!" Maskierte Besetzer demonstrieren im September 1981 am Winterfeldtplatz in Berlin gegen Besatzer.
Beschlagnahmte Haushaltsgegenstände: Die bei Hausdurchsuchungen von der Polizei sichergestellten "Waffen" wurden von den Hausbesetzern in der Cuvrystraße in Berlin im September 1981 zur Schau gestellt - von der Wäscheklammer bis zum Kochlöffel war alles dabei.
Anarchisch und kommunal: Bei einem Hinterhoffest in der Potsdamer Straße im Juli 1982 trifft sich die Hausbesetzergemeinschaft.
An den Haaren herbeigezogen? Die beiden Hausbesetzer Dieter und Andi trinken im September 1982 in der Bar Zigore ein Bier. Die Bar an der Maaßenstraße war ein beliebter Treffpunkt für Besetzer und Nachbarn.
Zeltlager der Besetzer: Im September 1981 wurde diese Zeltwache hinter besetzten Häusern der Winterfeldtstraße eingerichtet. Die Bewohner befürchteten die vom CDU-Senat angekündigte Räumung der Häuser.
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