
Erfinder der Internet-Satire "Ich habe die Bielefeld-Verschwörung unterschätzt"

einestages: Herr Held, wann waren Sie das letzte Mal in Bielefeld?
Held: Das ist jetzt etwa vier Jahre her. Damals war ich zur Premiere des Kinofilms "Die Bielefeld-Verschwörung" eingeladen.
einestages: Also gibt es Bielefeld doch!
Held: Nachdem ich dort war, kann ich die Existenz der Stadt nicht mehr leugnen. Aber im Ernst: Mein im Internet veröffentlichter Text "Die Bielefeld-Verschwörung" war ja von Anfang an als Satire gedacht. Meine Sorge war bei der Anreise damals nicht, dass die Stadt nicht existiert - eher, dass am Bielefelder Bahnhof ein wütender Mob mit Fackeln und Mistgabeln wartet und mich lynchen will.
einestages: Sie scheinen mit heiler Haut davongekommen zu sein.
Held: Ich bin dort immer sehr freundlich empfangen worden.
einestages: ...und das, obwohl Sie die Stadt zu einem Hirngespinst erklärt hatten. Wie kamen Sie darauf?
Held: Ich wollte mich eigentlich über absurde Verschwörungstheorien im Internet lustig machen. Vor 20 Jahren existierte das World Wide Web, wie wir es heute kennen, natürlich noch nicht. Aber es gab das Usenet, wo es wiederum diverse Diskussionsgruppen gab. Und dort bekam man schon damals sehr absurde Texte zu lesen.
einestages: Zum Beispiel?
Held: Da gab es etwa die Geschichte von jemandem, der überzeugt war, die Regierung würde ihn überwachen. Über den Infrarotsensor der Fernbedienung seines Fernsehgerätes.
einestages: Was hat ein Infrarotsensor mit einer Stadt in Ostwestfalen-Lippe zu tun?
Held: Bielefeld hat es aus reinem Zufall erwischt. 1993 feierten wir in einem Kieler Studentenwohnheim. Auf der Party war auch ein Student, der aus Bielefeld stammte. "Bielefeld gibt es gar nicht", meinte aus Spaß spontan ein Bekannter. Die Idee haben wir dann immer weiter gesponnen. Dazu kamen Zufälle, die uns weiteren Stoff lieferten. Im Herbst 1993 waren wir zum Beispiel auf dem Weg von Kiel nach Essen auf der A2. Rund um Bielefeld gab es zu diesem Zeitpunkt eine große Baustelle, sodass wirklich alle Ausfahrten Richtung Bielefeld mit orangefarbenem Band durchgestrichen waren. Da haben wir gescherzt: "Wir sind wirklich einer Verschwörung auf der Spur - Bielefeld gibt es nicht!"
einestages: Wie schaffte es diese Idee vom Scherz unter Freunden zu nationaler Bekanntheit?
Held: Im Mai 1994 habe ich mich hingesetzt, einen Text aus den ganzen Ideen gemacht und im Usenet in der Gruppe "de.talk.bizarre" eingestellt.
einestages: War Ihnen damals klar, was Sie damit lostreten?
Held: Ich habe den Text total unterschätzt. Nach über einem Jahr merkte ich, dass sich immer noch Menschen darauf bezogen. Dann habe ich 1995 oder 1996 eine richtige Internetseite daraus gemacht.
einestages: Und wenig später kannte halb Deutschland die Bielefeld-Verschwörung. Was machte diese abstruse Theorie so erfolgreich?
Held: Damit eine Verschwörungstheorie überzeugend klingt, muss man erst einmal viele Dinge aufzählen, die ganz selbstverständlich sind. Beispielsweise die vielen Autos, die mit dem Kennzeichen "BI" für Bielefeld durchs Land fahren. Verschwörungstheoretisch bedeutet dies: Da sieht man mal wieder, was "die" für eine Macht haben. Selbst Kennzeichen können "die" fälschen. Normale und erklärbare Dinge müssen eingebunden werden. Und man sollte immer unbestimmt bleiben: Sonst könnte man sich ja auf Fakten festnageln lassen.
einestages: Offenbar haben Sie sich ausgiebig von anderen Verschwörungstheorien inspirieren lassen - Elvis kommt bei Ihnen ebenso vor wie Atlantis.
Held: Ja, natürlich. Atlantis gehört in jede gute Esoterikgeschichte. Ich habe versucht, einfach mal die üblichen Verdächtigen aufzulisten. In jeder Verschwörungstheorie, die etwas auf sich hält, kommen entweder Außerirdische oder irgendwelche Geheimdienste vor. Entweder solche, die man kennt, oder sogar solche, die so geheim sind, dass man sie nicht kennt. Ganz besonders beliebt sind auch immer die sogenannten Geheimbünde wie die Illuminaten oder die Templer.
einestages: Hand aufs Herz - hat Ihnen irgendjemand den Blödsinn wirklich ernsthaft abgekauft und die Existenz von Bielefeld angezweifelt?
Held: Der Großteil der Leute erkennt das natürlich sofort als Satire. Dass jemand meine Verschwörungstheorie wirklich ernst genommen hat, habe ich bislang nur einmal erlebt. Da stand tatsächlich jemand bei mir vor der Tür und erzählte mir, dass er auch verfolgt werde, weil er irgendwelchen Verschwörungen auf der Spur sei. Er glaubte, in mir einen Mitstreiter gefunden zu haben. Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass das alles nur Satire sei. Ich vermute aber, dass er wiederum dachte, "die" hätten mich erwischt und einer Gehirnwäsche unterzogen.
einestages: Klingt beängstigend. Gab es auch Momente, in denen Sie auf Ihre Erfindung stolz waren?
Held: Besonders gefreut habe ich mich natürlich, als sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Zweifel an der Existenz Bielefelds geäußert hat.
einestages: Immerhin - Sie haben der Stadt, die außer für Dr. Oetker und vielleicht noch für ihre Universität kaum bekannt war, offenbar zu ungeheurer Popularität verholfen. Sollte Bielefeld Ihnen dankbar sein?
Held: Ja, ich denke, in gewisser Weise schon. Welche Stadt in Deutschland hat schon ihre eigene Verschwörungstheorie? Das geht mittlerweile so weit, dass das 800-jährige Stadtjubiläum unter dem Motto "Das gibt's doch gar nicht" stattfindet.
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Geheimnisumwittertes Bielefeld: Auf Karten ist die ostwestfälische Stadt auch ohne Sehhilfe leicht zu finden. Die Bielefeld-Verschwörung spricht ihr hingegen satirisch die Existenz ab.
Der Mann hinter der Legende: Der Informatiker Achim Held aus Kiel veröffentlichte 1994 den Text zur Bielefeld-Verschwörung - mit verheerendem Erfolg. Hier besucht Held ein "Mekka" für Esoteriker: das britische Stonehenge.
Der Zufall spielte mit: Als Achim Held 1993 auf der Autobahn an Bielefeld vorbei fuhr, waren alle Zufahrten in diese Richtung gesperrt. So bekam die Idee zur Bielefeld-Verschwörung Nahrung. "Bielefeld gibt's doch gar nicht", dachten Held und seine Mitfahrer.
Stadt oder Attrappe? Mit rund 330.000 Einwohnern zählt Bielefeld zu den größeren Städten in Deutschland. Einigen vielleicht noch als Stammsitz von Dr. Oetker bekannt, wurde die Stadt öffentlich kaum wahrgenommen - bis die Bielefeld-Verschwörung sie deutschlandweit berühmt machte.
Bielefelds Wahrzeichen: Die Sparrenburg bietet von ihrer Erhebung aus einen weiten Blick über Bielefeld. Für Anhänger der Bielefeld-Verschwörung ist dieses mittelalterliche Bauwerk Teil einer perfekten Attrappe, um die Existenz der Stadt vorzutäuschen.
Teil der Verschwörung? Sogar eine Universität haben die Urheber der Bielefeld-Verschwörung angeblich erfunden. Gefälschte Diplome sollen zuhauf in Umlauf sein. Und immer wieder gibt es Menschen, die hartnäckig behaupten, dort studiert zu haben.
Fiktives Abi? Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder besuchte ab 1965 das Bielefelder Westfalen-Kolleg, wo er auch die Allgemeine Hochschulreife erwarb. Für Anhänger der Bielefeld-Verschwörung war dieses biografische Detail natürlich ein gefundenes Fressen.
Verschwörung auf dem Rasen: Auch vor dem Fußball macht die Bielefeld-Verschwörung nicht halt. Der Fußballverein Arminia Bielefeld soll in Sachen Sport die Existenz der Stadt am Teutoburger Wald beweisen. Doch Verschwörungstheoretiker wittern eine konzertierte Täuschungsaktion dahinter.
Bezahlte Darsteller: Statisten, so nehmen Anhänger der Theorie an, versuchen während der Heimspiele von Arminia Bielefeld, den auswärtigen Fußballfans eine lebendige Fan-Szene in der Stadt vortäuschen.
Die Verschwörung auf der Straße: Hunderttausendfach sollen die Hintermänner der vermeintlichen Täuschungsaktion Kennzeichen gefälscht haben - natürlich mit "BI" für Bielefeld. Auch die Post und die Deutsche Telekom wurden, so die Legende, für die Vergabe von Postleitzahlen und Vorwahl von diesen Drahtziehern beeinflusst.
Der Film zur Verschwörung: 2010 wurde in Bielefeld der rote Teppich ausgerollt. Die "Die Bielefeld-Verschwörung" feierte Premiere auf der Leinwand. Drei Studenten treten in dem Film gegen das Böse an - dem sinistren "Städtischen Interessenverband Energie und Kommunikation" - abgekürzt: SIEkom. Mit dabei in einer Nebenrolle: Achim Held.
Bielefeld-Leugnerin Merkel: Auch in höchste politische Kreise hat die Bielefeld-Verschwörung mittlerweile Einzug gehalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnerte sich 2012 an einen Aufenthalt in Bielefeld: "...so es denn existiert." Andererseits gab sie zu bedenken: "Ich hatte den Eindruck, ich war da."
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