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Kernkraftwerke: Gefährlich sauber

Foto: Michael Danner

Bilder aus deutschen AKW Sterile Welten der Angst

Wie fotografiert man eine unsichtbare Gefahr? Der Fotograf Michael Danner besuchte alle deutschen Atomkraftwerke und dokumentierte eine beängstigende Technologie vor ihrem Untergang. In die Hochsicherheitsbereiche kam er dabei nur nackt.

Der Weg aus dem Reaktorraum führt durch den Ganzkörpermonitor. Der orangefarbene Kasten ähnelt einem Scanner am Flughafen, dessen Ausgang ein Drehkreuz versperrt. Eine Stimme gibt Anweisungen. Der Mann vor dem Monitor soll die Hände heben. "Drei - zwei - eins", zählt die Stimme, dann fordert sie zum Umdrehen auf. Michael Danner steht mit erhobenen Händen in der Kabine. Der Monitor misst nun seinen Rücken. "Kontamination, Kontamination", sagt die Stimme plötzlich.

"Und dann steht man dumm da und muss gucken, wo ein Strahlenschützer ist. Anders kommt man da nicht raus." Als Danner von seinem Besuch im Kernkraftwerk erzählt, ist er ganz entspannt. Die Verunreinigung habe sich als harmlos erwiesen. Das könne schon mal passieren, wenn man irgendetwas berührt, so sei ihm das erklärt worden. Der 46-Jährige sagt von sich selbst, dass er eigentlich kein besonders ängstlicher Mensch sei. Ein Schockmoment war es dennoch. Als Fotograf besuchte der Berliner von 2007 bis 2011 die Standorte aller 17 noch in Betrieb befindlichen deutschen Atommeiler auf der Suche nach Motiven für etwas, das eigentlich gar nicht zu sehen ist - und die Gesellschaft dennoch beschäftigte wie kaum ein anderes Thema.

Fronten aufgereihter Uniformierter und im Schlamm kauernde Vermummte, die sich unter dem scharfen Strahl der Wasserwerfer wegducken - Bilder der Anti-Atom-Proteste der siebziger und achtziger Jahre sind martialische Dokumente fast kriegsähnlicher Zustände von Wut und Gewalt. Brokdorf, Wackersdorf oder Gorleben sind heute Synonyme für die Konfrontation zwischen dem Staat und seinen Bürgern, die Schlachtfelder eines ansonsten eher friedlichen Nachkriegsdeutschlands.

Diese Schlachten sind längst geschlagen. 2002 beschloss die Bundesregierung den Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Atomenergie. Nach einer vorübergehenden Laufzeitverlängerung gilt nunmehr seit 2011, dass der letzte Reaktor in Deutschland spätestens 2022 abgeschaltet werden soll. Für den Fotografen Danner sind die deutschen Atomkraftwerke schon jetzt "Zeitgeschichte". Als Teenager hatte er die Proteste gegen Kernenergie miterlebt. Später, bei der Beschäftigung mit den Bildern aus jener Zeit fiel ihm auf: Fast keine der alten Aufnahmen zeigt etwas von dem, worum es wirklich ging - die Angst vor Radioaktivität.

Danner hat sich deshalb mit Kamera und Stativ an die Orte dieser Angst begeben, zu Kraftwerken und Atommüll-Lagerstätten, meist irgendwo am Rande von Ballungsräumen oder in ländlichen Gebieten gelegen. Plätze, an denen "in absehbarer Zeit nur noch grüne Wiese sein" wird, die aber derzeit - umgeben von tiefen Gräben und hohen Zäunen - zu den bestbewachten im ganzen Lande zählen.

Eine überraschende Erkenntnis dabei: Man kommt ganz leicht rein.

Perfektes Marketing

Eine E-Mail-Anfrage und die Vorlage des Personalausweises genügten. Deutsche Atomkraftwerke sind auf Besucher vorbereitet. An jedem Standort unterhalten ihre Betreiber Informationszentren - museumsartige Pavillons, in denen erklärt wird, wie so ein Kraftwerk funktioniert und was es leistet. Sogar Führungen bieten die Energieversorger an. Ihre Botschaft lautet: Wir haben nichts zu verbergen. Ihr Job ist oder war es zumindest, Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen. "Das Marketing funktioniert ziemlich perfekt", sagt Danner. Als Fotograf habe er jeweils eine Einzelführung bekommen - und durfte bis ins Innerste dieser Hochsicherheitsanlagen vordringen.

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Kernkraftwerke: Gefährlich sauber

Foto: Michael Danner

Mit den Fotos, die gerade in seinem Buch "Critical Mass" erscheinen, nimmt Danner den Betrachter mit auf seine Erkundungstour. Sie beginnt irgendwo auf einem Feld, einem Fluss oder einem Waldweg, von dem aus zunächst nur schemenhaft die Umrisse der Kühltürme zu erkennen sind, bis man irgendwann direkt auf dem Werksgelände steht. Und das, zeigt Danner, sieht im Grunde nicht viel anders aus als das eines konventionellen Wärmekraftwerks. Schlichte, betonfarbene quaderförmige Zweckbauten beherbergen Lager und Büros, eine Schlosserei, eine Werkstatt, die Feuerwehr oder die Kantine. Der Blick fällt auf dicke rote, gelbe oder graue Rohrleitungen, die den heißen Wasserdampf transportieren.

Dinge, die Angst machen, sind so nicht zu sehen. Er habe überlegt, sagt Danner, was man fotografieren müsste, wollte man nach tendenziösen Bildern suchen. "Aber Risse in den Wänden oder bröselndes Mauerwerk gab es einfach nicht." Der Eindruck, der ihm vermittelt wurde: Alles ist sehr gepflegt, alles wird permanent gewartet.

Warm und penibel sauber

Wenn es etwas gibt, das die unsichtbare Gefahr bewusst macht, dann ist es wohl am ehesten das rigide Sicherheitsregime: Danners Fotos zeigen Kontrollkabinen wie am Flughafen oder Schranken, die verhindern sollen, dass Eingänge gestürmt werden können. Die sogenannten Vereinzeler funktionieren als Schleuse, an der sich nach Betreten erst der Eingang schließt, bevor sich die Ausgangstür öffnet. An den Wänden hängen Schutzanzüge und Schutzhelme, Schlüssel, Warnschilder, Sicherheitsschlösser. Es gibt Kameras und Mikrofone. Nichts soll unkontrolliert hinein oder hinaus. Zwischenfälle zeigen, dass dies nicht immer reibungslos klappt.

Bevor der Fotograf in den eigentlichen Sicherheitsbereich durfte, musste er in die Umkleide. Das Reaktorgebäude sei "eine sehr maskuline Welt", beschreibt Danner. Kabinen für Frauen gibt es gar nicht, weil Frauen dort nicht arbeiten. Beim Schichtwechsel trifft man ausschließlich auf "40- bis 50-jährige Männer in Unterhose und Badeschlappen". So gekleidet gelangte auch der Besucher, ausgestattet mit einem Strahlenmessgerät, dem Dosimeter, über eine auf dem Boden markierte rote Linie. Nichts anderes dürfe über diese rote Linie mitgenommen werden. Ein Herr im grünen Overall, ein Strahlenschützer, untersuchte derweil die Kamera. Hinter der roten Linie gebe es schließlich eine weitere Umkleide, von der aus man - versorgt mit Werksunterwäsche, Socken, Schuhe, Overall und Helm - irgendwann unter der Kuppel des Reaktorgebäudes steht. Innen drin befindet sich eine riesige Stahlkugel, in die "wahrscheinlich mehrere Einfamilienhäuser passen", schätzt Danner.

Auf halber Höhe hat die Stahlkugel einen Boden, in den das Abklingbecken eingelassen ist. Daneben befindet sich der eigentliche Reaktor, ein Metallzylinder mit den Brennelementen. "Viel zu sehen ist da nicht", sagt der Fotograf. "Es ist warm, penibel sauber und alles ziemlich aufgeräumt." Bedrohlich wirkte die Anlage nicht auf ihn.

Die andere Angst

Was an Danners Bildern auffällt: Die Anlagen wirken wie verlassene Orte, Danner fotografierte sie menschenleer. Es scheint, als nehme er deren Schicksal vorweg. Als wären die Kraftwerke schon jetzt Geschichte. Ist das Thema Atomkraft für ihn abgeschlossen? "Nein, ist es nicht", sagt Danner, "nicht, solange die Endlagerung nicht gelöst ist." Und auch diesen Teil der Geschichte erzählen seine Fotos: Aufnahmen aus dem Erkundungsbergwerk Gorleben und aus dem maroden Endlager Asse.

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Die einsturzgefährdete Atommüllkippe in dem ehemaligen Salzbergwerk ist dabei der ultimative Kontrast zu den hellen, penibel sauberen Kraftwerksräumen. Danners Bilder nehmen den Betrachter mit in die dunklen staubigen Stollen. Dorthin, wo das ungelöste Problem liegt. Er habe sich nicht vorstellen können, sagt der Fotograf, dass man in Deutschland früher so umgegangen sei mit dem Atommüll, "dass da so gepfuscht worden ist". Umso mehr hat ihn das Marketing des Betreibers, in diesem Fall das Bundesamt für Strahlenschutz, überrascht: "Sehr professionell." Die Leute hätten sich offen kritisch geäußert. Von "Katastrophe" sei die Rede gewesen.

In Gorleben hingegen war das anders. Viel mehr als die geologische Erkundung war dort nicht passiert. Die Arbeit erforderte vor allem gelernte Bergleute. In Gorleben, sagt Danner, hätten die Leute über dieses Wechselbad der Gefühle gesprochen: Wie es ist, in einer Region zu leben, die seit Jahrzehnten gegen die Errichtung eines Endlagers kämpft - und dennoch dafür zu arbeiten. Für viele sei das ein ganz normaler Job gewesen, wie er es jetzt mittlerweile für diejenigen ist, die seit 20 oder 30 Jahren als Schlosser, Köche, Sanitäter oder Wachleute in einem Kraftwerk arbeiten. Im Jahr 2000 war die Erkundung des Endlagerstandorts ausgesetzt worden. In Gorleben reden sie deshalb auch ganz offen über den drohenden Verlust der Arbeitsplätze. Die andere Angst.

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