

Der Abend sollte sich als kostspielig erweisen. Rund 30 Männer versammelten sich am 30. Dezember 1898 in dem thüringischen Städtchen Rudolstadt, Gymnasiallehrer Hermann Leinhose hatte auf diese Gelegenheit gewartet. Er stellte den Mitgliedern des Vereins "Rudolstädter Abend" einen Plan vor, der Rudolstadt landesweit bekannt machen sollte. Er wollte demjenigen ein Denkmal setzen, den man als Gründer des Deutschen Reiches verehrte und der das Land fast 20 Jahre lang als Reichskanzler regiert hatte: Otto von Bismarck. Ein Turm mit einer imposanten Feuerschale auf der Spitze sollte es werden.
Die anderen Vereinsmitglieder waren begeistert, noch am selben Abend brachten sie die ersten 1000 Mark zusammen. Im Januar 1899 begannen die Arbeiten auf dem Zeigerheimer Berg, immer weiter wuchs der Bau in Form einer "kleinen Ritterburg" bis zu seiner endgültigen Höhe von knapp zehn Metern. Die Zeit drängte: Pünktlich zu Bismarcks Geburtstag am 1. April 1899 wollte der Verein das Gedenkfeuer auf dem Turm entfachen. Doch die rund 200 Menschen, die sich an diesem Tag zur Einweihung einfanden, wurden enttäuscht.
Zwar war der Rohbau fertiggestellt, aber der Beton war noch nicht trocken. Ein "mächtiger Holzstoß" erhellte die Nacht stattdessen vom Boden aus. Trotzdem konnten sich die Rudolstädter an einer Tatsache erwärmen: Sie hatten als erste Gemeinde Deutschlands einen Bismarckturm mit Feuerschale errichtet - und damit einen nationalen Wettstreit für sich entschieden.
"Deutsche Treue bis in den Tod"
Zur gleichen Zeit planten Studentenorganisationen für ihr Idol Bismarck in ganz Deutschland weitere Gedenktürme mit Feuerschalen. Bauwerke, deren Existenzzweck späteren Generationen auf den ersten Blick unverständlich war. "So ein inmitten hoher Bäume stehender, wuchtiger Koloss, der außerhalb der nächsten Ortschaft und zudem ohne erkennbaren Grund gebaut wurde, gibt jedem Besucher erst mal Rätsel auf", beschreibt Alfred Büllesbach seine Verwunderung über den Sargenrother Bismarckturm, der vor Jahren sein Interesse an diesen Gebäuden geweckt hat. Zusammen mit dem Turm-Experten Jörg Bielefeld hat der Fotograf nun ein Buch herausgebracht, das mit historischen Abbildungen und modernen Fotografien die kuriose Geschichte dieser Bauwerke erzählt.
Als Bismarck am 30. Juli 1898 starb, trauerten zahlreiche Studenten um den Verblichenen. Gerade unter Studierenden existierte ein regelrechter Bismarck-Kult. Sie verehrten den Politiker nicht nur als als Begründer der nationalen Einheit, sondern auch als tatkräftigen "Abgott der deutschen Jugend". Um nationale Begeisterung für ihre Idee eines Turm-Projekts zu entfachen, verfassten die jungen Leute einen Appell: "Von der Spitze der Säulen sollen aus ehernen Feuerbehältern Flammen weithin durch die Nacht leuchten, von Berg zu Berg sollen die Feuer mächtiger Scheiterhaufen grüßen, deutschen Dank sollen sie künden, das Höchste, Reinste, Edelste, was in uns wohnt, sollen sie offenbaren, heiße innige Liebe Vaterlandsliebe, deutsche Treue bis in den Tod." Der Text wurde in 50.000 Briefen unter anderem an Stadt- und Gemeinderäte sowie Vereinsvorsitzende und andere einflussreiche Bürger versendet.
"Götterdämmerung"
Ein von den Studenten zugleich initiierter nationaler Architektenwettbewerb erbrachte mehr als 300 Entwürfe - das geeignetste Modell sollte in eine Art deutschlandweite "Serienproduktion" gehen. Durchsetzen konnte sich Ende April 1899 schließlich der Bewerber Wilhelm Kreis mit seinem Entwurf "Götterdämmerung": Als Kreis' Einheitsmodell den Sieg davon trug, hatten die Rudolstädter allerdings in ihrer Begeisterung für den verschiedenen Reichskanzler längst ihren burgähnlichen Bismarckturm errichtet.
Auf Initiative der Studenten wuchsen nun an vielen Orten in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Türme - im großstädtischen Köln ebenso wie bereits zuvor am Starnberger See. Einige erreichten die beachtliche Höhe von mehr als 40 Metern. Im Bergischen Land hatte ein Unternehmer allein sogar 30.000 Mark gespendet, damit ein Bismarckturm auf dem Hordtberg entstand.
Das Modell "Götterdämmerung" allerdings wurde insgesamt nur 47-mal verwirklicht - dabei oft mit Modifikationen. Jeder Ort hegte seine eigenen Vorstellungen von einem idealen Bismarck-Denkmal. Im brandenburgischen Rathenow etwa baute man einen gewaltigen auf vier "Füßen" ruhenden Turm, unter dem eine vier Meter hohe Statue des Reichskanzlers thronte. Die Kölner stellten Bismarck als überdimensionalen Roland dar. Die kurioseste Form der Bismarck-Verehrung verwirklichten die Aachener: einen Bismarckturm in Form eines riesigen "B".
"Pechbrodelpfannenprojekt"
Abgesehen vom regionalen Eigensinn sollte sich aber auch der Traum von einem turmbewehrten Deutschlands, das zu jedem 1. April im Flammenschein erstrahlt, nicht erfüllen. Mancher Turm besaß gar keine Feuerschale. Die Begeisterung für die Bismarcktürme war bisweilen auch nicht so groß, wie es sich die Verantwortlichen erhofft hatten. Selbst überzeugte Bismarck-Anhänger lehnten die Türme ab. Als "Pechbrodelpfannenprojekt" und "Rauchverschwendung" bezeichnete der Initiator des Bismarck-Denkmals an der Rudelsburg, Hans von Hopfen, das ganze Unterfangen. Von den ursprünglich geplanten 410 Bismarcktürmen wurden laut Recherchen der Autoren Bielefeld und Büllesbach bis 1934 nur 240 verwirklicht. Mancherorts hatte man einfach bestehende Türme auf den Namen des Reichskanzlers umgetauft.
Der erhofften einheitlichen "Befeuerung" standen weitere Schwierigkeiten entgegen: Man konnte sich nicht auf einen gemeinsamen Tag einigen. So brannte das Feuer laut einer Befragung im Jahre 1906 auf 63 Türmen am 31. März oder 1. April (der Geburtstag Bismarcks), auf fünf Türmen am 30. Juli (sein Sterbedatum), auf 30 zur Sommersonnenwende am 21. Juni und auf 28 am 2. September, dem Jahrestag der Schlacht von Sedan im Deutsch-Französischen Krieg von 1871. An einigen Türmen durfte überhaupt kein Feuer entfacht werden, weil Bäume zu nahe standen oder sich Anwohner wegen des Rauchs beschwert hatten.
Tatsächlich entdeckten viele Bürger bald einen ganz anderen Vorzug der Bismarcktürme: Sie erwiesen sich als hervorragende Aussichtspunkte in die Landschaft. Diesem Zweck dienen viele der Gedenktürme noch heute. Rund 146 existieren noch auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Ungeteilte Freude über diese Art des Personenkults hätte Otto von Bismarck sicher nicht empfunden. In Göttingen, wo er studiert hatte, verpassten die Bürger dem Bismarck-Feueraltar den Spitznamen "Elefantenklo".
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Germanische Inspiration: Bismarcktürme schossen nach Bismarcks Tod 1899 an vielen Orten aus dem Boden. Ein lange verstorbener Gotenkönig stand 1909 für den Bismarckturm in Jena Pate. Inspirieren ließ sich der Architekt Wilhelm Kreis vom Mausoleum des Theoderich im italienischen Ravenna. Zwischenzeitlich als Wasserturm genutzt, benannte ihn die DDR in "Turm der Jugend" um.
Standardware: 1906 weihten die Dresdner im Stadtteil Räcknitz einen Bismarckturm vom Standard-Modell "Götterdämmerung" ein. Dieser Typ, entworfen von Wilhelm Kreis, hatte sich 1899 in einem Architektenwettbewerb durchgesetzt, der auf der Wartburg entschieden worden war. Einer der Juroren waren Paul Wallot, der Architekt des Berliner Reichstags.
Winnetou und Bismarck: Der bekannteste Bürger des sächsischen Radebeuls machte 1903 rund hundert Mark für den Bau dieses Bismarckturms locker. Weiteres Geld kam durch die Veranstaltung einer Warenlotterie mit Meißner Porzellan zusammen. Der Schriftsteller Karl May war mit dem Architekten Wilhelm Kreis befreundet.
Lage, Lage, Lage: 1899 weihten die Bayern einen Bismarckturm am wahrscheinlich schönsten Standort in Deutschland ein. Vor der Kulisse des Starnberger Sees und der Alpen erhebt sich das Bauwerk mit einem Adler an der Spitze in die Höhe. Die Planungen und Arbeiten für das Denkmal begannen bereits zu Bismarcks Lebzeiten.
Technik im Einsatz: Mülheim an der Ruhr setzte eine fortschrittliche Technologie zur "Befeuerung" ein. Acht Bogenlampen sorgten für den nötigen Lichtschein. Wegen Protesten aus der Bevölkerung mussten schließlich doch Feuervorrichtungen verwendet werden. Andernorts störten sich wiederum Anwohner an der Geruchsbelästigung durch die Brände.
Strich in der Landschaft: 146 Bismarcktürme existieren noch auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik. Die Bismarckverehrung ist seit langer Zeit buchstäblich Geschichte, heute dienen die Türme als Aussichtspunkte und Wanderziele wie hier im thüringischen Apolda.
Mogelpackung: 1882 errichtete der Verschönerungsverein von Hildburghausen den sogenannten Stadtbergturm. Pünktlich zu Bismarcks Geburtstag am 1. April 1905 wurde das Bauwerk mit einer Feuerschale ausgerüstet und in Bismarckturm umbenannt. Die Idee, Bismarck durch den Bau von Türmen zu ehren, war keineswegs neu. Bereits 1869 hatte ein ehemaliger Offizier im schlesischen Ober-Johnsdorf Bismarck einen Turm errichtet. Natürlich noch ohne Feuerschale. Anhänger Bismarcks hatten bis 1898 14 Türme für ihr Idol erbauen lassen.
Miniburg: Ähnlich wie in Rudolstadt entstand auch im sächsischen Weinböhla ein Bismarckturm in Form einer Burg. Eine Vorrichtung zur Befeuerung war nicht vorgesehen. Zur DDR-Zeiten firmierte das Gebäude als "Friedenswarte".
Vorsicht Dickhäuter: Zwischen 1832 und 1833 studierte Bismarck in Göttingen Jura. Nach seinem Tod wollten sich die Göttinger Studenten nicht lumpen lassen. Zwar besaß die Stadt schon einen ihm zu Lebzeiten gewidmeten Turm, doch ohne Feuerschale. Stattdessen sollte am 1903 fertiggestellten Feuer-Aussichtsaltar im Namen des "Eisernen Kanzlers" gezündelt werden. Die Bürger allerdings verspotteten das Türmchen als "Elefantenklo".
Big "B": Der kurioseste Bismarckturm steht in Aachen. Die Erbauer verzichteten 1907 auf eine Feuerschale, dafür verewigten sie Bismarck mit einem riesigen "B" in der Landschaft. Rund 27 Meter misst das Denkmal bis zur Spitze.
Ein Dach für Bismarck: Kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs weihte Rathenow seinen Bismarckturm ein. Eine vier Meter hohe Statue des "Eisernen Kanzlers" befand sich unter der Säulenhalle. Weder die Feuerschale noch die Statue aus Bronze überdauerten den Zweiten Weltkrieg. Sie wurden eingeschmolzen.
Blick ins Innenleben: Die Göttinger konnten dem "Eisernen Kanzler" gleich an zwei Orten huldigen. Neben dem Feuer-Aussichtsaltar existierte noch ein bereits 1896 fertig gestellter Bismarckturm, der sich auch in seinem Inneren der Verehrung des Politikers widmete.
Entflammt für Bismarck: Die Bismarcktürme dienten auch der Werbung. "Gartmann-Chocolade" druckte die Türme pathetisch verklärt als Sammelbildchen ab. Hier sind die Türme in Lindenfels, Friedrichsruh, Hannover, Chemnitz und Berlin abgebildet. Die Fantasie ging anscheinend mit dem Zeichner durch. Lindenfels und Chemnitz besaßen gar keine Vorrichtungen zur Befeuerung.
Fackel marsch! 1932 entfachten Studenten am 20. Juni ein Feuer auf dem Bismarckturm im hessischen Marburg. Die Flammen schlugen bis zu zwei Meter hoch. 1898 hatten in Hamburg zusammengekommene Studentenvertreter den 1. April als nationalen Gedenktag für Bismarck bestimmt. Allerdings lag dieses Datum wie auch Bismarcks Sterbetag am 30. Juli denkbar ungünstig im Kalender der Studenten: Semesterferien. Aus diesem Grund wurde für die Studenten ein eigener Gedenktag am 21. Juni, zur Sommersonnenwende, festgelegt.
Einsame Spitze: Rund 80.000 Mark Spenden hatte die Wiesbadener zusammenbekommen, bevor 1914 der Ausbruch des Ersten Weltkriegs den Bau ihres steinernen Bismarckturms verhinderte. Zuvor war dieser "Probebau" aus Holz errichtet worden, der mit seiner Höhe von 50 Metern der höchste Bismarckturm überhaupt war. "Wiesbadener Eiffelturm" nannten die Einwohner die Konstruktion. Der steinerne Turm in Glauchau brachte es immerhin auf rund 45 Meter.
Volksfest: 1906 feierten die Bürger in Velbert-Langenberg die Einweihung ihres Bismarckturms. Auch Jahre später blieb das Bauwerk ein beliebter Treffpunkt. Allerdings weniger als Ort des Bismarck-Verehrung als vielmehr als ein Ausflugsziel mit angeschlossener Gaststätte. Die Feuerschale wurde in den Sechzigerjahren entfernt.
Bismarck, alter Germane: National gesinnte Studenten betrieben einen regelrechten Bismarck-Kult. Am 80. Geburtstag des greisen Politikers pilgerten 1895 mehr als 5000 Studierende zu seinem Gut Friedrichsruh bei Hamburg. Auf Trauerfeiern nach Bismarcks Tod verklärten sie ihn als "Abgott der deutschen Jugend" und "Größten des Jahrhunderts". Immer wieder wurde der ehemalige Reichskanzler in den blühenden Germanenkult eingereiht.
Ein guter Trunk: Am 2. September 1902 weihte die Stadt Gera ihren Bismarckturm ein. An diesem Verkaufsstand sollten sich die durstigen Kehlen laben können. Zuvor hatte unter anderem die Veranstaltung von Bismarck-Festspielen für die notwendige Finanzierung gesorgt.
Stein und Eisen: Passend zu den großen Eisenerzvorkommen in Salzgitter errichtete die Stadt 1905 eine Konstruktion aus fünf Meter Steinbau und zwölf Meter Eisen. Nach dem Zweiten Weltkrieg versah der örtliche "Heimkehrerverband" das Bauwerk mit einem fünf Meter hohen beleuchtbaren Kreuz.
Ein Stein für Bismarck: Mit Baustein-Karten wie dieser versuchten die Initiatoren des geplanten Bismarckturms in Bad Dürkheim Geld zu sammeln. Symbolisch bezahlten die Spender fünf Jahre lang je eine Mark für einen Baustein des Turms. Dafür waren sie automatisch zur Einweihungsfeier eingeladen.
Verschlossene Geldbörsen: Bereits 1902 erging der erste Spendenaufruf zugunsten eines Bismarckturms in Ingelheim. 1904 war immer noch nicht genug Geld beisammen. Erst 1912 konnte das Bauwerk eingeweiht werden. Auf die ursprünglich vorgesehene Bismarckstatue war verzichtet worden, trotzdem war der Turm der teuerste im heutigen Rheinland-Pfalz. Mittlerweile dient er einem anderen Zweck: als riesige Adventskerze.
Bismarck in Afrika: Ein paar Jahre nach Bismarcks Tod entstand auch ein Bismarckturm in der deutschen Kolonie Kamerun. 1903 erhielt das Bauwerk allerdings eine andere Bestimmung, es wurde zum Leuchtturm umgewidmet. Wie in Kamerun errichtete man auch im heutigen Tansania, in Chile und Papua-Neuguinea Gedenkbauten für den Reichseiner.
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