
Braunsein als Trend: Von Schneewittchen zum Grillhähnchen
Vornehm blass oder schön braun Siegeszug der Sonnenanbeter
Es war ein tonangebender Fauxpas: Coco Chanel vergaß ihren Sonnenschirm an Land, als sie an Bord der Jacht ihres Liebhabers ging. Das Paar schipperte die Côte d'Azur entlang, turtelte an Deck bei kühlendem Wind und reflektierendem Wasser - schon verunstaltete ein Sonnenbrand im Sommer 1923 die Haut der Designerin. "Ich war so braun wie eine Zigeunerin", erzählte Chanel. "Gerade ich, die sonst die Sonne immer gemieden hatte."
Daheim staunten die Pariser über den verdunkelten Teint der Grande Mademoiselle. Für einen Fotografen posierte sie im weißen Leinenkleid, das ihre neue Hautfärbung betonte: "Ich sah aus, als sei ich voller Energie", so Chanel, gefeiert für das Parfüm N°5 und das "Kleine Schwarze".
Die Modewelt teilte Coco Chanels Enthusiasmus zunächst nicht. Bis dahin war Blässe angesagt, nun zeigte sich ausgerechnet eine Stil-Ikone bronzebraun. Dann engagierte Chanel auch noch gebräunte Mannequins und brachte damit - so die Legende - als Erste einen neuen Trend auf den Laufsteg: Chanels Missgeschick ließ die Bronzezeit beginnen, vorbei das Zeitalter der Kreide.

Braunsein als Trend: Von Schneewittchen zum Grillhähnchen
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts galt dunkle, gegerbte Haut als verpönt, sie kennzeichnete Bauern, Sklaven, Seeleute. Die Oberschicht versteckte jeden Quadratzentimeter des Körpers mit Schirmen und Hüten, Handschuhen, langen Hosen oder Röcken. Selbst zum Strand ging man in voller Montur, kein einziger Sonnenstrahl sollte die Haut berühren. Mit giftigen Bleichmitteln, Puder oder gar einem Aderlass halfen die Feinen und Reichen kosmetisch nach, um vornehm blass auszusehen.
Gletschercreme mit Lichtschutzfaktor 2
Um die Jahrhundertwende befreiten sich die Lebensreformer und Naturfreunde als Erste von Kleidungszwängen, tanzten splitterfasernackt über Wiesen und frönten dem FKK-Sonnenbaden. Zudem erkannten Ärzte die positive Wirkung der UV-Strahlen: Sonne fördert die Durchblutung, kurbelt die Produktion von Glückshormonen an, lockert die Muskulatur, stärkt das Immunsystem.
Zuhauf schickten Mediziner ihre Patienten in Sanatorien zu Licht- und Lufttherapien. Stundenlang aalten sich Kururlauber auf Terrassen und Veranden, wendeten sich auf ihren Liegen wie Grillhähnchen. Doch mitunter rösteten sich die Genesung suchenden Damen und Herren allzu lange: Sonnenbrände waren die hässliche, schmerzhafte Nebenwirkung. Sonnenschutzmittel mussten her.
Das erste aus dem Hause eines Kosmetikherstellers stammte von Drugofa, einer Tochter des Leverkusener Bayer-Konzerns: "Delial" hieß die Salbe, die 1933 auf den Markt kam. Zwei Jahre später entwickelte L'Oréal-Gründer Eugène Schueller das Sonnenschutzöl Ambre Solaire - "erstes Symbol" der in den Dreißigerjahren beginnenden Freizeit-Ära, bewirbt L'Oréal das Produkt.
Auch die Firma Piz Buin beansprucht eine Vorreiterrolle: 1938 bestieg der Schweizer Chemiestudent Franz Greiter die Bergspitze des Piz Buin und verbrannte sich die Haut. Er zog sich in den Keller seines Elternhauses zurück und suchte nach einem Mittel gegen das Leiden. Mithilfe seiner Frau, einer Kosmetikerin, entwickelte Greiter die "Glacier Cream" und präsentierte sie 1946 der Öffentlichkeit. Die Gletschercreme hatte indes noch den mickrigen Lichtschutzfaktor 2.
Satte Bräune als Statussymbol
Wer das Geld für die damals teuren Produkte sparen wollte, dem half das "Goldene Buch der Frau" von 1956. Darin fanden die Leserinnen ein einfaches Rezept aus nur drei Zutaten: Rosenwasser, pulverisierte Borsäure, Natriumsalz.

Zu viel, zu wenig Haut: Zoff um Bademode: Anziehen, ausziehen - was denn jetzt?
Der 480-Seiten-Wälzer empfahl, die Mixtur "erst nach einer Bestrahlungsdauer von einer Viertelstunde bis halben Stunde" anzuwenden, um "auf den wohltätigen Einfluss der ultravioletten Strahlen nicht ganz verzichten" zu müssen. Frauen mit fettiger, großporiger Haut sollten sich gar nicht eincremen, "da die Sonne den übermäßigen Fettgehalt reduziert".
Lange blieben die Fabrikate der Kosmetikfirmen Ladenhüter. Wer in den Wirtschaftswunderjahren ans Mittelmeer reiste, packte nur selten Delial, Ambre Solaire und Co. ein. Schließlich zeigten die Hauttonnuancen den Daheimgebliebenen, wie lohnend der Urlaub gewesen war - satte Bräune als Statussymbol. Sonnenschutzmittel verlangsamten den Wunscheffekt, an Gesundheitsgefahren dachten nur wenige Touristen.
"Weg vom sonnengegerbten Luis Trenker, hin zum blassen Japaner"
In den Sechzigerjahren sorgten Sexsymbole wie Brigitte Bardot und Ursula Andress dafür, dass Braunsein en vogue blieb. Die eine räkelte sich halbnackt an den Stränden von St. Tropez. Die andere stieg im Bond-Film "007 jagt Dr. No" hüftschwingend aus dem Wasser - milchkaffeebraun im weißen Bikini.
Der Spielzeugkonzern Mattel reagierte auf das Schönheitsideal und verwandelte 1971 seine zuvor schneeweiße Barbie in ein gebräuntes Püppchen. Sonnenbrille, Handtuch und ein hellblauer Badeanzug perfektionierten den California-Look.
Mitte der Achtziger entdeckten Forscher das Ozonloch. Nun grassierte die Angst vor Hautkrebs. Weltweit starteten Aufklärungskampagnen. So reimte das australische Gesundheitsministerium: "Between eleven and three, slip under a tree" ("Zwischen 11 und 15 Uhr schlüpf' unter einen Baum"). Und der Direktor des Deutschen Skiverbands riet: "Weg vom sonnengegerbten Luis Trenker, hin zum blassen Japaner."
Dennoch: Die Arglosen brutzelten ungeschützt weiter. Franz Greiter, Erfinder der "Gletschercreme", ließ 1985 die "Einstellung der modernen Menschen zur Sonne" untersuchen. Erstaunt erzählte der Piz-Buin-Chef im SPIEGEL vom Ergebnis: Gerade Risikotypen mit empfindlicher Haut seien der Sonne besonders zugewandt.
Und Coco Chanel? Nach ihrem Flirt-Trip an die französische Riviera wandelte sich ihr Teint rasch wieder zu einem natürlichen Oliv. 1924 präsentierte das Haus Chanel ein Selbstbräunungsöl. Und als in den Dreißigerjahren die ersten Sonnencremes aufkamen, zog das Unternehmen mit: Chanel beauftragte Chemiker, die Bodylotions mit Sonnenschutzsubstanzen zu versehen. Für die Grande Mademoiselle war das Braun-Sein nur eine Episode.