Wie die Zeit vergeht mit... Bademode Zoff um Stoff
Sittsamer gekleidet, als es die Polizei erlaubt, war die Frau am Strand von Nizza. Sie trug Leggings, ein langes Oberteil und ein Tuch um den Kopf, beides türkisfarben. Am Montag wurde sie von vier Polizisten umringt. Ein Foto zeigt, wie sie die Bluse auszieht. Wahrscheinlich erhält sie obendrein einen Strafzettel. Denn zahlreiche französische Urlaubsorte, darunter Nizza und Cannes, haben unlängst das Tragen von Ganzkörperbadeanzügen an ihren Stränden verboten.
Als Burkiniverbot wurden die Dekrete der Bürgermeister bekannt und sind hoch umstritten. Dabei trug die Frau in Nizza offensichtlich weder einen Burkini noch einen Nikab oder eine andere Art der völligen Verschleierung. Vom Burkini ist in den Verboten der französischen Städte auch nicht ausdrücklich die Rede. Sie untersagen Frauen den Zugang zum Strand, sofern sie "keine korrekte Kleidung tragen, die die guten Sitten und die Laizität respektiert sowie die Hygiene- und Sicherheitsregeln beim Baden achtet".

Geschichte der Bademode: Anziehen, ausziehen - was denn jetzt?
Das Bild aus Nizza sorgte diese Woche weltweit für Empörung. Vom "Gipfel der Absurdität" sprach Kenneth Roth, Leiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Ist ein Ganzkörperbadeanzug wirklich die Tracht des Islamismus? Müssen Polizisten Frauen zwingen, am Strand Kleidung abzulegen? Verhindert man so die Ausbreitung des Fundamentalismus? Darüber wird in Frankreich aufgeregt gestritten nach einer Reihe islamistischer Anschläge. Am 14. Juli in Nizza hatte ein Attentäter einen Lastwagen in eine Menschenmenge gesteuert und 86 Menschen getötet.
Anziehen oder ausziehen, immer gut für einen Skandal
Zu wenig Haut - das ist eine neue Variante von Auseinandersetzungen um angemessene Bekleidung am Strand. Sie reichen bereits über hundert Jahre zurück. Und fast immer ging es um das Gegenteil: zu viel Haut.
Behörden und Sittenwächter waren schon im frühen 20. Jahrhundert in Sorge um die öffentliche Moral. Und blamierten sich mitunter bis auf die Knochen, wie 1932 der Berliner Beamte Franz Bracht mit dem "Zwickelerlass". Mit Linealen, Maßbändern und kritischen Blicken rückten Ordnungshüter badenden Frauen buchstäblich auf den Leib. Kaum ein Flecken Haut, der nicht bedeckt sein musste. Selbst der Anblick nackter Füße und Waden war verpönt, sodass weibliche Gäste an Stränden und in Schwimmbädern sich zum Baden in Schuhe und Strümpfe zwängen mussten. Auch für Männer galten recht strenge Regeln.
Bereits 1907 sorgte die australische Schwimmerin Annette Kellermann in den prüden USA für einen Skandal. Am Strand von Boston trug sie einen Schwimmanzug - schwarz, hauteng, für diese Zeit ungewöhnlich freizügig. "Ich will schwimmen, das kann ich nicht mit einer Wäscheleine voll Stoff an meinem Körper", begründete Kellermann ihre Rebellion gegen den Klamottenzwang. Skandal! Sogleich wurde sie verhaftet, andere Frauen hatten die Polizei herbeigerufen.
Lange planschte man noch in Korsetts und Kleidern. Aber seit Kellermanns Pioniertat trugen immer mehr Frauen immer weniger Kleidung beim Badevergnügen. Erst ein Bein, dann ein Arm, schließlich sogar der Bauchnabel wurden gesellschaftlich akzeptiert. Bis der Bikini 1946 alle Grenzen sprengte. Und Sittenwächter zur Weißglut brachte.