
Castros Revolution: Seekranke Umstürzler auf uraltem Ausflugsboot
Castros "Granma"-Expedition 1956 Höllenfahrt mit der "Großmutter"
Es war eine halsbrecherische Reise mit 82 Guerilleros, 135 Waffen und viel Kühnheit an Bord. "Expedicionarios", Expeditionsteilnehmer, heißen die Helden dieser Höllenfahrt auf der "Granma": einer 17 Jahre alten hölzernen Motorjacht, die einst als Ausflugsboot diente, kaum wasserdicht und hochseetauglich. Auf den letzten Drücker hatte Fidel Castro sie zuvor über einen Waffenhändler einem US-Eigner abgekauft.
Im Morgengrauen des 25. November 1956 stachen Fidel, sein Bruder Raúl, der argentinische Arzt Ernesto "Che" Guevara und 79 weitere junge Männer in Mexiko in See. Ihr Ziel: Kuba. Ihre Mission: Revolution und Sturz des verhassten Tyrannen Fulgencio Batista.
Der wusste, was ihn erwartete. Denn Castro, der jetzt im Alter von 90 Jahren gestorben ist, hatte in seiner Zeit in Mexiko nie einen Hehl aus seinen Plänen gemacht. "Wir bekräftigen mit Entschiedenheit unsere Versprechen, das wir für 1956 abgegeben haben: Wir werden frei oder Märtyrer sein", sagte er in einem Interview kurz vor dem Aufbruch. Batista - korrupt, gewalttätig und Freund der USA - erwartete Castro und seine Expedition mit entsprechender Feuermacht.
Von US-Agentur für tot erklärt
Die Mission mündete in einem Blutbad. Fast scheiterte sie am 2. Dezember 1956 ebenso grandios wie 1953 der Überfall Castros und seiner Getreuen auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba - der erste Versuch des "Comandante", Batista zu stürzen.
Die US-Nachrichtenagentur UPI sandte am 4. Dezember eine Depesche: Der Invasionsversuch der Kämpfer sei gescheitert, die Besatzung der "Granma" aufgerieben, beide Castro-Brüder seien tot. War es Unkenntnis oder bewusste Falschinformation seitens der kubanischen Machthaber? Jedenfalls war es höchstens die halbe Wahrheit.

Castros Revolution: Seekranke Umstürzler auf uraltem Ausflugsboot
Die Geschichte der historischen "Granma"-Expedition beginnt 1955 in Mexiko-Stadt. Dorthin flieht Castro, nachdem ihm und seiner "Bewegung des 26. Juli" in Kuba die Häscher von Batista immer gefährlicher werden und sogar Mordanschläge planen.
Verliebt und festgenommen
In Mexiko verfolgt Castro drei Ziele: Geld sammeln für sein Invasionsbataillon, Rekrutierung der Kämpfer, ihre militärische Ausbildung. Gleich nach der Ankunft lernt er im Hause einer Freundin Ché Guevara kennen, der aus Guatemala geflohen war. Guevara und Castro verstehen sich auf Anhieb und werden später der Doppelkopf der Revolution.
Die ist zu dieser Zeit wenig mehr als ein fixer Gedanke in Castros Kopf. Aber mit seinem Redetalent, Charisma und Willen begeistert er fast jeden von seinem Plan. Er reist in die USA und sammelt Geld bei Sympathisanten und Exil-Kubanern für die Expedition. Zurück in Mexiko lassen sich die Rebellen auf einer Farm außerhalb der Hauptstadt ausbilden, Fidel sucht unter Pseudonym nach Waffen.
Er verliebt sich heftig in eine junge Kubanerin, will sogar heiraten und wird Ende Juni mit 28 Guerilleros in den Knast gesteckt. Der Vorwurf: kommunistische Verschwörung. Einen Monat später kommen die Männer nach Aufbietung aller juristischen und politischen Unterstützung frei, sogar Mexikos Ex-Präsident Lázaro Cárdenas verwandte sich für die kubanischen Umstürzler. Aber sie wissen, dass jetzt Eile geboten ist.
Fotos von Lee Lockwood: Castros Kuba - ein stolzes Land
Noch immer fehlen Schiff und Geld. Also kehrt Castro in seiner Verzweiflung in die USA zurück, er schwimmt Ende September durch den Rio Grande und trifft sich in Texas mit dem exilierten kubanischen Ex-Präsidenten Carlos Prío, der selbst von Batista gestürzt wurde.
Prío stellt Castro eine hohe Summe zur Verfügung - die Zahl variiert in den Berichten zwischen 60.000 und 100.000 Dollar. Keine selbstlose Spende: Prío hoffte, wieder an die Macht zu gelangen, schreibt Volker Skierka in seiner Castro-Biografie. Ein fataler Trugschluss.
Kurz vor Kuba geht der Sprit aus
Wie sehr die bürgerliche Opposition im Exil dem "Granma"-Abenteuer auf die Beine geholfen habe, werde in der revolutionären Geschichtsschreibung stets unterschlagen, sagt der kubanisch-mexikanische Historiker Rafael Rojas im einestages-Gespräch: "Es haben sehr viele liberale und bürgerliche Kräfte das Abenteuer unterstützt und so überhaupt erst ermöglicht."
Ende November 1956 erteilt Fidel Castro überstürzt den Auslaufbefehl, weil die mexikanischen Behörden ihm ein Ultimatum stellen. 81 seiner engsten Vertrauten und besten Männer, einige davon werden später hohe Ämter in der Regierung oder den Streitkräften bekleiden, gehen mit ihm an Bord der für nur 25 Passagiere ausgelegten Jacht. 50 müssen aus Platzmangel in Mexiko zurückbleiben.
Die "Granma" verlässt trotz schlechten Wetters und gegen den ursprünglichen Willen des Hafenmeisters den Hafen von Tuxpán in Mexikos Bundesstaat Veracruz. Mit abgedunkelten Positionslampen fährt die alte Jacht den Rio Pantepéc Richtung Golf von Mexiko.
Sieben Tage dauert die stürmische Fahrt über 1235 Seemeilen, die "Großmutter" ist hoffnungslos überladen, kaum manövrierfähig und voller seekranker Guerilleros. Ohne Sprit läuft das Boot vor dem Morgengrauen am 2. Dezember auf Grund, die müden und hungrigen Kämpfer müssen aussteigen und durch die Mangroven an Land waten.
Bei Tagesanbruch haben Batistas Soldaten die Ankömmlinge schon entdeckt. Sobald sie an Land sind, werden sie aus der Luft und mit Bodentruppen angegriffen. Bei der tagelangen Verfolgungsjagd wird das revolutionäre Expeditionscorps versprengt, 61 Kämpfer werden getötet oder gefangengenommen und später hingerichtet.
"Eher für Jagdausflug als für Revolution geeignet"
Die Castros und Ché Guevara jedoch überleben gemeinsam mit 18 anderen die Landung und die Angriffe der Batista-Armee. Weihnachten 1956 sind sie wieder beisammen, acht Bauern schließen sich an - der Kern der Rebellenarmee. "Ihre spärliche Bewaffnung scheint eher für einen Jagdausflug geeignet als für eine Revolution", schreibt Skierka.
Aber Castro ist unerschütterlich und glaubt fest an den Sieg. Die Männer kämpfen sich in den dichten Dschungel der Gebirgskette der Sierra Maestra vor und beginnen den Widerstand gegen die übermächtige Armee des Unterdrückers.
Zwei Jahre und viele Gefechte später flieht Batista an Neujahr 1959, tags darauf marschieren die "Barbudos", die Bärtigen, unter weltweiter Aufmerksamkeit tatsächlich in Havanna ein. Die Revolution ist geglückt. Und die "Großmutter"? Lebt fort - das offizielle Blatt der Kommunistischen Partei Kubas heißt "Granma", diesen Namen trägt auch die Provinz, wo die Guerilleros an Land gingen.
"Die Reise der 'Granma' und was dann folgte sind gemeinsam mit dem Überfall auf die Moncada-Kaserne der symbolische Kern der offiziellen Revolutionsgeschichte, die mystifiziert und von ihrem Kontext losgelöst sind", sagt Historiker Rojas.
Die alte Motorjacht ist heute hergerichtet als Symbol der kubanischen Revolution, die stets mit viel Pomp und Pathos gefeiert wurde. Sie steht in einem Glaskasten im Garten des Revolutionsmuseums von Havanna - Soldaten der kubanischen Armee bewachen die "Granma".