
Schwulenbewegung: "Sie haben uns ein Gefühl geklaut, und das heißt Liebe"
Schwulen-Aktivist Corny Littmann "Dann habe ich den Hammer genommen"

Cornelius "Corny" Littmann, 1952 in Münster geboren, ist Schauspieler, Regisseur und Theatermacher. 1980 kandidierte er als Spitzenkandidat der Hamburger Grünen für den Bundestag und war acht Jahre später Mitgründer des bekannten "Schmidt Theater" am Spielbudenplatz in St. Pauli. Der ehemalige Präsident des Fußballklubs FC St. Pauli setzt sich seit Jahrzehnten für die Rechte von Homosexuellen ein.
einestages: Herr Littmann, mit einem Hammerschlag haben Sie 1980 sozusagen eine neue SPIEGEL-Affäre ausgelöst. Was war geschehen?
Littmann: Es war eigentlich eine völlig absurde Aktion. Ich war zu dieser Zeit Mitglied einer schwulen Aktionsgruppe, die versuchte, Repressionsfälle gegen Homosexuelle zu dokumentieren. Eines Tages erhielten wir die Nachricht, dass Schwule auf öffentlichen Toiletten bespitzelt würden, was für Leute, die sich dort wirklich oder vermeintlich vergnügten, rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen konnte.
einestages: Die Hamburger Behörden haben den Bürgern in Bedürfnisanstalten nachspioniert?
Littmann: Tatsächlich. Am Spielbudenplatz in St. Pauli haben wir festgestellt, dass es auf der öffentlichen Toilette eine Überwachung gab. Und zwar in Form eines Spiegels, der von der einen Seite durchsichtig war und von der anderen nicht. Der war so platziert, dass man das Urinal aus einem versteckten Raum deutlich sehen konnte.
einestages: Was haben Sie getan?
Littmann: Wir haben uns von einem dort ansässigen Gastronomen einen Hammer besorgt, das Glas aber nur leicht beschädigen können.
einestages: Dafür haben Sie es später krachen lassen.
Littmann: In der U-Bahn-Station am Jungfernstieg gab es eine relativ neue Toilette, aber mit einem wesentlich dünneren Spiegel. Da sind wir tagsüber dorthin. Zwei Männer waren auf dieser Toilette, die haben wir eben mal kurz rausgebeten und gesagt, wir müssen mal ein Foto machen, ihr könnt gleich wieder rein. Dann habe ich, eigentlich relativ unspektakulär, den Hammer genommen und auf Kommando, damit das Foto auch stimmte - eins, zwei, drei -diesen Spiegel zerschlagen. Ging problemlos, weil er sehr dünn war. Dahinter war ein so sechs Quadratmeter großer Raum.
einestages: Ihre Aktion enthüllte den Skandal der Schwulen-Bespitzelung in Hamburg.
Littmann: 1980 trat Helmut Schmidt gegen Franz Josef Strauß im Bundestagswahlkampf an. Schmidt war bekanntlich zu Beginn seiner politischen Karriere in Hamburg Innensenator gewesen. Es ging schon mehr als das Gerücht, dass er in den Sechzigerjahren diese Überwachung angeordnet hat. Und damit eine Registrierung von Schwulen. Das war das eigentliche Thema: Rosa Listen, die eine unsägliche Tradition in Deutschland haben. Von denen die Behörden immer behauptet hatten, es gäbe sie nicht mehr. Nach meinem Hammerschlag war klar: Es gab diese Rosa Listen immer noch! Und zwar in Form von Hausverboten, die ausgerechnet beim Gartenbauamt Hamburg-Mitte registriert wurden.
einestages: Rund 50.000 Männer wurden in der Bundesrepublik wegen "Unzucht" verurteilt, bis die Bundesregierung 1969 den berüchtigten "Schwulen-Paragrafen" 175 entschärfte. Brachten die Siebzigerjahre den Homosexuellen mehr Freiheit und Akzeptanz?
Littmann: In den Siebzigerjahren war es sehr versteckt und für die meisten Schwulen ein Doppelleben. Die waren tagsüber in ihrem beruflichen, sozialen Umfeld normale Heterosexuelle, und abends dann haben sie buchstäblich oft die Kleidung gewechselt und konnten dann schwul sein, in einem sehr begrenzten, meistens privaten Umfeld. Das war für die meisten auch ungeheuer anstrengend: Also, es ist ganz schwer vorstellbar für einen Heterosexuellen, und das trifft ja auch auf viele heute noch zu, wie viel Energie es kostet, ständig eine Rolle zu spielen, von der man weiß, das ist man nicht.
einestages: Sie haben sich sehr früh zu Ihrer Homosexualität bekannt. Was war bei Ihnen anders?
Littmann: Bei mir fiel das um 1972 glücklicherweise mit dem Schulende zusammen. Ich habe meine ganzen sozialen Kontakte, die ich in der Schule hatte, beendet und neue begonnen. Also war es relativ einfach, in meinem privaten Umfeld offen als Schwuler zu leben.
einestages: Zu dieser Zeit haben Sie sich auch bereits bei der Homosexuellen Aktion Hamburg engagiert. Warum?
Littmann: Die persönliche Motivation war natürlich, in seinem Anderssein akzeptiert zu werden, so akzeptiert zu werden, wie ich halt bin, und nicht in irgendeiner Form diskriminiert zu werden. Die Diskriminierung, schon zum damaligen Zeitpunkt, ist natürlich eine sehr subtile gewesen, es ist sehr selten offensichtlich gewesen. Natürlich, als offen Schwuler damals in den Siebzigerjahren wurde man außerordentlich schräg angeguckt. Das waren ja merkwürdige Wesen aus dem Zoo, die da auf einmal auftauchten. Und wie kann jemand überhaupt von sich sagen, dass er schwul ist?
einestages: Was für Aktionen hat Ihre Gruppe ausgeführt?
Littmann: Wir waren eine kleine Truppe, die mal irgendwo mit Flugblättern aufgetaucht ist. In einer öffentlichen Veranstaltung, einer Kinovorstellung zum Beispiel. Aber das war eine kleine radikale Minderheit, öffentlich kaum sichtbar.
einestages: 1980 waren Sie aber neben dem Hammerschlag in der U-Bahn-Toilette an einer weiteren öffentlichkeitswirksamen Aktion beteiligt.
Littmann: Das war bei der ersten Stonewall-Demonstration in Hamburg, heute besser bekannt als Christopher Street Day. Etwa 300 Leute hinter einem Kleinlaster. Am Ende entdeckten wir am Schanzenpark einen weißen VW-Bus, aus dem einige Herrschaften offensichtlich uns Demonstranten gefilmt haben. Einige haben zum Entsetzen der Insassen versucht, den Bus mal eben auf die Seite zu kippen. Ist nicht ganz gelungen, es kam schnell Polizeiverstärkung heran und hat uns vertrieben. Der Ärger über diese Überwachung und die Verfolgung der Demonstration war eben bei allen Beteiligten sehr groß.
einestages: Mit der Theatergruppe Brühwarm hatten Sie ihren Kampf für die Schwulenrechte zu dieser Zeit bereits auf die deutschen Theaterbühnen getragen.
Littmann: Brühwarm war das Resultat einer Frustration: Wir hatten keine Lust, Flugblätter zu verteilen. Wir wollten unsere Botschaft anders vermitteln, also dachten wir, bringen wir das mal auf die Bühne. Natürlich hing unser großer Erfolg in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre auch entscheidend mit der Zusammenarbeit mit der Band Ton Steine Scherben zusammen. Ihr Sänger Rio Reiser war ja selbst schwul.
einestages: Waren Ihre Sketche und Lieder nur Klamauk?
Littmann: Rückblickend betrachtet war Brühwarm eine schwer moralische Gruppe. Einer der bekanntesten Songs war: "Sie haben uns ein Gefühl geklaut, und das heißt Liebe". Wenn man sich das heute anhört, muss zumindest ich darüber lachen. Aber damals war es natürlich überhaupt nicht komisch, es hat die Menschen sehr bewegt.
einestages: Wie schätzen Sie die heutige Situation für Homosexuelle in Deutschland ein?
Littmann: Ich glaube, in den deutschen Großstädten gibt es eine sehr große Akzeptanz, auf dem Land sieht das sicher ein bisschen anders aus. Und wie ich das so im Freundeskreis beobachte, im familiären Umfeld, ist es immer noch sehr mit Vorurteilen besetzt. Wenn ich Freunden oder Freundinnen sage, ich kann deinen Sohn ja mal mit in eine schwule Kneipe nehmen, dann kriegen die einen hysterischen Anfall und sagen: "Um Gottes willen!"
einestages: Sonst ist alles gut?
Littmann: Das ganze Fußballgeschäft ist immer noch eine schwulenbefreite Zone. Das habe ich ganz heftig in verschiedensten Ausprägungen in meiner Eigenschaft als Präsident des FC St. Pauli erfahren. Nicht nur was die Spieler betrifft, sondern auch das ganze Drumherum wie Funktionäre und andere Verantwortliche.
einestages: Was wünschen Sie sich?
Littmann: Dass viele Schwule in Deutschland in dem Maße normal und ohne Diskriminierung leben können, wie ich das schon seit Jahren privilegiert tun kann.
einestages: Haben Sie sich jemals Gedanken darüber gemacht, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie nicht homosexuell wären?
Littmann: In einem bestimmten Sinne habe ich mir Gedanken drüber gemacht, weil ich es als besonderes Glück empfunden habe. Obwohl es damals schwierig war, mit vielen Problemen behaftet, dass ich es aber rückblickend als Glück empfinde, mir eine eigene Identität fern des Elternhauses, fern der Konventionen habe erkämpfen müssen. Das hat mir in meinem Leben vieles einfacher gemacht.