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Costa Concordia: Heimlich an Bord

Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Fotos vom Wrack der "Costa Concordia" Im Bauch des Katastrophenschiffs

Am 13. Januar 2012 sank die "Costa Concordia", 32 Menschen starben. 2014 schwamm Jonathan Danko Kielkowski nachts zum Wrack. Er fotografierte im Innern des Schiffes, kurz bevor es demontiert wurde.

Kampfbereit erheben die Löwen ihre Tatzen, Wächtern gleich thronen sie über dem blau gekachelten Pool des Samsara-Spa. Doch niemand ist mehr da, um sich in der luxuriösen Wellness-Oase zu erholen. Rote Sicherheitsnetze decken das mit Staub überzogene Schwimmbad ab, die Uhr an der Wand blieb um 0.35 Uhr stehen. Die "Costa Concordia" ist zum Symbol menschlicher Unzulänglichkeit geworden.

4429 Menschen waren an Bord, als das Kreuzfahrtschiff am 13. Januar 2012 vor der italienischen Insel Giglio einen Felsen rammte und leck schlug. 32 Passagiere starben, darunter zwölf Deutsche.

Zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe verschaffte sich Jonathan Danko Kielkowski Zutritt zum havarierten, dann aufgerichteten und in den Hafen von Genua geschleppten Luxusliner. Der Nürnberger Fotograf und 3-D-Künstler lichtete das Innere des Wracks ab - kurz bevor die Demontage begann.

Um Mitternacht Richtung Wrack geschwommen

Am 30. August 2014, einem Samstag, machte sich Kielkowski um Mitternacht auf zum Wrack - mit einem gelben Kinderschlauchboot, darin seine Kamera, ein Stativ und ein paar Kleidungsstücke, eine Flasche Wasser und ein Snack.

An den Füßen ein Paar Flossen, schob er das Schlauchboot langsam vor sich her. Rund 250 Meter trennten das Festland von der Außenmole im Hafen von Genua, wo das Wrack lag, nur über den Wasserweg erreichbar. Zwei Wochen zuvor hatte Kielkowski, 27, schon einmal versucht, zum verunglückten Kreuzfahrtschiff zu schwimmen. "Doch die Küstenpolizei hat mich herausgefischt und zurück an Land gebracht", sagt er.

Als Kielkowski abermals aufbrach, nun im Schutz der Nacht, wusste er: Dies war seine letzte Chance auf einen Blick ins Innere des Wracks. Denn im September 2014 würden die Aufräumarbeiten beginnen. Leise schwamm Kielkowski los und erreichte unentdeckt die Außenmole. Noch eine gute halbe Stunde Fußmarsch - und Kielkowski stand vor den Überresten des gigantischen Schiffs.

Fotograf Jonathan Danko Kielkowski

Fotograf Jonathan Danko Kielkowski

Foto: David Rasche

Sechs Stunden lang, bis zum Morgengrauen, harrte der Fotograf vor dem Koloss aus, er wollte das natürliche Licht für seine Arbeit nutzen. Dann packte er die Kamera aus und betrat das, was einmal das größte italienische Kreuzfahrtschiff gewesen war.

"Das Innere war quasi unberührt"

Seine Fotos, nun im Bildband "Concordia" erschienen, lassen die Tragödien erahnen, die sich am Unglücksabend auf dem Schiff ereigneten. "Ich habe die Panik der Menschen verspürt, die damals in Todesangst über die Gänge rannten. Das war extrem beklemmend", sagt Kielkowski.

Auf dem Boden verteilt lagen kaputte Kinderwagen und Rollstühle, aufgeweichte Koffer, Taschen und Kleidungsstücke. Zwischen umgekippten Möbeln, fleckigen Matratzen und herabgefallenen Dachteilen entdeckte er die persönliche Habe der Passagiere im stinkenden, braunen Schlamm.

Am 27. Juli 2014, vier Wochen vor Kielkowskis Ankunft an Bord, war das Wrack nach der bislang teuersten Bergung der Geschichte im Hafen von Genua angekommen. "Das Innere war quasi unberührt", so der Fotograf.

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Gekentertes Kreuzfahrtschiff: Chronologie: Die Havarie der "Costa Concordia"

Foto: VINCENZO PINTO/ AFP

Einzig Strom- und Lichtleitungen hatte das Abwrackunternehmen bereits legen lassen. Auch um die Suche nach dem letzten Opfer zu erleichtern, dem Inder Russel Rebello, der als Kellner auf dem Schiff gearbeitet hatte. Kielkowski wusste nicht, dass sich noch eine letzte Leiche im Wrack befand; erst im Oktober 2014 wurde sie von einem Bergungsteam entdeckt.

Voyeurismus oder Kampf gegen das Vergessen?

Kielkowski rechnete damit, binnen weniger Minuten entdeckt und verjagt zu werden. Doch an dem Sonntagmorgen bahnte der junge Fotograf sich ungestört seinen Weg durch den Schiffsbauch, watete durch Pfützen und stieg über Trümmerberge, in der Hand den Bordplan der "Costa Concordia".

Hier und da hingen noch Fernseher und Gemälde an den Wänden; im Spa standen, völlig unversehrt, aufgereihte Laufbänder. Auch bis in die Kabine von Francesco Schettino drang Kielkowski vor: der Kapitän, der die knapp 300 Meter lange "Costa Concordia" viel zu nah an die gefährlich felsige Küste gesteuert hatte und sich dann von Bord seines kenternden Schiffs stahl. Und der nicht einmal dann zurückkehrte, als ihn die Hafenbehörde energisch und wiederholt dazu aufforderte.

Der Fotograf wird sich den Vorwurf des unverblümten Voyeurismus gefallen lassen müssen, des Katastrophentourismus. Anders als bei anderen Katastrophen sind die Wunden im Fall der "Costa Concordia" recht frisch: Die Angehörige der Opfer leben noch, die Menschen, die sich von Bord retten konnten, haben Unvorstellbares erlitten und kämpfen mit Traumata.

Kehrseite der Kreuzfahrt-Industrie offenlegen

Doch trieben Kielkowski, wie er sagt, ganz andere Gründe als Sensationslust: "Mit den Fotos wollte ich die sichtbaren Folgen des Unglücks dokumentieren, bevor sie entsorgt wurden, um in Vergessenheit zu geraten." Die Verantwortlichen bei der Reederei Costa Crociere versuchten, die Havarie und ihr eigenes Versagen möglichst rasch aus dem öffentlichen Bewusstsein zu drängen. Dem müsse man entgegenwirken, so Kielkowski - auch mit verstörenden Fotos.

Das Unternehmen einigte sich 2013 auf einen Vergleich mit der Justiz: Costa Crociere zahlte eine Strafe von einer Million Euro. Im Gegenzug wurden die Ermittlungen gegen die Reederei eingestellt. Vorgeworfen worden war ihr unter anderem, die Crew unzureichend geschult, Sicherheitsnormen verletzt und zu spät Alarm ausgelöst zu haben - neben der Beschäftigung eines unzuverlässigen Kapitäns. Bereits 2005 soll die Reederei ein Schiffsunglück vertuscht haben, wie Medien unter Berufung auf die Schilderung eines Bordfotografen berichteten.

Zudem, so erklärt Kielkowski, wolle er mit seinen Bildern die Kehrseite der Kreuzfahrtindustrie offenlegen. Das zeigen, was die Hochglanz-Broschüren nicht zeigen: "Es ist eben nicht ohne Risiko, Tausende von Menschen auf so ein Schiff zu pferchen", sagt er.

Deutsche Ermittlungen massiv behindert

Sieben Stunden lang durchforstete Kielkowski das Innere der "Costa Concordia", entkräftet und verdreckt lief er am Nachmittag in der Augusthitze die Außenmole zurück. Ein Fischer erbarmte sich, nahm den Fotografen ins Boot und fuhr ihn an Land.

Kielkowski rechnet mit juristischen Konsequenzen seiner Fotoaktion, Angst hat er davor nicht. Schließlich sei das Wrack weder umzäunt noch bewacht gewesen: "Niemand hat mich daran gehindert, es zu betreten." Rein rechtlich gesehen war es Hausfriedensbruch.

Die Deutsche Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU), wegen der zwölf deutschen Todesopfer zur Aufklärung des Falls verpflichtet, hatte bei der Aufklärung helfen sollen. Doch im Dezember 2015 stellten die Beamten zornig ihre Nachforschungen ein: Lange erhielten sie keinen Zutritt zum Wrack, konnten sich nie ungehindert umsehen. Die Staatsanwaltschaft habe über Monate die Ermittlungen erschwert, weitere Aktivitäten seien "offensichtlich sinnlos", so die Behörde.

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