

Am Anfang war die Erde wüst und leer. Dann kam er. Zwängte sich in ein Strickhemd, hängte eine Akustikgitarre um seine schmalen Schultern und eroberte mit einem einzigen, ebenso einfachen wie wehmütigen Lied die Herzen der Menschen.
Wenn das nicht göttlich ist, dann gibt es keinen Gott.
Nur wenige Popsongs sind für die Ewigkeit geschaffen, dieser ist es: die Melodie mäandernd zwischen Ohrwurm und Oratorium, der Text zugleich trivial und hochgeistig, die Stimme so rein, verletzlich und bar jeder Professionalität, dass sie auch Jahrzehnte später noch zu Tränen rühren kann.
"Space Oddity" war eine Offenbarung, eine Wegmarke der Popmusik. Zwar hatte David Bowie alias David Robert Jones den Song bereits zwei Jahre zuvor geschaffen (und diese erste Singleversion ist noch viel bezaubernder als die spätere Fassung auf dem gleichnamigen Album). Doch erst anlässlich der Mondlandung im Juli 1969 schallte der Song weltweit aus den Radios. Treffender hätte der Zeitpunkt, die Koinzidenz von Kunstwelt und Echtwelt nicht sein können.
"Wir konnten die Wahrheit selbst erfinden."
Inspiriert von Stanley Kubricks Astronauten-Epos "2001: Odyssee im Weltraum", goss Bowie das widersprüchliche Lebensgefühl Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre in dieses eine Lied - einerseits der grenzenlose Fortschrittsglaube, der dem Menschen die Eroberung noch so ferner Welten zutraute, andererseits die Skepsis und Melancholie, die sich dabei zwangsläufig einstellen: Je weiter sich der Mensch von der Erde entfernt, desto fremder wird er sich selbst. "Here I'm floating round my tin can / Far above the moon / Planet earth is blue / And there is nothing I can do", hauchte Bowie und ließ seinen Helden Major Tom in die unendlichen Weiten des Alls entgleiten.
"Es herrschte das allgemeine Gefühl, dass es keine Wahrheit mehr gebe und dass die Zukunft nicht so klar umrissen sei, wie man gedacht hatte." So hat Bowie diese Zeit rückblickend in einem Beitrag für die "Berliner Morgenpost" beschrieben. "Die Vergangenheit (war es) auch nicht, daher war alles legitim: Wenn wir nach Wahrheit suchten, konnten wir sie auch selbst erfinden."
"Space Oddity" war der Anfang dieser Suche nach einer neuen Wahrheit - und zugleich der Auftakt zu einer beispiellosen Karriere, die Bowie zum jahrzehntelang erfolgreichen, millionenschweren Chamäleon des Pop machte. Es grenzt an ein Wunder, dass eine einzelne Person diesen Parforceritt durch die unterschiedlichsten Persönlichkeiten einigermaßen unbeschadet überstehen konnte, ohne in der Klapse oder der Kiste zu enden.
Andere Größen des Pop waren schon wie Mücken im Licht verglüht, all die Bolans, Joplins, Morrisons und Hendrixens, dahingerafft von Whiskey, Heroin, Erschöpfung. Doch ER schwebte einfach immer weiter über dem Schlachtfeld des Pop und Rock, erschien seinen Jüngern mal als Harlekin, mal als Diamanthund, maskierte sich mit feuerroten Haaren oder schillernden Strampelanzügen, beliebte sich in Frauenkleidern zu rekeln und schaffte es sogar, das Publikum so weit zu verwirren, dass es nicht mehr recht wusste: War ER nun Mann oder Frau - oder beides? Dabei war es ganz einfach: Er war Gott. Ob der Gott oder nur ein Gott, spielt keine Rolle.
Ein kleines bisschen sein wie ER
Und wie es sich für einen Gott gehört, liefen ihm die Gläubigen in Scharen zu. Sie lauschten nicht nur seiner Musik, sie versuchten auch, sich wie ER zu kleiden, zu schminken, zu leben. Das konnte gut gehen, wie bei den Erben des Glam Rock von Queen bis Marilyn Manson oder der von Bowies Kunstfigur Ziggy Stardust inspirierten Rolle des Frank 'n' Furter in der "Rocky Horror Picture Show".
Es konnte aber auch mächtig in die Hose gehen. "Was mich bis zum heutigen Tag immer wieder mit immenser und boshafter Befriedigung erfüllt, ist die Erinnerung daran, wie viele Maurerburschen von Besserwissern wie mir dazu ermutigt wurden, in Feinstrumpfhosen durch die Fußgängerzone zu flanieren - in der festen Überzeugung, dass die Weiber total auf ein paar Tupfer Wangenrouge fliegen", schreibt Bowie in seinem Vorwort zu Mick Rocks großartigem Bildband "Blood & Glitter". Dabei wollten seine Jünger doch nur ein kleines bisschen sein wie ER. Tausende kauften jahrelang jede seiner neuen Platten, himmelten ihn auf Tourneen an, pinnten seine wechselnden Poster-Ikonen zuerst in ihre Jugend- und als sie dann älter wurden in ihre Wohnzimmer.
"Space Oddity" war der Anfang dieser Offenbarungsgeschichte, das 1. Buch David. Ein einfaches Lied für Gott, aber ein großer Schritt für die Popwelt.
Dieser Text erschien zum ersten Mal im Juli 2009 anlässlich des 40. Jahrestags von Bowies Single "Space Oddity"
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Rätselhaft wie eine Sphinx: Auf dieser frühen Aufnahme im Booklet zu seiner ersten erfolgreichen Langspielplatte "Space Oddity" zeigt der Meister bereits, wer bei ihm im Mittelpunkt steht - er selbst.
Vom Winde verweht: So sah Bowie aus, als er noch David Jones hieß und bevor er die Welt eroberte. Aufnahme vom 3. März 1969.
Noch Fragen? Ziggy Stardust in seiner ganzen Schönheit Anfang der Siebziger in New York.
Ein Lied für die Welt: Dieses rare Foto aus dem Jahr 1970 zeigt Bowie mit langen Haaren in geselliger Runde in Los Angeles.
Perfekte Pose: Im Booklet seiner zweiten LP "The Man who sold the world" erscheint Gott ganz in Weiß.
Diva am Mikro: Mann oder Frau? Bei Bowie waren sich seine Fans nie so ganz sicher. Das Foto entstand bei einem Konzert im Jahr 1970.
Ausblick: Doch, das ist Bowie. Damals, im Jahr 1966 in London, hieß er allerdings noch David Robert Jones und war im Popbusiness nahezu unbekannt. Allerdings hatte er bereits erste Songs wie "I'm not losing sleep" und "Good morning girl" aufgenommen.
Major Tom: Bowie erscheint im Februar 1970 bei einem Festival in London. Im Jahr zuvor hatte er mit "Space Oddity" seinen ersten Hit gelandet.
Ich bin's! Bowie wechselte sein Aussehen schneller und öfter als jeder andere Star. So erhielt er seinen Spitznamen "Chamäleon des Pop". Foto aus dem Jahr 1980.
Diamanthund, überlebensgroß: Ein Werbeplakat auf dem Sunset Strip in Los Angeles wirbt 1974 für Bowies Tournee zu seiner Platte "Diamond Dogs". Das Album thematisierte George Orwells düstere Zukunftsvision "1984" und gilt trotz des geringen Hitcharakters als Meisterwerk der Popmusik. Finanziell war die US-Tournee für Bowie ein Desaster.
Tuchfühlung: In den Achtzigerjahren hatte Bowie seine größten kommerziellen Erfolge mit Hits wie "Let's dance" und "This is not America". Die Aufnahme entstand bei einem Konzert 1983 in New York.
Zwiegespräch: Bowie posierte bei seinen Auftritt in ständig wechselnden Rollen. Anleihen an Klassiker wie Shakespeares "Hamlet" waren natürlich auch darunter.
Modesünde? Ende der Siebzigerjahre lebte Bowie in Berlin und hatte eine seiner künstlerisch stärksten Phasen. 1978 ging er auf Tournee und probierte wechselnde Outfits aus. Im selben Jahr zog er in die Schweiz.
Gott ist Bowie ist Andy Warhol: Im Jahr 1995 gab der Meister einen vie lgelobten Auftritt als Andy Warhol in Julian Schnabels Film "Basquiat".
Gezeichnet: Drogen, Schlafmangel und Auszehrung machten Bowie Ende der Siebzigerjahre zu schaffen. Dennoch zählte diese Phase, während der er in Berlin seine drei düsteren Alben "Low", "'Heroes'" und "Lodger" produzierte, zu den Höhepunkten seines Schaffens. Dieses Bild entstand 1977 während eines Aufenthalts in Paris.
David Bowie: Bowie in seiner Rolle des Ziggy Stardust Anfang der Siebziger in New York. Seit einer Schlägerei mit einem Jugenfreund ist eine seiner Pupillen geweitet, deshalb erscheint es so, als habe er zwei unterschiedliche Augenfarben - auch dies trägt zu seiner Faszination bei.
Götter unter sich: Bowie mit Paul McCartney (li.) hinter der Bühne beim Live-Aid-Konzert am 13. Juli 1985 in London.
Die Frau an seiner Seite: Seit 1992 ist Bowie mit dem Model Iman Abdulmajid verheiratet. Die beiden haben eine Tochter und leben in New York. Seitdem der Meister im Jahr 2004 einen Herzinfarkt erlitt, ist es ruhiger um ihn geworden. Er tritt aber weiterhin in der Öffentlichkeit auf, wie hier bei einer Gala in New York 2008.
Grrr! Bowie als Diamanthund auf dem Cover seines Albums "Diamond Dogs" aus dem Jahr 1974.
Angepint: Cover zu Bowies Platte "Pinups", auf der er Rock'n'Roll-Hits anderer Musiker coverte.
Gezeichnet Das Cover zum Album "Aladdin Sane" aus dem Jahr 1973 lässt erahnen, wie weit Bowie ging, um sich ständig neu zu erfinden. Es war das erste Album, nachdem er seine weltweit erfolgreiche Kunstfigur "Ziggy Stardust" beerdigt hatte. Die künstlerische Qualität der Songs war umstritten, doch wurde die Platte sein bis dahin größter kommerzieller Erfolg.
Bin ich schön? Auch auf dem Cover seines dritten Albums "Hunky Dory" gab sich Bowie feminin. Die Songs der Platte, wie "Changes" und "Life on Mars?", genießen unter Bowie-Fans bis heute höchste Wertschätzung.
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