
DDR-Jugendmode: "fünfmal waschbar, farbenfroh und preisgünstig"
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1967 sollte es der DDR-Jugend an die Wäsche gehen. Im Dezember des besagten Jahres stellte die FDJ-Führung trocken fest, dass die Situation im Bereich der Jugendmode in vielerlei Hinsicht verbesserungswürdig sei. Kein Wunder. Bis dato hatte sich im Arbeiter- und Bauernstaat niemand ernsthaft mit dem Thema beschäftigt. Das Bekleidungsangebot für Teenager unterschied sich von der Mode der Erwachsenen nur in einem Punkt: der Kleidergröße. Eine Aktion "Jugendmode" sollte gestartet werden.
Das Problem war durchaus ernst zu nehmen, denn der Outfit-Frust der DDR-Jugendlichen wuchs beständig. Um sich von ihren Eltern abzuheben, schneiderten sie sich ihre Kleidung entweder selbst oder ließen sie sich aus Westdeutschland schicken. Und dies schien den Offiziellen nicht nur ideologisch falsch, sondern auch wirtschaftlich schädlich.
Eine eigene Jugendmode musste her. Die zuständigen Funktionäre hofften, dadurch einerseits die Staatswirtschaft zu verbessern und andererseits mehr junge Menschen an den Sozialismus zu binden. Das oberste Modeinstitut der DDR wollte so seinen Beitrag dazu leisten, "sozialistische Persönlichkeiten" zu formen und "Jugendliche zu einer hohen Leistungsbereitschaft für die Gesellschaft zu stimulieren".
Jugendmode 68
Die zuständigen Parteigenossen fackelten nicht lange: Noch im gleichem Jahr berief der Minister für Handel und Versorgung eine "Arbeitsgruppe für Jugendmode" ein, die ein gezieltes Bekleidungsprogramm für die Halbstarken entwickeln sollte. Nur wenige Monate arbeiteten die Fachleute an der Modekollektion. Im Frühling 1968 präsentierten sie das Ergebnis unter dem Motto "Jugendmode 68 - kess und farbenfroh" zunächst dem Ersten Sekretär des Zentralrats der FDJ. Und sie hatten auch schon einen schmissigen Markennamen für die neue Linie: "Sonnidee - sonnige Jugend, ideenreich gekleidet". Die Kollektion umfasste sowohl Freizeit- als auch Festbekleidung. Dazu passend gab es Schmuck, Mützen und Schuhe. Die Entwürfe orientierten sich stark an westlichen Trends.

DDR-Jugendmode: "fünfmal waschbar, farbenfroh und preisgünstig"
Die Kollektion wurde in sogenannten Jugendmodezentren verkauft, die in acht Bezirksstädten und in Berlin im April 1968 neu eröffnet wurden. Das Kleidungsangebot sollte den "Saisonschlagern" entsprechen. Wichtig waren auch die niedrigen Preise, die den "finanziellen Möglichkeiten der Schüler, Studenten und Lehrlinge angepasst wurden". Man versuchte außerdem, in diesen Modezentren eine jugendliche Atmosphäre zu schaffen. Junge Verkäuferinnen, die im Durchschnitt 20 Jahre alt waren und selbst die angebotenen Modelle trugen, sollten den Kunden ein Gefühl von Kompetenz und Zeitgeist vermitteln.
Das Bedürfnis nach jugendlicher Kleidung war offensichtlich größer, als die Funktionäre angenommen hatten. Vor den Jugendmodezentren bildeten sich lange Schlangen, die Shirts, Schuhe und Hosen waren im Handumdrehen ausverkauft. Eine andere Lösung musste her.
Farbenfroh und fünfmal waschbar
Daher startete die Redaktion der "Jungen Welt" im Mai 1968 eine Werbeaktion für Mädchenkleider aus Vliestextilien. Die Kampagne wurde unter dem Motto "100 Kleider warten auf ihre Trägerinnen / Ihr testet - Konfektionsbetriebe produzieren" als Prüfung der neuen Stoffart Vliesett angekündigt. Bei dem Test handelte sich um einen Fragebogen, der von den "glücklichen Trägerinnen" ausgefüllt werden sollte. Das Vliesettkleid, im Volksmund schnell Papierkleid getauft, wurde als "fünfmal waschbar, farbenfroh und preisgünstig" angepriesen. Es eigne sich zum Stadt- oder Strandbummel, zum Tanzen, aber vor allem sei es ein Modeschlager für nur eine Saison, was die Redakteure der "Jungen Welt" begeistert hervorhoben: "Sie kommen unserem Bedürfnis entgegen, etwas modisch Neues schnell ausprobieren zu können." Und das sollte auch deshalb kein Problem sein, weil das Kleid preisgünstig, für nur 11,50 Mark zu bekommen sei.
Allerdings gab die Jugendzeitschrift ihren Lesern auch gleich ein paar Verhaltensregeln mit: Vliesettkleider sollten nicht in der Schule und vor allem nicht beim Radfahren oder Federballspiel getragen werden. Sie durften auch nicht zu eng am Körper liegen, weil "durch starkes Bewegen der Arme Einreißgefahr besteht". Dafür hatte das Papierkleid andere Vorteile: Die Länge des Kleides konnte mühelos selbst bestimmt werden: "Ihr nehmt eine Schere und schneidet die entsprechenden Zentimeter ab. Umsäumen ist dann nicht mehr erforderlich."
Auch für den Fall, dass Risse auftraten, hatte die "Junge Welt" einen Rat: "Wenn man von links einen Streifen durchsichtige Klebefolie über den Riss klebt, ist er von außen weder zu spüren noch zu sehen. Allerdings muss dieser 'Klebevorgang' nach jeder Wäsche wiederholt werden, da sich der Klebstoff durch das Wasser löst."
Nicht dekadent - und trotzdem ein Trend
Bei dieser neuen Idee die Jugend mit Mode zu versorgen, drückten die Funktionäre offensichtlich beide Augen zu. Denn die Papierkleider hätten den sozialistischen Modegrundsätzen zufolge eigentlich als dekadent abgelehnt werden müssen. Die Modeforschungsabteilung des Deutschen Modeinstituts in Ost-Berlin betonte nämlich stets, dass in den Modekollektionen besonders auf die Widerspiegelung der sozialistischen Lebensauffassung geachtet werde. Dabei würden die "wichtigsten politischen, künstlerischen, kulturerzieherischen und technisch-ökonomischen Faktoren" berücksichtigt.
Internationale Trends (sowohl aus dem sozialistischen als auch aus dem kapitalistischen Ausland) sollten zwar beobachtet, aber nicht unkritisch umgesetzt werden. Das galt beispielsweise für sogenannte "lässige und dekadente" Trends, die in der DDR verpönt waren - denn die staatssozialistische Jugendmode sollte keinen "schockierenden Neuigkeits- und Sensationscharakter" haben.
Darunter wurden alle Arten von "Anti-Mode" verstanden, mit denen manche Jugendliche provozieren und gegen allgemein gesellschaftlich anerkannte Kleidungskonventionen verstoßen wollten. Den westlichen Designern warfen die Ideologen vor, ein Modediktat vorzugeben und dem Teenager immer neue Wünsche zu suggerieren, um ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen und den eigenen Gewinn zu maximieren. Der Hauptkritikpunkt an der westlichen Mode: ihre Kurzlebigkeit.
Papiermode von Andy Warhol
Somit stand das neue Angebot in einem paradoxen Widerspruch zu den Prinzipien des Kleiderproduktion in der DDR. Da jedoch der Zweck die Mittel heiligt, wurde der Ursprung der Papierkleider einfach verschwiegen: Die Idee stammt aus New York, einem der Zentren der kapitalistischen Lebensweise, wo sich in den sechziger Jahren eine von der Pop-Art inspirierte Mode entwickelt hatte. Die Papierkleider gewannen zwischen 1966 und 1968 in den USA an Beliebtheit, nachdem sie von einem Werbeprodukt der Firma Scott Paper Company zu Designerstücken avancierten und Kaufpreise erreichten, die der textilen Mode in nichts nachstanden.
Mit diesen Wegwerfkleidern aus Papier experimentierten der Künstler Andy Warhol und Modedesigner wie Elisa Dabbs oder Paco Rabanne. Und die sozialistische Kampagne der "Jungen Welt" orientierte sich sogar an der westlichen Werbetaktik: Die Kurzlebigkeit, die man in den ideologischen Schriften des Modeinstituts ansonsten stets kritisiert hatte, wurde plötzlich zum "besonderen Pfiff".
In Wirklichkeit waren die Kleider aber weder bequem noch zweckmäßig. Einige der "JW"-Leserinnen merkten außerdem an, dass die Papierkleider genau genommen gar nicht so besonders preisgünstig seien. So schrieb eine Jugendliche aus Jena in einem Leserbrief an die "Junge Welt": "Ist der Preis von 11,50 für solch ein zwar modisches, aber auch wenig strapazierfähiges und kurzlebiges Kleid nicht etwas hoch? Schon für 16 Mark gibt es Zellwollkleider, die nicht so empfindlich sind." So war der Hype um die neue Papiermode von beinahe ebenso kurzer Dauer wie die Haltbarkeit der Kleider selbst.