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Ian Gillan: Die markanteste Röhre des Hardrock

Foto: Petros Karadjias/ ASSOCIATED PRESS

Deep-Purple-Sänger Ian Gillan "Rock'n'Roll ist doch keine Olympiade"

Gerade geht er mit Deep Purple auf Tournee. Ian Gillan wirkt auch mit über 70 so gar nicht bühnenmüde. Hier spricht der Sänger über seine Vorbilder und den Clinch mit Gitarrist Ritchie Blackmore.
Zur Person
Foto: ullstein bild

Ian Gillan (geboren am 19. August 1945) ist seit 1969 - mit zwei Unterbrechungen - Sänger von Deep Purple. Mit Songs wie "Smoke on the Water", "Highway Star", "Black Night" und der Ballade "Child in Time" gilt die Band als Erfinder des Hardrock, neben Led Zeppelin und Black Sabbath.
Konzerttermine von Deep Purple: 19.7. München; 20.7. Fulda, 22.7. Dresden, 23.7. Krefeld, 30.7. St. Goarshausen, 31.7. Mosbach

einestages: Im Juli 1988 feierten Deep Purple ein rauschendes Kostümfest auf Burg Frankenstein bei Darmstadt. Alle Gäste, auch Dutzende Journalisten, mussten Rittergewänder tragen...

Gillan: …...zum Erscheinen unseres Live-Albums "Nobody's Perfect", ja. An manches an diesem Abend erinnere ich mich, an manches nicht.

einestages: Hat Gitarrist Ritchie Blackmore mit seinem Mittelalter-Fimmel Sie zum kuriosen Auftritt genötigt?

Gillan: Er hat ein Faible fürs Mittelalter, klar, aber die Party machte mir großen Spaß. Auch meine Frau kam mit und fuhr früh zurück ins Hotel. Ich blieb und trank fleißig weiter - es gab Original-Met und Bier aus Hörnern. Nachts bemerkte ich, dass mir meine Hose wie auch mein Schwert abhanden gekommen waren.

einestages: Was war schlimmer?

Ritterlich: Gillan und Autor Gernandt 1988

Ritterlich: Gillan und Autor Gernandt 1988

Foto: Alex Gernandt

Gillan: Na, beides. Ich hatte den Kram bei einem Londoner Kostümverleih ausgeliehen, es wäre verdammt teuer geworden, wenn ichs verloren hätte. Gott sei Dank hat eine ehrliche Seele die Teile gefunden und im Hotel abgegeben.

einestages: Im April wurden Deep Purple in die "Rock'n'Roll Hall of Fame" aufgenommen. Was bedeutet Ihnen das?

Gillan: So eine Ehrung ist Fans wichtiger als uns Musikern. Ich habe mein Leben lang versucht, jedwede Institution zu meiden. Und die "Rock'n'Roll Hall of Fame" ist eine amerikanische Institution, die ich nicht verstehe - mit einer Menge Regeln, wer auf die Bühne darf und wer nicht, bis man schließlich geehrt wird. Rock'n'Roll ist doch keine Olympiade!

einestages: Ihr Ex-Kollege Blackmore sagte kürzlich im einestages-Interview: "Rock'n'Roll sollte alles sein, aber kein elitärer Klub."

Gillan: Und da bin ich ausnahmsweise absolut seiner Meinung.

einestages: Bis zur Ruhmeshalle hatten Sie einen langen Weg. Aufgewachsen sind Sie nach dem Krieg in Hounslow im Westen Londons.

Gillan: Meine Mutter war Lehrerin und sehr konservativ, mein Vater, ein Schotte und einfacher Fabrikarbeiter, wählte die Labour Party. Als Kind bekam ich mit, wie meine Eltern leidenschaftlich debattierten. Ich wusste natürlich nicht, um was es da ging, aber es war faszinierend. Später merkte ich, dass jeder die Probleme aus dem festen Blickwinkel seiner politischen Orientierung betrachtete. Meine Eltern wirkten auf mich so konträr, dass ich mich oft hin- und hergerissen fühlte wie zwischen zwei Fußballklubs. Die Queens Park Rangers, meinen Lieblingsverein, gibts aber nur einmal.

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Ian Gillan: Die markanteste Röhre des Hardrock

Foto: Petros Karadjias/ ASSOCIATED PRESS

einestages: Sie lebten in einer Sozialsiedlung, Ihre Mutter schickte Sie auf eine Privatschule...

Gillan: …Da war ich der Einzige aus dieser armen Gegend. In der Privatschule wurde ich deswegen verprügelt, auf dem Schulweg von Nachbar-Kids wegen meiner feinen Schuluniform. "Catch 22" nennt man so absurde Situationen, in denen man nur verlieren kann.

einestages: Wie haben Sie auf solche Aggressionen reagiert?

Gillan: Irgendwann war ich so frustriert, dass ich den Erstbesten schlug, der mir in die Quere kam. Danach fühlte ich mich etwas besser (grinst).

einestages: War Musik für Sie eine Realitätsflucht?

Gillan: Kann man sagen. Ich sang im Schulchor die Sopranstimme. Mein Großvater war Bass-Bariton, mein Onkel Jazzpianist. Musik lag mir im Blut. Als ich Mitte der Fünfziger zum ersten Mal "Heartbreak Hotel" von Elvis im Radio hörte, eröffnete sich mir aus dem Nichts eine neue Welt. Ich habe am ganzen Körper gezittert, der Sound hat mich richtig geschockt. Und als ich ein Konzert von Cliff Bennett & the Rebel Rousers sah, wusste ich: Ich muss auf die Bühne. Fortan habe ich versucht, die Bühnen-Moves meiner Idole Elvis, Little Richard und Cliff Bennett zu imitieren.

einestages: In den Sechzigern spielten Sie mit Bassist Roger Glover in der Band Episode Six, bis Ritchie Blackmore Sie für Deep Purple abwarb.

Gillan: Richtig. Deep Purple hatten bereits drei Alben draußen, wollten aber Sänger Rod Evans und Bassist Nick Simper auswechseln. Damals herrschte eine unglaubliche Chemie in der Band, die unsere Kreativität beflügelte.

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einestages: Mit Blackmore, Glover, Jon Lord und Ian Paice wurden Sie zu den Miterfindern des Hardrock. Aber kaum waren Sie bei Deep Purple, sangen Sie auf dem Soundtrack zu "Jesus Christ Superstar". Warum?

Gillan: Tim Rice und Andrew Lloyd Webber, die das Musical kreierten, hatten mich "Child in Time" singen hören und boten mir daraufhin die Hauptrolle an. Eine Jesus-mäßige Matte hatte ich ja. Binnen drei Stunden sang ich die Stücke wie "Gethsemane" ein. Meine Bandkollegen haben davon gar nichts mitbekommen.

einestages: Wollten Sie auch Schauspieler werden?

Gillan: Ich traf mich mit Regisseur Norman Jewison, musste die Jesus-Rolle im Film aber absagen. Drei Monate Dreh in Israel waren mit Deep Purple nicht vereinbar. Und Purple war immer meine größte Liebe!

einestages: Bei den Fans hieß es damals: "Ian Gillan ist nicht Jesus - er ist Gott". Mit Deep Purple schufen Sie Rockklassiker wie "Smoke on the Water", "Highway Star" oder "Child in Time" und machten Weltkarriere.

Gillan: Ja, damals waren erstmals richtige Welttourneen möglich. Plötzlich spielten wir in Tokio und Osaka. Ein Abenteuer, Wahnsinn. Deep Purple waren mein Sprungbrett für ein außergewöhnliches Leben.

einestages: Gut drei Jahrzehnte später standen Sie mit Luciano Pavarotti auf der Bühne. Ihre größte musikalische Herausforderung?

Gillan: Sicher. Aber wissen Sie was? Wenn Sie mit so einem begnadeten Künstler wie Pavarotti arbeiten, dann ist das super-easy. Es entsteht ja keine Konkurrenzsituation, weil wir aus ganz verschiedenen Welten kommen. Außerdem war er sehr witzig.

einestages: Inwiefern?

Gillan: Luciano rief bei mir zu Hause an und wollte, dass ich bei seinem Benefizkonzert "Pavarotti & Friends" mitmache - Ehrensache. Er fragte: "Was wollen wir zusammen singen? 'Child in Time'?" Ich antwortete: "Nein, 'Nessun dorma'!" Es wurde ganz still. Dann schrie er: "Are you fucking crazy? DU willst mit MIR 'Nessun dorma' singen?" Er kriegte sich gar nicht mehr ein vor Lachen, aber ich meinte es ernst. Und dann sangen wir "Nessun dorma". Danach meinte er: "I love it". Nicht viele Künstler bringen mich mit ihrem Können zum Weinen, aber Pavarotti gehörte dazu, mit seinem unfassbaren Timbre. Unter 100 Tenören hörte man ihn heraus.

einestages: Hatte Pavarotti ein Ohr für Rock'n'Roll?

Gillan: Er liebte die Freiheit, von der Rock'n'Roll lebt. Er sagte: Ich habe dich sechs Mal "Smoke on the Water" singen hören, jedes Mal klang es etwas anders. Würde ich bei meinen Opern auch nur eine Note ändern - das Publikum würde mich kreuzigen.

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Deep Purple: Ritchie Blackmore - Rocken gegen die Arthritis

einestages: Bei Deep Purple gab es längere Pausen. Wie kam es zu Ihrem Einstieg bei Black Sabbath?

Gillan: Das lag an Tony Iommi, ein Supertyp, der Gottvater und Erfinder des Heavy Metal. Seinetwegen habe ich meine Soloband Gillan aufgegeben und bin 1983 zu Black Sabbath gegangen.

einestages: Stimmt es, dass Sie den Vertrag volltrunken unterschrieben haben?

Gillan: Ich geb's ja zu. Mit dem Bassisten Geezer Butler lag ich besoffen unterm Tisch. Im Bears Inn Pub in Oxford haben wir getrunken von mittags bis tief in die Nacht. Tags darauf rief mein Manager Phil an: "Ian, würde es dir was ausmachen, mich das nächste Mal vorher anzurufen, bevor du große Karriere-Entscheidungen triffst?" - "Was meinst du?", fragte ich verdutzt. - "Du bist seit gestern offiziell Mitglied bei Black Sabbath!" - Was??? Ich wusste von nichts, ich war im Vollrausch.

einestages: Bei Deep Purple auch?

Gillan: Da haben wir früher Unmengen an Scotch & Cola und Bier vernichtet, Drogen waren nie ein Thema. Meinen ersten Joint habe ich mit 38 geraucht. Da dachte ich dann: "Hm, irgendwie gut!" (grinst). Das Image von "Sex, Drugs & Rock'n'Roll" bei Deep Purple hat das Umfeld lanciert - unsere PR-Manager, die Plattenfirma, die Musikjournalisten.

einestages: Ja klar...

Gillan: Doch! Die hatten alle mehr Spaß als wir Musiker. Sie waren es, die bei unseren Aftershow-Partys am wildesten feierten. Und dann wollten Journalisten plötzlich vor Konzerten unsere Songliste haben. Wir wunderten uns und bekamen raus, dass die Schreiberlinge sich mit den Mädels an der Bar vergnügten, während wir uns auf der Bühne abrackerten. Das ging zu weit. Zur Strafe haben wir ihnen falsche Songlisten ausgehändigt und so ihre Berichterstattung ruiniert (lacht).

einestages: 1973 verließen Sie Deep Purple im Streit, später ging auch Blackmore. Erst 1984 kam es zur großen Versöhnung mit dem Album "Perfect Strangers". Ist es wahr, dass Sie der Hauptinitiator waren?

Gillan: Ich und Jon Lord, der Deep Purple gegründet hatte.

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einestages: Und Blackmore wollte nur mitmachen, wenn er 50 Prozent aller Einnahmen bekäme?

Gillan: Das haben wir ihm ganz schnell ausgeredet. Wir trafen uns alle Anfang 1984 in Stowe, einem kleinen Ort in Vermont. Dort entstanden die Songs. Wir wurden schnell Stammgäste im lokalen Pub, die Stimmung war unbeschreiblich. Das kommt auch im Video zum Song "Perfect Strangers" gut rüber - alle lachen und haben Spaß. Leider hielt der Frieden nicht lange.

einestages: Höhepunkt Ihrer Intimfeindschaft mit Blackmore war der legendäre "Spaghetti-Zwischenfall" 1993 vor einem Konzert in Cleveland. Wie lautet Ihre Version?

Gillan: Ritchie verdächtigte mich, im Catering eine Flasche Ketchup auf seine Spaghetti entleert zu haben. Vor Wut kochend stürmte er auf mich zu. Ich hatte keine Ahnung, was los war - er klatschte mir die Nudeln ohne Vorwarnung samt Porzellanteller ins Gesicht. Aber ich hatte mit der Sache nichts zu tun, ich schwöre! Warum sollte ich so einen Scheiß machen? Ritchie hatte mich halt auf dem Kieker.

einestages: Haben Sie gekontert?

Gillan: Normalerweise hätte ich Ritchie in Stücke gerissen, blieb aber ganz ruhig, obwohl ich innerlich bebte. Er weiß genau, dass ich der Stärkere bin. Am Ende haben wir uns irgendwie versöhnt und sind raus auf die Bühne.

einestages: Bald danach stieg Blackmore endgültig bei Deep Purple aus.

Gillan: Und das war für mich der Tag, an dem es aufhörte zu regnen und die Sonne wieder schien.

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