Denglisch in der DDR Can I become a Broiler?

Nur wenige beherrschten sie in der DDR fließend, und doch sickerte die Sprache des Klassenfeindes tief in den Alltag ein. »English made in GDR« wurde zum Vorboten unseres heutigen Sprachmixes – teils sogar mehr als im Westen.
Der gute alte Broiler für Brathähnchen: Das berühmteste DDR-Wort mit amerikanischem Migrationshintergrund

Der gute alte Broiler für Brathähnchen: Das berühmteste DDR-Wort mit amerikanischem Migrationshintergrund

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Michael Winkler / PantherMedia / IMAGO

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Als ein Teil des Volkes im Herbst 1989 Sturm lief gegen die Deutsche Demokratische Republik, war es ein englisches Wort, das den Ton angab. Sicher ging es auch um »Dissidenten« oder »Oppositionelle«, »Republikfeinde« oder »Randalierer«. Doch als Hunderttausende durch Leipzigs Straßen zogen, schrien sie sich etwas anderes aus den Kehlen: »Wir sind keine Rowdys!« Jener »Rowdy« war beispielhaft für die verblüffende Anglisierung der DDR-Alltagssprache.

Im Rückblick ist man allzu leicht geneigt zu glauben, dass gute Englischkenntnisse vor 1989 im Osten Deutschlands nur unter Spionen der Staatssicherheit verbreitet und erlaubt waren. So wie im Fall von Rainer Rupp, der 1983 unter dem Decknamen »Topas« ins Brüsseler Nato-Hauptquartier eingeschleust wurde, um Telefonate abzuhören, Gespräche zu protokollieren, Geheimpapiere auszuwerten – das alles auf Englisch. Topas war übrigens die Vorlage für die Rolle des DDR-Grenzbeamten Martin Rauch in der Serie »Deutschland 83-86-89«.

Längst war Englisch nicht nur die Verkehrssprache unter Verbündeten der USA, des internationalen Handels, der Vereinten Nationen und der Friedensbewegung. Es hatte sich auch zur »Lingua Franca« zwischen einzelnen Staaten im Warschauer Pakt entwickelt. Zugleich wuchs das Unbehagen über die schleichende »Amerikanisierung«, den kulturellen Einfluss der USA. In ganz Deutschland pendelte man zwischen Amerikabegeisterung und Amerikaskepsis.

Wie nah beides beieinander lag, erlebte auch ich in meiner Kindheit im Westen: Was waren wir stolz auf alles, was aus den USA kam – Apple Macintosh Computer, Nike Sneakers, Cherry Coke. Zugleich behaupteten die Großeltern, Elvis Presley sei am exzessiven Konsum von Coca-Cola und Fast Food gestorben. Es war die Kritik am toxischen American way of life. Unterdessen skandierte die westdeutsche Studentenschaft, ebenso wie es auf Veranstaltungen der SED und FDJ im Osten geschah: »Ami, go home!« – statt in verständlichem Englisch »Yankee, go home!«

FDJler beim nationalen Jugendfestival in Ost-Berlin (1979): Schlange der Blauhemden am Softeis-Stand

FDJler beim nationalen Jugendfestival in Ost-Berlin (1979): Schlange der Blauhemden am Softeis-Stand

Foto: Messerschmidt / ullstein bild

Die englische Sprache war nie die Ursache, aber stets der deutlichste Ausdruck für die Americanization – mit »z«, weil das britische »s« eben nicht amerikanisch war, darauf legen die Briten großen Wert. Paul McCartney hat von der Haltung dazu in seinem Elternhaus erzählt . Als er in Liverpool 1963 mit John Lennon »She loves you (yeah, yeah, yeah)« präsentierte, soll Vater James McCartney gesagt haben: »It’s very nice, but son: There’s enough of these Americanisms around! Couldn’t you sing ›She loves you, yes, yes, yes‹?«

»Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen.«

Walter Ulbricht, Genosse Staatsratsvorsitzender

Auch in der DDR der frühen Sechzigerjahre stießen die Beatles auf große Resonanz und wurden zu mächtigen Idolen der Teenager und Twens, wie man sie damals überall in Deutschland nannte (ein deutscher Fantasiebegriff: »Twens« sind im Englischen people in their twenties oder twenty-somethings). Auch auf höchster politischer Ebene wurde darüber diskutiert. Als SED-Betonköpfe 1965 vehement gegen Beat und Rock'n'Roll vorgingen, erklärte der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht, wie hier im O-Ton zu hören:

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So sehr Vater McCartney in Liverpool, Ulbricht in Ost-Berlin oder meine Großeltern in Aachen das Yeah, yeah, yeah ablehnten, so sehr wollte es die junge Generation im Westen und im Osten hören: ein Schlachtruf für individuelle und politische Freiheit, eng mit der englischen Sprache verbunden.

Man wünschte sich mehr Jazz, mehr Pop, generell mehr Pep im Leben. Und langsam wuchs jene Sehnsucht, die auch eine junge DDR-Bürgerin verspürte: Sie nahm sich damals vor, »als Rentnerin mit 60 in die USA zu reisen«, nicht ahnend, dass sie mit 57 Jahren als erste deutsche Bundeskanzlerin die Freiheitsmedaille des US-Präsidenten bekommen sollte.

Interflug kannte Stewards, die Lufthansa Fluggastbetreuer

Die Bücher und Aufsätze der ostdeutschen Sprachwissenschaftler Helmut Langner und Martin Lehnert lassen keinen Zweifel daran, wie viel Gefallen man im real existierenden Sprachalltag der DDR am Englischen fand. Ganz wie im Westen sprach man in den Achtzigerjahren vom Manager und vom Job, vom Baby und dem Babysitter, vom Toaster oder Skateboard. Man hatte Sex genauso wie Stress, pflegte ein Hobby wie Jogging oder Bowling, liebte Science-Fiction, trug T-Shirts, benutzte Aftershave oder Make-up. Im Sommer wurden Shorts und Bikinis rausgeholt, man ging auch surfen, campen oder, wie im Westen, »trampen« – was auf Englisch hitchhiking heißt.

Auch von Know-how und Engineering war die Rede, denn zunehmend waren die englischen Sprachimporte ökonomischer Natur: aus Handel, Transport und vor allem Technologie. Schiffe operierten, wie in aller Welt, Roll-on/Roll-off. Manche DDR-Betriebe trugen Namen wie VEB Construction Consult. Und in den Interflug-Maschinen beschäftigte man bewusst männliche und weibliche Stewards statt – wie die Lufthansa im Westen – bloß »Fluggastbetreuerinnen und Fluggastbetreuer«. Martin Lehnert betonte 1990 in seinem Buch »Anglo-Amerikanisches im Sprachgebrauch der DDR«, dass eine internationale Vereinheitlichung der Sprache als Erleichterung und Bereicherung begriffen wurde.

Ausgerechnet mithilfe von DDR-Betrieben erlebten englische Wörter und Wendungen einen Boom – ein ebenfalls gängiges Wort. Hatte der ostdeutsche »Duden« im Jahr 1956 noch 347 Anglizismen verzeichnet, waren es 1986 mehr als 5000. Zugleich verschwanden deutsche Schreibweisen wie »Kola« für Cola, »Kautsch« für Couch oder »Kockpit« für Cockpit. Nur die Jeans blieb als »Niethose« bis zum Ende der DDR im Angebot, zum Beispiel als Ost-Marke »Shanty«.

»Sagen Sie nicht cool!« – »Okay.«

Gegen die Entfaltung des Englischen stemmte sich der DDR-Machtapparat mit Verzweiflung. Im Rückblick wissen wir, dass der Kalte Krieg zu großen Stücken auf der Bedeutungsebene geführt wurde. Berühmt sind die Worte von US-Präsident Ronald Reagan, der die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten 1983 als »evil empire« brandmarkte, als »Reich des Bösen«.

»Syntax error«: Szene aus der Serie »Deutschland 83«

»Syntax error«: Szene aus der Serie »Deutschland 83«

Foto: Sundance Film / Everett Collection / IMAGO

Für diesen Kampf brauchte man im Osten gewisse Englischkenntnisse. Und eine permanente sprachliche Alarmbereitschaft. Als sich die Stasi-Führung im Seriendrama »Deutschland 83« auf illegalem Weg einen IBM Computer aus den USA beschafft, um eine gestohlene Floppy Disk der Nato zu entziffern, grassiert Ratlosigkeit, weil das System nur auf englischsprachige Befehle reagiert. Ein Mitarbeiter kann seine Begeisterung nicht verbergen:

»Das ist echt cool.«
»Sagen Sie nicht cool!«, befiehlt ein General.
»Okay.«
»Sagen Sie auch nicht okay!«

Vielsagend erscheint danach auf dem Bildschirm die Warnung: Syntax error.

Derselbe General gibt sein eigenes Englisch zum Besten, als er zum Beispiel eines Nachts einem CIA-Agenten begegnet und »It’s middle-night« sagt für »Es ist Mitternacht«. Ob Angela Merkel zu dieser Zeit schon wusste, dass It’s midnight richtig wäre? Ihre Mutter Herlinde Kasner wird's gewusst haben: Sie war Englischlehrerin.

Cindy und Mandy, Ronny und Maik

Den meisten Menschen in der DDR boten sich kaum Gelegenheiten, mit anderen Englisch zu sprechen. Daran änderte auch das Staatsfernsehen nichts, das ab 1966 eine eigene, in London gedrehte Schulserie »English for you«  ausstrahlte. Trotzdem sprachen nur wenige Bürgerinnen und Bürger Englisch fließend, und mit Sicherheit waren sie privilegiert.

Der Zugang zur englischen Sprache nahm dennoch von Jahr zu Jahr zu, nicht indem man sie sprach, sondern indem man sich mit ihrer Hilfe immer neue Vorstellungen von einem anderen, besseren Leben machte. Die Menschen mochten Partys und Cocktails oder gleich beides: »Cocktailpartys«. Sie gingen in Discos, hörten weiterhin Jazz und Rock’n’Roll, »checkten« den Sound und erfanden die »Rentner-Disko« als Tanztee der älteren Generation. Englisch war ein Ereignis!

Dass sich junge Eltern wenigstens eine passive Verbindung zum Englisch sprechenden Teil der Welt wünschten, verdeutlichen die Vornamen, die sie ihren Kindern immer häufiger gaben: Cindy, Peggy und Mandy, Elvis, Ronny und Kevin. Oder Maik als Eindeutschung von Mike.

100 % made in GDR

Es entstand ein denglisches Kauderwelsch, das wir auch im Westen kannten: Man trank Bowle und aß Mixpickles – statt mixed pickles. Man mochte Jazzfeeling und Jeanslook, beides unübersetzbar. Und wie im deutschen Westen saßen in den Rundfunkanstalten »Cutter«: eine Bezeichnung, die bei der BBC in 100 Jahren noch niemand gehört hat.

Einige Begriffe waren hundertprozentig »made in the German Democratic Republic«, wie die Intershops oder Multicars. Martin Lehnert hat erklärt, dass einige englische Begriffe auch durch die russische Sprache in den Wortschatz der DDR kamen, etwa:

  • Meeting – das im Osten offenbar deutlich früher eine Meeting-Kultur herstellte als im Westen

  • Toast – ein diplomatischer Empfang

  • Festival – selbst für linientreue politische Veranstaltungen

Auch der Dispatcher wurde über das Russische importiert. Er koordiniert den technischen Ablauf etwa in öffentlichen Verkehrsbetrieben, seit 1990 auch in vielen westlichen Städten.

Auf Weltniveau: der Broiler

Unter allen Beispielen war der Broiler das berühmteste aus den USA importierte Wort der DDR. Jeder kannte ihn und kennt ihn noch heute, die osteuropäische Gegenzüchtung zum goldbraunen »Brathähnchen« im Westen. Und wie der Dispatcher ist der Broiler ein Beispiel für englische Alltagsbegriffe, die im Osten geläufiger waren als im Westen.

Eine unrühmliche, höchst offizielle Karriere machte der schon erwähnte Rowdy. Mit dem Paragraf 215 fand das »Rowdytum« 1968 Eingang ins Strafgesetzbuch der DDR und diente noch im Januar 1989 dem Kreisgericht Potsdam, um einen Mann zu 16 Monaten Freiheitsstrafe zu verurteilen, weil er zwei Sätze plakatiert hatte: »Wir wollen ausreisen. Man lässt uns nicht.«

Dass die Führung der DDR für ihre Kritiker einen englischen Begriff übrig hatte, wirkt heute wie ein Kompliment an eine Gegenkultur, für die Freiheit stets einen englischen Klang hatte. So wurde »Wir sind keine Rowdys!« zu einem eindrucksvollen Abgesang. Halb deutsch, halb englisch. Das letzte Kapitel English »made in GDR«, wie es auf Exportprodukten meistens mit fehlendem the hieß. Danach begann unsere gemeinsame, deutsch-englischsprachige Gegenwart.

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