Fotostrecke

Der Untergang der "Lusitania": Angriff auf einen Mythos

Foto: NDR/Darlow Smithson Productions

Der Untergang der "Lusitania" Angriff auf einen Mythos

Verbrechen auf See oder legitimer Abschuss? Die Versenkung des Passagierdampfers "Lusitania" durch die Deutschen war ein Wendepunkt im Ersten Weltkrieg - und Ursprung für Legenden. Tatsächlich war das Schiff in einer weniger friedlichen Mission unterwegs, als Churchill die Welt glauben machen wollte.

Die schreckliche Wirklichkeit des Krieges erreichte Irland am späten Nachmittag des 7. Mai 1915. In der Hafenstadt Queenstown legte eine kleine Armada von Schleppern und Trawlern an. Ihre Decks waren gefüllt mit Schiffbrüchigen, erschöpft, verletzt oder tot. Die Besatzungen der Fischerboote legten ihre reglose Fracht, die sie aus den eiskalten Fluten gefischt hatten, auf den Hafenstufen ab. Es waren Passagiere und Besatzungsmitglieder des britischen Luxusliners "Lusitania", unterwegs von New York nach Liverpool. Der gigantische Schnelldampfer, ganzer Stolz der Cunard-Reederei, galt als unsinkbar. An diesem Tag hatte ihn der Torpedo eines deutschen U-Bootes getroffen. In kürzester Zeit war das Schiff im Meer verschwunden, hatte Männer, Frauen und Kinder mit in die Tiefe gerissen. Von 1959 Menschen an Bord überlebten nur 761.

Die Nachricht löste ein politisches Erdbeben aus. Wütend empörten sich Londoner Zeitungen über die "moralische Verkommenheit" Deutschlands. Die Versenkung der "Lusitania" sei das "gemeinste der vielen gemeinen Verbrechen, mit denen sich die deutschen Streitkräfte besudelt haben", das "unheimlichste Verbrechen der Geschichte". Als besonders perfide wurde die Tat angesehen, weil sie zuvor angekündigt worden war. Deutschland habe in voller Absicht unschuldige Zivilisten ermordet, so der Vorwurf. Die Empörung ergriff die britische Bevölkerung, aufgebrachte Bürger in London, Liverpool und anderen Großstädten verwüsteten Wohnhäuser von Deutschen oder warfen Schaufenster ein. Die Frage, ob die Katastrophe nicht hätte verhindert werden können, geriet in der aufgeheizten Stimmung in den Hintergrund.

Die weltpolitische Lage drohte zu eskalieren, als bekannt wurde, dass von den 159 US-Bürgern an Bord 128 starben. Der US-Botschafter in London empfahl nach Washington: "Die USA müssen den Krieg erklären, oder sie verlieren den Respekt der Europäer." US-Präsident Woodrow Wilson nannte die Tat "den schlimmsten Akt von Seeräuberei in der Geschichte der Menschheit". Zwei Jahre später traten die USA in den Weltkrieg ein, der Untergang der "Lusitania" galt dafür mit als ein Auslöser. Aber ist der Fall wirklich so eindeutig? War es nicht purer Leichtsinn eines Kapitäns und seiner Reederei, trotz Warnungen ins Unglück zu steuern? Warum konnte die damals wichtigste Seefahrtnation der Welt ihr schwimmendes Prestigeobjekt nicht schützen?

Seit Jahrzehnten gibt die "Lusitania" Anlass zu Vermutungen, letzte Beweise fehlen. Hatte womöglich der damalige erste Lord der britischen Admiralität und spätere Premier, Winston Churchill, den Luxusdampfer geopfert, um die USA zum Eintritt in den Krieg zu bewegen? Ein spannendes Doku-Drama, das die ARD am Sonntag, 28. Dezember, ab 21.45 Uhr ausstrahlt, stellt jetzt die dramatischen Ereignisse jener Maitage nach und beleuchtet die verschiedenen Perspektiven der Beteiligten. Was war wirklich passiert?

"Auf eigene Gefahr"

Einigen Passagieren war eine ungewöhnliche Annonce aufgefallen, als sie in der "New York Times" nach den Abfahrtzeiten der "Lusitania" suchten. Auf der gleichen Seite, auf der die Cunard-Reederei das Ablegen der "Lusitania" für den 1. Mai 1915 ankündigte, fand sich ein schwarz umrandetes Inserat mit der Überschrift "Notice!", unterzeichnet von der Kaiserlichen Deutschen Botschaft in den USA. "Reisende, die beabsichtigen, sich für die Atlantikfahrt einzuschiffen" wurden daran erinnert, dass sich Deutschland und seine Verbündeten sowie Großbritannien und seine Alliierten im Kriegszustand befinden. Es sei daher möglich, dass Schiffe, die unter britischer oder alliierter Flagge fahren, versenkt werden könnten. Wer in der Kriegszone reise, tue dies auf eigene Gefahr. Viele Passagiere ließen sich mit der Aussage beruhigen, dass die "Lusitania" unsinkbar sei und außerdem deutlich schneller als jedes deutsche U-Boot - und reisten trotz der Warnung.

Einen Tag, bevor der Passagierdampfer in New York ablegte, lief in Emden ein deutsches U-Boot aus. U-20 unter Kommando von Kapitänleutnant Walther Schwieger verließ den Hafen in nordwestliche Richtung. Es sollte die Britischen Inseln nördlich umrunden und dann seinen vorgesehenen Posten in der Irischen See vor Liverpool einnehmen. Dort würde es zusammen mit anderen U-Booten in Stellung gehen, um zu verhindern, dass die Briten noch mehr Truppen und Material zu den Dardanellen bringen, von wo aus sie die Eroberung Istanbuls planten.

U-20 erwartete keine leichte Mission. Die Deutschen hatten es auf See mit einem übermächtigen Gegner zu tun - und einem kriegslistigen dazu. Seit Ausbruch des Krieges 1914 setzte Großbritannien für die Jagd nach U-Booten Handelsschiffe oder sogenannte Q-Ships, U-Bootfallen, ein. Das waren alte Segelschiffe, die in Queenstown (daher "Q") mit dem Einbau eines getarnten Geschützes zu Köderschiffen umgerüstet wurden. Sie sollten den Eindruck erwecken, sie seien unbewaffnete Handelsschiffe, und deutsche U-Boote vernichten, sobald diese auftauchten, um das Handelsschiff zu stellen. Zudem gab Churchill im Februar 1915 eine streng geheime Weisung an britische Handelsschiffe heraus, zur Täuschung der U-Boote falsche Nationalflaggen zu zeigen. Würden sie dennoch zum Beidrehen aufgefordert, sollten sie das U-Boot mit einem Rammstoß versenken. Auch plante man das Aufstellen von Heckgeschützen.

Großbritannien verändert die Spielregeln

Churchills Methoden veränderten jahrhundertealte Regeln im Seekrieg, an die sich zunächst auch die Deutschen gehalten hatten: Nach der alten Prisenordnung durfte kein Handelsschiff angegriffen oder versenkt werden, ohne die Unversehrtheit der zivilen Besatzung und Passagiere sicherzustellen. Handelsschiffkapitäne ihrerseits hatten zu dulden, dass ihr Schiff von Kriegsschiffen oder U-Booten zum Beidrehen aufgefordert oder durchsucht würde. Der Schutz der Zivilisten galt für den Fall, dass sich auch ein Handelsschiff an die Ordnung hielt - also weder eine falsche Nationalität vortäuschte, noch Rammversuche oder bewaffnete Gegenwehr einsetzte. Wenn Großbritannien nun die Spielregeln so veränderte, war dann die "Lusitania" noch das, was sie vorgab zu sein?

Auf seinem Weg nach Liverpool hatte U-20 mehrere kleinere Schiffe sowie einige Frachter angegriffen. Am Abend des 6. Januar entschied sich Kapitänleutnant Schwieger, vor Queenstown wegen Nebels nicht weiterzufahren. Am darauffolgenden Tag sichtete er um 14.20 Uhr ein Schiff mit vier Schornsteinen, ein großer Schnelldampfer. U-20 tauchte ab und begab sich auf Abfangkurs. Um 15.10 Uhr schoss Schwieger einen Torpedo auf das etwa 700 Meter entfernte Schiff. Kurz nach dem Auftreffen gab es eine zweite Explosion, Rauch stieg auf, das Schiff bekam Schlagseite, der Bug tauchte ab. Nun konnte Schwieger den Namen des Schiffes lesen: "Lusitania". Es dauerte 18 Minuten, dann war der riesige Dampfer verschwunden.

Durch die plötzliche Schieflage des Schiffes war es der Besatzung der "Lusitania" nicht möglich, alle Rettungsboote zu Wasser zu lassen. Die Aufhängungen der Boote verhakten sich, Menschen stürzten heraus oder schlugen mit dem Boot auf dem Wasser auf. Einige Passagiere sprangen direkt ins Meer, viele andere konnten das Schiff nicht mehr rechtzeitig verlassen. Warum hatte man sie nicht vor der U-Boot-Gefahr gewarnt?

Die Anweisung der britischen Admiralität

Kapitän William Turner hätte um die Gefahr wissen müssen. Hatte er Warnungen ignoriert? Obwohl er es später abstritt, hatte Turner keine der Instruktionen, die die Admiralität für Handelsschiffe in U-Boot-gefährdetem Gebiet herausgegeben hatte, befolgt. Weder war er in der Mitte des Seeweges, noch mit Höchstgeschwindigkeit oder im Zickzackkurs gefahren, um einem möglichen Torpedoangriff auszuweichen. Bei der Untersuchung des Falls gab er an, diese Anweisungen nur für Empfehlungen gehalten zu haben. Tatsächlich waren die Warnungen, die die "Lusitania" empfing, eher allgemein. Um 12.40 Uhr des 7. Mai 1915 hatte die Londoner Admiralität "alle britischen Schiffe" darauf hingewiesen, dass in den Gewässern vor der Südspitze Irlands deutsche U-Boote kreuzen. Ähnliche Warnungen hatte es auch zuvor gegeben. Konkrete Befehle erhielt die "Lusitania" nicht, und auch keine Mitteilung darüber, dass seit ihrer Abfahrt von New York insgesamt 23 Schiffe von U-Booten versenkt worden waren. War es Absicht der Briten, unschuldige Menschen zu opfern, um der Welt die Grausamkeit des Kriegsgegners zu beweisen?

Im Flottenregister wurde die "Lusitania" als bewaffneter Hilfskreuzer geführt. Aufgrund eines Geheimabkommens, das zwischen der britischen Admiralität und der Cunard-Line bestand, hatte sich die Regierung an den Baukosten des Schiffs beteiligt. Eine Bewaffnung konnte nie nachgewiesen werden, wohl aber hatte das Schiff Munition geladen. Den Frachtpapieren zufolge hatte der Dampfer auf seiner letzten Fahrt 4,2 Millionen Gewehrpatronen, 5000 Granaten sowie 3240 Aufschlagzünder für Granaten geladen. Als Munitionstransporter aber war die "Lusitania" für die Kaiserliche Deutsche Kriegsmarine ein legitimes Ziel. Die Ladung allerdings ist es auch, die gegen die Verschwörungstheorie spricht. 1915 benötigte das Britische Heer dringend Munitionsnachschub. Warum also hätte Churchill einen so wichtigen Transport aufgeben sollen?

Die Frage nach der tatsächlichen Verantwortung für die Schiffskatastrophe wurde nie ganz geklärt. Dafür verstanden es beide Seiten, das Ereignis propagandistisch auszuschlachten. Während die Briten das Verbrechen an den Zivilisten geißelten, interpretierten die Deutschen es als humanitären Akt: Schließlich sei durch die Versenkung Munition vernichtet worden, die sonst auf dem Schlachtfeld eingesetzt würde. Eine Ehrung erhielt U-Boot-Kapitän Schwieger dafür allerdings nie. Zu groß war der politische Schaden, den die Versenkung der "Lusitania" ausgelöst hatte.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten