Hurra, es kann springen – deutscher Kolonialoffizier in Ostafrika beim Ritt auf einem Zebra

Hurra, es kann springen – deutscher Kolonialoffizier in Ostafrika beim Ritt auf einem Zebra

Foto:

Paul Thompson / FPG / Getty Images

Deutsche Kolonialisten Das Zebroid, des Kaisers Geheimwaffe

Einmal nicht Letzter sein: Kaiser Wilhelm II. erreichte um 1900 eine verlockende Offerte. Um Transportprobleme in Afrika zu lösen, versprach ein deutscher Adliger, Zebras mit Pferden zu kreuzen – ein totaler Flop.

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In den zwei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg wuchs die Rivalität und Feindseligkeit im kolonialen Wettstreit gegen die Briten. Deutsche Koloniallobbyisten proklamierten um 1900 eine neue nationale Aufgabe:

»Es wäre ein Triumph deutscher Zähigkeit, deutscher Intelligenz und deutschen Unternehmungsgeistes, wenn von Deutschland aus ein neues, brauchbares Haustier über die Welt käme.«

Was wie ein Scherz klingt, war ernst: In der Ausdehnung europäischer Herrschaft und Kontrolle über die Kolonien war Mobilität eine der größten Schwächen. Es mangelte an Verkehrsmitteln, und in weiten Teilen Afrikas verhinderte die Schlafkrankheit den Einsatz von Transporttieren.

Fritz Bronsart von Schellendorff wusste diese Herausforderung zu nutzen. Geboren wurde er 1868 als Sohn des Weimarer Hoftheaterintendanten Hans Bronsart von Schellendorff und Neffe des preußischen Kriegsministers Paul Bronsart von Schellendorff – nicht jedoch zu verwechseln mit dessen ebenfalls »Fritz« gerufenem Sohn Friedrich, 1915 mitverantwortlich für den Völkermord an den Armeniern und enger Freund von Hitlers Wegbereiter Ludendorff.

SPIEGEL GESCHICHTE 2/2021

Der deutsche Kolonialismus: Die verdrängten Verbrechen in Afrika, China und im Pazifik

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In einer ersten umfangreichen Publikation hat der Historiker Andreas Greiner die bemerkenswerte Karriere des Künstlersohnes rekonstruiert, der trickreich versuchte, die beiden rivalisierenden Mächte gegeneinander auszuspielen.

Renommierte Experten, begeisterte Investoren

Mit knapp 21 Jahren betrat Bronsart von Schellendorff erstmals ostafrikanischen Boden und schloss sich der »Schutztruppe« an, die so hieß, weil sie die deutschen Handelsinteressen schützen sollte, nicht etwa die einheimische Bevölkerung. Mit sudanesischen Soldaten unter deutschem Kommando bekämpfte er Aufstände.

Seine Militärkarriere war kurz, doch wenige Jahre später kehrte er nach Afrika zurück, diesmal in selbst gesteckter wichtiger Mission: Schellendorff wollte dem deutschen Kaiserreich den erhofften Machtvorsprung verschaffen, quasi durch eine Art Geheimwaffe – das Zebroid. Er versprach, Zebras zu zähmen und mit Pferden zu kreuzen, um so ein neues Zugtier zu schaffen.

Deutsche Züchter wie Staatsbeamte sahen das Zebroid »für Militärzwecke, speziell Expeditionen in tropischen Ländern geradezu prädestiniert«. Doch auch die Briten zogen den Einsatz einer solchen Kreuzung für ihre Artillerie und Kavallerie in Betracht. Ein biologischer Rüstungswettlauf bahnte sich an.

Schellendorff konnte mit renommierten Experten aufwarten. Zu seinen Bekannten zählten der Hamburger Wildtierhändler und Zoodirektor Carl Hagenbeck sowie Baron Lionel Walter Rothschild; der exzentrische britische Bankier und Zoologe war dafür bekannt, mit einer Zebrakutsche durch London zu fahren.

Den Kaiser zur Eile gedrängt

1895 hatte Schellendorff genügend deutsche Kolonialbegeisterte gewonnen, die bereit waren, als Anteilseigner in seine Kilimandscharo Straußenzucht GmbH zu investieren. Neben der Straußenzucht war es der Zweck des in Berlin ansässigen Unternehmens, Zebras und andere Wildtiere zu fangen, zu zähmen und mit Kreuzungen zu experimentieren.

In der Savanne von Mbuguni (heute in Tansania), südlich des Kilimandscharo und nahe der Grenze zum britischen Protektorat, errichtete er seine erste Farm. Schellendorff veröffentlichte Artikel und dokumentierte Fortschritte seiner Zebrazucht mit Briefen und Fotos. Schließlich inserierte er die ersten angeblich gezähmten Zebras zum Verkauf. Angesichts dieser positiven Nachrichten erhöhten die Gesellschafter das Kapital für das in Kilimandscharo Handels- und Landwirtschaftsgesellschaft mbH (KHLG) umbenannte Unternehmen.

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Zebrazucht: Der Widerspenstigen Zähmung

Im Dezember 1901 wandte sich Schellendorff direkt an Kaiser Wilhelm II.: »Für den Fall, daß Eure Majestät die Bildung einer Kolonialarmee befehlen sollten, würde das Zebra als Reit- und Transportthier, besonders für artilleristische Zwecke von unschätzbarem Werthe sein, da es enorm kräftig und vollkommen immun ist.« Weiter schrieb Schellendorff, dass die britische Regierung ihrerseits Gelder für die Zebrazucht bewilligt habe und versuche, ihn für die britische Kolonie zu gewinnen.

Zwei Monate darauf wies Wilhelm II. die »Schutztruppe« an, acht Zebras von der KHLG zu kaufen und auf ihre Eignung für militärische Zwecke zu prüfen. Während sich Offiziere mühten, die reichlich widerspenstigen Tiere einzureiten, mahnte Schellendorff in einem weiteren Brief an den Kaiser zur Eile, weil »Zeit verloren geht, und es nicht verwundersam wäre, wenn die Engländer sich der Sache bemächtigen würden und wir wieder das Nachsehen haben wie sonst immer«.

Der Möchtegernzüchter flog auf – und raus

Aus Ostafrika konnten die Offiziere mit ihren Zebras gerade das erfolgreiche Überspringen einer Hürde vermelden, da reichte es der KHLG in Berlin. Sie stoppte sämtliche Gelder für die Zebrazucht und setzte Schellendorff vor die Tür. Dann erfuhr auch der Kaiser, dass er einer groben Täuschung aufgesessen war.

Die Geschichte Schellendorffs ist die eines clever inszenierten Betrugs, der möglich wurde durch seine weitreichenden Verbindungen und den abgeschiedenen Standort seiner Versuchsfarm.

In einem Fachaufsatz für das »Journal of World History«  beschreibt Historiker Andreas Greiner die Bemühungen Schellendorffs, das Zebra zu domestizieren, als kompletten Fehlschlag. Das konnte der Möchtegernzüchter jedoch lange vor seinen immer neuen Finanziers verbergen.

Dabei stand die Farm in Mbuguni schon nach zwei Jahren vor dem Ruin. Alles Geld war aufgebraucht, nachdem er die lokale Bevölkerung dafür gewinnen musste, ihm erst einmal beim Einfangen von Zebras zu helfen. Die Tiere starben, noch bevor er mit der Kreuzung beginnen konnte. Schellendorff hoffte, dass eine zweite, in Gefangenschaft geborene Generation leichter zu domestizieren wäre. Doch auch das misslang.

Ein doppeltes Spiel

Sein Inserat zum Verkauf »gezähmter« Zebras, das er auch dem Schreiben an den Kaiser beilegte, war reines Marketing. Greiner fand keine Hinweise, dass auch nur eines jemals verkauft oder ausgeliefert wurde. Ungezähmt konnte Schellendorff mithilfe Hagenbecks einige Zebras etwa nach Britisch-Indien verkaufen, wo man ebenfalls mit der Zucht experimentierte. Die Nachfrage ergab sich nicht zuletzt daraus, dass Zebroide wie die meisten Hybriden steril waren und sich nicht vermehren konnten.

Der weltweite Verkauf scheiterte ebenso: Nur wenige Tiere überlebten den Transport. Und auch der arabische Hengst, den die KHLG nach Afrika exportierte, um mit der Kreuzung zu beginnen, starb nach neun Deckversuchen an Erschöpfung.

Mit Hinweis auf die langsame, unzuverlässige Post zwischen der Kolonie und Berlin konnte sich Schellendorff lange seiner Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat entziehen. Bis sein Assistent, der mit ihm im Clinch lag, eben diese Post nutzte, um Hagenbeck und die Firma über die Fehlschläge und die miserablen Bedingungen in Mbuguni zu informieren.

Und Schellendorff? Längst hatte er neue Kontakte geknüpft und ließ sich am 10. September 1903 offiziell im benachbarten britischen Territorium nieder. Laut Historiker Greiner hatte er da schon mindestens anderthalb Jahre versucht, beide Karten zu spielen: die deutsche und die britische. Etwa zur gleichen Zeit, da er sich an Kaiser Wilhelm II. wandte, diente er sich den Briten an.

Pferde als Zebras angemalt

»Was Bronsart von Schellendorffs transimperiale Karriere auszeichnete, war seine Fähigkeit, aus den angespannten anglo-deutschen Beziehungen Kapital zu schlagen«, schreibt Greiner. »Seine Strategie, sein Geschäft zu sichern, bestand darin, zwischen den Imperien hin- und herzuspringen und die beste Option auszuwählen.«

Indes blieb Schellendorffs Zebrazucht auf britischem Gebiet ebenso fruchtlos wie auf deutschem. Er verwandelte seine Farm schließlich in eine Safari-Lodge, um am aufkommenden Kolonialtourismus teilzuhaben. Bald kehrte er jedoch nach Deutschland zurück, wurde ein bekannter Autor afrikanischer Tiergeschichten und starb an Heiligabend 1918.

Auch die Bemühungen der »Schutztruppe« um Domestizierung von Zebras kamen über eine Versuchsphase nie hinaus, abgesehen davon, dass einige Kolonialbeamte auf Zebras patrouillierten. In Britisch-Indien erwiesen sich die Experimente ebenso als Fehlschlag.

Das ist ein Pony – eins mit Streifen (Aufnahme um 1917 aus Ostafrika)

Das ist ein Pony – eins mit Streifen (Aufnahme um 1917 aus Ostafrika)

Foto: United Archives / imago images

Eine Zebra-Kavallerie brachten weder die Deutschen noch die Engländer im Ersten Weltkrieg an die Front. Dafür berichteten Zeitzeugen von einem anderen Phänomen: Sowohl Briten als auch Deutsche malten in Ostafrika Pferde mit Zebrastreifen an.

Der Grund dafür zählt laut Historiker Michael Pesek zu den letzten ungelösten Rätseln des Ostafrika-Krieges. Vermutet wurde, dass die Bemalung vor der Tsetsefliege schützen sollte, andere tippten auf Tarnung. Möglicherweise stimmt beides: Tarnung vor der Tsetsefliege. Denn Zoologen gingen davon aus, dass die Augen der primär nachtaktiven Fliege im Dunkeln die Silhouette der derart gemusterten Tiere nicht mehr richtig erkennen konnten.

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