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Deutschlands erster Smogalarm: Dicke Luft im Pott

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Deutschlands erster Smogalarm Dicke Luft im Pott

Als im Winter 1979 Schwefeldunst über dem westlichen Ruhrgebiet hing, lösten die Behörden Deutschlands ersten Smogalarm aus. Nur kümmerte das die Anwohner herzlich wenig.

Der Radiosender WDR 2 unterbrach sein Musikprogramm um 9.45 Uhr. Eine ernste Stimme warnte die Zuhörer vor schädlichen Gasen: Im Bereich zwischen Krefeld und Essen, Bottrop und Duisburg liege der Schwefeldioxid-Gehalt in der Luft seit Stunden über den Grenzwerten.

Autofahrer sollten ihre Fahrzeuge möglichst stehen lassen, Gärtner keinen Müll verbrennen und Lungenkranke in ihren Wohnungen bleiben. Danach verlasen Sprecher die Warnung auch auf Türkisch, Spanisch, Griechisch und Serbokroatisch.

Mit den Durchsagen begann am 17. Januar 1979 im westlichen Ruhrgebiet der erste Smogalarm der deutschen Geschichte.

Smog, ein Kofferwort aus dem Englischen Smoke (Rauch) und Fog (Nebel), war nichts Neues im Revier. Der Rauch strömte dort seit Anfang des 19. Jahrhunderts vermehrt aus den Schloten der Hütten und Kokereien. An windstillen Wintertagen kam es bisweilen vor, dass sich eine warme Luftschicht in etwa 300 Metern Höhe über dem Land festsetzte. Wie ein Topfdeckel verhinderte sie, dass die Abgase aufstiegen - und der Rauch verharrte wie Nebel in Bodennähe. Manchmal dauerten diese sogenannten Inversionswetterlagen mehrere Tage.

Lange nahmen die meisten Bewohner des Ruhrgebiets die Abgase klaglos hin. Den Smog begriffen viele Menschen als Preis für den wirtschaftlichen Aufschwung im Revier.

Tausende starben im Todesnebel

Spätestens im Dezember 1952 aber wurde bekannt, wie gefährlich die Schwaden werden können. Damals versank London für fünf Tage im Todesnebel - mindestens 4000 Menschen starben.

Im Ruhrgebiet tötete der Smog 1962 mehr als 150 Menschen. Der SPIEGEL berichtete über Langzeitschäden, etwa dass im Revier deutlich mehr Menschen an Lungenkrebs erkrankten und Kinder langsamer wuchsen als in ländlichen Gebieten.

Tatsächlich erließ die Regierung Nordrhein-Westfalens im Katastrophenjahr ein Gesetz zu Luftverunreinigungen, stellte Messstationen für schädliche Gase auf und bestimmte wenig später Fahrverbotszonen für den Ernstfall. Sonst änderte sich wenig: Hütten, Kokereien, Autos und Kohleheizungen pusteten ihre Schadstoffe noch immer weitgehend ungefiltert in die Luft.

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Die Grenzwerte für Smog waren mit fünf Milligramm pro Kubikmeter Luft etwa so hoch angesetzt wie die Belastung bei der Katastrophe 1962 (mehr als das Zehnfache der heutigen Grenzwerte). Jahrelang wurden sie nicht überschritten - obwohl in den folgenden Wintern vermutlich ebenfalls gesundheitsschädliche Schwaden über dem Ruhrgebiet hingen.

Anfang der Siebzigerjahre aber erstarkte die Ökologiebewegung. Die Aktivisten gründeten Verbände und gingen mit Atemschutzmasken auf die Straße. Ihr Hauptgegner war jedoch nicht die Schwefeldioxid-Belastung, sondern die Atomkraft.

Säuglinge würgten in Atemnot

Das Problem Smog rückte erst an einem Sonntag im April 1973 in den Fokus der deutschen Öffentlichkeit. Millionen Fernsehzuschauer sahen in der ARD, wie Säuglinge in Atemnot würgten, Autofahrer leblos über ihren Lenkrädern hingen und Fußgänger durch die Straßen des Ruhrgebietes torkelten. Viele Zuschauer riefen besorgt bei der Polizei an.

Die Bilder aber waren nicht real, nur der fiktionale Fernsehfilm "Smog" zeigte sie. Der Regisseur Wolfgang Petersen hatte mit seiner Pseudo-Dokumentation den Eindruck einer Livesendung aus einem Krisengebiet erweckt.

Wenig später debattierte der Bundestag über Luftverschmutzung und beschloss das Immissionsschutzgesetz, kein Jahr nach der Ausstrahlung von "Smog". Nordrhein-Westfalen verringerte die Grenzwerte für den Smogalarm auf 0,8 Milligramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter Luft - mehr als fünf Sechstel niedriger als in der ersten Verordnung, aber noch immer mehr als das Eineinhalbfache von heute. Trotz dieser verschärften Grenzwerte passierte jedoch vier Jahre lang: nichts.

Inzwischen hatten viele Kokereien und Hütten wegen der Kohlekrise geschlossen, die Schadstoffbelastung in den Straßen des Ruhrpotts war auch dank höherer Schornsteine zurückgegangen.

In den Morgenstunden des 17. Januar 1979 herrschte jedoch Windstille, eine warme Luftschicht stabilisierte sich über dem Ruhrgebiet. Dicke bräunliche Schwaden hingen zwischen Krefeld und Essen, Bottrop und Duisburg. Die Messstationen schlugen aus, die Behörden waren zum Handeln gezwungen, und der WDR unterbrach sein Programm für die Durchsage: Smogalarm, Warnstufe eins.

"Hier stinkt's doch immer"

Große Konsequenzen hatte der Alarm aber nicht: Nur einige Müllkraftwerke schalteten auf halbe Leistung und die Krankenhausärzte beschränkten sich auf Notoperationen. Fahrverbote hingegen drohten erst mit Warnstufe zwei. In Oberhausen und Essen brachten die Stadtarbeiter Warnschilder und Barrieren an die Ränder der Sperrgebiete. In Duisburg und Bottrop hingegen blieben Schilder und Sperren in den Lagern.

Manche Sachverständige hatten befürchtet, dass die Menschen nach den Radiodurchsagen in Panik ausbrechen würden. Das Gegenteil war der Fall: Viele Anwohner ließen ihre Automotoren wie immer warmlaufen und fuhren ganz normal zur Arbeit.

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Die Industrie im Ruhrgebiet war seit Jahren in der Krise. Viele Arbeiter fürchteten eher um ihre Jobs als um ihre Gesundheit. "Was soll der Quatsch? Hier stinkt's doch immer", beschwerte sich ein Anrufer im Oberhausener Rathaus.

Nach knapp zehn Stunden Alarmzustand gaben die Behörden Entwarnung. Leichter Wind war aufgekommen und hatte die warme Luftschicht durcheinandergewirbelt: Die Inversionswetterlage war zu Ende, die Abgase zogen ab.

Viele im Ruhrgebiet hielten den Alarm für übertrieben - oder gar kontraproduktiv. Ein Journalist der "Neuen Ruhr-Zeitung" fürchtete, dass das alte Bild vom Kohlenpott wiederauferstehe. Ein Werbefachmann schimpfte, der Alarm habe den Ruf der Region "um Jahre zurückgeworfen".

Lobbyisten entschärften Gesetze

Politisch änderte der erste Smogalarm der Republik zunächst wenig. Zwar fürchteten in den folgenden Jahren viele Bürger mit fast apokalyptischen Visionen sauren Regen und Waldsterben als Folge der Schwefeldioxidbelastung ("Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch"), und Minister kündigten an, sich gegen Luftverschmutzung einzusetzen. 1980 wurden auch Die Grünen als Bundespartei sowie Greenpeace Deutschland gegründet, die Umweltbewegung gewann an Schwung.

Doch die Lobbyisten der Auto- und Schwerindustrie entschärften die Gesetzesinitiativen oder sorgten für lange Übergangsfristen: Filter für Kraftwerke sollten erst in den Neunzigerjahren verpflichtend werden, Katalysatoren für Autos erst 1989 - obgleich Mercedes, BMW und VW ihre Wagen für den Export in die USA seit Jahren mit der Technik ausrüsteten.

So kam es in den Achtzigerjahren weiter zu Smogalarmen. Die höchste Warnstufe drei wurde erstmals am 18. Januar 1985 ausgelöst, wieder im westlichen Ruhrgebiet. Diesmal hatte der Alarm Folgen: Die Polizei sperrte Straßen, Fabriken drosselten ihren Betrieb, Schüler bekamen smogfrei, Krankenhäuser stockten ihre Sauerstoffvorräte auf. "Auch Radfahren sollte vermieden werden", sagte ein Sprecher im Radio durch.

Smogbedingte Fahrverbote erklärten die Behörden danach auch in anderen Regionen der Bundesrepublik, etwa im Februar 1987 in Hamburg.

Technik aus den Dreißigerjahren

In der DDR waren die gefährlichen Abgase ebenfalls ein Problem. Die Schwerindustrie zwischen Leipzig, Halle und Bitterfeld belastete die Luft vermutlich ähnlich stark wie ihr West-Pendant an der Ruhr. Die Braunkohleöfen in Espenhain etwa verwendeten noch bis zur Wende Technik aus den Dreißigerjahren - ohne Filter.

Erst nach der Wiedervereinigung griff das verschärfte Immissionsschutzgesetz in ganz Deutschland. Fabriken und Autos filterten Schwefeldioxid konsequenter aus ihren Abgasen. Die Messstationen registrierten bald nur noch niedrige Werte des schädlichen Gases.

Die Bundesländer begannen nach und nach, ihre Smog-Verordnungen abzuschaffen. So sparten sich die Behörden den Aufwand, jedes Jahr neue Notfallpläne zu entwickeln. Ein Vierteljahrhundert nach dem ersten Alarm schien das Problem gelöst.

Die Diskussionen um Grenzwerte, Fahrverbote und Luftverschmutzung blieben den Deutschen allerdings erhalten: In den Neunzigerjahren warnten Umweltorganisationen vor Sommer- oder Los-Angeles-Smog, auch als Ozon-Smog bekannt. Diese Luftverschmutzung entsteht an heißen und windstillen Sommertagen, wenn in Bodennähe durch Sonnenstrahlung mittels Stickstoffoxiden das schädliche Gas Ozon gebildet wird.

Dank strengerer Vorgaben für Abgasfilter wurde nach der Jahrtausendwende auch diese Smog-Belastung verringert. Die empfohlenen Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation jedoch werden mancherorts bis heute an Sommertagen überschritten.

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