
Mockumentarys Wenn Spaghetti auf Bäumen wachsen

Es war ein gutes Jahr für die Schweizer Spaghetti-Bauern. Die Ernte fiel üppig aus. Das lag zum einen an dem ungewöhnlich milden Winter 1957, zum anderen am Verschwinden des Spaghetti-Rüsselkäfers. Passend zur Meldung strahlte die BBC-Nachrichtensendung "Panorama" einen knapp dreiminütigen Film aus, in dem eine Familie Tessiner Nudelzüchter meterlange Pasta von den Bäumen pflückt.
Die sonore Stimme des bekannten Fernsehkommentators Richard Dimbleby informierte in hochseriösem Duktus über die Vorgänge: "Viele von Ihnen haben sicherlich die Bilder der gewaltigen Spaghetti-Plantagen in der italienischen Po-Ebene gesehen. Für die Schweizer hingegen ist die Spaghetti-Ernte eine familiäre Angelegenheit." Lange Jahre habe es gebraucht, fuhr der Kommentator ungerührt fort, bis es den Züchtern gelungen sei, die Nudeln alle in der gleichen Länge wachsen zu lassen.
Dass die BBC den Beitrag 1957 am 1. April ausstrahlte, war für viele Zuschauer als Hinweis offenbar nicht deutlich genug. Hunderte Menschen riefen beim Sender an. Einige bedankten sich für den gelungenen Scherz. Aber es gab auch viele, die ernsthafte Fragen hatten - und solche, die wissen wollten, wo sie einen Nudelbaum bekommen könnten. Zur Ehrenrettung der Anrufer muss gesagt sein, dass Spaghetti im England der Fünfzigerjahre noch kaum verbreitet waren. Die "Panorama"-Redaktion beantwortete die Fragen jedenfalls gelassen: "Legen Sie einen Spaghetti in eine Dose Tomatensoße und hoffen Sie auf das Beste."
Inszenierte Wirklichkeit
Bei der Ausstrahlung war der kurze Clip, heute in jeder Liste der großen Fernsehmomente des zwanzigsten Jahrhunderts zu finden, nicht mehr als ein virtuoser Aprilscherz. Inzwischen ist die Fake-Dokumentation zu einem eigenen Filmgenre geworden. Der gezielte Täuschungsversuch der BBC gilt heute als frühes Beispiel einer "Mockumentary". Der Begriff, aus den englischen Wörtern "Mock" (Schein) und "Documentary" (Dokumentation) zusammengesetzt, beschreibt einen fiktionalen Film, der vorgibt, eine echte Dokumentation zu sein.
Belegen sollen das Interviews, spontan agierende Schauspieler oder wackelige Handkamerabilder, die von den Protagonisten selbst aufgenommen werden. Auch die Fiktion, es handele sich bei dem Film um gefundenes Material, das nun unbearbeitet gezeigt würde, trägt zum Realitätseffekt bei. Viele Mockumentarys sind Satiren. Zu den ersten ihrer Art gehörten Woody Allens 1969 erschienenes Regiedebüt "Woody, der Unglücksrabe" oder Peter Watkins' "Strafpark" von 1971.
Stonehenge und Luftgitarren
Einen Höhepunkt erlebte die Mockumentary jedoch erst 1984 mit "This Is Spinal Tap". Der Film von Drehbuchautor und Schauspieler Christopher Guest und Regisseur Rob Reiner dokumentiert das weitgehend hoffnungslose Treiben der - natürlich fiktiven - Heavy-Metal-Band Spinal Tap. Das Material schien eine Sammlung von zufällig aufgenommenen Szenen aus dem Tour-Alltag der Band zu sein, die zum ersten Mal seit 17 Jahren wieder durch die USA reist.
Die Katastrophen kommen geballt: Das sexistische Bild auf der aktuellen Platte "Smell The Glove" wird zensiert und durch ein ausschließlich schwarzes Cover ersetzt, die monumentale Bühnendeko entpuppt sich als Miniaturmodell von Stonehenge, und die Freundin des Lead-Gitarristen vergrault den Rhythmus-Gitarristen aus der Band. Erzählt wird diese Aneinanderreihung von Peinlichkeiten in Form von improvisierten Dialogen und Interviews mit den angeblichen Bandmitgliedern und ihren Wegbegleitern.
"This Is Spinal Tap" nimmt nahezu jedes Heavy-Metal-Klischee aufs Korn. Die vorgeführten Posen begeistern Luftgitarristen noch heute. Doch der Film hatte noch mehr Auswirkungen: Aus der Satire, die behauptete, Realität zu sein, wurde Wirklichkeit. Christopher Guest spielte seine Rolle jenseits der Leinwand weiter. Er nahm mit Spinal Tap Platten auf und ging mit der Band auf Tour. Und er ließ sich nicht davon abhalten, weitere Mockumentarys zu drehen. "Wenn Guffman kommt" zum Beispiel, oder "Best in Show".
Zwischen Lachen und Grausen
Wie "This Is Spinal Tap" sind die meisten Mockumentarys Komödien - von "Zelig" über "Bob Roberts" bis zu "Borat", und Christopher Guest ist noch immer der ungekrönte König der Gattung. Aber es sind in den letzten Jahren auch einige Horror-Mockumentarys erschienen. Allen voran "The Blair Witch Project", der 1999 eine Welle von Fake-Dokumentationen im Genre lostrat.
Egal wie irrwitzig oder plausibel die Geschichte ist, die uns die Filme als "echt" verkaufen wollen: Die Mockumentary lässt offenbar werden, dass das Verhältnis von Film und Wirklichkeit immer ein kompliziertes ist. Eine pädagogisch wertvolle Gattung also. Umso schöner, dass sich unter den Mockumentarys einige der komischsten, aber auch verstörendsten Filme der letzten Jahre finden. einestages hat die Wichtigsten ausgegraben.
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This Is Spinal Tap (1984)
Die Mutter aller Musik-Mockumentarys: Die weitgehend vergessene britische Heavy-Metal-Band Spinal Tap spielt nach 17 Jahren wieder Konzerte in den USA, das Unternehmen erweist sich schnell als erfolglos. Die Mischung aus Naivität und Stoizismus, die die Figuren hier an den Tag legen, sollte stilbildend für die weiteren Filme von Christopher Guest werden. Egal, ob die Plattenfirma das Cover des neuen Albums wegen Sexismus zensiert, die Ticketverkäufe in den Keller gehen oder die Bühnen-Deko komplett lächerlich ausfällt - Spinal Tap bleiben unverwüstlich. Das "Time Magazine" lobte die Mockumentary als den "komischsten Musikfilm aller Zeiten".
Glaubwürdigkeit: Die fiktive Band nahm drei Alben auf, die es immerhin allesamt in die Top 100 schafften. 7/10.
Fraktus - Das letzte Kapitel der Musikgeschichte (2012)
Die Spinal Tap von Hamburg. Bernd Wand (Jacques Palminger), Dirk Eberhard "Dickie" Schubert (Rocko Schamoni) und Torsten Bage (Heinz Strunk) haben in den Achtzigerjahren mit der vergessenen Band Fraktus den Techno erfunden. 2012 versucht der Musikproduzent Roger Dettner (Devid Striesow), die Band zu einem Comeback zu bewegen. Der Film zeigt ein so urkomisches wie tristes Bild von drei gescheiterten Musikern: Wand macht inzwischen Musik mit seinen Eltern, Dickie betreibt das Internet-Café "Surf'n'Schlurf", und Torsten Bage ist in den Neunzigerjahren mit "menschenverachtender Dance-Musik" (Josef Engels) reich geworden und lebt auf Ibiza.
Glaubwürdigkeit: Der Film zitiert stilsicher die Popkultur der Achtziger- und Neunzigerjahre und macht sich im selben Zuge über sie und seine drei verkrachten Existenzen lustig. Hinter der Parodie schimmert aber immer wieder die sehr reale Tragik gescheiterten Künstlertums durch: 6/10.
The Blair Witch Project (1999)
Der Film, der die Mockumentary ins Horrorgenre einführte. Drei Studenten recherchieren in den Wäldern von Maryland über die Legende der Hexe von Blair. Sie verirren sich, nachts ist Kindergeschrei zu hören, vor dem Zelt liegen am nächsten Morgen Steinhaufen. "The Blair Witch Project" besteht ausschließlich aus den Aufnahmen, die die drei Hauptfiguren selbst gemacht haben sollen. Der Film spielte über 100 Millionen Dollar ein und fand zahlreiche Nachfolger wie "[REC]" oder "Cloverfield".
Glaubwürdigkeit: Man fragt sich irgendwann, warum die drei nicht einfach die Kamera wegwerfen und laufen, was das Zeug hält: 6/10
Confessions of a Porn Addict (2008)
Mark ist pornosüchtig und verbringt die meiste Zeit mit heruntergelassenen Hosen vor dem Fernseher. Nachdem seine Frau ihn verlassen und er seinen Job verloren hat, geht es weiter bergab. Um von seiner Sucht loszukommen, wird Mark Mitglied bei Porn Addicts Anonymous und übt sich, so gut es eben geht, in Askese. Sehr gut geht es nicht, trotz Pay-TV-Sperre und "Cock Cage". Und natürlich zeichnet ein Filmteam alle verzweifelten Versuche Marks auf, zumindest ein wenig Restwürde zu bewahren.
Glaubwürdigkeit: In Zeiten von Youporn macht das 8/10.
The Office (2001)
Ein Fernsehteam dreht eine Dokumentation über eine Papierfirma. Im Zentrum steht der vollkommen grundlos von sich selbst überzeugte Filialleiter David Brent (Ricky Gervais), dem es gelingt, jede Situation - sei es ein Interview für die Kamera oder eine After-Work-Party - in ein Inferno der Peinlichkeiten zu verwandeln. "The Office" brachte es nicht nur auf eine amerikanische Variante und eine deutsche Kopie ("Stromberg"), sondern war auch die erste in einer langen Reihe für das Fernsehen produzierter Mockumentarys wie "Parks and Recreation" oder "Modern Family".
Glaubwürdigkeit: Wer in einem Großraumbüro arbeitet, muss sich nicht allzu sehr wundern. 7/10
Cannibal Holocaust (1980)
Ein Kamerateam fährt in den Amazonas, um dort einen Film über einen Kannibalenstamm zu drehen. Weil die Aufnahmen nicht spektakulär genug werden, hilft man nach. Auf dem angeblich dokumentarischen Material, das "Cannibal Holocaust" zeigt, ist unter anderem zu sehen, wie eine Frau vergewaltigt und gepfählt wird, diverse Tiere werden geschlachtet. Am Ende verspeisen die Eingeborenen die übereifrigen Filmemacher. Die angeblichen Dokumentaraufnahmen sind nicht sonderlich glaubwürdig, den italienischen Behörden allerdings war das mehr als genug: Regisseur Ruggero Deodato wurde dem Richter vorgeführt und musste den Verdacht entkräften, seine Darsteller wirklich umgebracht zu haben.
Realitätsfaktor: eigentlich 0/10, 1980 lag die Zahl aber offenbar höher.
I'm Still Here (2010)
Der Schauspieler Joaquin Phoenix hatte mit dem Johnny-Cash-Biopic "Walk the Line" seinen größten Erfolg, als er beschloss, seine Schauspielkarriere zu beenden und Rapper zu werden. Mit Vollbart und überdimensionierter Sonnenbrille turnt er vor einem Kamerateam rum, das einen Film über seinen plötzlichen Imagewechsel dreht. Die Musik ist grauenhaft, Phoenix leiert seine Stücke runter, beschimpft das Publikum, faltet Mitarbeiter zusammen und nuschelt sich bekifft durch David Lettermans "Late Night Show" - eine peinliche Tortur für die Zuschauer.
Glaubwürdigkeit: Wäre dieser Film kein Fake, es wäre eine Dokumentation über einen bestürzend unsympathischen Menschen. Zum Glück ist alles erfunden. 9/10.
Kubrick, Nixon und der Mann im Mond (2002)
Eine der schönsten Verschwörungstheorien: US-Präsident Nixon war besorgt, dass die Filmaufnahmen von der Mondlandung nicht fernsehtauglich sein würden. Also wurde niemand Geringeres als Stanley Kubrick, Regisseur von "2001 - Odyssee im Weltraum", beauftragt, die Mondlandung in einem Filmstudio nachzudrehen. Einige der Menschen, die in das Geheimprojekt involviert waren, fanden einen auffällig frühen Tod. Als Zeugen treten unter anderem auf: Henry Kissinger, Donald Rumsfeld und Christiane Kubrick, die Witwe des Regisseurs. Die Jury des Grimme-Preises war begeistert: "Mit Archivaufnahmen, die aus dem Zusammenhang gerissen sind, mit echten Interviews, deren Kontext verändert wurde, und mit nachgestellten Interviews pendelt der Film zwischen Realität und frei Erfundenem und erzählt damit viel über die Macht des bewegten Bildes und den Glauben an filmische Beweise."
Glaubwürdigkeit: 1/10 - sollten Sie in Ihrer Freizeit einen Alu-Hut tragen und gerne über die statische Beschaffenheit des World Trade Centers diskutieren, wird daraus allerdings eine glatte 10.
Bob Roberts (1992)
Der erzreaktionäre Folk-Sänger und Millionär Bob Roberts kandidiert 1990 erfolgreich für einen Senatorenposten, ein Filmteam begleitet seine Wahlkampftournee. Roberts' größte Hits sind "The Times Are Changing Back", "Drugs Stink" und "Complain". Der Kandidat lässt kaum eine Schweinerei aus: pathetische Reden, haltlose Unterstellungen, ein fingiertes Attentat.
Glaubwürdigkeit: Ein offensichtlich korrupter Millionär betreibt mit stumpfen Parolen einen äußerst erfolgreichen Wahlkampf. Macht 10/10.
Mann beißt Hund (1992)
Ein Filmteam begleitet den gar nicht einmal unfreundlichen Serienmörder Ben bei seiner Arbeit und hält seine Taten in beklemmenden Schwarzweißbildern fest. Mehr und mehr machen sich die Filmemacher mit Ben gemein, der unterlassenen Hilfeleistung folgt bald aktive Mittäterschaft. Und die Kamera hält gnadenlos drauf. "Mann beißt Hund" ist eine tiefschwarze Mediensatire.
Glaubwürdigkeit: Ein übermäßig netter und charmanter Serienmörder und eine Handvoll Filmemacher, denen bekanntermaßen alles zuzutrauen ist - ergibt 5/10.
Borat Kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen (2006)
Der kasachische Fernsehreporter Borat Sagdiyev reist in die USA, um von den Amerikanern zu lernen. Der misogyne, rassistische und antisemitische Hinterwäldler provoziert seine Interviewpartner zu überraschenden Statements, zum Beispiel beim Autokauf: "Wie schnell ich muss fahren, um mit diese Auto Gruppe von Zigeuner überfahren?" Autohändler: "Ich schätze so 55 bis 60 Meilen in der Stunde." Die Reaktionen kamen prompt: Das Europäische Zentrum für Antiziganismusforschung erstattete Anzeige, die kasachische Regierung soll die Homepage des Films gesperrt haben, mehrere der Interviewten klagten, sie seien über den eigentlichen Charakter des Ganzen getäuscht worden. Was davon stimmt, ist nur schwer zu sagen. Wenig später kam heraus, dass die meisten Szenen nach Drehbuch gedreht waren.
Glaubwürdigkeit: Als der Film in den Kinos lief, ließ sich - die Hauptfigur einmal ausgenommen - kaum sagen, was "echt" und was "inszeniert" war. 9/10.
Forgotten Silver (1995)
Die Filmgeschichte muss umgeschrieben werden: Tonfilm, Nahaufnahme, Farbfilm, der erste Blockbuster - alles Erfindungen von Colin MacKenzie, einem bis vor Kurzem völlig unbekannten Filmemacher aus Neuseeland. Der schlagende Beweis: Szenen aus "Salome" MacKenzies verschollenem Stummfilmepos. Wiederentdeckt hat "Salome" kein Geringerer als Peter Jackson, Regisseur von "Herr der Ringe", der dieser so bewegenden wie frei erfundenen Biografie die Mockumentary "Forgotten Silver" gewidmet hat.
Glaubwürdigkeit: Als der Film zum ersten Mal im neuseeländischen Fernsehen lief, wurde er als "echte" Dokumentation angekündigt. Tatschlich waren zahlreiche Zuschauer nach der Ausstrahlung davon überzeugt, die Geschichte des Kinos hätte in Neuseeland begonnen 10/10
Spaghetti-Harvest in Ticino (1957)
Abgesehen von Orson Welles' Hörspiel "Krieg der Welten" das eindrucksvollste Beispiel der gezielten Publikumstäuschung. Die BBC strahlte den Bericht über die Spaghetti-Ernte in der italienischen Schweiz am 1. April 1957 aus. Nichtsdestotrotz riefen Hunderte Zuschauer beim Sender an, die mehr über Nudeln, die auf Bäumen wachsen, erfahren und Tipps zur Aufzucht haben wollten. Der "Daily Telegraph" war nicht amüsiert und beschwerte sich in seiner Ausgabe vom 2. April über die mangelnde Seriosität der BBC.
Glaubwürdigkeit: In den Fünfzigerjahren waren Spaghetti in Großbritannien noch vergleichsweise unbekannt (9/10). Heute hingegen bleibt der BBC-Clip bei einer 0/10 kleben; zumindest bei Zuschauern, die älter als vier Jahre alt sind.
Strafpark (1971)
Die britische, politisierte Variante von "Das Millionenspiel": In den USA können verurteilte politische Aktivisten einer Haftstrafe entgehen, wenn sie in drei Tagen die kalifornische Wüste durchqueren, ohne Proviant, aber mit der Nationalgarde auf den Fersen, die das Recht hat, sie zu erschießen. Dokumentiert wird die Tortur von einem britischen Kamerateam. Ein Großteil des Films besteht aus erhitzten Diskussionen zwischen Aktivisten und Vertretern der Staatsmacht, kurz bevor die Jagd beginnt.
Glaubwürdigkeit: Einige der Schauspieler sind Laien und waren im wirklichen Leben tatsächlich bei der Polizei oder bei Wachdiensten angestellt. "Strafpark" dokumentiert also die vor der Kamera improvisierten Gespräche von echten Aktivisten und Beamten: 8/10.
The Rutles: All You Need Is Cash (1978)
Die britische Fernsehproduktion "The Rutles: All You Need is Cash" war eine Inspiration für die Macher von "This is Spinal Tap". Ex-Monty-Python Eric Idle hat die Biografie der von ihm kreierten fiktiven Band eng an die Geschichte der Beatles angelehnt. Die Stücke der Rutles waren allesamt an Beatles-Titel angelehnt: "Ouch!", "Let's Be Natural", "A Hard Day's Rut", "Doubleback Alley" oder "I Am A Waitress". Und Ex-Beatle George Harrison hat einen Cameo-Auftritt.
Glaubwürdigkeit: Mick Jagger und Paul Simon berichten von ihren Begegnungen mit der Band und verleihen der Geschichte den Anstrich des Authentischen. Allerdings ist der Film vor allem eine recht liebevolle Parodie auf die Beatles: 2/10.
Zwischenfall am Loch Ness (2004)
Der Regisseur Werner Herzog hat schon viel überstanden: einen Heckenschützen, Dreharbeiten in der Wüste, im Dschungel und in der Arktis, Klaus Kinski. 2004 macht Herzog sich auf die Suche nach dem Monster von Loch Ness. Und wird natürlich fündig. Am Ende versenkt das Monster das Boot der Filmcrew. Nicht zuletzt ist der Film auch eine Selbstparodie Herzogs, der sich hier selbst spielt, wie immer mit einzigartigem Denglisch.
Glaubwürdigkeit: "Zwischenfall am Loch Ness" zeigt, wie Dokumentarfilmer die Wahrheit manipulieren und würfelt die verschiedenen Ebenen Dokumentation, Inszenierung und inszenierte Dokumentation hübsch durcheinander: 7/10.
Männer zeigen Filme und Frauen ihre Brüste (2014)
Ein Kurzfilm der Regisseurin Isabell Suba wird zum Filmfestival in Cannes eingeladen. Sie nutzt die Gelegenheit, um dort in Guerilla-Manier ihren ersten Spielfilm zu drehen. Die Schauspielerin Anne Haug spielt die Regisseurin Suba, die mit ihrem Produzenten David (Matthias Weidenhöfer) auf dem Festival unterwegs ist, um ein neues Filmprojekt zu pitchen, und mit den sexistischen Strukturen vor Ort und sich selbst ringt. "Männer zeigen Filme und Frauen ihre Brüste" lässt den Zuschauer im Unklaren darüber, was gescripted und was dokumentarisch ist.
Glaubwürdigkeit: Wenn die Protagonisten versuchen, eine Redakteurin des Fernsehsenders Arte von ihrem Projekt zu überzeugen, ist oft nicht klar, was Realität und was Inszenierung ist: 7/10.
Vaterlandsliebe (2011)
Die zwanzigminütige Mockumentary von Nico Sommer porträtiert Jens Hartmann (Fabian Püschel), einen Museumswärter, der gerne von seiner Liebe zu Deutschland spricht und immer wieder betont, dass er kein Nazi sei. Der Film enthält sich jeden Kommentars und lässt seine Figur in Interviews einfach erzählen: über deutsche Kultur, die mehr sei als nur Currywurst und Schnitzel, über die vielen Migranten und den Verlust dessen, was Jens Hartmann "deutsche Identität" nennt. Die Deutsche Film- und Medienbewertung verlieh das Prädikat "Besonders wertvoll" und begründete: "Die Erzählerstimme der Hauptfigur kommentiert selbstsicher Situationen, die sich im Bild völlig anders darstellen. So wird mit gelungenen Brüchen eine Illusion einer engstirnigen Gruppe der Gesellschaft reflektiert, die versucht, durch angesammeltes Halbwissen eine Vormachtstellung zu behaupten."
Glaubwürdigkeit: In Zeiten von Pegida, AfD und dem Mob von Heidenau macht das 10 von 10 möglichen Punkten.
5 Zimmer, Küche, Sarg (2014)
Man kennt das aus jeder standesgemäßen Studenten-WG: tagtägliche Kabbeleien um den Spüldienst, die Wohnung versifft zusehends, und die Sonne hat man schon seit Jahren nicht mehr gesehen. In "5 Zimmer, Küche, Sarg" dokumentiert ein Kamerateam den Alltag einer Wohngemeinschaft von vier Vampiren. Das Ergebnis ist eine Satire auf studentisches Slackertum.
Glaubwürdigkeit: Vampire hausen in einer Wohngemeinschaft in Neuseeland und prügeln sich mit Werwölfen: 0/10.
Wenn Guffman kommt (1996)
Um das Jubiläum der Kleinstadt Blaine, Missouri, zu feiern, führt ein Ensemble sagenhaft unbegabter Laiendarsteller ein Musical über die Stadtgeschichte auf. Angeführt wird der Haufen von einem überkandidelten Ex-Broadway-Regisseur (gespielt vom Regisseur des Films, Christopher Guest), der New York verlassen musste, nachdem er ein Theater während einer Aufführung von "Backdraft" fast abgefackelt hätte. Was der Zuschauer in "Wenn Guffman kommt" zu sehen bekommt, übertrifft noch die peinvollsten Schultheateraufführungen bei Weitem.
Glaubwürdigkeit: Das idiotenfrohe Ringen um Ruhm und Ehre bei gleichzeitiger Talentlosigkeit ist durchaus plausibel inszeniert: 8/10
Zelig (1983)
Wesentlich stimmiger wirkt da Woody Allens zweiter Film, der mit den Stilmitteln der Mockumentary arbeitet. In der fiktiven Dokumentation spielt Allen Leonard Zelig, einen Menschen, der sich zwanghaft den Menschen in seiner Umgebung anpassen muss: Zelig transformiert sich unter anderem zum Chinesen, Opernsänger und Nationalsozialisten. Die Geschichte wird in Form von Newsreels der Zwanziger- und Dreißigerjahre erzählt. Bezeugt wird das komplett fremdbestimmte Leben Leonard Zeligs von einigen maßgeblichen amerikanischen Intellektuellen der Achtzigerjahre wie Saul Bellow, Susan Sontag und Irving Howe.
Glaubwürdigkeit: "In Stil und Gestus eine perfekte Vortäuschung eines gängigen Dokumentarfilms über eine Person der Zeitgeschichte", notiert das Lexikon des Internationalen Films. 8/10.
Trollhunter (2010)
Und wieder machen sich Studenten mit der Kamera auf den Weg, um einem Mythos nachzuforschen: Norwegen wird von Trollen unsicher gemacht, und die wenigen Menschen, die davon wissen, streiten alles ab. Bald werden die Dokumentarfilmer fündig, wir lernen: Trolle können Christen auch über weite Strecken am Geruch erkennen. Wie auch in "The Blair Witch Project" soll es sich bei den Bildern um gefundenes Material handeln. Und wieder wird auch in lebensbedrohlichen Momenten die Kamera nicht zur Seite gelegt.
Glaubwürdigkeit: Hundert Meter große Zottelmonster stapfen durch die Landschaft, und die geheime Trollsicherheitsbehörde sorgt dafür, dass niemand davon erfährt. Das macht dann wohl eine 0/10.
Skinheads - Ihr Hass ist ihnen heilig (2009)
Eine Gruppe russischer Neonazis macht in Moskau Jagd auf Ausländer, einer der Skins zeichnet alles mit der Kamera auf. Gezeigt werden unbeholfene Versuche der Selbstinszenierung und immer wieder hervorbrechende Gewalt. Als die Schwester von einem der Anführer der Gruppe sich in einen Ausländer verliebt, kommt es zur Eskalation, es gibt Tote. In Deutschland erhielt der Film in der ungeschnittenen Fassung keine Jugendfreigabe, die FSK befürchtete, er könne als Verherrlichung begriffen werden.
Glaubwürdigkeit: Hier funktioniert die Suggestion, man würde dokumentarisches Material sehen. Und die Figuren wirken ebenfalls authentisch. 10/10. Leider.
Woody, der Unglücksrabe (1969)
Obwohl oft behauptet, ist dieser frühe Film nicht die erste Mockumentary der Filmgeschichte, sondern eher eine Art Mischform: Woody Allens Regiedebüt "Woody der Unglücksrabe" zeigt die windschiefen Bemühungen Virgil Starkwells (gespielt von Allen selbst), als Kleingangster zu Ruhm und Geld zu kommen. Ergänzt werden die Spielszenen durch einen an Dokumentationen gemahnenden Kommentar und Interviews mit angeblichen Verwandten und Wegbegleitern. Roger Ebert war nicht sehr begeistert: "Ich vermute, der Film ist eine Liste einer Menge Dinge, die Woody Allen in einem Film eines Tages tun wollte, und das Traurige ist, dass er sie alle auf einmal getan hat."
Glaubwürdigkeit: Als Komödie funktioniert "Woody, der Unglücksrabe" nach wie vor, für eine Mockumentary ist er zu diffus. Leider nur 4/10.
Return of Bruno (1987)
Der einstündige Fernsehfilm erinnert an den legendären (und natürlich fiktiven) Blues-Sänger Bruno Radolini, gespielt von Bruce Willis. Die Riege an Kollegen, die "The Return of Bruno" auffährt, um seine musikalischen Großtaten zu bezeugen, ist beeindruckend. Es treten unter anderem auf: Elton John, Joan Baez, Phil Collins, die Bee Gees, Stephen Stills von Crosby, Stills & Nash und Paul Stanley (Kiss). Wobei Willis eigentlich selbst überzeugend genug auftrat: Das Album zum Film, veröffentlicht auf dem legendären Motown-Label, enterte die Billboard-Charts, die Single "Under the Boardwalk" klettert in Großbritannien auf Platz 2.
Glaubwürdigkeit: Bruce Willis agiert auf der Bühne derart begeistert und hat sichtbar großen Spaß, wer wollte da Zweifel anmelden: 8/10.
Hard Core Logo (1996)
Die vier altgewordenen Punks der Band Hard Core Logo reisen auf ihrer Reunion-Tour durch Kanada. Der Sänger Joe Dick säuft sich konzentriert nieder, Gitarrist Billy Talent hat sich innerlich bereits weitgehend ausgeklinkt, und der Mann am Bass darf nicht vergessen, seine Tabletten zu nehmen, sonst kommt die Schizophrenie durch. Irgendwann ist das Geld weg, und am Ende drischt der Bandleader seinen abtrünnigen Gitarristen mit Karacho von der Bühne.
Glaubwürdigkeit: Wer dergleichen nicht kennt, wird ungläubig mit dem Kopf schütteln. Für alle, die schon einmal ein paar Wochen mit einer Männerband im Tourbus verbracht haben, eine klare 10/10.
Confetti - Heirate lieber ungewöhnlich (2006)
Das Magazin "Confetti" schreibt einen Wettbewerb aus, prämiert wird die originellste Hochzeitsfeier. Eine Steilvorlage für die drei teilnehmenden Paare, um vor der Kamera allerlei (von den Schauspielern weitgehend improvisierte) Eskapaden zu veranstalten. Das eine Paar will eine Feier im Stil eines klassischen Musicals (Ehrensache, dass der Gatte keinen gerade Ton herausbekommt), das zweite wünscht sich eine Party, die sich um das Thema Tennis dreht, und das dritte plant, nackt zu feiern.
Glaubwürdigkeit: Wer eine durchschnittlich hysterische Hochzeitsfeier hinter sich hat, wird das Ganze nur sanft überzeichnet finden: 7/10.
Best in Show (2000)
Fünf Hunde und ihre Besitzer treten bei der "Westminster Kennel Club Dog Show" gegeneinander an. Der Konkurrenzdruck ist groß, dabei geht es eigentlich um nichts. Die Zahl der Neurosen unter den Hundehaltern ist hoch allen voran ein gruseliges Ehepaar, das mit seinem depressiv gewordenen Hund zum Therapeuten rennt, nachdem der also der Hund den beiden beim Sex zusehen musste.
Glaubwürdigkeit: Um Hunde geht es dabei nur am Rande: "Best in Show" zeigt den sinnlosen Wettbewerb als zugleich existenzielles wie wurstiges Drama. 8/10.
Bad News (19832005)
Rob Reiner und Christopher Guest waren nicht die ersten, die auf die Idee kamen, eine fiktive Heavy-Metal-Band zu porträtieren. Die Band Bad News hatte Mitte der Achtzigerjahre einige Auftritte in der britischen Fernsehserie "The Comic Strip Presents". Die Musik war ehrfurchtgebietend schlecht, die Frisuren furchteinflößend. Erinnern Sie sich an die Haare der Musiker von Running Wild, Blind Guardian oder Europe? Bad News müssen sich in dieser Hinsicht nicht verstecken.
Glaubwürdigkeit: Man brachte es bis zu einem Auftritt beim "Monsters Of Rock"-Festival 1986 in Donington. Die Band wurde vom Publikum anscheinend für echt gehalten und mit einem Bierbecherhagel begrüßt. 9/10.
A Mighty Wind (2003)
Nach "This is Spinal Tap" die zweite große Musik-Mockumentary aus dem Oeuvre von Christopher Guest. Der Film zeigt das rührende Treiben dreier altgewordener Folk-Bands, die Jahre nach ihren letzten Auftritten wieder auf die Bühne gehen. Wie immer bei Guest, paradiert eine liebevoll gezeichnete Ansammlung von Unikaten über die Leinwand: ein Farben verehrendes Musiker-Ehepaar, das eine eigene Religion gegründet hat, die "Witches in Nature's Colors"; ein schmerzhaft unkomischer Ex-Sitcom-Schauspieler, der ununterbrochen Witze erzählt; ein Sänger mit einer tiefen Bassstimme, der sich zur Frau umoperieren lässt.
Glaubwürdigkeit: Sehr genau beobachtet, aber die Figuren sind, mehr noch als sonst bei Christopher Guest, arg überzeichnet: 4/10.
Das Millionenspiel (1970)
Die Anmoderation der Spielshow "Das Millionenspiel" beschreibt nüchtern ihr bestialisches Konzept: "Sollte der Kandidat vorzeitig den Tod finden, so erwartet Sie ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm mit vielen beliebten Künstlern." Die Regeln der Show sind einfach: Ein Mensch wird von einer Gruppe Kopfgeldjäger gejagt, überlebt er eine Woche, gewinnt er eine Million. Der Film von Tom Tölle und Wolfgang Menge wurde 1970 im WDR ausgestrahlt und ist keine Mockumentary im engeren Sinne - der Dokumentarmodus wird nicht durchgehalten. Trotzdem wurde die fiktive Spielshow von vielen Zuschauern für echt gehalten.
Glaubwürdigkeit: Heute 3/10, trotz Dschungelcamp und Artverwandtem; so weit ist es dann doch noch nicht. 1970 bewarben sich allerdings rund 40 Todesmutige als Kandidaten für die nächste Sendung.
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