
Dieter Hildebrandt: "Schonungslose Kritik"
Dieter Hildebrandt "Komik entsteht als Miteinander von Kopf und Bauch"
Dieter Hildebrandt wurde am 23. Mai 1927 als Sohn eines Oberlandwirtschaftsrats in Bunzlau/Schlesien geboren. Ab 1943 war er Luftwaffenhelfer, kurz vor Kriegsende wurde er zur Wehrmacht eingezogen und geriet in britische Gefangenschaft. Nachdem er sein Studium der Theater- und Literaturwissenschaften abgebrochen hatte, gründete er 1955 mit Kommilitonen das Kabarett "Die Namenlosen". 1956 hob er mit Sammy Drechsel die Münchner Lach- und Schießgesellschaft aus der Taufe. Hildebrandt erhielt zahlreiche Preise, darunter den Grimmepreis in Bronze, Silber und Gold, den Deutschen Kleinkunstpreis und den Schillerpreis.
Dieter Hildebrandt starb am 20. November 2013 in München.
einestages: Wann haben Sie Ihr Talent entdeckt?
Hildebrandt: Mitten im Krieg, mit 14 Jahren. Innerhalb der Hitlerjugend gab es eine Spielschar, zu der ein Streichquartett sowie Chöre, Volkstanz- und Theatergruppen gehörten. Ich wollte unbedingt Theater spielen. Wir sind sogar auf Tournee gegangen mit unserem Programm. Von da an wusste ich, dass ich komisch bin. Unfreiwillig komisch war ich übrigens auch in der Volkstanzgruppe. Wie ich da an der Hand von einem BDM-Mädel im Kreis rumgesprungen bin!
einestages: Kurz darauf wurden Sie Soldat, gerieten in britische Kriegsgefangenschaft und durchschwammen die Elbe, um sich in den Westen zu retten ...
Hildebrandt: ... von da an war erst einmal nichts mehr mit Spiel, Sport und Volkstanz. Allerdings bin ich im Gefangenenlager erstmals wirklich großen Kabarettisten begegnet.
einestages: Kabarett im Gefangenenlager?
Hildebrandt: Wir, die entkommen waren, saßen zu 20.000 in Gardelegen bei Stendal, in einem riesigen Lager. Hier durften die Insassen ein Kabarett eröffnen. Alt gediente Stars traten auf der Wiese auf, rezitierten Sketche aus den 20er Jahren und spielten Theater aus dem Gedächtnis. Zehntausende hörten zu und sangen gemeinsam den Song mit: "Und drum tragen wir unser Leiden mit Geduld, an der Scheiße sind wir selbst schuld." Diese Kabarettisten haben mich sehr beeindruckt, leider kenne ich ihre Namen nicht.
einestages: Mit welchen Vorbildern sind Sie groß geworden?
Hildebrandt: Vom Radio kannte ich etwa Fritz Scheffer und Karl Napp. Aber große Kabarettisten wie Werner Finck und Karl Valentin, die waren im Krieg längst mundtot gemacht worden.
einestages: Nach dem Krieg arbeiteten Sie unter anderem als Platzanweiser im Münchner Kabarett "Kleine Freiheit".
Hildebrandt: Hier lernte ich sie alle kennen: Werner Finck zum Beispiel, aber auch Erich Kästner. Ein Genie! Ein wunderbarer Mann mit buschigen Augenbrauen und einem sehr verschmitzten Lächeln, würdig und seriös. Er sprach mit mir und meinte, dass ich Talent hätte. Doch auch Robert Neumann, ein österreichischer Kabarettist, hat mich sehr beeindruckt. Ebenso wie einer, dem ich besonders nachgeeifert habe, der heute aber vergessen ist: Oliver Hassenkamp.
einestages: Sie haben im Krieg viel mitgemacht, danach wurden Sie Berufskomiker. Inwiefern hat Humor etwas mit Vergangenheitsbewältigung zu tun?
Hildebrandt: Vergangenheitsbewältigung wird unter der Hand zu Humor - durch das Publikum. Ich habe einfach geschildert, was mich geärgert, gefreut, bewegt hat, auch meine Ängste vor der Zukunft. Und das Publikum fand, dass das anhörungswürdig ist und hat Beifall gespendet.
einestages: Heutzutage haben Hitler-Persiflagen Hochkonjunktur. Kein Thema für Nachkriegskabarettisten?
Hildebrandt: Nein. Keiner von uns hat jemals versucht, Hitler zu kopieren. Der war uns zu widerlich, nachdem wir alles herausgefunden hatten. Genauso wenig wie die ganze Garde um ihn herum. Eine Ausnahme bildet Goebbels, der war nun unfreiwillig komisch.

Dieter Hildebrandt: "Schonungslose Kritik"
einestages: Sie haben die NS-Zeit thematisch umschifft?
Hildebrandt: Auf keinen Fall! Unser Hauptthema war die Zeit des Uniformiert-Seins, die Zeit der Schulterriemen, Gasmasken, Stiefel, Feldwebel, Unteroffiziere, Generäle, die ein jämmerliches Nachkriegsbild abgegeben haben mit ihren Rechtfertigungsbüchern, die keiner lesen wollte - das alles war unser Thema. Ebenso wie die Tatsache, dass dieser erste Bundeskanzler, Adenauer, ausgerechnet paktiert hat mit den alten Nazis und sie alle in hohe Ämter gehievt hat. Genauso wichtig war uns die Mitteilung an das Publikum: Ihr wart es selbst! Das Programm, mit dem wir 1956 bei der Münchner "Lach- und Schießgesellschaft unseren Durchbruch hatten, lautete: "Denn sie müssen nicht, was sie tun" - mit der Botschaft: Ihr habt doch genau gewusst, was Ihr tut.
einestages: Und das Publikum konnte lachen?
Hildebrandt: Natürlich. Menschen, die ins Kabarett gehen, sind geistig dafür präpariert.
einestages: Das heißt, man braucht Vorbildung, um Kabarett spaßig zu finden?
Hildebrandt: Absolut. Sehen Sie, Komik entsteht als Miteinander von Kopf und Bauch. Das heißt, das Zwerchfell beginnt zu arbeiten, bevor der Kopf dies zulässt. Das ist die Umleitung, ohne die nichts funktioniert.
einestages: Und was sagen Sie zur Comedy, die nur noch über den Bauch funktioniert?
Hildebrandt: Das sind die so genannten Zotenkomiker. Die spielen für mich keine Rolle, das müssen die vor sich selbst verantworten. Aber wenn das Publikum es braucht, soll es sie haben. Auch die Parteien verlegen die Gürtellinie ja immer weiter nach unten. Schauen Sie sich die CSU an!
einestages: Was war früher lustig, was ist es heute?
Hildebrandt: Man wird immer über die gleichen Sachen lachen. Das war schon in der Zeit des beginnenden Kabaretts in der Kaiserzeit so. Nehmen Sie etwa Gianpietro mit "Donnerwetter, wir sind Kerle". Ein bösartiges, wunderbares Lied über die Garde, das nichts anderes zum Thema hatte als eben die lächerlich zu machen, die sich gebärden, als wären sie von Gott persönlich in die Welt gesetzt worden.
einestages: So wie unsere Politiker derzeit?
Hildebrandt: Genau. Wenn ich heute Generalsekretäre sehe, die sich gebärden, als wären sie Nachfolger großer Politiker aus den Sechzigerjahren das ist von Hause aus komisch! Unsere Aufgabe ist es dann, dieses groteske Missverhältnis zwischen dem, was die Menschen von sich halten und dem, was sie wirklich sind, herauszustellen. Das ist immer der Ansatz der Satire. Heute wie damals.
einestages: Welches war die Glanzzeit des Deutschen Kabaretts?
Hildebrandt: Die Zwanzigerjahre! Es war die Zeit der marschierenden SA-Kolonnen und des Mordes auf offener Straße, diese Ablehnung der Republik. Unter dem Druck einer Gewalt Kabarett zu machen, war natürlich viel aufregender. Dieses Prickeln, das wird das Kabarettist der Nachkriegszeit nie erreichen können. In der DDR wurde diese Glanzzeit von den Kabarettisten wieder zu einem kleinen Punkt erreicht. Ich war oft dort und habe Programme erlebt, wo es mir eiskalt den Rücken runtergelaufen ist. Da war im Saal plötzlich diese ungeheure Spannung, die können Sie heute nicht mehr erzeugen.
einestages: Das heißt, gute Satire gedeiht am besten in der Diktatur?
Hildebrandt: Sagen wir es so: Der Kabarettist wird verstärkt in seiner Arbeit durch die Gefahr, in die er sich begibt.
einestages: Sie traten 1985 auf Einladung der Leipziger Pfeffermühle in der DDR auf - Angst gehabt?
Hildebrandt: Als ich da stand, vor einem Publikum, das zu einem Drittel uniformiert war, fühlte ich mich sofort an den Zweiten Weltkrieg erinnert. Ansonsten war es großartig: Diese Kluft zwischen dem Nichtlachen eines Uniformierten und dem übermäßigen Lachen eines Zivilisten, eine einzigartige Spannung.
einestages: Warum war Helmut Schmidt so schwierig zu persiflieren?
Hildebrandt: Schmidt war von der geistigen Potenz her einer der größten Politiker überhaupt. Seine enorme Intelligenz machte es unmöglich, über kleine Fehler zu spotten. Wer es dennoch tat, hat sich blamiert - das war dann auch komisch.
einestages: Je besser die Politiker, desto schlechter die Zeiten für Kabarettisten?
Hildebrandt: Nein, aber man muss genauer nachdenken.
einestages: Und heute, ist es nicht langweilig, die große Koalition aufs Korn nehmen zu müssen?
Hildebrandt: Aber nein! Wir haben doch eine Bundeskanzlerin, der man jeden Hut aufsetzen kann! Eine Kanzlerin, die so tut, als wäre sie es, aber sie ist es nicht! Sie ist emporgekommen!
einestages: Worüber darf man auf keinen Fall Späße machen?
Hildebrandt: Ich möchte nicht nur Späße machen. Ich möchte etwas zur Diskussion stellen. Ich möchte etwas an den Pranger stellen, 100-prozentigen Zorn ablassen dürfen. Aber es gibt dennoch eine Grenze, etwa bei Krankheit und Tod. Schauen Sie sich Müntefering an. In dem Moment, wo dieser Mensch aus der Politik ausscheidet, um seine todkranke Frau zu pflegen, hört mein Spaß auf.
einestages: Der Tod ist Ihre Barriere?
Hildebrandt: Es gibt Späße bis ins Grab hinein. Das gehört dazu zur Satire - der direkte Angriff auf diesen lächerlichen Tod, der uns manchmal antritt, obwohl er doch gar nicht die Berechtigung dazu hat. Ansonsten gilt: Wer Tabus durchbrechen will, muss sich selbst überprüfen, ob er welche hat. Ich kann nicht verbieten, etwas zu sagen...
einestages: ...was der damalige Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks, Helmut Oeller, jedoch getan hat, als er Ihre Scheibenwischer-Sendung nach Tschernobyl kassierte.
Hildebrandt: Er hat sich damit bis auf die Knochen blamierte. Wissen Sie, ich wurde nicht nur dieses eine Mal zensiert - noch öfter bin ich an Verboten vorbeigeschrammt. Das ist auch komisch!
einestages: Der "Scheibenwischer" hat es auf stolze 145 Sendungen gebracht, bevor Sie 2003 abtraten. Was bedingte den Erfolg des Formats?
Hildebrandt: Das habe ich nie begriffen. Ich gab der Sendung exakt ein Jahr, als ich anfing. Vielleicht war es eben die Marktlücke, im Fernsehen Kabarett - und damit Politik zu vermitteln.
einestages: An welchen größten Misserfolg erinnern Sie sich noch heute mit Grausen?
Hildebrandt: Es gibt einen Abend, der mir unvergessen bleiben wird, 1960 oder 1961. Schneyder und ich standen in Düsseldorf vor einem Publikum von circa 120 sehr ernsten Herren, die allesamt dunkle Anzüge anhatten, keine einzige Frau war dabei. Und kein einziger Lacher den ganzen Abend! Ich dachte zwischendurch: Die sind ausgestopft, und das Ganze ist eine Prüfung. Wir haben die äußersten Mittel der Frechheit angewandt - ohne Erfolg. Am Ende stellte sich heraus: Wir standen vor dem Düsseldorfer Industrieclub. Unter ihnen: Hermann Josef Abs, der Chef der Deutschen Bank und wichtigste Mann der Welt. Komischerweise hatten wir just an dem Abend die Deutsche Bank aufs Korn genommen!
einestages: Wo würden Sie die Grenze zwischen Kabarett und Comedy ziehen?
Hildebrandt: Die Grenzen verschieben sich, sie sind fließend. Nehmen Sie Boning und Dittrich: Journalisten schreiben, dass sie Comedians sind. Für mich sind das jedoch absolut fähige Kabarettisten. Die haben damals in der RTL-Nacht mehr Kabarett gemacht, als sie überhaupt wussten. Wer begabt ist, kann beides.
einestages: Das Kabarett wird regelmäßig totgesagt. Welches ist sein größter Feind?
Hildebrandt: Die Frage ist doch: Inwieweit entfernt sich der Mensch von dem Gemeinschaftserlebnis, wie sehr lässt er sich binden von den medialen Möglichkeiten, die er in seinem Zimmer hat.
einestages: Vom Fernsehen?
Hildebrandt: Nein, vom Internet. Ich habe das Gefühl, dass via Internet eine große Tsunami-Welle von Geschwätzigkeit über uns hereingebrochen ist. Das Problem beginnt dann, wenn sich das Kabarett ins Netz verlagert. Dann bestehen die Komiker aus den Community-Teilnehmern, die sonst nirgends landen mit ihren Texten. Da entsteht dann Zerstreuung, kein Entertainment. Die große Gefahr ist, dass sich so der Todfeind des Kabaretts verbreitet: die Langeweile. Also müssen wir uns auf das Fernsehen besinnen als das derzeit vorherrschende Kabarett-Medium. Und auf den Zauber des Gemeinschaftserlebnisses.