Fotostrecke

Digitalfotografie: Die verkannte Erfindung

Foto: Eastman Kodak

Erste Digitalkamera Der Mann, der die Zukunft erfand

1974 baute der junge Kodak-Ingenieur Steve Sasson die erste digitale Kamera der Welt. Der Konzern unterschätzte die Idee lange - und verpasste die Zukunft. Doch Sasson bereut nichts.

Da stand es. Zwischen Thomas Edisons Glühbirne, dem ersten Apple-I-Computer und einem klobigen Mobiltelefon von 1999: "Mein Baby."

Steve Sasson wusste zwar, dass sein Lebenswerk im National Museum of American History in Washington aufbewahrt ist. Doch als er sich neulich direkt vor der Vitrine wiederfand, überwältigten ihn die Gefühle: "Es war sehr bewegend", erinnert er sich. "Ich sah einen alten Freund wieder."

Der alte Freund: Das ist die erste digitale Kamera der Welt. Sasson erfand und baute sie 1975, als junger Ingenieur bei Eastman Kodak - ohne jede Vorstellung, welche Konsequenzen seine Idee einmal haben würde.

Auch sein Arbeitgeber ließ die Innovation lange unterschätzt und ungenutzt in der Geheimschublade. Es war einer der fatalsten Fehler der Wirtschaftsgeschichte, der dazu beitrug, dass der weltgrößte US-Fotokonzern von der technologischen Revolution überrollt wurde.

2012 meldete Kodak Insolvenz an und ist seither nur noch ein Schatten seiner selbst - obwohl jede moderne Digitalkamera auf Sassons Ur-Patent zurückgeht.

Sasson dagegen hat das alles bestens überstanden. Fröhlich und unbeschwert hielt der heute 65-Jährige Kodak bis 2009 die Treue. Inzwischen ist er Privatier, reist um die Welt, fotografiert und erzählt seine Geschichte - die Geschichte eines Amerikaners, der die Zukunft erfand, nur um sie dann von anderen verspielt zu sehen.

Fotostrecke

Kodak: Rost an den Lampen, Risse im Asphalt

Foto: Catherine Leutenegger

"Ich bereue nichts", sagt Sasson bei einem Treffen mit SPIEGEL ONLINE. "Nur schade, dass es für die Firma nicht besser ausging."

Es ist schwer, sich in die prä-digitalen Zeiten zurückzudenken. Zeiten ohne Personal Computer, elektronische Kameras, Smartphones, Instagram. Dabei ist es gar nicht mal so lange her, dass jede Fotografie das Produkt einer Kette elaborierter, analoger Arbeitsschritte war.

Seit seiner Gründung 1888 beherrschte Kodak diesen Markt, da es von jedem Schritt profitierte: Kamera, Film, Dunkelkammergeräte, Chemikalien, Fotopapier.

Hinter verschlossener Tür aber experimentierte das Unternehmen immer mit neuen Technologien. 1973 erhielt der gebürtige Brooklyner Sasson, damals gerade 24 Jahre alt, von seinen Chefs den Auftrag, einen praktischen Einsatz für CCD-Sensoren zu finden - lichtempfindliche Bauelemente, die 2D-Bilder einfangen.

Eine Kassette und ein TV-Schirm

Sasson begann in seinem Kodak-Labor in Rochester im Norden des US-Staats New York zu basteln. Heraus kam eine seltsame Apparatur: Das Objektiv stammte von einer Super-8-Filmkamera, eine Audiokassette diente als Datenspeicher, ein TV-Schirm als Bildprojektionsfläche.

Zugleich machte sich Sasson eine frühere, ebenso bahnbrechende Erfindung zunutze. Russell Kirsch von der US-Techbehörde NBS hatte schon 1957 den Digitalscanner entwickelt. Das allererste damit gescannte Bild war ein Babyfoto seines neugeborenen Sohns Walden, 176 mal 176 Pixel.

"Weder ich noch mein Vater ahnten, welche Folgen das haben würde", sagt Walden Kirsch, der mittlerweile für den Computerkonzern Intel arbeitet; Russell Kirsch selbst, 86, leidet an Alzheimer. Die Bedeutung ihrer Erfindung war ihnen erst bewusst geworden, als "Life" das Foto 2003 abdruckte - als eines der "100 Fotos, die die Welt veränderten".

Denn die Entdeckung Kirschs ermöglichte die heutigen Satellitenbilder, medizinische Scanner - und eben Steve Sassons Anstoß der Digitalfotografie.

Zum Schweigen verdonnert

Als Sasson den Kodak-Kollegen seinerzeit die neue Kamera präsentierte, blieben die allerdings kühl. Sie wagten es nicht, ihr lukratives Filmgeschäft durch eine unerprobte Idee zu sabotieren. Sasson wurde zum Schweigen verdonnert: "Ich durfte kein Wort darüber verlieren."

Hinter den Kulissen aber verschrieb sich Sasson seitdem nichts anderem mehr. 1978 ließ Kodak die neue Kamera unter seinem Namen patentieren. Das Patent Nr. US4131919A  wurde zur Grundlage für alle Digitalkameras von heute. Allein mit der Lizensierung der Technologie verdiente Kodak Abermilliarden Dollar.

"Dass Kodak die digitale Revolution verschlafen hat, ist ein Irrtum", verteidigt Sasson seinen einstigen Geldgeber. "Wenn Sie heute eine Digitalkamera besitzen, dann hat Kodak dafür kassiert." Nur als der Konzern schließlich selbst in den Markt einsteigen wollte, war es zu spät - der Übergang von Film zu digital misslang und endete in der traurigen Insolvenz Kodaks.

Anders als manche Fotografen, die weiter auf Film schwören, zog Sasson selbst die digitale Arbeit immer vor. "Mein Traum", sagt er, "war es, eine Kamera ganz ohne mechanische Bestandteile herzustellen."

Eine solche trug Sasson neulich bei einem Besuch in Manhattan denn auch mit sich - ein winziges Modell, kein Vergleich zu seinem "Baby" von 1974. Und wenn er damals gewusst hätte, was er heute weiß? "Ich hätte nichts anders gemacht."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten