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Der Traum vom Fliegen: Hoch hinaus

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Do-It-Yourself-Flugpionier Höhenflug im Gartensessel

Schon als Kind träumte Larry Walters vom Fliegen, 1982 machte der Trucker ernst. Er band 42 Ballons an einen Stuhl und schwebte davon. einestages über die verrückte Reise auf einem Sitzmöbel, die im Luftraum eines Airports endete - und Walters zum Helden machte.

Es war ein ruhiger Sommertag in Los Angeles am 2. Juli 1982. Leichter Wind wehte. Durch den dünnen Wolkenschleier, der über der Stadt hing, blitzte hier und dort der blaue Himmel auf. Plötzlich tauchte mitten am Firmament ein kleiner, schwarzer Punkt auf, zunächst fast unsichtbar. Ganz allmählich, beinahe unmerklich wurde er größer. Irgendein Gegenstand raste auf die Erde zu, etwas Kleines, Dunkles. Erst im allerletzten Augenblick, in der Sekunde vor dem Aufprall und dem Zersplittern wurde sichtbar, was da aus dem leeren Himmel Kaliforniens herabstürzte: eine Pistole.

Der Besitzer der verlorenen Waffe vermisste sein Eigentum bereits schmerzlich. Der Mann, ein Lastwagenfahrer namens Larry Walters, saß just zu dem Zeitpunkt, an dem seine Pistole auf kalifornischem Boden zerschellte, mit einer großen Flasche Limonade auf seinem Gartenstuhl. 5000 Meter über dem Aufschlagpunkt. Genauer gesagt: auf einem Gartenstuhl, an den 42 Heliumballons gebunden waren.

Seit seiner Kindheit hatte Walters vom Fliegen geträumt: Als 13-Jähriger hatte er 1962 in einem Marineladen zum ersten Mal große, gasgefüllte Wetterballons gesehen, die an der Decke des Geschäfts hingen. An diesem Tag wurde ein Wunschtraum geboren, der ihn nicht mehr losließ: Eines Tages mit einem Ballon in den Himmel aufzusteigen. Zwei Jahrzehnte sollten vergehen, bis Walters' Traum in Erfüllung ging. Und sich zugleich in einen Alptraum verwandelte.

Ein Sessel namens "Inspiration"

Zur Verwirklichung seines Traums hatte Walters in jenem Sommer 1982 genaue Vorkehrungen getroffen: In einem nahe gelegenen Armeeladen hatte er die Ballons gekauft. Dazu 55 Zylinder Helium, einen Höhenmesser, einen Erste-Hilfe-Kasten, ein Taschenmesser, acht große Wasserkanister, eine Menge Trockenfleisch und Cola, eine Taschenlampe und einen Versandhaus-Gartenstuhl. Die Wasserkanister sollten als abgießbarer Ballast dienen, Trockenfleisch und Cola sollten ihn stärken, da er davon ausging, über mehrere Tage hinweg ins Landesinnere zu fliegen. Und seine Luftpistole würde ihm dabei helfen, die Höhe zu regulieren, indem er Luftballons zerschoss. Soweit jedenfalls der Plan.

Denn so ziemlich alles an Larry Walters' großem Tag sollte ganz anders kommen als vorhergesehen. Schon beim Start nahm das Unglück seinen Lauf: Zunächst baute Walters seinen zum Luftschiff umgebauten und auf den stolzen Namen "Inspiration" getauften Gartenstuhl noch planmäßig in der Auffahrt hinter dem Haus seiner Freundin auf und sicherte ihn mit Seilen an einem Auto. Mehrere Freunde von Walters bildeten die Bodencrew. Sie ließen den über und über mit Vorräten und Werkzeugen behängten Trucker ein paar Meter aufsteigen, damit er ein Gefühl für sein Fluggerät bekam. Unmittelbar vor dem Kappen der Seile sollten sie dann zunächst noch die nahe gelegenen Flughäfen kontaktieren und über das ungewöhnliche Flugexperiment in Kenntnis setzen, um Ärger zu vermeiden.

Doch offenbar hatte Walters den Auftrieb seiner 42 Heliumballons weit unterschätzt: Als er angeleint knapp über dem Dach schwebte, riss plötzlich das Seil. Walters wurde so ruckartig in die Höhe katapultiert, dass er dabei seine Brille verlor. Mit mehr als 300 Metern pro Minute schoss der Möchtegernpilot in die Höhe. Seine Freundin Carol schrie panisch ins Funkgerät, er solle sofort wieder landen. Doch für Walters gab es nun kein zurück mehr. Er hatte es geschafft - und war tatsächlich dabei, seinen Traum wahr zu machen!

Gefangen in der Einflugschneise

Nur kurze Zeit später erhielt der Flughafen von Los Angeles einen seltsamen Notruf: Der Pilot eines Linienflugzeugs im Landeanflug erklärte, er sei gerade in einer Höhe von 16.000 Fuß an einem Mann vorbeigeflogen. Im Gartenstuhl. Mit Pistole. Walters war in den Luftraum des siebtgrößten Flughafens der Welt geraten.

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Der Traum vom Fliegen: Hoch hinaus

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Er war weit über sein Ziel hinausgeschossen: Jahrelang hatte er die Winde über Los Angeles studiert, hatte mit Gewichten an Ballons experimentiert, um ihre Zugkraft berechnen zu können. Seinen Kalkulationen zufolge hätte er sich mit seinem Fluggerät bei 600 Metern einpendeln müssen und wäre vom Westwind über die Mojave-Wüste ins Landesinnere getrieben worden. Doch sein Gartenstuhl stieg und stieg immer weiter, und wechselnde Winde pusteten ihn wie einen Papierflieger über der Stadt hin und her.

Als Walters bei fast 5000 Metern Höhe noch immer weiter aufstieg, bekam der Pilot buchstäblich kalte Füße: Seine Kleidung war für die Kälte in diesen Höhen nicht ausgelegt. Seine Hände wurden taub, die Luft immer dünner und Linienflugzeuge im Anflug auf den Flughafen von Los Angeles sausten an ihm vorbei. Über sein Funkgerät sandte er Notrufe aus. Doch wer sollte einem Mann im Gartenstuhl fünf Kilometer über L.A. helfen können? Er feuerte einen Schuss mit seiner Luftpistole ab - und sieben seiner Ballons platzten. Aber in dem Moment, in dem er die Pistole aus der Hand legte, um seine Höhenmesser zu prüfen, ergriff eine Böe die "Inspiration" - und Walters musste hilflos mit ansehen, wie das einzige Werkzeug, mit dem er die Flughöhe verringern konnte, in die Tiefe stürzte.

"Gott - mach, dass ich nicht gebraten werde!"

Doch er hatte Glück im Unglück: Bei 16.500 Fuß endete sein Aufstieg - und er begann ganz allmählich, wieder zum Erdboden hinabzuschweben. Die Luft wurde wieder wärmer, die Flugzeuge ließ er über sich zurück. Die Häuser von Long Beach wurden immer größer. Und das immer schneller. Nachdem er gerade erst seinen unkontrollierten Aufstieg beendet hatte, sah Larry Walters sich dem entgegengesetzten Problem gegenüber: Er trudelte viel zu schnell der Erde entgegen. Hektisch ließ er Wasser aus seinen Ballast-Kanistern ab, um seinen Sturzflug abzufangen. Er schaffte es, den Sinkflug zu verlangsamen und trudelte nun langsam weiter nach unten, konnte den Punkt ausmachen, an dem er landen würde, den Garten eines kleinen Hauses in der 45. Straße von Long Beach mit einem Swimmingpool. Dann erst sah er die Stromleitungen über dem Pool.

"Ich dachte: Das war's! Bitte, Gott - mach, dass ich nicht gebraten werde!", erinnerte sich Walters zwei Tage nach dem Gartenstuhlflug im Interview mit NBC News. Doch er konnte nicht ausweichen. Die Seile seiner Ballons verfingen sich, und die "Inspiration" endete zwei Meter über dem Boden in Stromleitungen baumelnd - woraufhin prompt die Stromversorgung für diesen Teil von Los Angeles für 20 Minuten zusammenbrach. Was dem Bruchpiloten Walters das Leben rettete, war, dass er beim Befestigen der Ballons keine Stahlseile verwendet hatte, sondern reine Nylonseile, die den Strom nicht leiteten.

Sofort waren die Medien zur Stelle. Innerhalb weniger Tage wurde Larry Walters, der Gartenstuhlpilot, als "Lawn Chair Larry" landesweit bekannt. Er war Gast in Talkshows, machte Werbung für "Timex"-Armbanduhren und wurde zu Vorträgen über seinen Flug eingeladen. Doch all das schien ihm letztendlich wenig zu bedeuten. Der "New York Times" erklärte er noch am Tag seiner Landung: "So wahr mir Gott helfe, ich hab mir meinen Traum erfüllt. Aber um nichts in der Welt würde ich es noch mal tun."

Tod eines vergessenen Helden

Es war eine bewegte Zeit für Walters: Ohne es zu wissen, hatte er einen Höhenrekord im "clustered balloon flight", dem Fliegen mit Ballonbündeln, erzielt - doch der wurde nie offiziell anerkannt, da er mit einem ungenehmigten Fluggerät geflogen war. Die US-Bundesluftfahrtbehörde klagte auf eine Strafzahlung von 4000 Dollar, da er in den Luftraum des Flughafens geflogen war, ohne den Tower per Funk zu kontaktieren. Ein herber Schlag für den LKW-Fahrer, der 15.000 Dollar für die Vorbereitungen zu seinem Flug ausgegeben hatte - fast sein ganzes Vermögen.

Bald wurde es wieder Still um "Lawn Chair Larry" - er hatte seinen Job als Trucker an den Nagel gehängt, um Vorträge zu halten, doch während die Erinnerung an seine außergewöhnliche Tat im kollektiven Gedächtnis verblasste, wurden auch die Engagements seltener. Pläne für einen zweiten Flug wurden gemacht, jedoch nie umgesetzt. Der einstige Überflieger hielt sich nun mit Gelegenheitsjobs als Wachmann und als Ranger der US-Forstverwaltung über Wasser. Er war gerne in der freien Natur, liebte die Ruhe. Am 6. Oktober 1993 wanderte Walters an eine seiner Lieblingsstellen im Angeles National Forest und nahm sich mit einem Schuss ins Herz das Leben.

Doch sein Traum lebte weiter: Etliche andere ließen sich durch die Geschichte von "Lawn Chair Larry" zu ähnlichen Abenteuern hinreißen: Von einem fliegenden Priester, der Geld für Trucker sammeln wollte und am Ende mit seinem Leben bezahlte über einen Tankstellenbesitzer, der 380 Kilometer in einem fliegenden Klappstuhl reiste bis hin zu den Männern, die in der Wüste Kaliforniens ein ganzes Haus zum Fliegen brachten - die Geschichte des "clustered balloon flight" ist voller schräger Heldentaten. einestages zeigt die unglaublichsten von ihnen.

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