
Geburt des Punk-Designs: Schere, Wut und Anarchie
Geburt des Punk-Designs Schere, Wut und Anarchie
Pünktlich zum silbernen Thronjubiläum von Queen Elizabeth II. versetzte ein einfaches Plattencover im Mai 1977 das Königreich in Aufruhr. Es zeigte die junge Elisabeth, die erhobenen Hauptes dasaß, ein prachtvolles Collier um ihren Hals und die Krone auf dem tadellos frisierten Haar. Zweifellos hätte ihr Blick all die Würde ausgestrahlt, die einer Monarchin gebührt - hätte man ihr nicht Augen und Mund herausgerissen. Dort, wo ihre Lippen gewesen waren, war nun ein Loch. Und darin, wie in einem Erpresserbrief, aus einer Zeitung ausgeschnittene Buchstaben. Sie formten zwei Worte: Sex Pistols. Darüber, wo die Augenpartie herausgerissen worden war, stand der Titel der Single: "God save the Queen."
So erschütternd die Majestätsbeleidigung für viele Briten war - handwerklich hinterließ das Cover keinen besonderen Eindruck. Das grob gerasterte Gesicht der Queen, die unbeholfen herausgerissenen Papierfetzen, die ohne Rücksicht auf Schriftart zusammengeflickten Worte - all das sah aus, als hätte es ein aufmüpfiger Schüler in der großen Pause am Kopierer zusammengebastelt. Und doch sollte ausgerechnet diese Plattenhülle fast drei Jahrzehnte später vom Musikmagazin "Q" zum "besten Plattencover aller Zeiten" gekrönt werden.
Der Do-It-Yourself-Look, den Sex-Pistols-Covergestalter Jamie Reid und etliche andere Selfmade-Designer in den siebziger Jahren auf Postern, Flyern und Plattenhüllen von Punk-Bands ins Leben riefen, war aus der Not geboren: Geld für aufwendige Artworks gab es schlicht nicht. Lange vor den Tagen von Personal Computer und Photoshop mussten sie sich mit einfachsten Mitteln wie Zeitungsschnipseln, Klebstoff und Fotokopierern behelfen - und schufen einen Designstil, dessen Einfluss bis heute ungebrochen ist.
Kein Bock, keine Zukunft, tausend Ideen
Eine Welle der Anarchie erfasste Großbritannien 1977 - dem Jahr Null des Punks. Junge Menschen in zerrissenen Klamotten füllten die Straßen, und anständige Bürger rümpften ihre Nase über die Punks und ihre Musik. Mit ihren Anarchie-Zeichen, grell gefärbten Haaren und durch die Nase gestochenen Sicherheitsnadeln war das Erscheinungsbild der Punks auf größtmögliche Provokation ausgerichtet. Und genauso provokativ waren die Plattencover und Plakate der Bands: Die Buzzcocks etwa bewarben ihre Single "Orgasm Addict" (Orgasmussüchtiger) mit einer nackten Frau, die statt eines Kopfes ein Bügeleisen hatte - und deren Brüste von lächelnden Frauenlippen geschmückt waren. Und Adam and the Ants pflegten ihre Plakate mit expliziten Sadomaso-Illustrationen zu verzieren.
Jamie Reid, der für den visuellen Auftritt der Sex Pistols zuständig war, hatte Erfahrung in der Kunst der Provokation: Schon während seiner Studienzeit am Roydon Arts College war er zutiefst beeindruckt gewesen von der linksradikalen Kunstbewegung des Situationismus und hatte sich mit politischen Aktionen wie der Organisation von Sitzstreiks einen Namen gemacht. Nach seiner Studienzeit hatte Reid dann Anfang der siebziger Jahre den politischen Verlag Suburban Press betrieben, für den er eine ganz eigene, radikale Bildsprache entwickelte. Häufig verwendete er, wie die Situationisten, dabei Collagetechniken. Bei Suburban Press entstand auch der Erpresserbrief-Schriftsatz, der zum Markenzeichen der Sex Pistols werden sollte - und zu einem Stilelement der Punk-Ästhetik.
Und tatsächlich gelang die geplante Provokation: Radiosender boykottierten Punksongs wie "God Save the Queen", herkömmliche Plattenläden weigerten sich immer wieder, drastische Plattencover in ihre Auslage zu stellen. Argwöhnisch wurde unterstellt, die Punks wollten lediglich pöbeln und provozieren - und sonst gar nichts. Die Liedtexte vieler Bands schienen diesen Nihilismus-Vorwurf zu bestätigen: "Ich komme aus dem Nichts - und gehe schnurstracks dahin zurück!", hieß es etwa in dem Buzzcocks-Song "Boredom". Und Johnny Rottens Ausruf "No Future!" am Ende von "God Save The Queen" wurde zum Punk-Schlachtruf.
Dilettantismus als Kunstform
Aber die scheinbare Zukunftsverdrossenheit der Punks bezog sich lediglich auf die Zukunft der althergebrachten Gesellschaftsstrukturen. Tatsächlich war Punk keineswegs nur destruktiv, sondern setzte enorme kreative Energien frei - denn jeder konnte an der Bewegung teilhaben. Am schönsten brachte es das Punk-Magazin "Sideburns" in seiner Dezember-Ausgabe 1977 auf den Punkt: Unter der Überschrift "In einer Band spielen - erster und letzter Teil" waren drei krakelige Skizzen einfacher Gitarrenakkorde zu sehen. Darunter stand lapidar: "Das ist ein Akkord. Das ist ein anderer. Das ein dritter. Jetzt gründe eine Band."
Jeder, der auch nur halbwegs eine Gitarre halten konnte, so die Botschaft, konnte mitmachen. Jeder durfte ein Rockmusiker sein, egal, ob er singen konnte oder nicht. Hatte Anfang der siebziger Jahre noch der Progressive Rock die britische Musikszene mit hochkomplexen Kompositionen und orchestralen Arrangements dominiert, stürzte der Punk die Rockmusik wieder von ihrem hohen Ross und erhob den Dilettantismus zur Kunstform. Drei Akkorde, rumpelnde Schlagzeugbeats und schräger Gesang reichten den Punks völlig.
Konzertveranstalter und Plattenfirmen zeigten ihnen die kalte Schulter, aber das kümmerte sie wenig: In Kellern von Wohnhäusern wurden kurzerhand "Basement Shows" abgehalten, bei denen die Bands auftraten. Und die Platten produzierte man selbst billig in Kleinstauflage und verkaufte sie über spezialisierte Punk-Läden wie den Londoner Kult-Shop Rough Trade Records. Während die etablierten Musikmagazine die Punks zunächst ignorierten, schossen Dutzende selbstgemachter "Fanzines" aus dem Boden, in Copyshops vervielfältigte Schwarzweiß-Magazine, die per Post im ganzen Königreich verschickt wurden und über Neuigkeiten in der Szene informierten.
"Es war einfach, es war billig - mach es auch!"
"DIY" lautete das Zauberwort der Stunde - "Do It Yourself". Ohne das Geld einer großen Plattenfirma im Rücken, war Improvisationstalent gefragt: Die Bands kauften Kinderspielzeug-Stempelsets, um damit Cover zu dekorieren. Oder sie schnitten, wie das Duo ...And the Native Hipsters 1979 bei ihrer Single "There Goes the Concorde Again", einfach Stücke aus Fußballer-Postern, klebten sie auf die Hüllen und machten sie so zu Unikaten. Viele Punk-Musiker suchten gezielt Jobs in Copyshops - um nach Feierabend kostenlos Flugblätter und Cover drucken zu können.
Mit einfachsten Mitteln war plötzlich alles möglich: Als etwa Jamie Reid 1977 im letzten Moment erfuhr, dass er blitzschnell noch eine Hülle für die neue Sex-Pistols-Single "Pretty Vacant" entwerfen müsse, schnitt er einfach den Bandnamen und den Songtitel aus einem älteren Promo-Poster heraus und machte sich auf den Weg zum Plattenlabel Virgin Records. In der Nähe des Verlagshauses sah er im Schaufenster eines Kunsthändlers einen alten Bilderrahmen. Reid nahm ihn mit, zerschlug das Glas, legte die Ausschnitte darunter und gab beides bei Virgins Werbeabteilung als Druckvorlage ab.
Manche Bands machten ihre Hüllen sogar zur Anleitung, wie die Hörer ihre eigene Platte aufnehmen könnten: So führten Scritti Politti 1978 auf der Hülle ihrer Debüt-LP "Skank Bloc Bologna" genauestens auf, wo sie zu welchen Schnäppchenpreisen die Aufnahme und das Mastering (90 Pfund), den Vinylschnitt der Platten (40 Pfund) und selbst die Gummistempel für die LP-Label (8 Pfund) ergattert hatten. Und die Desperate Bicycles feuerten 1977 auf der Hülle ihrer Single "The Medium Was Tedium" ihre Hörer an: "Es war einfach, es war billig, mach es auch!"
Der Punk ist tot, lang lebe der Punk!
Etliche machten es ihnen tatsächlich nach, nahmen ihre eigenen Do-It-Yourself-Punk-Platten auf - und wurden vom Erfolg völlig überrumpelt. Als die Buzzcocks 1977 ihre erste EP "Spiral Scratch" herausbrachten, rechneten sie mit keiner besonderen Resonanz. Sie hatten das Album mit eigenen Ersparnissen und von ihren Eltern geliehenem Geld billig produziert und mit einem simplen Polaroidfoto verziert. Doch BBC-DJ John Peel begann, die Platte zu spielen, und binnen kürzester Zeit waren alle 1000 Exemplare ausverkauft. Eilig ließen sie 15.000 Stück nachfertigen und waren plötzlich in den britischen Charts - sechs Wochen lang.

Russ Bestley, Alex Ogg:
Design und Punk
Hannibal Verlag Gmbh; 224 Seiten; 39,99 Euro.
Buch bei Amazon Russ Bestley, Alex Ogg: "Design und Punk" Buch bei Thalia Russ Bestley, Alex Ogg: "Design und Punk"Ausgerechnet dieser Erfolg war es, der zum Ende der Punk-Welle beitrug: Aus der subversiven Untergrundbewegung wurde zunehmend ein Mainstream-Phänomen. Und mit dem Aufkommen bezahlbarer Synthesizer begannen sich immer mehr Bands Anfang der achtziger Jahre dem poppigeren New-Wave-Sound zuzuwenden. Kleine Indie-Labels sahen sich plötzlich gezwungen, mit der Industrie zusammenzuarbeiten, da sie selbst die Produktion ihrer wachsenden Auflagen nicht mehr bewältigen konnten. Punk, so schien es, war am Ende im Establishment angekommen.
Doch die rohe, aggressive und improvisierte Optik des typischen Punk-Designs erfreut sich bis heute ungeahnter Beliebtheit - wie Sex-Pistols-Designer Jamie Reid auf kuriose Weise feststellen musste: "Vor ein paar Monaten", so Reid im kürzlich erschienen Bildband "Design und Punk", "war ich oben in Edinburgh, weil die National Gallery eine Tournee mit den Porträts der Queen veranstaltete." Reids Skandal-Cover war eines der Ausstellungsstücke.