
Spionage: Von "Mata Hari" bis Gina Haspel
Chefagentinnen Frauen mit Geheimnissen
Christopher Nehring ist Geheimdiensthistoriker und Leiter der Forschung im Deutschen Spionagemuseum Berlin (Potsdamer Platz, tägl. 10-20 Uhr).
Ausgerechnet US-Präsident Donald Trump sorgte für ein feministisches Novum in der Geheimdienstgeschichte: Mit der Ernennung von Gina Haspel würde zum ersten Mal eine Frau die Leitung der CIA übernehmen. Der Ankündigung folgte ein Aufschrei der Opposition - jedoch nicht, weil Haspel eine Frau ist, sondern weil sie jahrelang ein CIA-Foltergefängnis in Thailand geleitet und anschließend Beweismaterialien zerstört hatte.
Haspel wäre die zweite Frau an der Spitze eines Geheimdienstes überhaupt, nach Stella Rimington , in den Neunzigerjahren Generaldirektorin des britischen Inlandgeheimdienstes MI5. Auch bei den deutschen Diensten sind Frauen auf dem Vormarsch: Beim Auslandsnachrichtendienst BND schaffte es 2014 Silvia Reischer als erste Frau auf einen Abteilungsleiterposten. Isabelle Kalbitzer kam vom Verfassungsschutz Berlin und wurde stellvertretende Pressesprecherin des BND; insgesamt sind nach Angaben des Dienstes etwas mehr als ein Drittel der 6500 Mitarbeiter Frauen. Auch das gerade frisch gegründete Referat Gegenspionage des BND wird von einer Frau geleitet - deren Name jedoch ist wie der ihrer 50 Mitarbeiter streng geheim. Immerhin gibt es bei den Landesämtern für Verfassungsschutz mit Beate Bube (Baden-Württemberg) und Maren Brandenburger (Niedersachsen) bereits zwei Präsidentinnen.
Wie Militär und Polizei galten Geheimdienste seit jeher als klassische Männerdomäne. Frauen kam oftmals nur die Rolle als geheimdienstliche Femme fatale zu: Wenn Männer Männer ausspionieren, dann gerne mit weiblicher Unterstützung. Als Venus- oder Honigfalle bezeichnet man das auch heute noch praktizierte Aushorchen oder den erpressten Geheimnisverrat durch Verführung. "Mata Hari", die holländische Tänzerin Margaretha Geertruida Zelle, steht als Symbol dafür. Nicht ganz so bekannt: die Millionärsgattin Anna Chapman, 2010 als russische Agentin in den USA enttarnt.
Keine Verführerinnen, sondern "Romeo"-Agenten waren eine Spezialität der Hauptverwaltung Aufklärung, dem Auslandsnachrichtendienst der DDR unter Markus Wolf. Ganze Doktorarbeiten wurden der Kunst gewidmet, alleinstehende Bonner Sekretärinnen an einen Verführer zu binden - und für den SED-Staat Informationen besorgen zu lassen. Auch vor gestellten Hochzeiten, bei denen selbst der falsche Priester von der Stasi kam, schreckte man nicht zurück.

Spionage: Von "Mata Hari" bis Gina Haspel
Mitunter hinterließ dies psychische Dauerschäden. Als die BND-Sekretärin Heidrun Hofer in den Siebzigerjahren erfahren musste, dass ihr Kavalier in Wahrheit ein getarnter Ostagent war, sprang sie vor Verzweiflung aus dem Fenster.
Noch gravierendere Folgen hatte eine Romeo-Aktion der Organisation Gehlen, Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes, in Ostberlin: V-Mann Karl Laurenz verführte Elli Helene Barczatis, die Sekretärin des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, und lieferte mit ihr als Duo "Gänseblümchen" Informationen an die Zentrale nach Pullach. Als die Stasi beide 1955 enttarnte, bezahlten sie ihre Liaison mit einem hohen Preis: Beide wurden zum Tode verurteilt und mit der Guillotine hingerichtet.
Die Kriegsmaschinerien des Ersten und Zweiten Weltkrieges brachten Frauen auch in Geheimdienste, meist als Schreibkräfte, Sekretärinnen, Helferinnen. Ausnahme: Vera Atkins. Sie leitete eigene Operationen und schickte sogar Agentinnen für Sabotage- und Mordaufträge hinter die deutschen Linien.
Wie man auf dem Dienstweg Karriere machen konnte, zeigte Annelore Krüger. Die gelernte Dolmetscherin kam 1943 als Schreibkraft in die Abteilung Fremde Heere Ost, die Auswertungsstelle des Heeres-Oberkommandos der Wehrmacht. Schnell stieg sie zur Vorzimmerdame von Reinhard Gehlen, dem späteren BND-Präsidenten, auf.
Geheimnisse in den Händen einer Frau
Nach dem Zweiten Weltkrieg holte er sie über die US Army in seinen Nachrichtendienst. Annelore Krüger, Deckname "Kunze", genoss das volle Vertrauen von "Dr. Schneider", wie sich Gehlen nannte. 1957 machte er sie zur ersten Referatsleiterin des BND, zuständig für "Sonderoperationen" wie den Spionagemythos "Rote Kapelle" oder die Überprüfung von BND-Mitarbeitern auf NS-Belastungen. Ganz nebenbei leitete sie auch noch Gehlens "Sonderkartei" mit Informationen zu herausragenden Persönlichkeiten der jungen Bundesrepublik.
Gehlens persönlichen Referenten Walter Lobedanz hinderte dies jedoch nicht daran, sein Bestürzen darüber zum Ausdruck zu bringen, dass sich "Fräulein Kunze" ein eigenes Auto kaufen wollte.
Annelore Krügers Aufstieg sagte mindestens ebenso viel über ihre eigenen Fähigkeiten aus wie über ihre Karrierechancen: Über niedrige Positionen musste sie in ihrem Beruf einen langen Anlauf nehmen und verdankte ihre Stellung letztlich einem männlichen Protegé. Trotzdem erfuhren die Organisation Gehlen und der BND einen großen Zustrom weiblicher Mitarbeiter: Wie Stichprobenforschungen einer Unabhängigen Historikerkommission zeigen, waren zu Spitzenzeiten im Jahr 1968 35 Prozent aller BND-Mitarbeiter Frauen. Erstaunlicherweise also ziemlich genauso viele wie heute.
Mit welcher Gedankenwelt sich Frauen wie Annelore Krüger im BND konfrontiert sahen, verdeutlichte Oscar Reile. Der ehemalige Abwehr-Offizier und leitende Mitarbeiter in der Gegenspionage der Organisation Gehlen und dem BND verfasste in den Siebzigerjahren ein ganzes Buch über "Frauen im Geheimdienst". Die Vorurteile der männlichen Kollegen verpackte er in rhetorische Fragen:
"Hunderte von Frauen sind Angestellte der Pullacher Zentrale [... ] soweit ich weiß, ist keine dieser Frauen in der Praxis des Geheimdienstes eingesetzt worden [... ] Sind Frauen hierfür weniger geeignet? Gibt es keine Frau mit den für den Geheimdienst erforderlichen Eigenschaften, wie Intelligenz, Selbstbeherrschung, Schlagfertigkeit, Charakterfestigkeit, Ausdauer und Verschwiegenheit?"
Eine andere prominente Geheimdienstlerin - und Doppelagentin - hätte da sicherlich widersprochen. Gabriele Gast, Deckname "Dr. Gabriele Leinfelder", promoviert mit der Dissertation "Die Frau in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands - ein Beitrag zur Untersuchung der politischen Rolle der Frau in der DDR", war seit 1973 beim BND. Im Referat "Sowjetunion" stieg sie bis zur Regierungsdirektorin auf. Gleichzeitig spionierte sie den BND für die Stasi und den KGB aus. Verschwiegenheit, Ausdauer und Selbstbeherrschung konnten eben auch Frauen.
Allerdings: In der DDR war die Quote berufstätiger Frauen zwar weitaus höher als in der Bundesrepublik, bei der Stasi in Ostberlin arbeiteten aber deutlich weniger Frauen als beim BND. Von den rund 91.000 hauptamtlichen Mitarbeitern waren 1989 weniger als zehn Prozent Frauen.
Und auch hier gingen Leitungsfunktionen bestenfalls an die Ehefrauen hoher Funktionäre oder Offiziere. So zum Beispiel an Sigrid Schalck-Golodkowski, die Ehefrau von Chef-Devisenbeschaffer und Offizier im besonderen Einsatz Alexander Schalck-Golodkowski, die es bis zum Oberst schaffte.
Eine frühere Version des Textes berücksichtigte nicht die Frauen in Führungspositionen beim Verfassungsschutz. Der Beitrag wurde ergänzt.