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Reifenpionier John Boyd Dunlop: Der Mann, der das Rad neu erfand

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Hulton Archive/ Getty Images

Reifenpionier John Boyd Dunlop Der Mann, der das Rad neu erfand

1888 erhielt John Boyd Dunlop das Patent für den luftgefederten Reifen. Die Idee wurde ein Millionengeschäft. Dabei wollte der Familienvater eigentlich nur seinem Kind einen Gefallen tun.

Die Geschichte des modernen Reifens beginnt auf einem Dreirad, irgendwann im Jahr 1887, an einem finsteren Tag - zumindest für den kleinen Johnny. Schon wieder waren dem Neunjährigen seine älteren Schulkameraden bei einem Radrennen davongeradelt. Auf seinem schwerfälligen Dreirad kam er einfach nicht voran. Zu dünn waren die Hartgummibänder, die um seine drei Räder gespannt waren; jedes Mal, wenn Johnny in die Pedale trat, schepperten seine Metallfelgen auf den Pflasterstraßen Belfasts.

Nach der wiederholten Schmach machte Johnny das, was vermutlich jeder Neunjährige getan hätte: Er schlurfte geknickt zu seinem Vater und klagte ihm sein Leid. Ob er sein holpriges Dreirad nicht ein bisschen tunen könnte, wollte Johnny wissen. Hier eine Schraube lockern, dort etwas wegnehmen, vielleicht wäre das Rad dann schneller - und der kleine Johnny könnte es den Großen endlich zeigen.

Johnnys Vater war Tierarzt in Belfast. Noch nie in seinem Leben hatte er auch nur auf einem Fahrrad gesessen - doch das sollte sich bald ändern. Denn von diesem Tag an tüftelte und testete Johnnys Vater an einer Räder-Revolution, die seinen Namen später weltberühmt machen sollte: den luftgefederten Gummireifen, Marke: Dunlop.

Am 7. Dezember 1888 erhielt John Boyd Dunlop das Patent auf den pneumatischen Reifen. Auf dem amtlichen Dokument mit der Nummer 10.607 steht, Dunlops Erfindung diene "einer größeren Vereinfachung der Beweglichkeit auf Rädern laufender Fahrzeuge - besonders der leichteren Klasse wie Fahrräder, Krankenstühle und Ambulanzen". Nur wenige Jahrzehnte später sollte seine Idee Millionen Autos bereifen. Doch bevor es so weit war, musste sich Dunlop erst einmal um das Dreirad seines Sohnes kümmern.

Glaubt man den Aufzeichnungen des Erfinders, so hatte er sich schon über "eine Zeitspanne von 20 Jahren oder mehr gelegentlich Gedanken über ein gefedertes Rad" gemacht. Dokumentierte Experimente aus dieser Zeit gibt es von Dunlop jedoch nicht.

Fest steht aber: In seiner Tierarztpraxis werkelte Dunlop regelmäßig mit Kautschuk, einige seiner Apparaturen hatte er sogar selbst aus Gummi gefertigt. Gummi und Reifen? Da müsste sich doch etwas machen lassen, dachte sich Dunlop - und begann flink damit, einen Schlauch auf eine dünne Gummiplatte zu kleben. Den Schlauch umhüllte er mit Segeltuchstreifen aus feinstem Leinen. Als Ventil soll Dunlop einen alten Schnuller benutzt haben, über den sich der Reifen aufpumpen ließ.

"Der Radbau ist für mich eher ein unangenehmer Job"

Das gleiche Konstrukt bastelte Dunlop dann noch einmal für das zweite Hinterrad. Der Frontreifen hingegen blieb mit hartem Gummi besohlt - auch weil der Erfinder wohl keine rechte Freude an seiner Erfindung hatte. In seinen Notizen dokumentierte er: "Ich empfand es nicht als notwendig, einen Luftreifen an das Vorderrad zu montieren, da der Radbau ohnehin eher ein unangenehmer Job für mich war, und ich das Experiment liebend gern im Privaten belassen hätte."

Doch nach Johnnys erster Testfahrt am 28. Februar 1888 - und seinen ersten Siegen gegen seine Schulkameraden - packte Dunlop doch noch der Ehrgeiz, und er entwickelte den Reifen weiter. Bald holte er Robert William Edlin in sein Entwicklerteam, einen Fahrradmonteur aus Belfast, der in dem Reifen nichts Geringeres als die Zukunft seines Geschäfts witterte.

Fast jeden Tag peste der Fahrradbauer durch die Straßen Belfasts. Einmal, so erinnerte sich Dunlop später in seinen Memoiren, soll Edlin auf einer seiner Testfahrten sogar von der Polizei angehalten worden sein - weil er das Tempolimit überschritt. Sechzig Meilen legten Edlin und Dunlops Sohn Johnny insgesamt mit dem Prototyp zurück. Dann reichte Dunlop seinen Einfall - auch auf den Rat Edlins hin - als Patent ein. Der luftgefederte Reifen war nun auch offiziell eine Erfindung, Patentnummer 10.607.

Doppelt patentiert

Allerdings hätte Nummer 10.607 eigentlich gar nicht genehmigt werden dürfen, denn: Schon gut vierzig Jahre vor Dunlop hatte der Schotte Robert William Thomson die Idee eines mit Luft gefüllten Reifen per Patent angemeldet. Weil für die Erfindung damals aber noch kein Markt bestand, geriet Thomsons Idee bald in Vergessenheit - offenbar auch bei den Behörden.

Selbst in den ersten Monaten fiel der Irrtum niemandem auf - schlichtweg, weil auch Dunlops pneumatischer Reifen in den ersten Monaten kaum jemanden auffiel, zumindest nicht positiv. Radsportler feixten über die "Luftnummer", die Fachzeitschrift "Irish Cyclist" fragte sogar spottend: "Pneumatisch - hat doch irgendwas mit Luft zu tun, oder?"

Dabei war die Zeit eigentlich reif für Dunlops Erfindung: Carl Benz hatte gerade das erste Auto entwickelt, der Personentransport stand vor einer Revolution - und Dunlop hatte das Rezept dafür, dass diese Revolution nicht allzu sehr ins Holpern geriet.

"Da steckt ein Dämon in dieser Maschine"

Alles was ihm fehlte, war jemand, der seine Idee populär machen würde, eine Werbefigur. Dass ausgerechnet William Hume Dunlops Maskottchen werden sollte, schien auf den ersten Blick keine gute Idee: Hume war Kapitän des Belfaster Cruisers' Cycle Club und ein mittelprächtiger Radrennfahrer. Große Erfolge holten immer die anderen, nie Hume.

Doch mit seinem begrenzten fahrerischen Talent war Hume auf einen entscheidenden Vorteil des Dunlop-Reifens angewiesen, den auch schon der kleine Johnny bei seinen Privatrennen gegen seine Schulkameraden zu schätzen lernte: Der Luftreifen lief deutlich schneller als die Konkurrenz aus Stahl und Hartgummi.

Gleich bei seinem ersten Rennen mit dem neuen Reifen in Belfast fuhr Hume am 18. Mai 1889 als Erster über die Ziellinie. Vor dem Wettkampf tuschelten die Leute noch über Humes seltsames Vehikel: "Wie soll das gehen?" In der letzten Runde hörte Dunlop im Publikum jemanden rufen: "Da steckt ein Dämon in dieser Maschine!"

Mit dem Erfolg kamen die Probleme

Jeder weitere Erfolg Humes war auch ein Erfolg Dunlops. Hume räumte in der Saison fast alles ab, was abzuräumen war: Bei einem Turnier in Liverpool gewann der Underdog neun erste Preise in elf Tagen. Sehr bald lockte der Erfolg Investoren an. Damit begannen erste Gespräche über ein Geschäftsmodell - und die Probleme für Dunlop.

Der irische Unternehmer Harvey DuCros schlug Dunlop - gemeinsam mit zwei weiteren Geschäftsmännern - vor, eine Firma zu gründen. Doch eigentlich wollte sich Dunlop gerade in den Ruhestand verabschieden, gesundheitlich ging es dem fast Fünfzigjährigen nicht sonderlich gut. "Ich brauchte eigentlich kein Geld", erinnerte sich Dunlop später an die Anfänge der Firmengründung. "Aber sie hatten wohl mit Herrn Edlin gesprochen und seine Meinung über den Wert meiner Erfindung eingeholt. Er muss wohl eine ziemlich große Summe genannt haben."

Wirklich reich wurde Dunlop mit seiner Idee nie

Am 18. November 1889 schließlich wurde die Dunlop Pneumatic Tyre Co. Ltd. in der Westland Row in Dublin gegründet. Für Dunlop, den unfreiwilligen Gründer und Namensgeber des späteren Riesenunternehmens, war es nur wichtig, dass der Betrieb auf der irischen Insel blieb. So konnte er die Produktion der Reifen selbst überblicken.

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Doch das Geschäft wuchs schneller, als Dunlop lieb war. Allein im ersten Jahr verdiente das Unternehmen 72.772 Pfund, ein Jahr später waren es schon 526.510 Pfund, kurz danach öffnete die erste Dunlop-Dependance auf europäischem Festland - im hessischen Hanau.

Wirklich viel von all dem Geld sollte Dunlop selbst allerdings nie sehen. Zu der ganzen Verantwortung, plötzlich ein großes Unternehmen führen zu müssen, kam auch noch ein Patentstreit mit den Erben Thomsons, des Luftreifen-Urerfinders dazu. Genervt und arbeitsmüde verkaufte Dunlop 1896 schließlich sein Patent an seinen Geschäftspartner DuCros - für 3000 Pfund.

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