Empire State Building Schwindelfreier Neunzigjähriger
Sicher, es gibt höhere Wolkenkratzer, viele sogar. Aber das macht nichts. Das Empire State Building ist schließlich schon neunzig Jahre alt, in dem hohen Alter sind Rekorde nicht mehr so wichtig. Warum auch, wenn man selbst vom Tag der Eröffnung an, dem 1. Mai 1931, 40 Jahre lang das höchste Gebäude der Welt war. Und als Mythos mitten in Manhattan steht man über den Dingen. Stolze 381 Meter hoch – bis zum Dach. Inklusive Antenne sind es sogar 443 Meter.
Insgesamt 102 Stockwerke hat das Empire State Building. Die meisten Besucher nehmen einen der 67 Personenfahrstühle. Wer mag, geht zu Fuß. Die ganz Harten machen das im Wettkampfmodus. Jedes Jahr findet hier eines der bekanntesten Treppenrennen weltweit statt. Zuletzt musste es wegen der Coronapandemie abgesagt werden.
Die 1576 Stufen, die die Läufer bis zur 86. Etage himmelwärts sprinten, wurden, so wie das komplette Empire State Building, in der Rekordzeit von nur 410 Tagen erbaut. Über 3000 wagemutige und offensichtlich völlig schwindelfreie Bauarbeiter erschufen pro Woche etwa 4,5 Stockwerke. Der Stundenlohn betrug damals knapp zwei Dollar.
Von außen sieht man Kalkstein und Granit. Doch das ist nur Fassade. Die Konstruktion des Empire State Buildings besteht aus dem damals für Wolkenkratzer typischen Stahlrahmen, die einzelnen Träger wurden mit Nietbolzen fixiert. Nur die Geschossdecken bestehen aus Beton. Für den Bau wurden rund 60.000 Tonnen Stahl verwendet.
Die architektonische Berühmtheit an der Fifth Avenue ist vor allem ein riesiges Bürogebäude. In den 1930er-Jahren standen die Büroflächen lange leer. Der spektakuläre Wolkenkratzer galt als finanzieller Flop und wurde als »Empty State Building« verspottet.
Inzwischen ist es eine renommierte Adresse mit eigener Postleitzahl: NY 10118. Zahlreiche Unternehmen sind hier Mieter. Die Pandemie leerte 2020 erneut das Gebäude. Die Mehrzahl der normalerweise fast 15.000 hier arbeitenden Angestellten wechselte ins Homeoffice.
Fast alle, bis auf King Kong. Mit dem Meilenstein der Filmgeschichte begann 1933 die vielseitige Hollywoodkarriere des Empire State Buildings. Mal wurde es von Aliens zerstört, wie 1996 in »Independence Day«, mal kitschig-romantischer Treffpunkt für Tom Hanks und Meg Ryan in »Schlaflos in Seattle«.
Und King Kong klammert sich immer noch an die ikonische Art-déco-Immobilie. Mittlerweile betätigt er sich, ganz zeitgemäß, als der perfekte Selfie-Hintergrund in der renovierten Ausstellung für Touristen. Man trifft ihn auf dem Weg nach ganz oben zu den Aussichtsplattformen – für viele eine der Hauptattraktionen New Yorks. Die Queen war natürlich auch schon da. Der spektakuläre Ausblick auf den Big Apple ist die klassisch-glamouröse Kulisse für Erinnerungsbilder.
Zur Geschichte des Empire State Buildings gehört auch ein Flugzeugunglück.
Gaumont British Newsreel, 28.7.1945:
»Tragödie in New York – als ein ›Mitchell‹-Bomber mit 200 Meilen pro Stunde in das riesige Empire State Building stürzte.«
Am 28. Juli 1945 um 9.49 Uhr krachte eine B-25 »Mitchell«, ein zweimotoriger Bomber, mit mehr als 300 km/h in das damals höchste Gebäude der Welt. Der Pilot hatte sich im Nebel verirrt. Seine Maschine traf das Gebäude zwischen dem 78. und 79. Stockwerk, 280 Meter über der Straße. 14 Menschen starben. Das Unglück geschah an einem Samstagmorgen, daher war kaum jemand in dem Gebäude. Die Kollision war heftig, aber die Konstruktion hielt.
Die symbolische Bedeutung des Empire State Buildings ist regelmäßig auch bei Dunkelheit sichtbar – durch die Beleuchtung. Um dem medizinischen Personal in der ersten Phase der Coronapandemie zu danken, leuchtete die Spitze des New Yorker Wahrzeichens rot. Und als die Basketball-Legende Kobe Bryant tödlich verunglückte, erstrahlte der Wolkenkratzer ihm zu Ehren in den Farben der LA Lakers.
Zu den schönsten Legenden rund um das Empire State Building gehören angebliche Pläne von 1929, Luftschiffe an der Spitze des Gebäudes anlegen zu lassen, so wie an einem Ankermast.
British Paramount Newsreel, 01.01.1931:
»Der Befestigungspfosten des Wolkenkratzers. Anlegeplatz für die großen Verkehrsflugzeuge von morgen.«
Doch dazu kam es nie. Der Wind dort oben war viel zu stark. Die schnöde Wahrheit hinter der Legende: Es ging bei dem Bau der Spitze nie um anlegende Luftschiffe, sondern ganz profan um das Übertrumpfen der Konkurrenz. Unbedingt höher sein als das Chrysler Building in fast direkter Nachbarschaft. Damals, als es den Machern des Empire State Buildings noch um Rekorde ging.