
Kunst im "Dritten Reich": Hitlers Pinselführer
Kunst im "Dritten Reich" Hitlers Pinselführer
Besonders gemocht haben sie sich wohl nie, der etwas poltrige Franz Radziwill aus der Wesermarsch und der knapp drei Jahre ältere, elegant zurückhaltende Bremer Adolf Ziegler. Schon damals nicht, als sie noch in den Kreisen der Kreativen von Bremen und Fischerhude verkehrten und beide Künstlerkollegen noch am Anfang ihrer Karriere standen. Radziwill war eher der Bodenständige, Ziegler ein arroganter Schönling.
Beide waren Kunstmaler, und beide waren zu dieser Zeit dem Expressionismus zugetan. In Abendkursen an der Kunstgewerbeschule hatte Radziwill das figürliche Zeichnen gelernt. Doch nachdem er als Soldat aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt und mit der Berliner Künstlergruppe um Otto Dix in Berührung gekommen war, radikalisierte sich sein Stil. Ziegler orientierte sich eher an Franz Marc und Emil Nolde, er malte zu dieser Zeit düstere, pessimistisch wirkende Portraits.
Doch bald schon interessierte sich der Bremer Ziegler stärker für die klassische Malerei. Blumenstillleben und biedere Porträts im Stil der Alten Meister ließen sich eben besser verkaufen. Mit gefälligen Auftragsarbeiten verdiente Ziegler sein Geld, wobei die Bekanntschaft mit dem Industriellen Albert Pietzsch hilfreich war, dessen Adoptivtochter er Mitte der zwanziger Jahre heiratete. Pietzsch war ein Förderer der gerade gegründeten NSDAP; 1929 trat auch Ziegler ein. Und auch Radziwill, künstlerisch mittlerweile ebenfalls den Altmeistern zugewandt, versprach sich davon ab 1933 einen Karrierevorteil. Die Zeiten hatten sich geändert, selbst für Kunstmaler: Radziwill bemühte sich um einen Lehrstuhl und noch im gleichen Jahr durfte er die Nachfolge des von den Nationalsozialisten geschassten Paul Klee an der Düsseldorfer Kunstakademie antreten.
Wenig später war Radziwill im Deutschen Reich eine feste Größe: Sein Bild "Die Straße" hing 1934 während der Biennale in Venedig im deutschen Pavillon und war "lange vom Führer betrachtet" worden, wie Radziwill Ende 1937 an Ziegler schrieb. Der Anlass für den Brief war allerdings kein erfreulicher, denn Radziwills Bilder waren dem Regime offenbar plötzlich nicht mehr recht: Das Gemälde war beschlagnahmt worden, zudem 58 weitere seiner Arbeiten. Mehrmals war sein Atelier von der SS durchsucht, eigene Ausstellungen waren untersagt worden. Dass er sich in dieser Situation ausgerechnet an den wenig geliebten Kollegen aus alten Bremer Tagen wandte, hatte einen Grund: Adolf Ziegler, mittlerweile Präsident der Reichskammer der bildenden Künste, hatte all das veranlasst. Der Auftragsmaler war rechte Hand und williges Werkzeug von Hitler und dessen Propagandaminister Goebbels geworden.
Pinselführer mit steiler Karriere
Binnen kürzester Zeit war Ziegler vom Sachbearbeiter für bildende Kunst in der NSDAP-Reichsleitung zu einem der höchsten Kulturfunktionäre des "Dritten Reiches" aufgestiegen - und das, obwohl er künstlerisch fast nichts vorweisen konnte. Kein einziges Mal war eines seiner Bilder in einer Ausstellung gezeigt worden. Und als der "Vertragslehrer" für Maltechnik an der Münchner Kunstakademie 1934, nur ein Jahr nach seinem Engagement, bereits auf höhere Weisung zum Professor berufen werden sollte, musste das Kollegium mit Bedauern eine Stellungnahme ablehnen, "da ihm die Arbeiten Zieglers nicht bekannt seien".
Für Zieglers Karriere war die künstlerische Bedeutungslosigkeit kein Hindernis, seine Kontakte und das Parteibuch waren hingegen höchst förderlich. Noch 1934 wurde der Bremer Mitglied des Präsidialrats und Vizepräsident der Reichskammer der Bildenden Künste. 1936 hievte ihn Goebbels auf den Chefposten, und Hitler persönlich beauftragte ihn damit, aus allen im Reichs-, Landes- und Kommunalbesitz befindlichen Museen, Galerien und Sammlungen sämtliche Werke der im NS-Jargon "Verfallskunst" genannten Stilrichtungen zu beschlagnahmen. Jener Kunst, die nicht ins Weltbild der Nazis und zu deren Schönheitsidealen passte.
Das Kunstunverständnis der Nazis wurde spätestens am 19. Juli 1937 in München offenbar, als Ziegler eine Ausstellung eröffnete, in der rund 700 dieser verunglimpften und beschlagnahmten Werke gezeigt wurden: eine aufwändig inszenierte Propagandaschau zur Verhöhnung vor allem des Expressionismus unter dem diffamierenden Titel "Entartete Kunst".
Verhöhnt, verschachert, vernichtet
Überfallartig beschlagnahmten Zieglers Kommissionen in den folgenden Monaten bis zu 20.000 Werke. Offensichtlich nicht allein aus ideologischen Gründen: Was international "verwertbar" schien, wurde gegen Devisen verschachert oder im Ausland gegen "gute deutsche Kunst" eingetauscht. Der "Rest" wurde eingelagert und schließlich im März 1939 auf dem Hof der Berliner Hauptfeuerwache verbrannt. Auch Radziwills beschlagnahmte Werke hatten sich als unverkäuflich erwiesen.
Als Wanderausstellung war die "Entartete Kunst" noch bis Anfang der vierziger Jahre teils mit wechselnden Exponaten in verschiedenen Großstädten des Reiches zu sehen. Die Bilder und Skulpturen waren mit kruden Kommentaren und Schmähsprüchen versehen. Außerdem standen die Preise dabei, zu denen sie einst erworben worden waren - um nicht nur die Künstler, sondern auch die Museumsbeamten wegen der angeblichen Verschwendung von Steuergeldern zu brandmarken.
Von der augenscheinlich scheuen Zurückhaltung, die Ziegler laut Zeugen noch bei den Beschlagnahmungen an den Tag gelegt hatte, war bei seiner Brandrede zur Eröffnung der Ausstellung nichts zu spüren: Er habe die "traurige Pflicht zu erfüllen", suchte er das kulturelle Verbrechen als nationale Notwendigkeit zu glorifizieren, "dem deutschen Volk ( ...) vor Augen zu führen, dass bis vor nicht allzu langer Zeit Kräfte maßgeblichen Einfluss auf das Kunstschaffen nahmen, die in der Kunst nicht eine natürliche und klare Lebensäußerung sahen, sondern bewusst auf das Gesunde verzichteten und alles Kranke und Entartete pflegten und als höchste Offenbarung priesen."
"Meister des deutschen Schamhaars"
Die Worte des erfolglosen Pinselführers waren eine Drohung: "Die Geduld ist nunmehr für alle diejenigen zu Ende, die sich innerhalb der vier Jahre in die nationalsozialistische Aufbauarbeit auf dem Gebiet der bildenden Kunst nicht eingereiht haben; das deutsche Volk mag sie richten, wir brauchen dieses Urteil nicht zu scheuen." Sprachlich wie inhaltlich hatte sich der Reichskunstkammerpräsident damit bereits vollends auf die Linie seines Gönners Hitler gebracht, der einen "unerbittlichen Säuberungskrieg" gegen "die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung" ausgerufen hatte. Und das nur einen Tag zuvor: Da hatte der Diktator als Gegenentwurf zur "Entarteten Kunst" in München die "Großen Deutsche Kunstausstellung" eröffnet.
Der Kreis derer, über die Ziegler sein Urteil gefällt hatte, war äußerst heterogen. Die "Säuberung der deutschen Kunst" ging mit großer Willkür einher, nicht selten "geprägt von persönlichen Befindlichkeiten", wie die Kunsthistoriker Birgit Neumann-Dietzsch am Beispiel der Karrieren von Radziwill und Ziegler feststellte. Während Radziwill seine Düsseldorfer Professur bereits 1935 wieder verlor und beim Regime in Ungnade fiel, nachdem er von Studenten ob seines expressionistischen Frühwerks denunziert worden war, machte Ziegler als Hitler-Günstling eine beispiellose Karriere.
Kennengelernt hatten sich Ziegler und der NSDAP-Demagoge Hitler Mitte der zwanziger Jahre über den Industriellen Albert Pietzsch. Hitler war begeistert: "Ziegler ist der beste Fleischmaler der Welt", soll er beim Anblick von dessen Aktbildern gesagt haben. Die Formen der aufreizend auf farbigen Tüchern und Sitzmöbeln drapierten Mädchen schienen Hitlers Ideal von den wohlgeformten Brüsten der Botticelli-Venus immerhin nahe zu kommen. Zieglers bekanntester Akt "Die vier Elemente" hatte es schließlich in die "Große Deutsche Kunstausstellung" geschafft - wenig überraschend, war die Schau doch von Ziegler mitkuratiert worden.
Der Volksmund dagegen spottete über die pedantische Genauigkeit, mit der der schlagartig zum prominentesten deutschen Nacktmaler avancierte Kunstkammerpräsident biologische Details in Szene zu setzen wusste - und verpasste ihm den Spitznamen "Meister des deutschen Schamhaars".
"Bis zum Äussersten"
Doch auch Zieglers Ruhm hielt nicht lange. 1943 stellte er zum letzten Mal im Haus der Deutschen Kunst in München aus. Wegen "Beteiligung an Friedensbestrebungen", bei denen er und sein Bildhauerkollege Arnold Rechberg offenbar Kontakte zum britischen Premier Churchill nutzen wollten, verlor er seine Ämter und wurde für sechs Wochen im KZ Dachau inhaftiert. Doch selbst hier hatte Hitler womöglich seine schützende Hand über ihn gehalten, denn Ziegler kam glimpflich davon: 1944 wurde er - auf persönliche Weisung des "Führers" - ohne weitere Untersuchungen in den Ruhestand versetzt.
Der Umstand, dass seine Karriere so unerwartet endete, sollte ihm schließlich bei der Entnazifizierung von Nutzen sein: Wieder kam ihm sein Schwiegervater Albert Pietzsch zu Hilfe, der aussagte, Ziegler habe ihn dafür gewinnen wollen, "den Weltkrieg zu beenden".
Der Hannoveraner Entnazifierungs-Hauptausschuss stufte den hohen NS-Funktionsträger schließlich wegen seiner Beziehungen zu Rechberg und weil er "wiederholtes tolerantes Verhalten gegenüber rassisch verfolgten Künstlern" gezeigt habe, von der Kategorie "Hauptschuldiger" zum "Mitläufer" herunter. Ziegler selbst gab sich während der Ermittlungen naiv bis weltfremd - oder extrem berechnend. Im Protokoll zu seiner Befragung bezüglich der Aktion "Entartete Kunst" heißt es: "Betroffener erklärt, er habe sich gewehrt bis zum Äussersten."
Zum Weiterlesen:
Hans-Joachim Manske, Birgit Neumann-Dietzsch (Hg.): "Entartet" - beschlagnahmt. Bremer Künstler im Nationalsozialismus, Bremen 2009.
Gerhart, Nikolaus und Walter Grasskamp (Hg.): 200 Jahre Akademie der Bildenden Künste München. Kein bestimmter Lehrplan, kein gleichförmiger Mechanismus, München 2008.