
Erfindung des Elektrorasierers: Eine glatte Eins!
Erfindung des Elektrorasierers Eine glatte Eins!
"Manchmal scheint es, als schabe ein Kartoffelschäler über das Gesicht", so fasste die Rasiererzunft im Jahrbuch der Barbiere aus dem Jahr 1900 den Komfort einer Nassrasur zusammen. Dabei lagen da schon Jahrhunderte der Evolution hinter dem täglichen Ritual der Männer. Schon in grauer Vorzeit erkannten die, dass so eine Haartracht im Gesicht überhaupt keinen Sinn ergibt, da sie weder die Frauen beglückt noch vor Ungeziefer schützt, ja, nicht einmal nennenswert wärmt. Mit Muschelkanten und scharfen Steinen versuchten sich die Männer, wie Höhlenmalereien belegen, die Haare vom Kinn zu zupfen, schaben, schneiden: Eine schmerzhafte und langwierige Angelegenheit.
Doch selbst Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich daran offenbar nicht viel geändert. "Es würde unseren Geschäften vielleicht mancher Rasierkunde erhalten, wenn die Bedienung schmerzloser wäre", resümierte die Barbierzunft in ihrem Jahrbuch bitter.
Auch den Amerikaner Jacob Schick quälte der Haarwuchs im Gesicht. Geboren 1878 in Ottumwa, Iowa, musste er zwar nicht mehr zum Barbier, sondern konnte sich, dank der von Landsmann King Camp Gillette entwickelten Ex-und-Hopp-Klinge, eigenhändig die Stoppeln abhobeln. Trotzdem störte Schick die quälende Prozedur so sehr, dass er beschloss, diesem Leiden ein Ende zu setzen. Am Ende war allerdings auch die Erfindung des Elektrorasierers nicht gerade ein Spaziergang. Um diese epochale Leistung zu vollbringen, musste Schick sogar zweimal in Not geraten.
Eisenbahner, Berufsoffizier, Goldsucher
Nachdem er schon mit 16 Jahren Leiter einer Eisenbahnlinie gewesen war, erwischte es Schick erstmals Ende 1898 auf den Philippinen, wo er als Berufsoffizier im Spanisch-Amerikanischen Krieg stationiert war. Das tropische Klima bescherte ihm die Ruhr und fesselte ihn ein ganzes Jahr lang ans Bett. In dieser Zeit dachte Schick, so die Überlieferung, zum ersten Mal in seinem Leben daran, einen Trockenrasierer zu entwerfen - zu anstrengend war es für den geschwächten Soldaten, einmal täglich aufzustehen und sich einer Nassrasur zu unterziehen. Das zweite Mal ereilte es Schick in Alaska.
Die Militärärzte hatten dem Offizier aus gesundheitlichen Gründen den Umzug in ein kälteres Klima empfohlen. Hier verlegte Schick zunächst Telegraphenkabel ins eisige Landesinnere und erfand mit dem "General-Jacobs-Boot" ein speziell für seichte Gewässer geeignetes Fahrzeug, bevor er 1910 der Armee den Rücken kehrte, um sein Glück als Goldgräber zu versuchen. Bei einer seiner Expeditionen verstauchte sich der Abenteurer den Fuß. Und zwar so sehr, dass er nicht, wie sonst am Morgen, zum zugefrorenen See laufen und sich bei Temperaturen von minus 40 Grad ein Loch ins Eis hacken mochte, um das für die Nassrasur nötige Wasser zu ergattern.
Erneut war Schick ans Krankenlager gefesselt. Derart gelangweilt, begann er, so die Legende, Rasierklingen zu zerkleinern und auf einer Platte zu befestigen - bis er schließlich einen Rasierkopf entworfen hatte, der über eine flexible Welle von einem separaten Motor angetrieben wurde. Skizzen dieses E-Rasierers schickte er an verschiedene Firmen, die sich für Schicks visionäre Ideen allerdings nicht erwärmen könnten. Doch der passionierte Tüftler gab nicht auf.
Symbol für Fortschritt, Erfolg und Effizienz
Um das nötige Kapital für die Entwicklung eines Trockenrasierers aufzutreiben, entwickelte Schick zunächst einen neuen, besonders sicheren Nassrasierer, den "Magazine Repeating Razor" und investierte die Erträge dieses lukrativen Geschäfts in die Konstruktion eines Trockenrasierers. Doch als Schick 1929 damit erstmals in Serie gehen wollte, fand er keinen Käufer. Der Grund: Rasierkopf und Motor bildeten zwei voneinander getrennte Einheiten, was das Gerät, eine Art Mini-Rasenmäher, mehr als unhandlich machte.
Zusätzlich vereitelten der Börsencrash von 1929 und die darauffolgende Große Depression den Siegeszug des Trockenrasierers. Schick musste eine Hypothek von 10.000 Dollar auf sein Häuschen aufnehmen, um den drohenden Ruin abzuwenden. Erst als er die Technik verfeinert, Motor wie Kopf in einem Gehäuse vereint und das Ganze auf ein passables Format schrumpfte, reagierte die Männerwelt begeistert. Am 18. März 1931 waren die ersten Exemplare des "Schick" in den Läden von New York City erhältlich - und waren sofort ausverkauft. 25 Dollar - das entspricht heute rund 300 Euro - legten die von der täglichen Rasur geplagten Herren für den elektrischen Trockenrasierer hin. 1937 setzte Schick in den USA, Kanada und England bereits 1,2 Millionen Exemplare ab: Endlich hatte er das Gold gefunden, nach dem er einst in Alaska geschürft hatte.
Bis auch die Deutschen in den Genuss unblutiger Kinnhygiene kamen, musste erst der Zweite Weltkrieg enden. Zwar versuchte die Firma Scharff, Kober & Co., ab 1935 mit dem "Consul" die hiesigen Männerrituale zu revolutionieren, doch waren die Geräte, ebenso wie die importierten "Schick"-Modelle einfach zu teuer. Erst mit dem Wirtschaftswunder, als alles möglichst schnell gehen musste, etablierte sich der Trockenrasierer - als Symbol für Fortschritt, Erfolg und Effizienz. "125 Tage seines Lebens verbringt der Mann beim Rasieren ", rechnete eine Philips-Werbung vor und versprach: "Mit dem Philips Trockenrasierer lässt sich die Zeit um die Hälfte verkürzen."
"Unsere Mutti profitiert, Vati ist Dual rasiert!"
Griffen 1953 nur 1,5 Prozent der deutschen Männer zum surrenden Stoppelkiller, so waren es 1961 bereits mehr als 50 Prozent. "Die Zeit der Igel ist vorbei", verkündete eine AEG-Rasiererwerbung, "Unsere Mutti profitiert - Vati ist Dual rasiert!", jubilierte ein Slogan der Marke Dual. Nie wieder waren die Entwickler von Trockenrasierern derart erfinderisch wie in den fünfziger Jahren. Es gab ihn mit Akkus, mit Batterie, mit Federaufzug - und sogar mit Wasserkraft: Per Gummistöpsel wurde das Gerät an den Wasserhahn angeschlossen und der Rasierer dann mit einer kleinen Wasserturbine angetrieben.
Der Elektrorasierer geriet zum Statussymbol und beliebten Weihnachtsgeschenk der Damen für die Herren, ganz Eilige rasierten sich gar auf der Autofahrt ins Büro. "Nach jedem Kreuzungsaufenthalt kann man den Bartscherer abstellen. An der nächsten Kreuzung geht's dann weiter", bewarb das "Hamburger Abendblatt" 1964 den "Cordless" von Philips.
Schon bald jedoch holte die Schaum-Fraktion wieder auf. Da half es wenig, dass die Elektrorasierer-Lobby die Konkurrenz mit absurden Argumenten in Misskredit zu ziehen versuchte. So schrieb etwa ein Braun-Angestellter in einer Fachzeitschrift, die Nassrasur schwäche die Abwehrkräfte der Haut, was "schwere Nierengeschichten und sogar Herzschäden" hervorrufen könne. Zudem habe es Todesfälle durch Rasierpinsel gegeben, deren Borsten von milzbrandkranken Tieren stammten. Rückten 1981 noch 64 Prozent der Deutschen ihrem Bart elektrisch zu Leibe, so waren dies 2002 nur noch 49 Prozent - Tendenz sinkend.
Egal wie jeder Einzelne sich nun im Glaubenskrieg zwischen Trocken oder Nass entscheidet: Wichtig scheint nur zu sein, dass man sich rasiert. Denn wer allmorgendlich das Kinn malträtiert, lebt länger, wie britische Forscher der Universität Bristol 2003 herausgefunden haben wollten: Bärtige, so ergab die Langzeitstudie, seien kleiner und hätten weniger Sex, dafür jedoch ein höheres Risiko, an Herzerkrankungen und Schlaganfällen zu sterben.
Das wusste anscheinend schon der alte Schick: "Ein gut rasierter Mann", so sein Credo, "kann bis zu 120 Jahre alt werden. Er selbst indes wurde nicht einmal halb so alt - sondern starb mit 59 Jahren an einem Nierenversagen. Was die längst nicht mehr nur in Schulen, Wäldern und Pfarreien beheimatete Bartträger-Community einmal mehr an dem Ausspruch Woody Allens festhalten lässt: "Wer nicht durch das Schwert oder den Hunger umkommt, der wird durch die Pest sterben. Warum sich also rasieren?"
Zum Weiterlesen:
Frank Gnegel. "Bart ab. Zur Geschichte der Selbstrasur", DuMont 1995.