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Orgasmus gegen Hysterie: Das etwas andere Haushaltsgerät

Foto: Good Vibrations/www.goodvibes.com

Erfindung des Vibrators Bsssssssssssssssss

Er nannte ihn "Hammer": Ende des 19. Jahrhunderts ließ sich ein britischer Mediziner den ersten elektrischen Vibrator patentieren und beglückte damit vor allem seine männlichen Kollegen. einestages erzählt die Erfolgsgeschichte des surrenden Freudenspenders - und zeigt die sperrigen Modelle der Frühzeit.

Plötzlich bekam der erfinderische Doktor Angst vor dem ungeahnten Erfolg seiner Erfindung: Nein, er habe das Gerät niemals bei Frauen ausprobiert und werde dies auch in Zukunft nicht tun, schrieb Joseph Mortimer Granville 1883 in seinem Büchlein über "Nerven-Vibration". Das Gerät sei vielmehr dazu gedacht, die verspannten Muskeln männlicher Patienten zu lockern, fügte er hinzu.

Allein, seine Kollegen pfiffen auf die Bedenken des Briten. Scharenweise eilten die Mediziner herbei und rissen ihm die soeben kreierte Wunderwaffe aus der Hand: eine Art Bohrer mit einer kleinen Kugel an der Spitze. Auf Knopfdruck begann diese sanft zu ruckeln. Der Strom hierfür stammte aus einer koffergroßen Batterie, die per Kabel mit dem Gerät verbunden war.

Ausgerechnet im viktorianisch-prüden England entwickelte Mortimer Granville den weltweit ersten elektrischen Vibrator. Und beglückte damit allen voran - die männliche Mediziner-Zunft.

Medizinisch verordnete Fummelei

Denn "Granvilles Hammer", wie die Erfindung getauft wurde, machte eine seit Jahrhunderten praktizierte, ganz spezielle ärztliche Therapieform überflüssig: die manuelle Massage der Klitoris bei Patientinnen mit "Hysterie". Endlich - so auch der Tenor des kurzweiligen Kinofilms "In guten Händen" von US-Regisseurin Tanya Wexler - hatte diese für die behandelnden Ärzte alles andere als lustbringende, zeitraubende und mitunter gar einen schmerzhaften Tennisarm auslösende Aufgabe ein Ende.

Schon in der Antike plagten sich die Mediziner mit der delikaten Handarbeit herum. Galt die sogenannte Hysterie doch seit Hippokrates als Frauenleiden, das von der Gebärmutter ausging und einen Stau weiblicher Körpersäfte zur Folge hatte. Um diesen Stau zu lösen, oblag es den Ärzten, per Genitalmassage eine "hysterische Krise" herbeizuführen - was de facto einem weiblichen Orgasmus gleichkam.

Als solcher nahm ihn jedoch kaum einer wahr: Schließlich erfordere ein ordentlicher sexueller Akt, so die bis ins 20. Jahrhundert vorherrschende Meinung, die männliche Penetration nebst Höhepunkt. Daher hatten weder Ärzte noch Ehemänner mit dieser medizinisch verordneten Fummelei ein moralisches Problem.

Per Eisenbahnfahrt zum Orgasmus

Der Damenwelt selbst wiederum schien die Therapieform große Freude zu bereiten. Regelmäßig pilgerten die Frauen der gehobenen Schichten zum Doktor, der sie zumeist einmal pro Woche massierte - oder aber alternative Behandlungsformen zur Stimulation mit ins Spiel brachte: Empfahlen Mediziner seit dem Mittelalter, gerade im Fall von Witwen und Nonnen, ausgiebige Ausritte mit dem Pferd, setzten Ärzte des berühmten Pariser Nervenkrankenhauses La Salpêtrière ihre "hysterischen" Patientinnen in die monoton übers Gleisbett ruckelnde Eisenbahn.

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Doch auch die seit dem 18. Jahrhundert florierenden Kurbäder und Spas mit ihren Jakuzzi-Becken, Wasserfällen und anregenden Duschstühlen erfreuten sich bei den Damen der gehobenen Schichten größter Beliebtheit. Ein Beobachter der britischen Therme Malvern schrieb 1851, dass die Frauen nach der "Hydrotherapie" so befreit und glücklich wirkten, "als hätten sie Champagner getrunken".

Etwa zum gleichen Zeitpunkt avancierte die weibliche "Hysterie" zur Mode-Diagnose, unter der die ratlosen Mediziner alle möglichen Symptome, darunter Kopfschmerz, Schlaflosigkeit und Verstimmung, subsumierten. Allein in den USA, so suggerieren dies zeitgenössische Schätzungen, litten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu drei Viertel aller Frauen an der mysteriösen Krankheit: Ein dramatischer Hysterie-Höchststand war erreicht, Abhilfe musste dringend her.

Mit Volldampf gegen die Hysterie

Den Anfang machte der amerikanische Arzt George Taylor. 1869 sicherte er sich das Patent auf einen dampfbetriebenen "Manipulator". Das sperrige und kostspielige Gerät montierte er unter eine Liege, die mit einer Öffnung versehen war, auf die sich die Frauen zur Behandlung niederließen. 14 Jahre später erfand sein britischer Kollege Joseph Mortimer Granville sein entschieden günstigeres und handlicheres, da mit elektrischem Strom gespeistes Exemplar: Der moderne Vibrator war geboren, kurz nach dem ersten elektrischen Bügeleisen - und fast zwei Jahrzehnte vor dem Staubsauger des britischen Tüftlers Hubert Cecil Booth.

Zwar riet Mortimer Granville explizit von der Behandlung hysterischer Patientinnen ab - viel zu vage sei das Krankheitsbild und zu groß die Gefahr einer "Täuschung durch Hypochondrie". Die Ärzteschaft feierte ihn dennoch unbeeindruckt für seine Erfindung. "Granvilles Hammer", freute sich der amerikanische Mediziner Samuel Spencer Wallian, löse "in fünf bis zehn Minuten" ein Problem, für das der behandelnde Arzt früher "eine Stunde akribischer Handarbeit" benötige.

Im Jahr 1900 bewunderten die Besucher der Pariser Weltausstellung bereits über ein Dutzend Exemplare verschiedenster Ausprägung: vom einfachen Vibrator mit Handkurbel oder Fußpedal über ein Modell, das wie der Schlagschrauber in einer Autowerkstatt von der Decke baumelte, bis hin zur 200 Dollar-Luxusausführung der Marke Chattanooga.

Wunderwaffe gegen Haarausfall und Hüftspeck

Als medizinisches Massagegerät angepriesen, avancierten die Vibratoren zunächst zum Must-Have einer jeden Arztpraxis. Manche Mediziner kauften gleich einen ganzen Satz davon und eröffneten spezielle Behandlungszimmer, in denen mehreren Patientinnen auf einmal geholfen werden konnte. Doch auch für Männer kam der Vibrator in Mode. Mit verschiedenen Aufsätzen wurde er zum Allheilmittel, das an den unterschiedlichsten Stellen angewandt, nahezu jedes Leiden lindern sollte.

Ob Arthrose, Impotenz, Haarausfall, Verstopfung oder Speck auf den Hüften: Der Glaube an die Macht elektrisch erzeugter Schwingungen war schier unbegrenzt. "Alles Leben basiert auf Vibration" schwadronierte Mediziner Spencer Wallian im Jahr 1905 und legte mit seinen theoretischen Ausführungen den Grundstein für das Marketing des Heim-Vibrators.

Verbrämt als gesundheitsförderndes Therapiegerät, hielt das surrende, unkompliziert an die Steckdose anzuschließende Helferlein seit der Jahrhundertwende Einzug in die Privathaushalte. Adressaten waren vor allem Frauen, wie die Flut an Anzeigen in US-Zeitschriften wie "Needlecraft", "Home Needlework Journal", "Modern Women" oder "Modern Priscilla" bezeugt.

Hierüber stolperte auch die US-Historikerin Rachel Maines bei ihren Recherchen. Denn eigentlich wollte sie über die Geschichte von Nähmaschinen und Handarbeit forschen. Fasziniert legte sie ihr eigentliches Thema beiseite und vertiefte sich stattdessen in die Historie des Vibrators.

"Glänzende Augen, rosige Wangen"

Mit Slogans wie "All die Freuden der Jugend werden in Ihnen pochen", "Hilfe, die jede Frau schätzen wird" oder "Mild, beruhigend, belebend, erfrischend. Von einer Frau entwickelt, die weiß, was Frauen brauchen" warb die florierende Vibrator-Industrie für ihre Lustapparaturen. 1918 entwickelte die Firma Sears, Roebuck and Company gar einen Vibrator, der an ein Universalküchengerät angeschlossen werden konnte, der auch über Adapter für einen Mixer, Aufschäumer und Ventilator verfügte.

Das US-Unternehmen Star wiederum pries sein Modell 1922 als "entzückenden Begleiter" an, der sich mit seiner rund zwei Meter langen Schnur "perfekt für Wochenend-Trips" eigne. Etwa zur gleichen Zeit richteten sich die Hersteller, zum Beispiel im "Hearst's Magazine", auch an Männer und priesen ihre Vibratoren als ideales Weihnachtsgeschenk an, das den Frauen "glänzende Augen und rosige Wangen" zurückzugeben vermochte.

Ende der zwanziger Jahre jedoch, so stellte dies Historikerin Rachel Maines bei der Recherche für ihr Standardwerk über den Vibrator ("The Technology of Orgasm", 1999) fest, verschwanden die Vibratoren urplötzlich aus den Frauen-Zeitschriften. Was war passiert?

"Freuden einer Witwe"

Zweierlei muss die Werbekampagnen verscheucht haben, mutmaßt die Wissenschaftlerin: Zum einen verbesserte sich der Kenntnisstand um den weiblichen Höhepunkt, etwa durch die Studien Sigmund Freuds. Zum anderen begannen die Vibratoren zu jener Zeit, vermehrt in erotischen Filmen aufzutauchen - nunmehr unverblümt als weiblicher Glücksgenerator.

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Maines, Rachel P.

The Technology of Orgasm: "Hysteria," the Vibrator, and Women's Sexual Satisfaction: Hysteria, the Vibrator, and Women's Sexual Satisfaction (Revised) ... in the History of Technology, Band 24)

Verlag: Johns Hopkins University Press
Seitenzahl: 208
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29.05.2023 17.56 Uhr

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Zu den bekanntesten gehört der frühe Sexfilm "Die Geschichte einer Nonne" (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Werk von 1959 mit Audrey Hepburn). Aber auch "Freuden einer Witwe", ein Ende der zwanziger Jahre gedrehter Porno-Streifen, in dem eine Dame an der Tür keusch ihren männlichen Begleiter abweist, um gleich darauf in ihr Schlafzimmer zu eilen und mit einem archaischen Vibrator vorlieb zu nehmen.

Bemühte sich die Frauenbewegung der siebziger Jahre, den Vibrator wieder aus der Schmuddelecke herauszuholen, trug ausgerechnet die konservative Regierung unter Ronald Reagan entscheidend zu dessen Siegeszug in amerikanischen Haushalten bei: Im Rahmen einer Anti-AIDS-Kampagne verschickte Amerikas oberster Gesundheitsbeamter, Surgeon General Everett Koop, im Mai 1988 eine achtseitige Aufklärungsbroschüre an alle US-Haushalte. Und empfahl, neben dem Gebrauch von Kondomen, auch den Einsatz von Vibratoren.

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