
Che Guevara: Die Hände des Comandante
Tod des Revolutionärs Die makabre Reise von Che Guevaras Händen
Es sind saubere Schnitte auf Höhe der Handgelenke. Moisés Abraham Baptista braucht eine Weile, um die Hände vom Unterarm zu trennen, weil die Totenstarre bereits eingesetzt hat und die Finger zusammengekrampft sind. Es ist die Nacht des 10. Oktober 1967. Baptista, Chirurg am Hospital Señor de Malta im bolivianischen Vallegrande, wird von höchster Stelle zu der makabren Amputation gedrängt. Vor ihm liegt der Leichnam von Che Guevara - berühmtester Guerillero der Welt, Takt- und Ideengeber für Rebellen in Lateinamerika und die junge Studentenbewegung in Westeuropa.
Zwei Tage zuvor hatten bolivianische Soldaten ihn im 60 Kilometer entfernten La Higuera gefangengenommen. Sie überraschten Guevara und verletzten ihn im Gefecht. Einen Tag lang wurde er von CIA-Spezialisten und bolivianischen Offizieren verhört - dann ließ Boliviens Machthabers René Barrientos ihn am 9. Oktober exekutieren.
Es war das schnelle Ende einer Expedition, die Guevara kaum ein Jahr zuvor mit einem Dutzend Kämpfern gestartet hatte. "Andere Länder der Welt verlangen nach meinen bescheidenen Bemühungen", sagte er Fidel Castro, als er Kuba frustriert gen Südamerika verließ. Mit messianisch-revolutionärem Eifer wollte Guevara eine Rebellenbewegung aufbauen, wie die kubanische, die 1959 in Havanna den Despoten Batista vertrieben hatte.

Che Guevara: Die Hände des Comandante
Im April 1967 wussten KGB und CIA, dass Guevara in Bolivien war. Am 9. Oktober starb er im Alter von erst 39 Jahren. Sein dramatischer Tod machte ihn zum revolutionären Märtyrer, zur politischen Ikone einer ganzen Generation von Weltveränderern, einem Popstar. Guevaras Aufruf aus dem bolivianischen Dschungel, "zwei, drei, viele Vietnam" zu schaffen, wurde zum Kampfruf der Demonstranten gegen den Vietnamkrieg.
"Amputiert ihm die Hände"
Von den Linken für seine Unbeugsamkeit verehrt, bei Südamerikas Diktatoren verhasst und gefürchtet: Die Hinrichtung beendet die Mission des lange gesuchten argentinischen Marxisten - und eine bizarre Inszenierung beginnt. Ein Hubschrauber bringt den toten Guerillero in die Kleinstadt Vallegrande. Dort wird der Leichnam präpariert, ausgestellt, der Welt vorgeführt. Es folgt die Anordnung von Barrientos: "Amputiert ihm die Hände".
Offiziell soll der brutale Akt dazu dienen, die Fingerabdrücke der Leiche mit denen von Guevaras argentinischen Dokumenten abzugleichen. Zugleich soll die Verstümmelung aber den Mythos des Unsterblichen, Unverletzlichen zerstören. Ches Hände waren sein wichtigstes Instrument. Damit hat er seine Tagebücher und Manifeste geschrieben, seine Reden durch Gesten untermalt und auch die dicken Zigarren geraucht, mit denen ihn viele Fotos zeigen.
Ursprünglich wollen seine Häscher sogar Guevaras Kopf abtrennen, doch die Ärzte weigern sich. Dr. Baptista und ein Gehilfe fertigen noch eine Totenmaske an. Auf die Schnelle nehmen sie Gips, wie ihn Zahnärzte für Gebissproben verwenden. Bei Abnahme der Maske reißen Teile von Haut, Bart und Augenbrauen ab, so der französische Historiker Pierre Kalfon 1997 in seinem Buch "Che. Ernesto Guevara, eine Legende unseres Jahrhunderts".
Hände und Totenmaske werden nach La Paz gebracht, Sitz von Boliviens Regierung. Dort nehmen Tage später drei Sachverständige der argentinischen Kriminalpolizei den Fingerabdruck-Abgleich vor - kein Zweifel: Es ist Ernesto Rafael Guevara de la Serna, geboren am 14. Juni 1928 in Rosario. Überrascht von den weltweiten Reaktionen, verscharren die bolivianischen Behörden die Leichen Guevaras und seiner sechs Mitstreiter unter der Landepiste des Flughafens von Vallegrande, wo sie erst drei Jahrzehnte später exhumiert und in seine zweite Heimat Kuba übergeführt werden.
Die Hände müssen weg - nach Havanna
Aber was soll nun mit Händen und Totenmaske geschehen? Machthaber Barrientos lässt sie Innenminister Antonio Arguedas übergeben mit dem klaren Auftrag, die amputierten Gliedmaßen zu vernichten. Doch der Minister, ein Linker und heimlicher Guevara-Bewunderer, nimmt sie in dem mit Formalin gefüllten Glas mit nach Hause, lässt eine mit rotem Samt ausgeschlagene Holzurne anfertigen und darin Guevaras Geburts- und Todesdatum eingravieren. Dann versenkt Arguedas die Urne samt Inhalt in einem Versteck tief im Boden unter seinem Bett. Dort ruht sie rund 19 Monate.
Bolivien erschüttern in dieser Zeit politische Unruhen. Machthaber Barrientos stirbt Ende April 1969 bei einem mysteriösen Hubschrauberabsturz. Innenminister Arguedas überlebt zwei Attentate, flieht Anfang Juli in die mexikanische Botschaft in La Paz und entscheidet: Die Hände müssen weg. Nach Havanna, wohin sie seiner Meinung nach gehören.
SPIEGEL TV: Die Rückkehr von Che Guevaras Gebeinen nach Kuba (1997)
Arguedas ruft den Journalisten Víctor Zannier an. Seinem Freund aus Kindertagen vertraut er die Geschichte der Urne unter dem Bett an und schickt ihn zu sich nach Hause: "Sieh zu, wie du die Hände nach Havanna bekommst." Tatsächlich landet Zannier dort ein halbes Jahr später mit dem makabren Paket; in Empfang nimmt es Fidel Castro, Guevaras Kampfgefährte und unverbrüchlicher Freund.
Kurier Zannier hielt das heikle Gepäck beim 15-Stunden-Flug fest zwischen seine Beine geklemmt - er kam aus Moskau. Wie genau die Rebellen-Hände dorthin gelangten, ist bis heute ungeklärt. Die halbe Weltreise von Guevaras Händen zur Zwischenstation Moskau wirkt wie aus einem Agentenroman.
Der Weg: Mit den Che-Händen in seinem Besitz kontaktiert Zannier einen Freund, Mitglied der Kommunistischen Partei Boliviens (PCB). Der wendet sich an die ungarische Botschaft. Man berät und entscheidet: Zannier und PCB-Mitglied Juan Coronel sollen auf unterschiedlichen Routen mit einer Woche Abstand nach Moskau reisen - zur Weihnachtszeit, weil dann weniger kontrolliert werde. Man will die westlichen Geheimdienste verwirren, sollten sie die Spur aufgenommen haben.
Zweimal um die halbe Welt
Aber wer führte die Hände mit sich? Zannier fliegt am 20. Dezember nach Paris, fährt von dort mit dem Zug nach Prag, fliegt weiter nach Moskau. Coronel fliegt eine Woche später, am 27. Dezember: von La Paz über Lima, Bogotá und Caracas nach Madrid. Von dort weiter nach Paris, Prag und Budapest, wo ungarische Geheimdienstler bei der letzten Etappe nach Moskau helfen.
Juan Coronel, der einzige Überlebende, behauptet: "Ich hatte die Hände im Formol-Glas zwischen meiner Wäsche im Handgepäck versteckt." Dagegen sagte Víctor Zannier bis zu seinem Tod 2009, dass in Wahrheit weder er noch Coronel die schaurige Fracht nach Moskau transportierten. Sie seien vielmehr in ungarischem Diplomatengepäck über Chile, Uruguay, Argentinien und Frankreich nach Budapest gelangt und von dort weiter mit diplomatischem Schutz nach Moskau expediert worden.
Dort jedenfalls treffen Coronel und Zannier wieder zusammen, russische Geheimdienstler werfen noch einmal einen Blick auf die amputierten Gliedmaßen. Vertreter der kubanischen Botschaft eröffnen Juan Coronel zugleich, er sei als bolivianischer KP-Mann auf der Insel nicht willkommen. Denn Fidel Castro ist erzürnt über die Genossen in Bolivien; sie hätten Che in seinem revolutionären Kampf nicht genügend unterstützt. Also muss Zannier allein reisen.
Am 6. Januar 1970, andere Quellen sprechen vom 1. Januar, landet Zannier in Havanna. Castros Lebens- und Kampfgefährtin Celia Sánchez bringt ihn mit Ches Händen und Totenmaske direkt in ihre Wohnung im Stadtteil Vedado. Dort wartet schon Fidel. Zum ersten Mal sieht er die Hände seines Freundes, den er viele Jahre wie einen Bruder beschützte. Gerührt und überwältigt sei Castro gewesen, schreibt der mexikanische Journalist Homero Campa, der einige der Protagonisten dieser absurden Reise noch interviewen konnte.
Wo genau auf Kuba sich die Hände heute befinden: Staatsgeheimnis. Castro wollte sie ursprünglich ausstellen lassen, aber Freunde und Mitarbeiter rieten ab. Vermutlich sind sie längst wieder mit Guevaras Gebeinen vereint. Und die liegen im Mausoleum im kubanischen Santa Clara - argentinische Forensiker hatten sie 1997 unter der Landepiste in Vallegrande ausgegraben.