
General Lettow-Vorbeck: Kriegstreiber in Afrika
General Lettow-Vorbeck Die dunkle Seite des "Löwen von Afrika"
Die rotgesichtigen britischen Angehörigen des North-Lancashire-Regiments und ihre aus Kaschmir herbeigeschafften Schützen gaben in der tropischen Nacht ein Bild des Jammers ab. "In wilder Flucht floh der Feind in dicken Klumpen davon, und unsere Maschinengewehre, aus Front und Flanke konzentrisch auf ihn wirkend, mähten ganze Kompanien Mann für Mann nieder", notierte der siegreiche deutsche General Paul von Lettow-Vorbeck viele Jahre später in seinen Memoiren "Meine Erinnerungen aus Ost-Afrika": "Mehrere Askari kamen freudig strahlend heran, über dem Rücken mehrere erbeutete englische Gewehre und an jeder Faust einen gefangenen Inder."
Zu allem Überfluss fiel am Ende des Getümmels noch ein Schwarm Insekten über die Geschlagenen her. Was für ein Triumph über die britische Militärmacht. Eintausend kaiserliche Soldaten, verstärkt durch schwarze Hilfstruppen, schlugen im November 1914 mindestens 6000 bis 8000 Briten und Inder in die Flucht.
Deren Landungsversuch bei Tanga im Norden des heutigen Tansania war damit gescheitert. Noch eine Weile sollte die schwarz-weiß-rote Trikolore über der Hafenstadt am Indischen Ozean flattern. Auf mindestens 2000 gefallene Feinde schätzte Lettow-Vorbeck die Verluste des Gegners - "aber größer noch war die moralische Einbuße des Feindes".
So geschockt seien die Engländer von der Kriegskunst ihrer deutschen Widersacher gewesen, dass sie diese später fragten, "ob wir dressierte Bienen verwandt hätten", feixte der Held in der Rückschau - und begründete damit eine der vielen Mythen, die ihn ein Leben lang begleiteten.
"Löwe von Afrika" nannten ihn seine Anhänger später. Man verglich ihn mit dem legendären Lawrence von Arabien, der für die Engländer versprengte Arabertruppen gegen die mit dem Kaiser verbündete osmanische Armee führte. Sie bewunderten ihn als Guerillaführer einer Armee, die nie größer als 17.000 Mann gewesen sein soll, davon etwa 3000 Deutsche und 14.000 Askaris, schwarze Soldaten.
Mit diesem eher kümmerlichen Aufgebot habe er vier Jahre eine Übermacht von 300.000 Briten, Indern, Südafrikanern, Belgiern und Portugiesen an der Nase herumgeführt, brüstete sich Lettow-Vorbeck in seinen Memoiren. Am Ende des Ostafrika-Krieges, so der Mythos, musste man ihn zwingen aufzugeben; im Felde sei Lettow-Vorbeck, im Gegensatz zu seinen Kameraden an der europäischen Front, tatsächlich unbesiegt geblieben.
Kein Wunder, dass Hurra-Patrioten nach dem schmählichen Versailler Frieden von 1919 besonders den Mann mit dem rechts hochgeklappten Hut der Schutztruppen besangen, wie sich die militärischen Einheiten in den deutschen Kolonien in Afrika nannten: "Als Deutschland ward der Sieg geraubt,/ An den es bis zuletzt geglaubt,/ Vergaß er seiner Sieger Ruhm,/ Und seiner Helden Heldentum", dichtete 1927 der ehemalige Landsturmmann Friedrich Wilhelm Mader in seinen Afrika-Erinnerungen "Am Kilimandscharo": "Es sah nur Schmach, Leid und Verrat,/ Die Frucht der Drachensaat./ Ein Name nur durch Nacht und Not/ Strahlt ihm, wie Zukunftsmorgenrot:/ Lettow-Vorbeck."
Als Schlachtfeld waren die Kolonien der europäischen Mächte eigentlich gar nicht vorgesehen - doch keine der Kriegsparteien hielt sich an die Abmachungen der "Kongoakte", die auf der Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85 vereinbart worden war. Danach sollten die afrikanischen Besitzungen ungeachtet von Konflikten oder Kriegshandlungen der Kolonialmächte in Europa neutral bleiben.
Doch bereits am 8. August 1914 eröffneten britische Truppen das Feuer. Ihre Haubitzen bestrichen die deutsche Festung Daressalam von See aus. Und eine Woche später überfiel ein deutsches Kommando unter Führung Lettow-Vorbecks die britische Kenia-Grenzstation in Taveta.
Der große Krieg hatte nun auch in Afrika begonnen. Das war gar nicht im Sinne des deutschen Gouverneurs Heinrich Schnee; der wollte am liebsten sofort kapitulieren und drohte später damit, Lettow-Vorbeck wegen Hochverrats vor ein Kriegsgericht zu bringen. Berlin wollte keinen Konflikt in Afrika.

General Lettow-Vorbeck: Kriegstreiber in Afrika
Doch der eigensinnige General glühte für diesen Krieg, und so kam ihm der britische Angriff gerade recht. "Ich wusste, dass das Schicksal der Kolonien, wie das jedes deutschen Besitzes, auf den europäischen Schlachtfeldern entschieden werden würde", schrieb er später. "Die Frage war, ob wir die Möglichkeit hatten, die große heimische Entscheidung von unserem Nebenkriegsschauplatze aus zu beeinflussen."
Er rekrutierte jeden, der ein Gewehr halten konnte, scharte schließlich rund 3000 Weiße um sich und 14.000 Askaris. Dass man mit diesem Häuflein eine Armee von angeblich 300.000 Mann nicht in einer Feldschlacht besiegen konnte, war von Anfang an klar.
Lettow-Vorbeck versuchte das auch gar nicht: Sein Ziel war vor allem die Ugandabahn, mit der die Briten Kampala mit dem kenianischen Hafen Mombasa verbanden. Mit Bomben und nächtlichen Überfällen setzten die Deutschen den überlegenen Einheiten des mit den Briten verbündeten südafrikanischen Generals Jan Christiaan Smuts zu, zerschnitten Telegrafenmasten, sprengten Gleise, kaperten Munitionszüge - allein 30.000 alliierte Soldaten, Inder, Südafrikaner, Briten, mussten zum Schutz der Bahn eingesetzt werden.
Dass Lettows Kleinkrieg das Geschehen in Europa tatsächlich beeinflusst hat, darf bezweifelt werden - die alliierten Truppen in Ostafrika, mit denen es die Deutschen zu tun hatten, waren wohl nie für den Einsatz in Europa vorgesehen. Und auch die Truppenstärke des Feindes wurde später nach unten korrigiert: 148.000 bis 240.000 sollen es maximal gewesen sein, von denen nie mehr als 50.000 bis 87.000 im Einsatz waren. Die besonders von Lettow-Vorbeck viel beschworene Entlastung für Europa ging deshalb gar nicht auf.
Dass es keine nennenswerten Erhebungen der Askaris gegen die deutschen Offiziere gegeben habe, sei ein Beleg für die moralische Integrität des Generals und seiner Truppe, behaupteten Lettows Leute - und die meisten Deutschen, hungrig nach Kriegshelden, glaubten ihnen allzu gern.
Inzwischen hat das Bild vom Edelmann im ostafrikanischen Busch Risse bekommen. "Es gibt nichts an Lettow-Vorbeck, das heute noch verehrungswürdig wäre", schreibt der Historiker Uwe Schulte-Varendorff in seiner Lettow-Vorbeck-Biografie "Kolonialheld für Kaiser und Führer". Und manche, wie die "Süddeutsche Zeitung", nennen ihn "wohl einen der größten Kriegsverbrecher" in der deutschen Geschichte.
Zeit seines Lebens hat sich der Spross einer preußischen Offiziersfamilie auf Kriegsschauplätzen getummelt. Zwischen China, Hamburg und Südwestafrika hinterließ er eine blutige Spur.
Seine Feuertaufe erlebte Lettow-Vorbeck als Freiwilliger während des sogenannten Boxeraufstands. Im Jahre 1900 hatte Kaiser Wilhelm II. Truppen nach China in Marsch gesetzt - sie sollten vereint mit Großbritannien, Frankreich, Russland, Österreich-Ungarn, Japan und den Vereinigten Staaten den Widerstand rebellischer Chinesen, die Missionare und chinesische Christen ermordet hatten, niederschlagen.
Wilhelm II. hatte sich damals durch besondere Härte hervorgetan, in seiner später als "Hunnenrede" bekanntgewordenen Ansprache verlangte er: "Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen, Pardon wird nicht gegeben; Gefangene nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei in eurer Hand."
Wie vor 1500 Jahren "die Hunnen unter ihrem König Etzel" sollten die Feldgrauen im Reich der Mitte wüten und den Namen Deutschlands bekannt machen, "dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen nur scheel anzusehen".
Der abenteuerlustige Lettow-Vorbeck, bis dato Oberleutnant im Großen Generalstab, kam als Adjutant zur I. Ostasiatischen Infanteriebrigade, erhielt zunächst das Transportkommando über einen Trupp ostsibirischer Kosaken, ehe er auch an Kampfeinsätzen gegen die Boxer teilnehmen durfte.
Er nahm Chinesen gefangen, wurde Zeuge standrechtlicher Erschießungen. Im Kommando jenes Lothar von Trotha, der einige Jahre später den Hereroaufstand in Deutsch-Südwestafrika niederwerfen sollte, wurde er schließlich zum Hauptmann befördert.
Doch bevor er General von Trotha nach Afrika folgte, kehrte Lettow-Vorbeck noch einmal üppig dekoriert ins Kaiserreich zurück; behängt mit dem amerikanischen "Military Order of the Dragon" und dem preußischen "Roten-Adler-Orden 4. Klasse mit Schwertern"; der russische "St. Stanislaus-Orden" kam später dazu. Eine Weile hielt es Lettow-Vorbeck als Kompaniechef im Königin-Elisabeth-Garde-Grenadierregiment in Berlin-Charlottenburg aus, wo er sehnsüchtig auf seinen nächsten Einsatz im Felde wartete.
1904 durfte er seine Skrupellosigkeit erneut beweisen. In der südwestafrikanischen Dornbuschsavanne hatten gerade Hereros und Hottentotten, wie die Angehörigen des Nama-Stamms genannt wurden, gegen die kaiserlich-deutsche "Kolonialmacht" rebelliert. Unter der Führung des trunksüchtigen Häuptlingssohns Samuel Maharero überfielen sie deutsche Höfe, schlugen Siedlerfamilien tot.
Die deutsche "Schutztruppe" unter dem Kommando des Gouverneurs Theodor Leutwein war nicht in der Lage, den Aufruhr zu beenden - so wurde erneut Verstärkung aus Deutschland entsandt. Paul von Lettow-Vorbeck zögerte nicht lange und meldete sich freiwillig; so wurde er Adjutant im Stab seines alten Bekannten Lothar von Trotha.
Der schrieb nun ein weiteres unrühmliches Kapitel kaiserlicher Militärgeschichte. Inspiriert von Wilhelms Hau-drauf-Reden, gab er seinen Truppen den Befehl, die aufrührerischen Hereros erbarmungslos niederzuschlagen; sie richteten ein Blutbad an.
"Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen", ordnete von Trotha an: "Ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen." Historiker streiten bis heute, ob der brutale Befehl einer Aufforderung zum Völkermord gleichkam.
Unstrittig aber ist: Mehr als 60.000 Hereros und 10.000 Nama wurden niedergeschossen oder verdursteten qualvoll in der Omaheke-Halbwüste. Und Lettow-Vorbeck verteidigte noch 1957 das Verbrechen: "Ich glaube, dass ein Aufstand solchen Umfangs erst mal mit allen Mitteln ausgebrannt werden muss", schrieb der Unbelehrbare in seinen Erinnerungen "Mein Leben", "der Schwarze würde in Weichheit nur Schwäche sehen".
So deutete bis dahin nicht viel darauf hin, dass sich Lettow-Vorbeck später als vermeintlich edelmütiger Askari-Führer im Ersten Weltkrieg einen Namen machen sollte. Dabei waren es offenkundig gerade seine Erfahrungen im südwestafrikanischen Gemetzel, die ihm später in der Savannenlandschaft zwischen Tanganjikasee, Kilimandscharo und Indischem Ozean zugutekamen.
"Die sowohl von den aufständischen Herero als auch Nama angewandte Taktik des Klein- beziehungsweise Guerillakriegs, bestehend aus Hinterhalten und Überfällen auf zumeist kleinere Abteilungen und dem sofortigen Rückzug in sichere Gebiete gegen einen zahlenmäßig und waffentechnisch überlegenen Gegner", analysiert Uwe Schulte-Varendorff, "wurde von ihm im Kampf gegen die alliierten Truppen in Ostafrika kopiert und verfeinert."
Im Januar 1914 schließlich landete Lettow-Vorbeck, nach einem Zwischenstopp in Kamerun, als Kommandeur der Kolonialtruppe in Deutsch-Ostafrika - gerade rechtzeitig zum Kriegsbeginn. Auf der Reise dorthin hatte er sich mit derjungen Dänin Karin Dinesen angefreundet, die in Kenia den Baron Blixen zu ehelichen gedachte. Später betrieb die Baronin eine Kaffeeplantage am Rande der Ngong Berge, schrieb den Klassiker "Jenseits von Afrika" und wurde von Ernest Hemingway hoch geschätzt.
Sein Reiterbild mit Vers, das Lettow-Vorbeck der Dänin zur Hochzeit schenkte, soll sie während des gesamten Krieges sorgsam gehütet haben - falls Lettows deutsche Krieger Kenia eingenommen hätten und sie in Kriegsgefangenschaft geraten wäre.
Bis 1916 konnten Lettows häufig malariakranke Soldaten die Kolonie noch halten, dann kippte auch in Ostafrika das Kriegsglück. Unter seinem Kommando zogen nun 2000 Deutsche durch die Wildnis, fielen im damals portugiesischen Mosambik und im von Briten kontrollierten Rhodesien ein, lockten feindliche Truppen in Hinterhalte, zermürbten ihre Gegner. Erst am 25. November 1918 kapitulierte Lettow-Vorbeck als letzter deutscher General. Da war in Europa schon längst der Waffenstillstand ausgerufen; der weit entfernt vom Mutterland kämpfende Lettow-Vorbeck hatte eher zufällig aus den Papieren eines gefangengenommenen Briten davon erfahren. Nun erst war auch der Krieg in Afrika zu Ende, er hatte weit mehr als 120.000 Menschen, vor allem schwarzen Soldaten und Träger, das Leben gekostet.
Nach kurzer Zeit in südafrikanischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, bereiteten nationalistische Anhänger Lettow-Vorbeck in Berlin im März 1919 einen triumphalen Empfang. Mit Fanfaren und Trompeten zogen der General und die Reste seiner Schutztruppe durchs Brandenburger Tor.
Dass er sich später den rechten Freikorps anschloss, im Sommer 1919 in Hamburg protestierende Arbeiter terrorisierte und im März 1920 am rechtsextremen Kapp-Putsch gegen die Weimarer Regierung teilnahm, wurde ihm auch von bürgerlichen Verehrern lange verziehen. Die Bundeswehr benannte sogar Kasernen nach dem Safarikrieger.
Als der alte Ostafrikakämpfer 1964 in Hamburg im Alter von 93 Jahren einsam starb, hielt Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel die Trauerrede. Als Ehrengäste hatte die Bundeswehr zwei ehemalige Askari-Soldaten einfliegen lassen.