
Landleben in den Dreißigern: Eine Farce in Farbe
Farbfotos aus den USA Idylle kennt keine Krise
Oklahoma befand sich zu Beginn der dreißiger Jahre regelmäßig im Ausnahmezustand. Immer wieder wurde der südliche Bundesstaat der USA von Staubstürmen heimgesucht, unter denen die Farmer besonders litten. Sie konnten meist nur hilflos zusehen, wie große Teile ihrer Ernte vernichtet wurden, während ihre Holzhäuser metertief im Sand versanken. Dürreperioden und gerodete Präriegrasflächen begünstigten jene Naturkatastrophen in dem unwirtlichen Teil der "Staubschüssel" genannten Gebiete der USA - trockene Ebenen, die sich wie ein breites Band von Nord nach Süd über den Kontinent erstrecken.
Was die Stürme den Farmern Oklahomas übrig ließen, vernichtete die Weltwirtschaftskrise: Sie sorgte in der Landwirtschaft für ausbleibende Löhne, nicht bezahlte Pachten und fehlende Saatmittel. Das Krisenjahr 1930 wurde gleichsam zum Geburtsjahr der "Okies", wie die nach Westen ziehende Landbevölkerung Oklahomas verächtlich genannt wurde: Hunderttausende Farmer machten sich angesichts ihrer vom Staub zerstörten Existenzen mit klapprigen Pick-ups über die Route 66 auf den Weg nach Westen - Kalifornien erlebte seine zweite Siedlerwelle.
Viel Mitleid konnten die Heimatlosen im eigenen Land aber nicht erwarten. Demütigungen und eine kaum verborgene Abneigung schlugen den Okie-Trecks auf der Suche nach einer besseren Zukunft entgegen. Den Schriftsteller John Steinbeck veranlasste die Situation der Außenseiter zu seinem Roman "Früchte des Zorns", Woody Guthrie besang sie in Songs wie "Dust Bowl Refugees" ("Staubschüssel-Flüchtlinge"). Zu Gesicht bekam das Leid der Agrarnomaden indes kaum jemand.
Staatliche Bilderoffensive
Dabei entstanden in den ländlichen Regionen der kriselnden USA Tausende von Bildern: Als sich die große Depression in der Landwirtschaft Mitte der Dreißiger nicht nur auf die Situation der Bevölkerung, sondern auch auf die Wiederwahl von US-Präsident Franklin Delano Roosevelt auszuwirken drohte, suchte der Vater des "New Deals" Rat bei der Landwirtschaftsversorgungsbehörde, der "Farm Security Administration" (FSA). Deren Informationsabteilung fasste einen Plan. Namhafte Fotografen sollten ausschwärmen und das karge Landleben mitsamt seiner Protagonisten in Jeans und Karohemden festhalten - in Farbe. Auf diesem Weg, so hoffte der Leiter des Projekts, Wirtschaftsexperte Roy Stryker, werde es in der Bevölkerung eine Welle der Solidarität geben. Und Roosevelt als Regierungschef dastehen, dem das Wohl der Landbevölkerung am Herzen lag.
Tatsächlich konnte Stryker für das Projekt einige der renommiertesten Fotografen der Zeit gewinnen: Unter anderem wurden Jack Delano, Walker Evans, Dorothea Lange, Russell Lee, Ben Shan und Gordon Parks für die staatliche Bilder-Offensive von 1935 bis 1942 engagiert. Etwa 270.000 Aufnahmen entstanden während dieser Zeit in den ländlichen Regionen der USA, Puerto Rico und den Virgin Islands, darunter 1600 Farbbilder.

Landleben in den Dreißigern: Eine Farce in Farbe
Die Mission der Krisen-Knipser war eindeutig - und sie sollte bunt werden. Was beispielsweise Delano in jenem Oktober 1940 mit seiner Kamera im herbstlichen Maine suchen sollte, gab es zu hauf: Motive der Landbevölkerung, die auch dem letzten Großstädter der USA klarmachen sollten, wie hart die Farmer zu Zeiten der Rezession um ihr Überleben kämpfen müssen und wie entbehrungsreich ihr Alltag ist. Delano fand sie. Und so entstanden Bilder wie das zweier Bauernjungen in Aroostook County, die während der Kartoffelernte ordentlich zupacken müssen. Von selbststeuernden Landmaschinen noch Jahrzehnte entfernt, haben die Jungs die Knollen einsammeln müssen - an ihren Jeans und Arbeitshandschuhen kleben Reste des schweren Ackerbodens. Einer der beiden scheint auf Grund der anstrengenden Arbeit den Tränen nahe.
Vorgegebene Motive, vorgegebene Stimmung
Es sind meist einfühlsame, ausdrucksstarke Aufnahmen, die FSA-Fotografen während ihrer Reisen über das Land machten und die von populären Fotomagazinen wie "Life" oder "Look" regelmäßig abgedruckt wurden: Bilder, die von der Einsamkeit der amerikanischen Weiten zeugen, von Pioniergeist und Bescheidenheit ihrer Bewohner. Nur von einem nicht: dem Leid der Landbevölkerung während der Krise.
Denn Stryker hatte klare Vorstellungen, was seine Fotografen zwischen Farmen und Feldern mit ihren Objektiven einfangen sollten. Nachlesbar war das in den "Shooting Scripts": in Foto-Drehbüchern, die Stryker seinen Mitarbeitern mit auf den Weg gab. In ihnen standen eindeutige Regieanweisungen. Etwa, welche Gefühle die Bilder transportieren und welche Tätigkeiten zu sehen sein sollten. Zu Gesicht bekamen die Fotografen ihre Werke nicht sofort - die Filme wurden unmittelbar nach ihrer Belichtung zum FSA geschickt, ohne dass ihre Urheber eine Auswahl hätten treffen können.
Der Eindruck, den die amerikanische Öffentlichkeit vom Farmer-Dasein zwischen Kalifornien und North Carolina durch die sorgsam selektierten Schnappschüsse gewann, hatte schließlich mit dem Elend der "Staubschüssel-Okies" wenig zu tun. Ernsthafte aber hoffnungsvolle Landwirte blickten da von den Bildern - echte Patrioten, die ihrem Land - und auch ihrer Regierung - selbst in der schwersten Stunde die Treue hielten. Wie Faro und Doris Caudill, die 1940 zwar in einem Holzverschlag in New Mexico hausen müssen, sich und ihren Kindern aber immerhin noch einen gedeckten Mittagstisch leisten können. Oder die jungen Farmer-Paare, die Russel Lee in Oklahoma fotografierte: Beim Square-Dance vermitteln sie die Botschaft, dass sie sich noch lange nicht aufgegeben haben.
"Ich weiß, deine verdammte Fotografenseele krümmt sich"
An der Solidarität der Gesellschaft änderte die farbenfrohe Inszenierung nichts: Schon die ersten abgedruckten Bilder der FSA sorgten für private und öffentliche Hilfsaktionen für die Ackerleute. Und die Behörde interpretierte ihren PR-Auftrag immer dreister. Als sich die wirtschaftliche Situation der USA zum Ende der dreißiger Jahre weiter verschlechterte und die Regierung ihre Hilfsgelder einbehielt, änderte Stryker seine Regieanweisungen: Fortan sollten sich die FSA-Fotografen nur noch der Schönheit der Landschaft widmen - Idylle kennt keine Krise.
Nicht alle Fotografen in Regierungsdiensten ließen sich jedoch derart in ihrer Kreativität beschneiden. Walker Evans etwa störte sich früh an der künstlerischen Bevormundung. Er stieg bereits 1935 aus dem FSA-Team aus. Anderen, allzu sensiblen Künstlern, half Projektleiter Stryker gern auf die Sprünge. Jack Delano soll er angeranzt haben: "Ich weiß, deine verdammte Fotografenseele krümmt sich, aber zum Teufel damit."
Der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg am 8. Dezember 1941 sorgte für ein abruptes Ende der Wirtschaftskrise - und bedeutete gleichzeitig das Aus der FSA. Amerika rüstete auf, Millionen von Arbeitsplätzen in den Waffenschmieden mussten besetzt werden. Die FSA-Fotografen richteten ihre Objektive nun auf tatkräftige Bomber- und Panzermonteure. Die ursprüngliche Aufgabe der FSA, die Versorgung der amerikanischen Landbevölkerung, war mit dem kriegsbedingten Boom jedoch in den Hintergrund getreten. Der US-Kongress strich 1942 die Mittel für die Behörde. Deren Fotoabteilung durfte unterdessen noch ein Jahr weiter arbeiten - im Dienst des Kriegsinformationsministeriums.
Heute erinnern die zahlreichen Farbbilder an die propagandistische Arbeit der FSA. Sie sind mittlerweile Teil des Online-Katalogs der Library of Congress und seltene Dokumente einer Zeit, die nur schwarz oder weiß kannte.