
FDJ-Verbot: Im Westen zornig verfolgt
FDJ-Verbot in der Bundesrepublik Der Kampf gegen die Blauhemden
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Die Bundesrepublik war gerade zwei Jahre alt, da holte die Bundesregierung unter Kanzler Konrad Adenauer zum Schlag gegen links aus. Als die Freie Deutsche Jugend (FDJ) im April 1951 eine Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung vorbereitete, verbot die Adenauer-Regierung erst die Aktion, dann am 26. Juni die FDJ in der gesamten Bundesrepublik. Begründung: Sie habe »mit anderen kommunistisch gelenkten Organisationen das gemeinsame Endziel, die freiheitlich-demokratische Ordnung der Bundesrepublik zu beseitigen«.
Ab März 1946 hatte sich die FDJ in ganz Deutschland organisiert, vor allem in der Sowjetischen Besatzungszone. Sie verstand sich zunächst als überparteilicher, antifaschistischer Jugendverband. Doch im Zuge des Kalten Krieges geriet die FDJ ab 1947/48 mehr und mehr ins Fahrwasser der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und deren westdeutscher Bruderpartei, der KPD.
Als einziger gesamtdeutsche Verband organisierte die FDJ Kontakte von Jugendlichen über alle Zonengrenzen hinweg. Die Freizeitangebote bescherten ihr zunächst erheblichen Zulauf, bis Ende der Vierzigerjahre gewann sie etwa 50.000 Mitglieder. Man trug Blauhemd, FDJ-Logo mit Sonnensymbol und grüßte mit »Freundschaft!«.
Sympathien bei jungen Leuten, die als Kinder den Krieg erlebt hatten, erwarb die FDJ mit Kampagnen gegen die »Remilitarisierung« – und Respekt etwa durch ihre Beteiligung an Aktionen auf Helgoland: Die Briten nutzten die Felseninsel nach dem Krieg als Bombenabwurfplatz und wollten sie sogar sprengen; Deutschen war das Betreten verboten. Mit anderen Jugendgruppen hissten westdeutsche FDJ-ler im Februar 1951 auf Helgoland symbolisch die schwarzrotgoldene Fahne. Im Jahr darauf gab die britische Besatzungsmacht die Insel an die Deutschen zurück.
Arbeiter- und Bauerngroschen aus dem Osten
Die Helgoland-Aktionen sah die FDJ als Teil des »patriotischen und nationalen Befreiungskampfes gegen die Besatzungsmächte«. Ihre Mitglieder mauerten auch Sprenglöcher auf Brücken zu, die britische und amerikanische Soldaten für einen Kriegsfall angelegt hatten. Dafür verurteilte ein US-Militärgericht etwa den Aktivisten Walter Zauner, der vier Jahre Zuchthaus absitzen musste. Mehrere FDJ-ler flohen aus dem Westen in die DDR und wurden dort als »Friedenskämpfer« gefeiert.
Resonanz in der Bundesrepublik brachte der FDJ 1951 die »Volksbefragung gegen Remilitarisierung und für Friedensschluss« – aber auch den besonderen Zorn der Bundesregierung. Denn von Volksbefragungen, zumal zu Fragen der Wiederbewaffnung, hielten Adenauer und seine CDU-Parteifreunde gar nichts: Unter der Tarnbezeichnung »Zentrale für Heimatdienst« hatte die Regierung ab Mai 1950 ein Amt geschaffen, um die Wiederbewaffnung vorzubereiten. Dort beschäftigt waren auch Generäle aus Hitlers Generalstab wie Adolf Heusinger und Hans Speidel, der als Generalmajor am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion teilgenommen hatte.

FDJ-Verbot: Im Westen zornig verfolgt
In diesem Ambiente störten linke Aufrüstungsgegner. Daher setzte CDU-Innenminister Robert Lehr, ehemals Mitglied der ultrarechten Deutschnationalen Volkspartei, die Polizei gegen die West-FDJ schon vor dem Verbot ein. Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme von Flugschriften und Festnahmen sollten sie schwächen.
Der Weg zum Stalin-Fanklub
Der linke Verband bestand mehrheitlich aus jungen Arbeitern und Gewerkschaftern und beschäftigte 216 hauptamtliche Funktionäre. Der Apparat wurde, wie Archivunterlagen der SED zeigen, weitgehend mit Arbeiter- und Bauerngroschen aus dem Osten finanziert.
Diese materielle Abhängigkeit ließ vom einstigen überparteilichen Anspruch wenig übrig. Bereits im März 1948 hatte der ostdeutsche FDJ-Vorsitzende und spätere SED-Generalsekretär Erich Honecker in Hamburg verkündet, der Platz der FDJ sei an der Seite des »fortschrittlichen Lagers« – also der DDR und der Sowjetunion. Im Januar 1951 stand auf dem »Schulungsplan« für die West-Mitglieder das Thema »Stalin – der beste Freund des deutschen Volkes«.
Damit erreichte die FDJ nur noch eine winzige Minderheit westdeutscher Jugendlicher. Konnte sie tatsächlich die »verfassungsmäßige Ordnung« gefährden, wie die Bundesregierung behauptete? Völlig abwegig: Im Dezember 1950 zählte der schrumpfende Verband nach Dokumenten, die der Historiker Michael Herms für seine Studie »Hinter den Linien« ausgewertet hat, nur noch 14.049 Mitglieder. Unterdessen hatten zahlreiche Rechtsradikale und frühere Nationalsozialisten Sitz und Stimme in den westdeutschen Parlamenten – das aber beschäftigte die Bundesrepublik in der Nachkriegszeit deutlich weniger.
Ein letztes Aufbäumen der noch legalen West-FDJ war ihre Mobilisierung zum »Deutschlandtreffen« in Ost-Berlin zu Pfingsten 1950: Aus der Bundesrepublik nahmen 27.000 Jugendliche teil, aus der DDR eine halbe Million. Kurios: Als 10.000 FDJ-Mitglieder demonstrativ geschlossen über den Grenzübergang Herrnburg/Lübeck zurück in den Westen reisen wollten, sperrten Grenzer sie aus – mit »Seuchengefahr« als offizieller Begründung. Nach zwei Tagen Camping mit Gulaschkanonen endete die schikanöse Grenzblockade.
Tödliche Schüsse in Essen
Viele spätere FDJ-ler hatten bis 1945, noch sehr jung, im Bann des NS-Regimes gestanden und waren in den Reihen des Deutschen Jungvolkes und der Hitlerjugend marschiert. Um sie zu gewinnen, erwies sich als hilfreich, was FDJ-Funktionäre die »Verbindung der sozialen mit der nationalen Frage« nannten, inklusive plakativer Parolen wie »Yankee go home«.
Als Verantwortlicher für die »Westarbeit« in der FDJ-Spitze sorgte Heinz Lippmann dafür, dass solche gewagten Experimente nicht ins Braune umschlugen. Der Sohn eines Fabrikanten aus jüdischer Familie hatte die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald überlebt. Er besaß Talent für Organisation und Agitation.
Nach dem Verbot im Westen unternahm die FDJ einen Versuch, es zu durchbrechen: Eine »Friedenskarawane« gemeinsam mit christlichen und sozialistischen Jugendgruppen sollte am 11. Mai 1952 durch Essen ziehen, wurde aber untersagt. Dort versammelten sich dennoch rund 30.000 Demonstranten, manche warfen bei Zusammenstößen mit der Polizei Steine. Polizisten schossen vor der Gruga-Halle in die Menge. Sie trafen FDJ-Mitglied Philipp Müller, einen 21 Jahre alten Arbeiter aus München, tödlich und verletzten zwei weitere Demonstranten schwer.
Im Osten Berlins organisierte der Verband fünf Tage darauf eine Massenkundgebung: Ihr Chef Erich Honecker tönte, die Freie Deutsche Jugend werde »nicht eher ruhen und rasten«, bis »der Mord an Philipp Müller durch den Sturz der verräterischen Adenauerclique gesühnt ist«. In der DDR wurden Straßen und Schulen nach Müller benannt, sein Schicksal fand Eingang in die Schulbücher.
Der Aufruhr in Essen war eine Folge des FDJ-Verbotes und einer fehlenden Deeskalationsstrategie. Zudem war die Bundesrepublik noch kein souveräner Staat und konnte über das Vorgehen nicht selbst entscheiden. So hatte die Polizei in Essen den Einsatz von Tränengas bei den britischen Besatzungsbehörden beantragt – abgelehnt.
Rückgriff auf Hitlers Gesetze
Wesentlich geschwächt wurde die FDJ im Untergrund durch die verschärfte Repression. Bereits im Juli 1951 stimmte der Bundestag einem Strafrechtsänderungsgesetz zu. Es brachte die Straftatbestände »Hochverrat«, »Staatsgefährdung« und »Geheimbündelei« zurück, 1934 unter Hitler eingeführt und 1945 von den Alliierten suspendiert: ein fatales Signal an Richter und Staatsanwälte, die einst vor allem Sozialisten und Kommunisten in Gefängnisse gesteckt hatten.
Die Betroffenen wurden Opfer des Kalten Krieges – und nie rehabilitiert. Die Zahl der politischen Strafverfahren gegen Mitglieder der FDJ und Sympathisanten der KPD schnellte nach oben. 1951 waren es 77 Verfahren, zwei Jahre später bereits 1777.
Ein Teil der FDJ-Funktionäre emigrierte daher in die DDR, auch der spätere DKP-Vorsitzende Herbert Mies. Den umgekehrten Weg ging Heinz Lippmann: Der FDJ-Westbeauftragte setzte sich 1953 in die Bundesrepublik ab – mit 300.000 D-Mark aus der Verbandskasse. Wegen »feindlicher Tätigkeit, unmoralischen Lebenswandels und Unterschlagung von Verbandsgeldern« schloss die FDJ ihn aus. 1963 wurde er Sozialdemokrat und schrieb später eine Honecker-Biografie.
Im November 1954 verhaftete die Polizei in Dortmund die Führungsgruppe des »Zentralbüros« der West-FDJ, die längst deutlich unter 10.000 Mitglieder verzeichnete. Dennoch verfolgte die Justiz die vermeintlichen Staatsgefährder intensiv, darunter Josef »Jupp« Angenfort als Leiter der West-FDJ. Der Bundesgerichtshof verurteilte ihn 1955 zu fünf Jahren Zuchthaus wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens«, wegen »Geheimbündelei« und als »Rädelsführer« einer »verfassungsfeindlichen Vereinigung«.
Bizarre Jagd auf letzte Blauhemdträger
Angenfort wurde später begnadigt, erneut festgenommen, floh dann von einem Gefangenentransport und setzte sich in die DDR ab. Dort feierten ihn die Staatsmedien pathetisch als »Sprecher der westdeutschen Jugend«. Ende der Sechzigerjahre kehrte Angenfort in die Bundesrepublik zurück und wurde Präsidiumsmitglied der DKP.
Die Vorgängerpartei KPD war 1956 vom Bundesverfassungsgericht verboten worden. Nun aber sprachen sich Politiker aller Bundestagsparteien dafür aus, wieder eine kommunistische Partei zuzulassen – von Willy Brandt bis Helmut Kohl. Nennenswerte Wahlerfolge erzielte die DKP in der Bundesrepublik allerdings nie.
Das FDJ-Verbot, 1954 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt, beschäftigt Polizei und Staatsanwälte auf kuriose Weise bis heute. Denn es gilt für das Gebiet der alten Bundesrepublik fort, während die FDJ der DDR nie verboten wurde – eine verwirrende Rechtslage.
Mitunter wird ermittelt, wenn linke Demonstranten FDJ-Embleme oder Blauhemden tragen. Die heutigen Akteure gehören meist zu einer politisch bedeutungslosen Propagandatruppe, die solche Symbole nostalgisch nutzt. Die bizarre Jagd auf die letzten versprengten Blauhemdenträger bleibt ein Anachronismus, den Konrad Adenauer als zähes Erbe hinterlassen hat.