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Karl Wedemeyers Feldpost: »Endlich ist mein größter Wunsch erfüllt«

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Feldpost eines deutschen Orientsoldaten Das letzte Aufgebot im Heiligen Land

Ein junger Bremer träumte 1918 vom Orient, die Armee schickte ihn nach Palästina. Wie dramatisch sein Fronteinsatz endete, beschrieb Karl Wedemeyer in Briefen an die Eltern.

Ende April 1918 schreibt Maschinengewehr-Schütze Karl Wedemeyer seinen Eltern aus dem Ausbildungslager Döberitz bei Berlin: »Hiermit ist nun endlich mein größter Wunsch, den ich schon seit Jahren heimlich in mir trug, erfüllt.«

Euphorie ist ungewöhnlich bei einem einfachen Soldaten im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs. Der Grund: Wedemeyer, Jahrgang 1897, wird an die Palästinafront kommandiert. Dort führt das Osmanische Reich, unterstützt von Deutschland, einen bereits aussichtslosen Kampf gegen Großbritannien und dessen Verbündete. Davon aber weiß er nichts. In einer Zeit, in der Reisen ein Privileg ist, verspricht ihm der »Kriegsschauplatz Orient« die Erfüllung von Jugendträumen.

Wedemeyers jetzt ausgewerteter Nachlass zeugt von Fernweh: Zwei Dutzend Feldpostbriefe aus der Türkei und Palästina sowie aus der Kriegsgefangenschaft erzählen eine ganz persönliche Geschichte dieser vergessenen Front. Abenteuerlust und eine gehörige Portion Naivität führen den jungen Bremer ins Heilige Land. Er kann nicht ahnen, wie dramatisch sein Wagnis enden wird.

Eingeplant ist Karl Wedemeyer zunächst nicht für die Palästinatruppe, die sogenannte Pascha-Formation, sondern zum Einsatz in den mörderischen Materialschlachten an der Westfront. Doch für seinen Traum vom Orient spielt er seine Trümpfe aus: Er spricht Englisch und Französisch, zudem etwas Türkisch. Und in der Ausbildung versteht er es, auf Vorgesetzte Druck und Eindruck zu machen: »Ich sprach dann den Herrn Major. Währenddessen kam dann auch der Rittmeister und mit vereinten Kräften traktierten wir ihn so lange, bis er meiner Bitte nachkam.«

Anfangs verspricht der Krieg ein Reiseerlebnis

Im gesamten Krieg dienten nur 25.000 deutsche Soldaten im Nahen Osten, wenige gemessen an den Millionen der anderen Fronten. Nach Hause berichtet Wedemeyer über seine »glänzende« Ausrüstung: »An Waffen bekam ich 4mal so viel wie ein Soldat, der nach der Westfront kommt. Dann 2 gelbe Tropen-Kaki-Anzüge, 2 Tropen-Gefechtsmützen, Tropenhelm, Moskitostiefel bis zum Knie aus Segeltuch, Moskitonetz und noch 1000 andere Sachen. Die Ausrüstung für einen Mann ist über 2000 Mark wert.«

Im Mai 1918 erfolgt der Transport nach Konstantinopel, das heutige Istanbul, erste Station aller deutschen Orientsoldaten. Nun befinde er sich im Orient, schreibt Wedemeyer begeistert am 5. Juni: »Wir fuhren über den Bosporus, während die Wasservögel und Seemöwen über das ganz dunkelblaue Wasser kreisten.« Er genießt die Atmosphäre der pulsierenden Stadt. Aber bald bekommt das schwärmerische Bild erste Risse: »Die Leute verrecken am Hungertod... Und warum? Hier herrscht eine Teuerung ohne gleichen.«

Nach einer Woche geht es in abenteuerlicher Fahrt weiter über Aleppo zum deutschen Hauptquartier in Nazareth. Ein Hauch von Karl May schwingt mit: »Mit nur 2 Kameraden habe ich das ganze Gebiet von Damaskus bis Nazareth allein durchreist, umgeben von den feindlichen Stämmen, den Beduinen und Arabern. Bin vorläufig in einem sehr romantischen Hause auf steiler Höhe untergebracht, zu unseren Füßen der sehr hübsche Ort Nazareth beschattet von gewaltigen Kakteengewächsen.«

Der Krieg als stimmungsvoll-pittoresk erzähltes Reiseerlebnis – im See Genezareth  nimmt Wedemeyer ein Bad, besucht auf seiner Fahrt Tiberias und Kapernaum, die Orte sind ihm aus der Bibel geläufig. Er muss weiter nach Amman zur Maschinengewehr-Kompanie 601, die englische Flugzeuge bekämpfen soll. Erst hier wird er den wirklichen Orientkrieg kennenlernen.

»Die Feldflasche, Liebling eines jeden Orientsoldaten«

Zunächst macht ihm die Sommerhitze, bis zu 50 Grad Celsius tagsüber, zu schaffen. Der Frontneuling berichtet: »Gegenwärtig sitze ich hier oben auf steiler Höhe allein auf Fliegersuche, vor mir die 4 Maschinengewehre, unter meinem Briefbogen einen Patronenkasten, den man vor glühender Hitze kaum berühren kann, neben mir die nie fehlende Feldflasche, der Liebling eines jeden Orientsoldaten.«

Das erste Gefecht folgt schnell: »3 Stunden nach meiner Ankunft habe ich schon gefeuert und zwar auf 12 englische Flugzeuge, die den Bahnhof bombardieren wollten. Der Engländer kommt fast täglich in großen Geschwadern nach hier.« Lange schon hat die Royal Air Force die Luftüberlegenheit in Palästina, ihre Angriffe werden heftiger. Zudem grassieren Krankheiten wie Fleckfieber und Cholera. »Von der 15 Mann starken Kompagnie sind nur 7 Mann wohlauf, alles andere ist im Revier oder Lazarett«, berichtet Wedemeyer Mitte August.

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Allenfalls als Randfiguren kommen in seinen Briefen die zehn türkischen Soldaten seiner Einheit vor. Sie kümmern sich vorwiegend um die Lasttiere. Die deutschen Orientsoldaten schmähen die osmanischen Verbündeten oft als militärisch minderwertig. Der Bremer verinnerlicht das rasch: »Die türkischen Soldaten samt den Offizieren sind feige und verkriechen sich in den Berghöhlen bei jeder kleinen Explosion, so daß die paar Deutschen hier auf sich selbst angewiesen sind.«

Wedemeyer, erst seit vier Wochen vor Ort, weiß offenbar nicht um die Kampfbedingungen türkischer Soldaten an den vielen Fronten des untergehenden Reiches: Hunger, schlechte Sanitätsversorgung, weder Urlaub noch Post, oft brutale Behandlung durch die eigenen Offiziere. Massendesertionen beschleunigen die Auflösung der osmanischen Armee. Unterdessen freut sich Wedemeyer über die gute Versorgung: »Abends gibt es süßen Tee oder Kakao, dann täglich ein ganzes Brot, Weintrauben essen wir nur noch kiloweise, Brot wird in Fett gebraten, und dann monatlich 120 Zigaretten und 30 Zigarren.«

»Da sehe ich, o Schreck, direkt so ein Ei auf uns herabfliegen.«

Zu den Angriffen englischer Bomber betont er selbstsicher: »Ich bin jetzt richtig feuerfest geworden, jetzt sitze ich hier in aller Seelenruhe und schreibe und dabei haben wir heute die tollsten Bombenangriffe, die Amman bis jetzt erlebt hat, mitgemacht.« Der so schreibt, ist an diesem Tag nur knapp dem Tod entgangen. »Wir denken, die Gefahr ist vorüber. Da sehe ich, o Schreck, direkt so ein Ei auf uns herabfliegen. Ich sage Euch, dieses scheußliche Gefühl, du fühlst es auf dich zufliegen eine ganze Zeit lang, ohne daß du etwas machen kannst.«

Wedemeyer hat Glück. Die Bombe trifft das Zelt des Kompanieführers. Ein Sandsturm zwingt die Flugzeuge zum Abbruch und rettet die Kompanie, die keine Munition mehr hat – »ich habe bisher Schwein gehabt und werde es auch in Zukunft haben«.

Mitte September 1918 wird Wedemeyer ins Hauptquartier der deutschen Truppen versetzt. In Nazareth soll er eine Schießvorführung vor dem deutschen Oberkommandierenden General Liman von Sanders mit vorbereiten. Doch am 19. September beginnt der entscheidende Angriff der Briten sowie der aufständischen Araber unter dem britischen Offizier und Geheimagenten Thomas Edward Lawrence, alias Lawrence von Arabien . Die Frontlinie bricht schnell zusammen. Der Rückzug der deutsch-türkischen Truppen nach Damaskus kommt einer Flucht gleich.

Aufständische unter Lawrence von Arabien nehmen Damaskus am 1. Oktober 1918 in Besitz. Auch Wedemeyer befindet sich, ohne Kontakt zu seiner Einheit, inmitten von Aufruhr und Chaos. Der Mob plündert und tötet, wer eine deutsche Uniform trägt, ist besonders gefährdet.

Aus der Gefangenschaft schreibt Wedemeyer später: »Um nicht von den Beduinen ermordet zu werden, verschafft mir ein arabischer Offizier einige Stunden vor der Gefangennahme, als ich überall abgeschnitten war, einige türkische Kleidungsstücke, um dann verwundet und krank zum türkischen Lazarett zu gehen. Als Deutscher hätte ich mich in den Straßen von Damaskus nicht lange meines Lebens erfreut.«

Seine Familie erfährt nichts von den Zuständen im Lazarett. Detailliert geschildert hat den »grauenhaften Anblick« hingegen Lawrence, tags darauf an derselben Stelle: »Der Steinboden war mit Leichen bedeckt... sie wimmelten von Ratten. Bei einigen schimmerte das Fleisch, in Verwesung übergehend, gelb, blau und schwarz«, schrieb er in seinem Buch »Die sieben Säulen der Weisheit«.

Prisoner of war No. 22453

Gleichwohl ist Wedemeyer im Lazarett sicher. Er wird dort gefangengenommen, in ein Lager im ägyptischen Tel-el-Kebir überführt und kann dann ein Lebenszeichen nach Hause senden: »Euch zur Nachricht, daß ich am 1. Oktober in Damaskus den Engländern in die Hände fiel.«

Die Briefe aus dem Gefangenenlager zwischen Kairo und dem Suezkanal werden zu emotionalen Stimmungsbildern, immer bestimmt von der Hoffnung freizukommen. Allzu kritische Passagen schneidet die englische Zensur anfangs noch heraus. Immerhin, die Verhältnisse sind annehmbar. Die Verpflegung ist monoton, aber ausreichend. Den Eltern berichtet er, »daß es 6 Tage lang Reis gibt und am 7. Tag Linsen, Woche für Woche, Monat für Monat«.

Im Dolmetschereinsatz darf Wedemeyer das Lager hin und wieder verlassen. Träge fließen die Monate dahin im Lager mit über 20.000 Gefangenen. Die Deutschen warten auch nach dem Versailler Friedensvertrag Ende Juni 1919 weiter auf ihre Freilassung. »Wir sind noch nächstes Jahr hier«, schreibt Wedemeyer verzweifelt, »ein besseres Pfand können sich unsere Feinde gar nicht wünschen. Schreibt mir um Gottes Willen.«

Ende August beginnen die ersten Abtransporte. Die Gefangenen kommen endlich nach Hause. Den letzten Brief aus Ägypten schreibt Wedemeyer am 2. September 1919. Er schließt mit den Worten: »Hoffentlich treffen die Schiffe bald ein.«

Der Bremer schafft es zurück. Im Zweiten Weltkrieg muss er erneut als Soldat einrücken, wird aber im Jahr 1943 im Alter von 46 Jahren aus der Wehrmacht entlassen. Den Krieg überlebt Karl Wedemeyer auf seinem Hof in Berne bei Bremen.

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