
Filmgeschichte: Die Erfindung der Hollywood-Nazis
Filmgeschichte Die Erfindung der Hollywood-Nazis
"Wer hätte je gedacht, dass du mal bei der Gestapo landest?", sagt Conrad Veidt zu Reinhold Schünzel, als sich die beiden deutschen Leinwandstars der zwanziger und dreißiger Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Vorzimmer eines Hollywood-Studios wiedertreffen. Veidt und Schünzel waren beide vor den Nazis, die in Deutschland ihre Freunde und Kollegen in Konzentrationslager steckten und damit begannen, Europa in ein Trümmerfeld zu verwandeln, in die USA geflohen. Und nun steckten beide in Nazi-Uniformen, den verhassten Insignien derjenigen, vor deren Barbarei sie geflohen waren - denn das waren die Engagements, die ehemalige deutsche Filmstars vornehmlich bekamen, wenn sie in Hollywood Arbeit suchten: Nebenrollen als Nazi-Bösewichte. "Allmählich komme ich mir vor wie ein Rummelplatzmonster", sagt Schünzel, und Veidt antwortet: "Kunst machen wir wieder nach dem Krieg."
Eine solche Begegnung im Vorzimmer eines Hollywood-Produzenten, wie sie in Hans-Christoph Blumenbergs 1995 entstandenen Film "Beim nächsten Kuss knall ich ihn nieder!" von Ulrich Tukur und Peter Fitz dargeboten wird, könnte 1941 tatsächlich stattgefunden haben. Zum Beispiel beim Casting zu dem Warner-Brothers-Film "All Through the Night" ("Agenten der Nacht"), einem Anti-Nazi-Propagandafilm aus dem Jahr des Kriegseintritts der USA. Veidt, einer der großen Stummfilmstars der Weimarer Republik, ergatterte in diesem Film schließlich die Rolle des Anführers eines NS-Agentenrings, der vom Broadway aus versucht, Amerika zu erobern. Und Peter Lorre, durch die Darstellung des Kindermörders Hans Beckert in Fritz Langs erstem Tonfilm "M" zu Weltruhm gelangt, gab, seinem Rollenklischee entsprechend, einen von Veidts besonders schleimigen Agenten - und zwar jenen, der den Fehler macht, den Bäcker von Humphrey Bogarts Lieblingskäsekuchen umzulegen.
Der geschnittene Stummfilmstar
Ja, "Agenten der Nacht" ist ein Humphrey-Bogart-Film, ein Kriegspropagandafilm und eine Komödie. Bogey in der Hauptrolle spielt den Gauner "Gloves" Donahue, einen Spitznamen, bei dem ihn sogar seine Mutter nennt, und den er natürlich erhalten hat, weil er besonders gerne Handschuhe trägt. Bogart hatte zu dieser Zeit bereits eine Reihe von Gangsterrollen gespielt, sein lässiger Stil und der klassische Look in Anzug und Hut waren den amerikanischen Kinozuschauern inzwischen wohlbekannt. Im gleichen Jahr hatte er Dashiell Hammetts rauen Detektiv Sam Spade in "Der Malteserfalke" gegeben, im Jahr darauf würde er sich als Rick Blaine in "Casablanca" von Ingrid Bergman das Herz zertrümmern lassen. In beiden Filmen spielte auch Peter Lorre mit, und in "Casablanca" war Conrad Veidt Bogarts Nazi-Gegenspieler - eine Rolle, die in der ersten deutschen Kinoaufführung 1952 komplett herausgeschnitten wurde, ebenso wie alle anderen Anspielungen auf Nazis.
Bogart gibt den "Gloves" Donahue in "Agenten der Nacht" mit überragender Coolheit: Mit Nazis hat dieser Typ nichts am Hut, und auch ihre Bekämpfung ist ihm schnurzpiepegal. In der ersten Szene des Films kommt er dazu, als sich sein bester Freund Sunshine (William Demarest) als Kriegsstratege ereifert und seinen Freunden erklärt, wie England den Krieg gewinnen kann: "Und auf diese Art überrumpeln wir die Nazis!" Bogarts Donahue entgegnet lakonisch: "Ich arrangiere eine Konferenz zwischen dir und Churchill" und fährt fort, sich nach den aktuellen Pferdewetten zu erkundigen: "Es gibt ernsthaftere Dinge zu besprechen."
Allein auf der Bühne unter Nazis
Damit ist der komödiantische Ton des Films gesetzt: Bogart ist ein freundlicher Gangster, der seiner resoluten Mutter jeden Wunsch erfüllt und dreimal am Tag Mr. Millers Käsekuchen isst. Erst als der Kuchennachschub eines Tages ausbleibt (und sein Stammrestaurant vergeblich versucht, ihm das Erzeugnis eines anderen Bäckers unterzuschieben), wird er aufmerksam: Bäcker Miller ist in dunkle Machenschaften verstrickt, und als er nicht mehr mitmachen will, wird er von einem Killer weggepustet. Natürlich gehört der Killer einer Nazibande an, die die USA unterwandern und letztlich erobern will. Als nächstes ist ein Anschlag auf ein amerikanisches Kriegsschiff geplant.
Nun sieht auch Bogart ein, dass aufrechte Amerikaner zusammenhalten und gemeinsam gegen den Feind kämpfen müssen. Er wird zum Patrioten, vereint seine Jungs mit einer gegnerischen Gaunerbande und schlägt zurück. Wie er das macht, ist in "Agenten der Nacht" höchst vergnüglich dargestellt: Die Szene, in der Gloves und sein Kumpel Sunshine mitten in einer Nazi-Versammlung auf die Bühne geraten und sich dort wieder herausreden müssen, ist ganz großes Kino.
Für die vor den Nazis aus Deutschland geflohenen Schauspieler Lorre und Veidt blieb in "Agenten der Nacht" nur die undankbare Rolle der Nazi-Bösewichte. Die legten sie mit unterschiedlichen Mitteln einerseits wirklich bedrohlich, andererseits als Karikatur an: Lorre als der kleine Verbrecher, der ohne Skrupel über Leichen geht, Veidt als das arrogante Superhirn, der jeden spüren lässt, dass er sich für den Angehörigen einer überlegenen Rasse hält. Seine Gefolgsleute sind eine inkompetente Bande lächerlicher Figuren, die bei jeder Gelegenheit den rechten Arm hochreißen. So machte "Agenten der Nacht" den Kriegsfeind lächerlich, warb für den Kriegseintritt der USA und schuf nebenbei ein Hollywood-Klischee, das vermutlich noch tausend Jahre lang unsere Filme bevölkern wird: den Nazi-Schurken als Witzfigur.