
Weltkriegspropaganda: Widerstandsgeist gegen die Aggressoren stärken
Fotografie im Ersten Weltkrieg Propaganda aus der Hölle
Am 21. Juli 1917 regnete der Tod vom Himmel. 3000 britische Geschütze eröffneten das Feuer auf deutsche Stellungen in der Nähe des belgischen Passchendaele. Über vier Millionen Granaten hagelten während des zehntägigen Dauerbombardements auf die Ebene von Ypern. Anschließend rannten die Briten in der Schlammwüste drei Monate lang immer wieder ins Abwehrfeuer der Deutschen. Am Ende hatten sie acht Kilometer Gelände gewonnen - zum Preis von 325.000 Toten und Verwundeten.
Die Schlacht von Passchendaele ging nicht nur als eines der sinnlosesten Gemetzel des Ersten Weltkriegs in die Geschichte ein, sondern bescherte der Welt auch eines der berühmtesten Bilder des Krieges. Der Fotograf Frank Hurley hatte von 1914 bis 1917 an der Seite des legendären Entdeckers Sir Ernest Shackleton die Antarktis dokumentiert - und für seine Bilder Ruhm geerntet. Danach lichtete Hurley die Hölle ab.
Mondlandschaften statt Schneefelder
Statt endloser Schneefelder und brütender Pinguine zeigten seine Fotos nun pockennarbige Mondlandschaften. Baumstümpfe ragen auf ihnen wie steife Finger aus der rohen Erde, die übersät ist von Granattrichtern und den Leichen junger Menschen. "Der Morgen nach der ersten Schlacht von Passchendaele", aufgenommen am 12. Oktober 1917, ist Hurleys vielleicht bekanntestes Kriegsbild.
Das Foto ist ein beeindruckendes Beispiel für eine Medienrevolution, die von Historikern lange ignoriert wurde. Erst allmählich beginnt die Geschichtsforschung zu erkennen, welchen Stellenwert der Erste Weltkrieg für die Darstellung heutiger Konflikte besitzt. Was der Historiker und Diplomat George Kennan als "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" bezeichnet hat, ist nach Meinung renommierter Historiker der erste umfassende Propagandakrieg der Weltgeschichte, was den Einsatz von Film und Fotografie betrifft.
Zwar hatten Engländer und Franzosen schon im Krimkrieg von 1855/56 Fotografen eingesetzt, und auch im amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 und im südafrikanischen Burenkrieg (1899-1902) gehörten Fotos zum Propaganda-Arsenal. Doch im Ersten Weltkrieg brachten die Regierungen die Entstehung von Fotos, die Bildzensur und die Weiterleitung an die Massenmedien mit eigens eingerichteten Behörden unter ihre Kontrolle - ein Novum in der Geschichte der Kriege.
Behörden für die Manipulation der Massen
Auf deutscher Seite bündelte seit Januar 1917 das Bild- und Filmamt ("Bufa") die Foto- und Filmpropaganda, in Österreich war das Kriegspressequartier zuständig. Die britische Regierung hatte bereits im August 1914 das "War Propaganda Bureau" gegründet, Frankreich im Februar 1916 das "Maison de la Presse", und die USA richteten wenige Tage nach dem Kriegseintritt im April 1917 das "Committee on Public Information" ein.
Den deutschen Zensoren war es spätestens zu Beginn der zweiten Kriegshälfte gelungen, die Flut an Bildern in die von ihnen gewünschten Bahnen zu zwingen. "Bei Kriegsende wurden die Zeitungen fast nur noch mit offiziellen Bildern bestückt", bilanziert der Wiener Historiker Anton Holzer, 39, Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte" und einer der führenden Experten auf dem Gebiet. "Die Behörden haben immer effektiver verhindert, dass abweichendes Material veröffentlicht wurde."

Weltkriegspropaganda: Widerstandsgeist gegen die Aggressoren stärken
Die wenigen kriegskritischen Stimmen wurden mit einer Mischung aus Repression und Begünstigung zum Schweigen gebracht. Fotografen durften nur mit einer so genannten Legitimation, die aus Bildausweis und Armbinde bestand, an der Front fotografieren - und verpflichteten sich zugleich, ihre Bilder den Zensurbehörden vorzulegen, die das Material dann kostenlos an die Presse weiterreichte. Von den Bildern waren dann meist schwere Waffen oder die Markierungen an Flugzeugen verschwunden, vor allem aber tote deutsche Soldaten.
"Die deutsche Seite hat Bilder von eigenen Toten radikal abgelehnt", sagt Gerd Krumeich, 59, Professor für Neuere Geschichte an der Uni Düsseldorf. Die Berliner Regierung habe um die Moral der Bevölkerung und den politischen "Burgfrieden" gefürchtet. Die Franzosen waren mit Fotos der eigenen Todesopfer freigiebiger. "Damit sollte der Widerstandsgeist gegen die Aggressoren noch gestärkt werden", so Krumeich.
Fotografen, die sich nicht an die deutschen Zensurregeln hielten, wurden verwarnt oder verloren - wie in einigen Fällen geschehen - ihre Akkreditierung. Schon im Ersten Weltkrieg konnten sich Kriegsreporter fast nur noch mit Erlaubnis und Unterstützung der eigenen Truppen an der Front bewegen, waren in die Einheiten integriert und verwendeten deren Fahrzeuge, Logistik und Material. Die Folge: Die deutschen Fotoagenturen, deren Auslandsgeschäft durch den Krieg zusammengebrochen war, mussten entweder mit den Behörden zusammenarbeiten oder den Ruin riskieren.
Die Frage, ob der Erste Weltkrieg damit wegweisend war für die späteren großen Konflikte, wurde von Historikern bisher weitgehend außer Acht gelassen. "Die Geschichtsforschung hat das Thema schlicht verpennt", sagt die Braunschweiger Historikerin Ute Daniel, 51. Die Wirkung der Propaganda in der Heimat sei zwar durchaus ergründet worden, ihre Entstehung an der Front dagegen nicht. Die staatlich organisierte Kontrolle und Zensur der Bilder aber sei "die große Trendwende" gewesen. Auch der Stuttgarter Historiker Gerhard Hirschfeld, 58, glaubt, dass die "Strukturen und Techniken der Propaganda an der Front" von der Forschung bisher "weitgehend ausgeblendet" wurden.
Die Ikonisierung der eigenen Soldaten, die Heroisierung des Kampfes und die Herabwürdigung des Feindes setzten während des Ersten Weltkriegs Standards, die noch heute gelten. Der akkreditierte und in die Truppe eingebundene Reporter wird mittlerweile als "embedded journalist" bezeichnet, was zwar neu klingt, es aber nicht ist. "Der eingebettete Berichterstatter, der unter intensiver Kontrolle steht und mit wohldosierten Informationen gefüttert wird, wurde im Ersten Weltkrieg zum allgemeinen Muster", sagt Historikerin Daniel.
Kleinkameras revolutionierten die Fotografie
Die Fotografie des Ersten Weltkriegs war nicht nur wegen ihrer Einbindung in die staatliche Propaganda richtungsweisend, sondern auch wegen ihrer Inhalte. Holzer untersucht derzeit in einem vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützten Projekt rund 33.000 Fotos aus dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien und vergleichendes Material aus Prag, Budapest, Stuttgart, Belgrad und Sarajevo. Sein bisheriges Fazit, das von anderen Historiker geteilt wird: Der Erste Weltkrieg ist stilbildend für die Berichterstattung über alle späteren Konflikte.
Erstmals waren es nicht mehr nur wenige Profis, die mit wuchtigen Fotokästen das blutige Geschehen ins Bild setzten. Die ersten Kleinkameras wie etwa die "Vest Pocket Kodak" ließen Zehntausende von Amateuren an der Foto-Front mitmischen. "Überall waren Soldaten mit privaten Kameras unterwegs", sagt der Düsseldorfer Historiker Krumeich. "Die haben fotografiert wie Touristen."
Hinzu kam das dokumentarische Gewicht von Fotos, das vor 90 Jahren weit größer war als in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts. "Die Leute glaubten damals einem Foto mehr als heute", sagt Krumeich. Die Propagandabehörden wussten das - und brachten regelmäßig manipulierte Fotos in Umlauf. Krumeich: "Man lernte, Bilder lügen zu lassen." Üblich waren Retuschen oder die Darstellung von Bildern in falschem Kontext. "Französische und deutsche Blätter benutzten manchmal dieselben Fotos mit unterschiedlichen Begleittexten, um jeweils ihre Meinung zu verbreiten", so Krumeich.
So tauchte etwa in der "Illustrierten Zeitung" 1918 ein Bild des zerstörten Reims auf - als angeblicher Beweis dafür, wie die britische Armee französische Städte einebnet. In Frankreich erschien das Foto als Beleg der barbarischen Zerstörungswut der Deutschen. Hurleys berühmtes Passchendaele-Foto wiederum fällt in eine Kategorie von Bildern, die manipuliert wurden, um den Effekt der Heroisierung zu verstärken: Der Himmel etwa wurde von Hurley nachträglich hineinmontiert, um die Szenerie noch dramatischer erscheinen zu lassen.
Selbstkritik der deutschen Presse fiel aus
"Das radikale Fälschen, etwa wenn Trotzki von allen Bildern mit Stalin verschwindet, sind eine Erfindung der späteren totalitären Regime", betont Krumeich. "Aber im Ersten Weltkrieg tauchen bereits Vorformen dieser Strategie auf."
Erst nach dem Ersten Weltkrieg erkannten die britischen und amerikanischen Medien, wie sehr sie sich zu einem Teil der Kriegsmaschinerie hatten machen lassen. "Die alliierte Presse hat die deutschen Kriegsgräuel - all diese Geschichten über Frauen mit abgeschnittenen Brüsten und Soldaten mit ausgestochenen Augen - maßlos übertrieben", sagt Ute Daniel. "Dafür übte sie anschließend Selbstkritik."
In Deutschland, wo die öffentliche Streitkultur weit weniger entwickelt war als in den demokratischen Staaten, fand eine kritische Selbstbeschau der Presse freilich nur in seltenen Einzelfällen statt. Dafür entwickelte sich eine hitzige Debatte über die Verwendung der Kriegsbilder. Denn mittlerweile waren gewaltige Mengen an zuvor unveröffentlichten Privatfotos von Soldaten aufgetaucht, die in den zwanziger Jahren in Bildbänden publiziert wurden - Sammlungen, "die unsere heutige Vorstellung vom Ersten Weltkrieg entscheidend prägen", meint Daniel.
Bilder prägen Vorstellung vom Krieg bis heute
Darunter befanden sich kritische Werke wie etwa Ernst Friedrichs 1924 erschienene Fotodokumentation "Krieg dem Kriege", die mit grässlichen Bildern von verstümmelten Körpern und zersprengten Gesichtern einen Skandal auslöste. Zynischerweise verwandten die Kriegsbefürworter in den Jahren darauf die gleichen Bilder, um ihre Sicht der Dinge unters Volk zu bringen. "Die Botschaft lautete, dass ein echter Mann auch solche Schrecken durchstehen kann", sagt Daniel. "Echte Idealisten", habe die Botschaft gelautet, "wissen, dass es Wichtigeres gibt, als am Leben zu bleiben."
Die politische Situation im Deutschland der zwanziger Jahre führte schließlich dazu, dass sich diese Deutungsweise des Krieges politisch, medial und kulturell durchsetzte. "Durch den Versailler Vertrag, der die Kriegsschuld ausschließlich der deutschen Seite zuschrieb, war es unmöglich, eine Anti-Kriegs-Einstellung zum Common Sense zu machen", sagt Daniel. Die Stimmung im Lande sei eher danach gewesen, "die Schmach abzuwaschen" - durch eine siegreiche Wiederholung des Krieges.
Dennoch hatte der Erste Weltkrieg auch eine positive Wirkung auf die Kriegsberichterstattung. "Vor dem Ersten Weltkrieg hat die überwältigende Mehrheit der Europäer den Krieg als einen normalen Bestandteil der menschlichen Existenz betrachtet", sagt Daniel. "Deshalb gab es in der Berichterstattung auffallend wenig Fundamentalkritik am Krieg." Erst die ungeheuerliche Grausamkeit des technisierten Tötens und die bis dahin unvorstellbaren Opferzahlen hätten die Wende eingeleitet. "Die Frage nach der Legitimation wurde seitdem schärfer gestellt", sagt die Historikerin. "Der Krieg gilt erst seit 1918 als möglicherweise unmoralisch."