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Filmstar Keiko: Auswilderung zwecklos

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"Free Willy"-Star Keiko Der Wal, der nicht frei sein wollte

Im Film sprang er in die Freiheit, in Wahrheit vegetierte er im Becken. 1993 starteten Fans von Keiko, dem Wal aus dem Film "Free Willy", eine Rettungsaktion gigantischen Ausmaßes: Zehn Jahre lang kämpften sie mit allen Mitteln für seine Auswilderung - obwohl die von Anfang an aussichtslos war.

"Ich hasse diesen Wal", stöhnt der Vergnügungsparkbesitzer Dial. Fassungslos sieht er zu, wie sich der Killerwal Willy, den er teuer für sein Aquarium eingekauft hat, mit seinem legendären Sprung über eine gewaltige Steinmole ins Meer und in die Freiheit absetzt. Aus der Traum vom großen Geld, das er mit dem in Gefangenschaft vollkommen verkümmerten Orca machen wollte. Willys Fluchthelfer Jesse, ein zwölfjähriger Junge, triumphiert. David hat Goliath besiegt - und die Gerechtigkeit die wirtschaftliche Gier. Mit diesem guten Gefühl im Herzen verließen Millionen von Zuschauern - die meisten davon Kinder - 1993 den Kinosaal.

Doch die Begeisterung über den Film, der über 75 Millionen US-Dollar in die Kassen von Warner Bros. und der Produzentin Lauren Shuler Donner spülte, schlug bald in Empörung um: Denn schon im Sommer 1993 deckten Journalisten auf, dass Willy-Darsteller Keiko in genau jenem verwahrlosten mexikanischen Vergnügungspark mit dem verheißungsvollen Namen "El Reino Aventura" ("Das Königreich des Abenteuers") vegetierte, in dem der Film gedreht worden war - nur dass der echte Schwertwal ohne jede Aussicht auf Rettung lebte.

Der Filmstar "muss selbst gerettet werden", mahnte im Juli 1993 die "New York Times". Detailliert beschrieb darin die Journalistin Gini Kopecky, wie Keiko eingepfercht in dem viel zu kleinen Becken mit viel zu warmem und künstlich gesalzenem Wasser dahinsiechte - untergewichtig, antriebslos und mit einer Hautwucherung rund um seine Brustflossen, die sich immer weiter ausbreitete. Vier Monate später rüttelte das "Life"-Magazin die Öffentlichkeit endgültig wach: "Won't somebody please save this whale" ("Kann denn nicht bitte jemand diesen Wal retten?"), titelte das Magazin und prangerte den jämmerlichen Zustand des Tiers an.

Das Publikum ging daraufhin auf die Barrikaden und überflutete Warner mit Beschwerdebriefen. Über Nacht wurde Keiko zum Star, der aus den Fängen seiner Peiniger befreit werden musste.

Ein Vermögen für Keiko

Keiner der Filmemacher hatte sich bis dahin ernsthaft Gedanken um die Zukunft Keikos gemacht. Nun aber setzten sie sich an die Spitze der "Rettet-Keiko-Bewegung", um ihr Image zu retten. Allen voran Warner konnte es sich nicht leisten, als Tierquäler-Unternehmen dazustehen. Und so gründete die Produktionsgesellschaft gemeinsam mit Produzentin Shuler Donner die "Free Willy Keiko Foundation". Das erklärte Ziel: Keiko sollte wieder ausgewildert werden. Es folgten weltweite Spendenaufrufe. Ob in den USA, Europa oder Südamerika - Willy-Fans aller Altersklassen knackten ihre Sparschweine, um ihrem Lieblingsstar die Freiheit zu schenken.

Der Rubel für Keiko rollte. Warner gab selbst vier Millionen US-Dollar, der Mobilfunkunternehmer Craig McCraw einen sechsstelligen Betrag. Es schien, als hätte Keiko doch noch eine Chance auf ein Happy End. Die allgemeine Euphorie fegte sämtliche Bedenken vom Tisch. Ungehört blieben die Stimmen, die davor warnten, Keiko sei nach 14 Jahren Gefangenschaft kein Killerwal mehr, sondern ein Zirkuswal, der im offenen Meer keine Überlebenschancen habe.

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Filmstar Keiko: Auswilderung zwecklos

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Tatsächlich hatte Keiko wenig Erfahrung mit dem Leben in freier Wildbahn: Fischer hatten ihn schon als zweijähriges Walbaby 1979 vor der isländischen Küste gefangen. Es war der Auftakt einer jahrelangen Odyssee durch verschiedene Freizeitparks, in denen er dressiert und ausgebildet wurde. Delphin- und Orca-Shows boomten damals, und Keiko sollte einer ihrer Stars werden. 1985 landete er schließlich im "El Reino Aventura"-Park in Mexiko-City, wo er knapp zehn Jahre lang das Publikum beglückte. "Er ist der freundlichste Killerwal, dem ich je begegnet bin", schwärmte einer seiner Trainer für den Film "Free Willy". Statt Fische zu fangen, apportierte er sie. Statt zu tauchen, dümpelte er lieber an der Wasseroberfläche und ließ sich von den Menschen die Zunge streicheln.

Zwei Jahre Killerwal-Training

Zusehends verfiel Keikos Körper: Die Rückenflosse knickte endgültig ab, ein bei Orcas in Gefangenschaft wegen des fehlenden Schwimmpensums häufiges Leiden. Die Hautwucherungen nahmen zu. Der Wal - inzwischen rund 10 Meter lang - magerte auf 3500 Kilo ab. Das warme, chlorhaltige Wasser zerfraß seine Haut. Lange hätte Keiko vermutlich nicht mehr durchgehalten. Dass die Free Willy Keiko Foundation fest daran glaubte, ihr könne das Unmögliche gelingen, ihm seine Killerinstinkte wieder einzuhauchen und ihn so auf das offene Meer vorzubereiten, rettete ihm das Leben.

Im Oregon Coast Aquarium baute die Stiftung für rund acht Millionen Dollar ein großes neues Becken - aufgefüllt mit kühlem, halbwegs keimfreiem Meerwasser. 1996 siedelte Keiko aus dem Bassin in Mexiko in sein neues Becken über und blühte innerhalb weniger Monate auf. Die Hautwucherungen verschwanden. Keiko legte 1000 Kilo an Gewicht zu. In mühsamer Kleinarbeit führten ihn seine Trainer in die Grundbegriffe des Killerwallebens ein. Sie brachten ihm das Tauchen neu bei und versuchten, ihm auch das Jagen von lebendigen Fischen nahezubringen. Doch damit tat sich Keiko bis zum Ende schwer. Er bevorzugte tiefgefrorenen Fisch.

Nach zwei Jahren Killerwal-Training glaubten seine Betreuer, er hätte genug Fortschritte gemacht, um den nächsten Schritt in Richtung Freiheit zu wagen. 1998 brachten sie ihn per Flugzeug vor die Küste Islands, wo er einst gefangen worden war. In der Klettsbik-Bucht wurde er den Meeresfluten übergeben - zum ersten Mal nach 21 Jahren Gefangenschaft. Doch ganz so frei war Keiko noch immer nicht. Er durfte zunächst nur in einem fußballplatzgroßen Freigehege seine Runden drehen - bewacht von vier Bodyguards und etlichen Trainern.

Würdevolles Ende

"Wir versuchen hier, etwas zu tun, was die Herzen von Millionen Menschen erreichen und ihr Denken über die Umwelt verändern kann", sagte damals Charles Vinick, Vizepräsident der Ocean Futures Society, die die Free Willy Keiko Foundation in Island unterstützte. Schritt für Schritt bereiteten die insgesamt rund 20 Betreuer Keiko auf die Welt hinter dem Netz vor. Sie fuhren neben ihm mit dem Boot hinaus, dem er bereitwillig folgte, gewöhnten ihn an das Jagen der Fische und lockten ihn immer wieder in die Nähe anderer Schwertwale, damit er sich irgendwann einer Herde anschließt. Geschätzte Kosten des Vor-Ort-Trainings: Drei Millionen Dollar pro Jahr. Doch der Funke zwischen Keiko und seinen Artgenossen wollte einfach nicht überspringen.

Plötzlich, im Juli 2002, schien es dann, als sei das Experiment doch noch geglückt. Keiko folgte einer Walherde und blieb monatelang auf hoher See. Aber dann tauchte er plötzlich vor der Küste Norwegens in der Nähe des Örtchens Halsa wieder auf. Keiko hatte auf offener See ein Boot getroffen, dem er nachgeschwommen war. Ganz offensichtlich hatte ihm die Welt draußen im weiten Ozean nicht gefallen, und so hatte er das gesucht, was er kannte: den Menschen.

Vergnügt spielte er vor Halsa mit den Menschen, ließ Kinder auf seinem Rücken reiten und zeigte sich von seiner besten Show-Seite. Das folgende Jahr verbrachte er in Norwegen, erneut unter strenger menschlicher Aufsicht - bis ihn schließlich am 12. Dezember 2003 eine Lungenentzündung dahinraffte. Keiko war 26 Jahre alt geworden.

Mehr als 20 Millionen Euro hatte die Free Willy Keiko Foundation in einen Auswilderungsversuch versenkt, der letztlich von Anfang an hoffnungslos war. Keiko war mit Menschen durch die lange Gefangenschaft einfach vertrauter gewesen als seinen Artgenossen. Er zog die Gefangenschaft der Freiheit vor. Es blieb am Ende nur ein kleiner Trost: Wenigstens war Keiko gut durchtrainiert und würdevoll im Meer gestorben - und nicht abgemagert und mit Hautekzemen übersät in einem schmuddeligen Schwimmbecken.

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