Fotostrecke

Gesundheitsguru Bilz: "Willst du bleiben jung und schön, mußt du oft ins Bilzbad geh'n"

Foto: akg-images/ Max Ullmann

Gesundheitsunternehmer Bilz Mit Naturheilkunde zu Ruhm und Reichtum

Aus dem Nichts wurde Friedrich Eduard Bilz vor gut 100 Jahren zum Bestsellerautor und baute ein Naturheilkunde-Imperium auf. Der umtriebige Gesundheitsguru machte sich allerdings Ärzte zum Feind.

Kopfschmerzen? Erkältung, Magenkrämpfe? Fragen Sie doch mal das Bilz-Buch! Dieses Nachschlagewerk versorgte um 1900 eine ganze Generation mit Gesundheitstipps für alle Lebenslagen. Zugleich machte es seinen Autor Friedrich Eduard Bilz als "Vater der volkstümlichen Naturheilkunde" berühmt. Als Selfmademan baute er ein Naturheilkunde-Imperium auf, samt eigenem Verlag, Sanatorium, Badeanstalt und einer Palette an Reform-Nahrungsmitteln.

Dabei war Bilz, 1842 im sächsischen Arnsdorf geboren, nicht etwa approbierter Arzt, sondern Autodidakt. Sein Vater schickte ihn mit 14 in eine Weberlehre. 14 Stunden musste er täglich in geschlossenen Räumen schuften, dazu den halben Sonntag, oft bei künstlichem Licht.

Friedrich Eduard Bilz

Friedrich Eduard Bilz

Diese Erfahrungen prägten sein Leben: Der junge, ausgelaugte Bilz wurde lungenleidend, bekam Magenkrämpfe und interessierte sich fortan für Heilmittel. So landete er später, nachdem er mit Unterstützung des Schwiegervaters im Städtchen Meerane nahe Zwickau einen Kolonialwarenladen eröffnet hatte, beim Verein für Gesundheitspflege und Naturheilkunde.

Damit lag Bilz im Trend der Zeit: Als Gegenpol zu Industrialisierung, Urbanisierung und Materialismus gewann die Lebensreformbewegung Ende des 19. Jahrhunderts an Zulauf. Naturheiler, Vegetarier, Anhänger der damals populären Freikörperkultur und Zivilisationsaussteiger propagierten ein Leben im Einklang mit der Natur. Auch Bilz kritisierte: "Der Mensch wird mit seinem Leben immer mehr zum Kunstprodukt." In Sachen Medizin forderte er mehr natürliche Heilansätze. Schließlich behandelten viele Ärzte ihre Patienten mit Quecksilberpräparaten, Kupfer oder Zinkvitriol.

Von "Abführmittel" bis "Zwölffingerdarmkrebs"

Im Gesundheitsverein, in dem Bilz sich engagierte, diskutierten die Mitglieder auch über alternative Medizin. Allerdings waren die hochgestochenen Gelehrtenschriften mit ihren Fremdwörtern für Normalmenschen völlig unverständlich. Bilz sammelte in der Studierstube über seinem Laden nun bergeweise Schriften und Notizen, versuchte gesundheitliche Lehren zu verstehen und testete an sich selbst etliche Wasseranwendungen, die vor allem der katholische Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897) bekannt gemacht hatte.

Fotostrecke

Gesundheitsguru Bilz: "Willst du bleiben jung und schön, mußt du oft ins Bilzbad geh'n"

Foto: akg-images/ Max Ullmann

Nachdem Bilz jahrelang Krankheitsbilder und Alternativmethoden studiert hatte, veröffentlichte er 1888 ein Lexikon: "Bilz, das neue Heilverfahren, ein Lehr- und Nachschlagebuch für jedermann in gesunden und kranken Tagen". Der dicke Schinken war zunächst für 75 Pfennige zu haben - und entwickelte sich aus dem Nichts zum Millionenbestseller.

Er verbreitete sich über Naturheiler und Buchhandlungen, auch dank intensiver Werbung und Agenten, die durchs Land zogen und die Bücher per Haustürgeschäft an die Leute brachten. Sie boten sogar Ratenzahlungen an, damit sich jeder das Werk leisten konnte. 1900 war schon die 100. Auflage gedruckt, bis 1938 wurden rund 3,5 Millionen "Bilz-Bücher" verkauft, Übersetzungen erschienen in einem Dutzend Sprachen, darunter Englisch, Französisch und Russisch.

Bilz' Erfolgsgeheimnis: einfache, plastische Erklärungen medizinischer Sachverhalte und Handlungsempfehlungen, die Leser leicht bei sich zu Hause umsetzen konnten. Dabei überarbeitete der selbst erlernte Naturheiler, so schildert es Autor Jürgen Helfricht in seiner Bilz-Biografie, das Werk wiederholt. Die auf 1918 Seiten angeschwollene Ausgabe von 1902 reicht alphabetisch von Abführmittel über Furunkel, Hühnerauge und Nierenentzündung bis zu Zwölffingerdarmkrebs.

Mit Frischluft und Fleischverzicht gegen Krebs

Stets beschrieb Bilz die Krankheit, nannte Ursachen und natürliche Heilungsmöglichkeiten. Daneben gab er allgemeine Ratschläge etwa zu Kleidung, Nahrung oder Fußbädern. Ein aufklappbares Modell des menschlichen Körpers am Einband sollte Biologie "zum Anfassen" ermöglichen.

Das Buch machte Bilz reich. Aber auch zum Feind sächsischer Ärzte. So beklagte der "Ausschuß zur Bekämpfung der Kurpfuscherei", der Leser werde "in gemeingefährlicher Weise zum Widerstand gegen wichtige Bestimmungen der staatlichen Seuchengesetzgebung, wie auch gegen anerkannte und bewährte ärztliche Grundsätze aufgereizt". Ähnliche Konflikte wie heute mit Naturheilkundlern gab es bereits vor gut 100 Jahren - schon damals hielten es Mediziner für fahrlässig bis tödlich, etwa einen Tumor mit Fußbädern kurieren zu wollen.

Die Ärzte verwiesen auf das Krankheitsbild Krebs. Bilz sparte operative Behandlungen einfach aus und riet schlicht zu Wasseranwendungen, fleischloser Kost, frischer Luft und Schlafen bei offenem Fenster. Auch ermunterte er seine Leser, gegen die damalige Pocken-Impfpflicht vorzugehen: "Bestes Mittel zur Aufhebung der vergiftenden Wirkung der Impfung ist, sofort nach der Impfung die Impfstelle kräftig mit dem Munde aussaugen."

Trotz aller Kritik hatte das Bilz-Buch ungeheuren Erfolg. Also ging der umstrittene Naturheiler einen großen Schritt weiter und kaufte 1890 in der damaligen Gemeinde Oberlößnitz (heute Stadtteil von Radebeul) ein Weinberggrundstück samt klassizistischer Villa, Teichen, Tierställen und Aussichtsturm. Er baute das Gelände zu einer Naturheilanstalt um, anfangs für 15 Gäste.

Barfuß im Morgentau

Der Andrang war so groß, dass Bilz das Sanatorium erweitern ließ, bis es letztlich Betten für 180 Patienten bot. Die Anlage umfasste Bäder, einen großen Park mit 20 "Lufthütten", wo sich Kurgäste in Licht und Luft ausruhen konnten, dazu Gesellschaftssäle, eine Kegelbahn, Billardtische und im Winter Schlittschuh- und Rodelanlagen. Beim Essen setzte Bilz auf Schonkost, vor allem auf vegetarische Gerichte und Obst- oder Traubenkuren.

Jeder Kurtag begann auf der Barfußwiese: Die Hosenbeine hochgekrempelt, stapfte Bilz mit seinen Gästen im Morgentau über die Wiese, um das Immunsystem abzuhärten. Ein Arzt untersuchte die Kranken, Bilz legte die Behandlungen fest: Wasseranwendungen wie Voll-, Fuß- oder Kohlensäurebäder, Dampf-, Sonnen- und Lichtbäder, Massagen, Gymnastik. Dabei nahm das Sanatorium alle möglichen Krankheitsfälle auf, von Patienten mit Migräne, Schlaganfall oder Geschlechtskrankheiten bis hin zu Gehirn- und Rückenmarkskrankheiten.

Genau wie das Bilz-Buch erregte das Sanatorium den Zorn der Ärzteschaft. Sie verbreiteten Schmähschriften über angeblich missglückte Behandlungen und katastrophale Hygienezustände; zwischenzeitlich stand die Anstalt vor dem Aus, Bilz führte mehrere Prozesse. Der Patientenansturm indes blieb ungebrochen.

Bilz wollte, dass die Naturheilkunde nicht allein betuchten Kurgästen vorbehalten blieb. Deshalb eröffnete er 1905 im nahen Kötzschenbroda auch noch das Bilz-Licht-Luft-Bad, mit geschlechtergetrennten Schwimmteichen, Tennis- und Fußballplatz sowie Turngeräten. Dort konnten Besucher in leichter Badebekleidung die Natur genießen. "Die Licht-Luftbäder härten den Körper ab, machen ihn widerstandsfähig und erheitern das Gemüt. Sie bilden daher ein Universal-Vorbeugungsmittel gegen Krankheiten", warb ein Prospekt. Dazu passte ein eigens komponiertes Lied : "Willst du bleiben jung und schön, mußt du oft ins Bilzbad geh'n."

"Die Brüste völlig freilassende Badeanzüge"

Doch auch hier sahen sich die Behörden sittenstreng zum Eingreifen genötigt. "Mehrere Frauen sollen nicht mit vorschriftsmäßigen, sondern die Brüste völlig freilassenden Badeanzügen bekleidet gewesen sein" und auch einige Männer einen "sittenverletzenden Anblick gewährt haben", hieß es in einer Beschwerde, die in den Gerichtsakten des zuständigen Oberverwaltungsgerichts landete. Das Bad musste vorübergehend schließen; ein wahrer Proteststurm inklusive Unterschriftenaktion brachte die Wiedereröffnung.

Neben Verlag, Sanatorium und Bad entdeckte der rührige Unternehmer Reformlebensmittel als weiteren Geschäftszweig. Weithin bekannt wurde die als Zaubertrank angepriesene Bilz-Brause, ein goldgelbes Erfrischungsgetränk auf Fruchtbasis, laut Etikett "für Magen-, Nerven-, Rheumatismus- und Lungen-Leidende sehr zu empfehlen". Der Name Bilz prangte ebenso unübersehbar auf Lebensmitteln wie Nährsalz, Nährsalz-Kakao und -Schokolade, Mandelmilch-Nährbiskuits oder Malzkaffee.

Mit dem Ersten Weltkrieg endete die Blüte des Bilz-Imperiums. Doch seine Schöpfungen überlebten den Naturheiler lange. Die letzte Auflage seines Buches erschien 1956, das Sanatorium wurde 1941 von der Wehrmacht beschlagnahmt, zum Teil befinden sich darin heute Luxuswohnungen. Das Bilz-Bad existiert in Radebeul noch immer als Freibad, mitsamt der 1912 eingebauten Wellenmaschine. Und die Bilz-Brause wird unter dem Namen Sinalco weiterhin verkauft.

Friedrich Eduard Bilz wurde 79 Jahre alt und starb am 30. Januar 1922 in Radebeul. Sein Grab liegt direkt neben dem des Abenteuerschriftstellers Karl May, eines langjährigen Freundes. Für den Grabstein hatte sich Bilz diesen Satz ausgesucht: "Die Natur war mein Leitstern, möchte sie auch der Leitstern der Nachwelt sein".

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren