Friedrich Tritschler Das traurige Schicksal eines deutschen Revolutionärs

Burg Teck
Foto: imago/imagebrokerÜber ein Jahr hatte er nichts anderes getan, als für ein freiheitliches und geeintes Vaterland zu streiten. Für die Revolution und die Demokratie, gegen Rechtlosigkeit und die Gewaltherrschaft des Adels. Und nun sollte alles umsonst gewesen sein? Sein Kampf für eine bessere Zukunft, für den er seine Existenz aufs Spiel gesetzt hatte, vergebens? Das durfte nicht sein!
Anfang des Jahres 1848 hatte Friedrich Tritschler sich zum Revolutionsführer aufgeschwungen in der Region um Kirchheim unter Teck, rund 30 Kilometer südöstlich von Stuttgart, der Landeshauptstadt des Königreichs Württemberg. Der Seifensieder hatte auf Versammlungen für die Freiheit gestritten, freie Wahlen gefordert, in Artikeln gegen die Willkür des Adels gewettert, sich mit der Staatsmacht von König Wilhelm I. angelegt.
Nun, am Abend des 18. Juni 1849, war die Nachricht in die Stadt Kirchheim gelangt, dass die württembergische Regierung die in Stuttgart weilenden restlichen Abgeordneten der ersten deutschen Nationalversammlung mithilfe des Militärs hatte auseinanderjagen lassen. Damit war die Nationalversammlung liquidiert, das Herzstück der demokratischen Revolution in den deutschen Ländern zerstört.
Unter den Demokraten in der Stadt Kirchheim herrschte Empörung. In der Stadt zirkulierte ein Flugblatt: "Wir sind verpflichtet, für die Nationalversammlung einzustehen mit Gut und Blut!" Im Laufe der Nacht stellte die Kirchheimer Bürgerwehr den Oberamtmann als obersten Dienstherrn der Stadt unter Hausarrest. Im Rathaus versammelten sich gegen fünf Uhr morgens wütende Stadträte und Bürger, ein provisorischer Ausschuss übernahm die Macht.
Der Revolutionär Friedrich Tritschler hielt eine leidenschaftliche Ansprache. Er beschwor seine Mitbürger, die noch jungen freiheitlichen Errungenschaften vor dem Untergang zu bewahren. Für ihn war klar - die demokratische Revolution war jetzt nur noch im Kampf zu retten. So zog Tritschler mit knapp hundert Freiwilligen los, mit Gewehren bewaffnet und mit Munition versehen.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Drang nach Freiheit und Einheit in den Staaten des Deutschen Bundes immer größer geworden - und die Bereitschaft, sich vor den Fürsten zu ducken, immer kleiner. Das Bürgertum, darunter Dichter und Professoren, drängte auf eine radikale Liberalisierung des politischen Lebens. Viele Bauern, Handwerker und Tagelöhner lebten gleichzeitig in bitterer Armut. Die Lage war explosiv.

Kirchheim unter Teck
Foto: imago/Werner OttoAnhand der schwäbischen Stadt Kirchheim unter Teck zeigt sich: Die Revolution von 1848/49 tobte nicht nur in den damaligen großen Zentren wie Mannheim, Karlsruhe, München oder Berlin, sondern sie erschütterte ebenso die Provinz. Auch in Kommunen wie Kirchheim erhoben sich die Bürger gegen die Obrigkeit, bewaffneten sich und kämpften für mehr Rechte und eine demokratische Zukunft. In Kirchheim, unterhalb einer mittelalterlichen Burg namens Teck, ereignete sich einer von zahlreichen Aufständen.
Kirchheim war damals Oberamtsstadt, Zentrum eines Verwaltungsbezirks. Nach einem Bericht des "Statistisch Topographischen Bureaus des Königreichs Württemberg" von 1842 lebten in der Gemeinde gut 5400 Menschen; fast ausschließlich Protestanten, nur rund ein Dutzend katholische Einwohner war gemeldet, keine Juden. "Die Einwohner sind ein kräftiges, derbes Geschlecht, durch strenge Arbeit teils auf dem Felde, teils in den Werkstätten abgehärtet, dessen Erwerbsfleiß wirklich oft musterhaft ist", schrieb ein Beamter in dem Report.
Bereits 1847 war es in Kirchheim, wie an anderen Orten, zu Hungerkrawallen gekommen. Die Bürger überall im Deutschen Bund klagten über kaum mehr bezahlbare Lebensmittelpreise. Das Kornhaus in Kirchheim, nur rund hundert Meter vom Rathaus entfernt, musste bewacht werden. Die Verwaltung verteilte verbilligtes Brot und Mehl. Betroffen von Armut und Not waren vor allem Handwerksgesellen, Arbeiter, Dienstboten und Tagelöhner.
Das Elend vieler Familien war der Nährboden für die politischen Proteste. Die Februarrevolution 1848 in Frankreich, die französische Grenze war nur rund 80 Kilometer entfernt, wirkte in Kirchheim wie ein Zündfunke, ebenso die erste Versammlung deutscher Aufständischer am 27. Februar in Mannheim im Nachbarland Baden.
Am 7. März 1848 trafen sich zahlreiche Kirchheimer Bürger im Rathaus, um "über das Wohl und Weh des Vaterlandes zu sprechen". Der Seifensieder Tritschler äußerste sich dabei wenig untertänig: "Der günstige Augenblick ist jetzt gekommen, wo wir von neuem Ansprüche an unsere Fürsten machen können; aber bitten wollen wir nicht mehr - sondern fordern, was uns mit Recht gebührt." Es war die erste freie Volksversammlung in der über tausendjährigen Geschichte der Stadt Kirchheim unter Teck. Und es klang nach Revolution.
Am 2. April kam es zu einer so großen Bürgerversammlung, dass sie aufgrund der vielen Teilnehmer unter freiem Himmel abgehalten werden musste: Rund 1500 Einwohner drängten sich im Hof der örtlichen Kaserne. Eine Tribüne war errichtet worden, eine schwarz-rot-goldene Nationalfahne wehte. Jeder zweite erwachsene Kirchheimer war an diesem Tag auf den Beinen, geredet wurde über Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie. Tritschler forderte freie Wahlen, "wo der brave arme Tagelöhner gleiches Stimmrecht mit dem Reichen bekommen soll". Aus Sicht der Obrigkeit eine ungeheure Anmaßung. Nun ergriff eine revolutionäre Stimmung die Stadt.
Der Revolutionär, der Kapitalist und das Streben nach Glück: Eine Geschichte von Freiheit und Auswanderung
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Geboren wurde Friedrich Tritschler 1810. Bei seinem Vater, der als Seifensieder in Kirchheim einen kleinen Betrieb hatte, absolvierte er eine Lehre. Danach verbrachte er drei Wanderjahre in Frankreich, weilte unter anderem in Paris, Nancy, Lyon und Marseille. Dort kam er mit den demokratischen Idealen der französischen Revolution in Kontakt. Außerdem fegte während seiner Zeit in Frankreich, im Jahr 1830, ein Aufstand den konservativen König hinweg, ein sogenannter Bürgerkönig wurde eingesetzt.
Tritschlers große Stärke war seine Wortgewalt. Die Lokalzeitung, das "Amts- und Intelligenzblatt", schrieb damals: "Mit dem Schwung seiner Beredsamkeit reißt er alle Zuhörer dahin, mit dem Feuer seiner Worte entzündet er alle Gemüter." Tritschler bekundete immer wieder, ein "republikanisch gesinnter Vaterlandsfreund" zu sein. Er war überzeugt, dass nur eine Republik "Einheit, Freiheit, Wohlstand" bringen könne, und fragte seine Zuhörer: "Ist das zu verwundern, wenn das Volk sich nach einer Republik sehnt, nachdem das Joch der Monarchien unser Vaterland bis zum Ersticken drückte?"
Im Laufe des Jahres 1848 errangen die Demokraten in fast allen deutschen Staaten wachsenden Einfluss, in manchen Ländern wurden Revolutionäre in die Kabinette der Fürsten berufen, es wurde Pressefreiheit gewährt. Doch im letzten Drittel 1848 gewannen die Gestrigen wieder an Macht und schlugen rücksichtslos zurück: In Österreich-Ungarn wurde die Revolution zusammengeschossen, in Berlin ordnete der König die Auflösung der preußischen Nationalversammlung an und schickte seine Truppen gegen die eigenen Bürger. Der Dichter Theodor Fontane, während dieser Zeit in Berlin, sollte später schreiben: "Volkswille war nichts, königliche Macht war alles."
Am 28. April 1849 lehnte Preußens König Wilhelm IV. die ihm von der Nationalversammlung angebotene deutsche Kaiserkrone ab. Später wurde bekannt, dass er sie als "Schweinekrone" bezeichnet hatte, weil sie "den Ludergeruch der Revolution" verbreite. Bereits im März hatte er in einem Brief an den Dichter Ernst Moritz Arndt geschrieben: "Jedoch zum Abschied die Wahrheit: Gegen Demokraten helfen nur Soldaten."
Friedrich Tritschler war im Frühjahr 1849 bewusst, dass die freiheitlichen Errungenschaften auch in seiner Heimat in größter Gefahr waren. Der demokratisch gesinnte Kirchheimer Volksverein, den Tritschler mitgegründet hatte, veröffentlichte einen flammenden Appell: "Mitbürger! Es gibt nur eine Wahl: entweder Demokratie oder Despotie, nur einen Kampf, den der Freiheit gegen die Knechtschaft. Unser Wahlspruch ist: Alles für das Volk und durch das Volk!" Anfang Juni kam es in Kirchheim wiederholt zu blutigen Schlägereien zwischen Anhängern und Gegnern der Revolution.
So sah Friedrich Tritschler am Morgen des 19. Juni 1849, nachdem am Abend vorher in Stuttgart die letzten Abgeordneten der deutschen Nationalversammlung vertrieben worden waren, nur noch eine Möglichkeit: eine bewaffnete Truppe zusammenzustellen, um sich den alten Machthabern, den Feinden der Demokratie, gewaltsam entgegenzustellen.
Er zog mit knapp hundert Mann aus Kirchheim los - doch in den umliegenden Orten fanden sich kaum weitere Kämpfer. Gerade einmal acht mit Sensen bewaffnete Kerle schlossen sich seinem Zug noch an. Viele Männer teilten seine Ansichten, aber ihr Leben wollten sie für die Freiheit nicht riskieren.
So kehrte die Truppe im Lauf des Tages ernüchtert um. Tritschler notierte: "Überall fanden wir leider gleiches erbärmliches Schwanken, nirgends einen festen Entschluss, nirgends Aufopferungsfähigkeit." Die Revolution war am Ende, in Deutschland und in Kirchheim unter Teck.
Für seinen aufrechten Kampf sollte Friedrich Tritschler einen hohen Preis bezahlen. In der schwäbischen Provinz folgten, wie in ganz Deutschland, Jahre der Repression. Tritschler wurde zu fünfeinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Er floh in die Schweiz, im Frühsommer 1850 wanderte er nach Amerika aus. Er ließ sich im US-Bundesstaat Illinois nieder und arbeitete wieder als Seifensieder. Doch es sollte ihm nicht gelingen, in seiner neuen Heimat Fuß zu fassen. Er hatte geschäftlich keinen Erfolg und häufte hohe Schulden an. Am 21. September 1859 starb er.
In seiner Heimatstadt Kirchheim unter Teck erinnerte über 150 Jahre lang nichts an Friedrich Tritschler, kein Platz und keine Straße waren nach ihm benannt. Erst 2016 beschloss der Gemeinderat in einem neuen innerstädtischen Viertel, die dortige Hauptstraße nach ihm zu benennen. Freiheitshelden hatten es in der deutschen Geschichte schon immer schwer.