
Einmal um die ganze Welt - Pioniere der Reisefotografie
Felice Beato/ Prestel Verlag
Frühe Reisefotografie Die Welt vor Instagram
Philipp Remelé hat viele Gegner im Frühjahr 1874. Wind. Hitze. Gleißende Helligkeit. Sie machen das Fotografieren in der libyschen Wüste, einer noch kaum erforschten Region Hunderte Kilometer südöstlich von Kairo, zur Tortur und Geduldsprobe.
Allein diese verdammten Dattelpalmen in den Oasen: Unzählige Male schon hat Remelé versucht, Palmwedel scharf zu fotografieren. Doch wie soll das klappen, bei Belichtungszeiten von mitunter zehn Minuten? Kein Windhauch darf wehen - was in der Wüste selten vorkommt.
Noch schlimmer ist die Hitze. Sie trocknet die Glasplatten-Negative, die Remelé vor jedem Foto mühsam mit einem Bindemittel und einer lichtempfindlichen Substanz bestreichen muss, zu schnell oder zu unregelmäßig aus. "Die Chemikalien versagten den Dienst. Ein dichter Schleier bedeckte beim Entwickeln die Platten", schreibt Remelé später frustriert in der Fachzeitschrift "Photographische Nachrichten".
Katastrophe im Sandsturm
Am 18. Januar 1874 kommt es gar zur "Katastrophe", wie der deutsche Fotograf notiert. Auf einem Wüstenplateau nahe der Oase Dachla erwischt ihn ein Sandsturm völlig unvorbereitet. Sein massives Stativ kippt um, der Wind schleudert seine wertvolle Panoramakamera gegen harte Kalkfelsen, Sandkörner zerstören schon fertig belichtete Fotoplatten.

Historische Reisefotografie
Felice Beato/ Prestel Verlag
"Ich versuchte zu retten, kam aber zu spät", schreibt Remelé. Die Arbeit von Tagen - dahin. Die schwere Ausrüstung - teilweise zerstört. "Mit zerschlagenem Apparate, ohne irgendwelche Ergebnisse meiner mühsamen Tour, musste ich durch die Wüste, die mir nie so grau vorkam wie an diesem Tag, wieder nach Hause." Remelés Assistent verhinderte noch Schlimmeres, indem er die transportable Dunkelkammer im Sturm umklammerte.
Heute kann jeder Handyamateur sekundenschnell Dutzende technisch perfekte Bilder schießen. Vor 150 Jahren aber waren Fotografen noch im doppelten Sinne Pioniere: Sie kämpften mit einer neuen, widerborstigen, längst nicht ausgefeilten Technik. Dazu bereisten sie Gegenden, die noch nicht bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet waren - zum Beispiel die libysche Wüste.
"Von ganz Nordafrika war in der That dies der unbekannteste Theil, von dem nur die Ränder geographisch einigermaßen erforscht waren", schrieb der deutsche Afrikaforscher Gerhard Rohlfs über diese Gegend. Sein Plan für eine große Expedition 1873/1874: Karten anfertigen, archäologische Stätten dokumentieren, nach einem toten Nilbett suchen. Dafür hat ihm ein ägyptischer Fürst die stolze Summe von 80.000 Mark bereitgestellt.
Ein Kamel fürs mobile Chemielabor
Das Geld reicht für 100 Kamele und 97 Männer, darunter Fotograf Remelé. Er ist Chemiker aus gutbürgerlichem Haus, Sohn eines Privatlehrers. Schon in jungen Jahren hat Remelé sich einen Namen als Landschaftsfotograf gemacht. Und wie Rohlfs selbst, ein Arztsohn, Aussteiger und Fremdenlegionär, reizt ihn die Ferne genauso wie Abenteuer und Risiken.
Fotografieren ist damals nur mit enormem Aufwand möglich. Remelé braucht ein Kamel für seine sperrige, fragile Ausrüstung. Schon auf der Eisenbahnfahrt von Alexandria nach Assiut, Ausgangspunkt der Expedition, zerbrechen zwei wertvolle Röhren mit Silberbadlösung sowie Eisenoxydul-Ammoniak zum Entwickeln der Fotos. Später schüttelt ein störrisches Kamel eine Kiste voller Glasplatten ab und vernichtet so 131 Fototräger.

Remelés Aufnahme eines Felstors
Foto: Philipp Remelé/ Prestel VerlagAn Schnappschüsse ist nicht zu denken: "Ein Photographiren während des Marschs der Karawane ließ sich nicht bewerkstelligen", schreibt Remelé. "Das Abpacken, Aufschlagen des Zeltes u.s.w. war viel zu zeitraubend, um später die Karawane wieder einholen zu können." Sieht er etwas Interessantes, muss Remelé Tage später per Einzelexkursion dorthin zurückkehren.
Expeditionsleiter Rohlfs lobt später die Geduld seines "muthvollen Künstlers", der sich auch durch "Misslingen" nicht habe abschrecken lassen. Und er schwärmt von dem neuen Medium: Selbst "eine schlechte Fotografie" sei "immer besser als die beste Zeichnung", um Orte oder Ereignisse "so treu wie möglich" festzuhalten.
In dieser Zeit hatte die Fotografie ihre Unschuld noch nicht verloren. Menschen empfanden Fotos als unmittelbare Abbildungen der Realität, nicht wie heute als emotional, subjektiv, manipulierbar. Niemand ahnte, dass Fotos Massen aufwiegeln und Kriege entfesseln können.
Erste Fotoreise für Touristen
Der sehr gelungene Bildband "Die Entdeckung der Welt - frühe Reisefotografie von 1850 bis 1914" (Prestel-Verlag) erzählt von dieser längst vergessenen Phase der Fotografie. Sie beginnt mit dem französischen Maler Louis Daguerre, dem es 1839 gelang, von den Bildern der Camera obscura "einen festen und dauerhaften Abdruck" herzustellen.
Das neue Verfahren, Daguerreotypie genannt, verbreitete sich rasend schnell, obwohl damit nur Unikate auf Silber- und Kupferplatten hergestellt werden konnten. Ihre wahre revolutionäre Wucht entfaltete die Fotografie aber erst, als der Brite William Henry Talbot zwei Jahre später ein Negativ-Positiv-Verfahren entwickelte. Damit waren Abzüge möglich - und eine erste Fotoflut.
Weltweit entfachte die neue Technik Fotobegeisterung und beflügelte zugleich den Unternehmergeist. Fotoateliers eröffneten und verkauften Bilder mit den Sehenswürdigkeiten ihrer Stadt. Schon 1841 organisierte Reisepionier Thomas Cook eine erste Fotoreise für 570 Urlauber in eine britische Kleinstadt: Beginn der bis heute erfolgreichen Partnerschaft von Tourismus und Fotografie.
Der Bildband enthält nicht nur frühe Farbfotos, viele gelungene Porträts und Landschaftsaufnahmen, von denen manche noch wie Kunststiche wirken. Man stößt auch auf das Unperfekte: Da versucht ein dänischer Fotograf verzweifelt, das Polarlicht festzuhalten; ihm gelingen nur verschwommene Lichtschlangen. Ein anderer Fotograf klagt 1863, er könne die majestätische Schönheit des Himalaja kaum einfangen - dabei waren Fotos auf 5500 Meter Höhe damals eine Sensation.
Pferde in New York, Angor Wat ohne Touristen
Unwillkürlich sucht man im Bildband auch das Verlorene. Was hat sich verändert an den Orten, die wir gern bereisen? Kambodschas Angkor Wat oder die Halong-Bucht in Vietnam wirken noch menschenleer. In New York fahren um 1890 viele Pferdekutschen. In Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, dominieren Holzhäuser statt Betonapartments. Ein Foto von 1914 zeigt die Ausgrabungsstätte im syrischen Palmyra, die IS-Terroristen hundert Jahre später massiv schändeten.
Am spannendsten aber sind die Geschichten hinter den Fotos. So berührten Aufnahmen aus der Yellowstone-Region von 1871 US-Politiker derart, dass der Kongress im Jahr darauf beschloss, dort den ersten Nationalpark der Welt einzurichten.

Die Mammoth Hot Springs im Yellowstone-Nationalpark
Foto: William Henry Jackson/ Prestel VerlagDie Gründe, teure Fotos im 19. Jahrhundert anzufertigen, waren sehr unterschiedlich. Koloniale Ansprüche sollten dokumentiert, Baufortschritte belegt oder Geschäftspartner bei Laune gehalten werden. Archäologen und Ethnologen interessierten sich für alte Tempel und exotische Völker. In einer Zeit, in der fremde und missgebildete Menschen in "Völkerschauen" wie Zootiere ausgestellt wurden, waren Porträts aus der Ferne gefragt.
Früher Tod des Fotopioniers
Auch Philipp Remelé verstand sich als Ethnologe mit Kamera. In der libyschen Wüste fotografierte er nicht nur tagelang einen versunkenen ägyptischen Tempel, den die Expedition von Sandmassen befreit hatte. Er fertigte auch Dutzende Porträts der Oasenbewohner an. Ihre Köpfe fixierte er wegen der langen Belichtungszeit in einer Halterung. Das Stillsitzen klappte meist recht gut, schrieb er später. Nur ein Barbier "wackelte aus Angst zehnmal hintereinander".
Preisabfragezeitpunkt
03.06.2023 07.00 Uhr
Keine Gewähr
Gut 200 Fotos brachte Remelé von seiner Expedition zurück. Daraus entstanden mehr als hundert Prachtalben. Stolz listete Expeditionsleiter Rohlfs auf, dass der deutsche, russische und brasilianische Kaiser sowie die britische Königin besonders elegant gebundene Ausgaben erhielten. Die Begeisterung über die Qualität der Fotos war groß. Am Ende waren Remelé sogar unverwackelte Aufnahmen von Palmen gelungen.
Im Dezember 1883, nur zehn Jahre nach diesem Erfolg, starb Philipp Remelé mit 39 Jahren in Köln. Zuvor hatte er noch eine Fotoreise nach Marokko unternommen und zwei Jahre lang an Bord einer deutschen Panzerfregatte gearbeitet, die bis in die Südsee und Australien fuhr.
Ein Brief legt nahe, Remelé habe sich das Leben genommen. Belegt ist das nicht. Und auch über ein Motiv kursieren nur Gerüchte. So soll der Mann, der andere Menschen dank seiner Fotos ferne Welten sehen ließ, selbst seine Sehkraft verloren haben - beim Arbeiten mit ätzendem Fotochemikalien.