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30 Jahre Game Boy: Spielvergnügen mit dem Wunderjungen

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Der Game Boy wird 30 Verschwende deine Jugend!

Ein kleiner grauer Kasten kam 1989 in die Spielzimmer und wurde zum Welterfolg, Tetris begeisterte auch Erwachsene. Alex Raack scheuerte sich mit dem Game Boy die Daumen wund. Er bereut keine Minute.

Nur einmal kurz die Augen schließen, in den Erinnerungen schwelgen, schon ist alles wieder da. Die eineinhalb Quadratmeter zwischen Schreibtisch und dem mannshohen Fenster im zweiten Stock, von der Nachmittagssonne wie eine Bühne beleuchtet. Spätsommer 1993: zwei Jungs, ein Game Boy. Die Jungs fast zehn, der Game Boy ganz frisch. Eine kleine Box mit Spielen, graue Kassetten, halb so groß wie ein Toastbrot, pingelig verwahrt in Plastikschatullen.

Die Wahl fällt auf "Litti's Summer Sports", das der Rest der Welt als "Track Meet" kennt, aber in Deutschland ist erstaunlicherweise Fußballer Pierre Littbarski Testimonial dieses Leichtathletikspiels. Im Spiel taucht der Krummbeiner nicht auf. Dort muss es ein äußerst bieder frisierter und gekleideter Charakter unter anderem mit einem bärenstarken Dorftrottel und einem Ninja aufnehmen, im Stabhochsprung, Gewichtheben oder Hürdenlauf.

Wie die Schutzhülle aufknackt - ein feierlicher Moment. Kenner halten jetzt das Spiel wie eine Mundharmonika vor die Lippen und pusten einmal frisch durch. Das Einrasten der Kassette. Das mechanische Geräusch des Power-Buttons, das je nach Batteriestand greller leuchtende rote Licht: alles für immer in den Kindheitserinnerungen abgespeichert.

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30 Jahre Game Boy: Spielvergnügen mit dem Wunderjungen

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"Litti's Summer Sports" war eines der wenigen Spiele, das man ziemlich gut zu zweit auf einem Gerät spielen konnte - weil dann nämlich einer das Steuerkreuz und den Sprung-Knopf bediente, während der andere sich die Kuppen von Daumen und Zeigefinger auf dem Sprint-Button wundscheuerte (bis wir feststellten, dass ein Teelöffel noch bessere Dienste tat). Also steuerten wir unseren biederen Zehnkämpfer eben zusammen, merkwürdig ineinander verkeilt auf der eineinhalb Quadratmeter großen Bühne unserer Kindheit.

Die Ängste der Eltern

Videospiele wurden schon damals von Eltern verteufelt, aber die hatten ja keine Ahnung. Nur mit viel Überredungskunst war meine Mutter endlich zum Kauf dieses Game Boys zu bewegen. Dabei durfte ich nicht mal He-Man-Figuren besitzen und schon gar keine NES-Konsole - sie befürchtete, das würde mich auf Dauer zu einem verfetteten, einsamen und verwirrten Teenager machen.

Doch weder wurden meine NES-Freunde einsamer (im Gegenteil) noch meine He-Man-Kumpels fetter. Und der graue Kasten schweißte mich erst recht mit dem Freund zusammen. Süß der Sieg, wenn man mit schmerzenden Fingerkuppen der Nachmittagssonne entgegenjubelte, während im Hintergrund der rauschende Game Boy eine aufgepeitschte Masse im Stadion simulierte. So ging es los.

Wie viele Stunden meines Lebens verbrachte ich wohl mit guten Freunden vor Videospielen? Ich bin jetzt 35 und bereue nicht eine davon. Deshalb überkommen Menschen jenseits der 30 noch heute nostalgische Gefühle, wenn es um den Game Boy geht. Das muss ein Produkt erst mal schaffen.

Der Ursprung für all das liegt im Jahr 1965, als ein 23-jähriger Maschinenwart namens Gunpei Yokoi bei Nintendo anheuerte; reich geworden war das Traditionsunternehmen mit Spielkarten. Der Game-Boy-Legende nach begann Yokoi aus Langeweile, Spielzeug zu erfinden. Eine seiner Ideen war die "Ultra Hand", ein Teleskopgreifarm, der Nintendos erstes Millionengeschäft außerhalb der Karten-Welt wurde.

Firmenboss Hiroshi Yamauchi handelte klug und beförderte seinen unterbeschäftigten Erfinder zum Chef der hauseigenen Abteilung Research & Development. Unter Yokois Leitung schuf Nintendo den legendären "Love Tester" und brachte die "Game & Watch"-Serie auf den Markt: Videospiele im Scheckkartenformat. In meiner Grundschulklasse gab es genau einen Jungen, der so ein Teil hatte. Wir beneideten ihn in genau jeder Pause.

"Tetris fanden auch die Erwachsenen super"

Sein Meisterstück aber präsentierte Herr Yokoi erstmals 1987. Damals gab es bereits tolle Konsolen, allen voran das Nintendo Entertainment System - man konnte Stunden damit verbringen, mit Schnauzbart-Klempner Mario Prinzessin Daisy zu retten. Auch "Handhelds", tragbare Videospiele, ermöglichten schon frühzeitliche Zockerei, aber mit einigen Nachteilen: Man konnte nur ein Spiel spielen, sie waren ziemlich unhandlich und schweineteuer, die Batterien hielten nicht lange.

Gunpei Yokoi entwarf deshalb ein Handheld mit nur vier normalen (und damit für Schulkinder erschwinglichen) Batterien. Das hielt 20 Stunden lang, war wunderbar zu bedienen, man konnte dank des Stecksystems verschiedene Spiele daddeln - und das auch noch günstiger als bei allen Konkurrenzprodukten. Entwickler Paul Machacek, der später die Game-Boy-Version des Spieleklassikers "Donkey Kong" kodieren sollte, erinnert sich an die Präsentation von 1987: "Das war die Konsole für die Hosentasche. Genau das, was wir brauchten."

Während Yokoi die Entwicklung des Game Boys abschloss, besuchte Nintendo-Manager Minoru Arakawa 1988 eine Messe und sah dort erstmals ein Puzzlespiel, das der junge russische Ingenieur Alexei Paschitnow bereits vier Jahre zuvor programmiert hatte. Nintendo sicherte sich umgehend die Game-Boy-Rechte für Tetris - eine geniale Kombination, wie sich zeigen sollte. "Tetris fanden auch die Erwachsenen super", so Entwickler Machacek, "das machte es ihnen einfacher, einen Game Boy zu kaufen."

Die technischen Daten sind im Vergleich zu heutigen Geräten albern. Schön war das Ding auch nicht direkt - ein hellgrauer Plastikblock, der Bildschirm klein, schwarz-weiß und ohne Beleuchtung, der Lautsprecher quäkend. Aber es wurde ein Riesenerfolg.

Am 21. April 1989 kam der Wunderjunge in Japan auf den Markt; bis heute wurden rund 120 Millionen Stück verkauft. Ab 31. Juli 1989 gab es den Game Boy in den USA zu kaufen, die Europäer mussten bis zum 28. September 1990 warten, ehe Nintendo mit viel Getöse auch hier sein neues Superspielzeug unters Volk brachte. Übrigens zu Beginn nur in Kombination mit Tetris - was das Spiel endgültig weltbekannt machte und dafür sorgte, dass der Game Boy nicht nur in Kinderzimmern gesichtet wurde. 1991 ließ sich US-Präsident George Bush senior mit Game Boy auf seinem Krankenbett ablichten, für Nintendo ein PR-Coup sondergleichen.

Auf Anhieb Level 7 bei Super Mario

Aber eigentlich war der Game Boy wie alle guten Spielzeuge für uns Kinder gemacht. Weil seine Batterien so lange hielten, war er wie geschaffen für lange Fahrten in den Urlaub oder stundenlange Daddelei. Es gab mehr Spiele, als man sich leisten konnte, und einige davon - Super Mario, Donkey Kong, Zelda, später Pokémon - wurden selbst zu Klassikern. Der Game Boy hat einfach den Nerv der Zeit getroffen. Oder wie es Nintendo-Boss Yamauchi sagte: "Das ist wie bei der Mode. Man muss ein Gefühl dafür haben."

Diese Konsole bewies auch Ausdauer. Unglaubliche neun Jahre lang war der klassische Game Boy Marktführer unter den Handhelds, ehe er 1998 vom Game Boy Colour abgelöst wurde. Es folgten der Game Boy Advance und 2004 der Game Boy DS, der noch einmal sämtliche Verkaufsrekorde brach.

Wir Kinderdaddler machten derweil Abi und gingen studieren. Doch statt den Game Boy auf dem Flohmarkt zu verkaufen, legten wir ihn aufs WG-Klo. Aus Nostalgie, aber auch, weil das Spielen noch 15 oder 20 Jahre später Spaß machte. DJs nutzten den Kasten zum Musikmachen, die Melodien der Spiele wurden ähnlich populär wie ihre Charaktere. So fand der Game Boy einen Platz in der Popkultur und hat bis heute den Ruf als eines der besten Videospielgeräte aller Zeiten.

Den Game Boy habe ich jetzt wieder hervorgekramt und es auf Anhieb bis ins siebte Level bei Super Mario geschafft. Nicht so übel. Es war aber nur ein schwacher Trost - "Litti's Summer Sports", mein altes Lieblingsspiel, scheint verschwunden zu sein.

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