
Der Game Boy wird 30 Verschwende deine Jugend!
- • "Masters Of The Universe": Barbies barbarische Brüder
- • Kultkonsole NES: Daddeldroge im Kastenformat
Nur einmal kurz die Augen schließen, in den Erinnerungen schwelgen, schon ist alles wieder da. Die eineinhalb Quadratmeter zwischen Schreibtisch und dem mannshohen Fenster im zweiten Stock, von der Nachmittagssonne wie eine Bühne beleuchtet. Spätsommer 1993: zwei Jungs, ein Game Boy. Die Jungs fast zehn, der Game Boy ganz frisch. Eine kleine Box mit Spielen, graue Kassetten, halb so groß wie ein Toastbrot, pingelig verwahrt in Plastikschatullen.
Die Wahl fällt auf "Litti's Summer Sports", das der Rest der Welt als "Track Meet" kennt, aber in Deutschland ist erstaunlicherweise Fußballer Pierre Littbarski Testimonial dieses Leichtathletikspiels. Im Spiel taucht der Krummbeiner nicht auf. Dort muss es ein äußerst bieder frisierter und gekleideter Charakter unter anderem mit einem bärenstarken Dorftrottel und einem Ninja aufnehmen, im Stabhochsprung, Gewichtheben oder Hürdenlauf.
Wie die Schutzhülle aufknackt - ein feierlicher Moment. Kenner halten jetzt das Spiel wie eine Mundharmonika vor die Lippen und pusten einmal frisch durch. Das Einrasten der Kassette. Das mechanische Geräusch des Power-Buttons, das je nach Batteriestand greller leuchtende rote Licht: alles für immer in den Kindheitserinnerungen abgespeichert.
"Litti's Summer Sports" war eines der wenigen Spiele, das man ziemlich gut zu zweit auf einem Gerät spielen konnte - weil dann nämlich einer das Steuerkreuz und den Sprung-Knopf bediente, während der andere sich die Kuppen von Daumen und Zeigefinger auf dem Sprint-Button wundscheuerte (bis wir feststellten, dass ein Teelöffel noch bessere Dienste tat). Also steuerten wir unseren biederen Zehnkämpfer eben zusammen, merkwürdig ineinander verkeilt auf der eineinhalb Quadratmeter großen Bühne unserer Kindheit.
Die Ängste der Eltern
Videospiele wurden schon damals von Eltern verteufelt, aber die hatten ja keine Ahnung. Nur mit viel Überredungskunst war meine Mutter endlich zum Kauf dieses Game Boys zu bewegen. Dabei durfte ich nicht mal He-Man-Figuren besitzen und schon gar keine NES-Konsole - sie befürchtete, das würde mich auf Dauer zu einem verfetteten, einsamen und verwirrten Teenager machen.
Doch weder wurden meine NES-Freunde einsamer (im Gegenteil) noch meine He-Man-Kumpels fetter. Und der graue Kasten schweißte mich erst recht mit dem Freund zusammen. Süß der Sieg, wenn man mit schmerzenden Fingerkuppen der Nachmittagssonne entgegenjubelte, während im Hintergrund der rauschende Game Boy eine aufgepeitschte Masse im Stadion simulierte. So ging es los.
Wie viele Stunden meines Lebens verbrachte ich wohl mit guten Freunden vor Videospielen? Ich bin jetzt 35 und bereue nicht eine davon. Deshalb überkommen Menschen jenseits der 30 noch heute nostalgische Gefühle, wenn es um den Game Boy geht. Das muss ein Produkt erst mal schaffen.
Der Ursprung für all das liegt im Jahr 1965, als ein 23-jähriger Maschinenwart namens Gunpei Yokoi bei Nintendo anheuerte; reich geworden war das Traditionsunternehmen mit Spielkarten. Der Game-Boy-Legende nach begann Yokoi aus Langeweile, Spielzeug zu erfinden. Eine seiner Ideen war die "Ultra Hand", ein Teleskopgreifarm, der Nintendos erstes Millionengeschäft außerhalb der Karten-Welt wurde.
Firmenboss Hiroshi Yamauchi handelte klug und beförderte seinen unterbeschäftigten Erfinder zum Chef der hauseigenen Abteilung Research & Development. Unter Yokois Leitung schuf Nintendo den legendären "Love Tester" und brachte die "Game & Watch"-Serie auf den Markt: Videospiele im Scheckkartenformat. In meiner Grundschulklasse gab es genau einen Jungen, der so ein Teil hatte. Wir beneideten ihn in genau jeder Pause.
"Tetris fanden auch die Erwachsenen super"
Sein Meisterstück aber präsentierte Herr Yokoi erstmals 1987. Damals gab es bereits tolle Konsolen, allen voran das Nintendo Entertainment System - man konnte Stunden damit verbringen, mit Schnauzbart-Klempner Mario Prinzessin Daisy zu retten. Auch "Handhelds", tragbare Videospiele, ermöglichten schon frühzeitliche Zockerei, aber mit einigen Nachteilen: Man konnte nur ein Spiel spielen, sie waren ziemlich unhandlich und schweineteuer, die Batterien hielten nicht lange.
Gunpei Yokoi entwarf deshalb ein Handheld mit nur vier normalen (und damit für Schulkinder erschwinglichen) Batterien. Das hielt 20 Stunden lang, war wunderbar zu bedienen, man konnte dank des Stecksystems verschiedene Spiele daddeln - und das auch noch günstiger als bei allen Konkurrenzprodukten. Entwickler Paul Machacek, der später die Game-Boy-Version des Spieleklassikers "Donkey Kong" kodieren sollte, erinnert sich an die Präsentation von 1987: "Das war die Konsole für die Hosentasche. Genau das, was wir brauchten."
Während Yokoi die Entwicklung des Game Boys abschloss, besuchte Nintendo-Manager Minoru Arakawa 1988 eine Messe und sah dort erstmals ein Puzzlespiel, das der junge russische Ingenieur Alexei Paschitnow bereits vier Jahre zuvor programmiert hatte. Nintendo sicherte sich umgehend die Game-Boy-Rechte für Tetris - eine geniale Kombination, wie sich zeigen sollte. "Tetris fanden auch die Erwachsenen super", so Entwickler Machacek, "das machte es ihnen einfacher, einen Game Boy zu kaufen."
Die technischen Daten sind im Vergleich zu heutigen Geräten albern. Schön war das Ding auch nicht direkt - ein hellgrauer Plastikblock, der Bildschirm klein, schwarz-weiß und ohne Beleuchtung, der Lautsprecher quäkend. Aber es wurde ein Riesenerfolg.
Am 21. April 1989 kam der Wunderjunge in Japan auf den Markt; bis heute wurden rund 120 Millionen Stück verkauft. Ab 31. Juli 1989 gab es den Game Boy in den USA zu kaufen, die Europäer mussten bis zum 28. September 1990 warten, ehe Nintendo mit viel Getöse auch hier sein neues Superspielzeug unters Volk brachte. Übrigens zu Beginn nur in Kombination mit Tetris - was das Spiel endgültig weltbekannt machte und dafür sorgte, dass der Game Boy nicht nur in Kinderzimmern gesichtet wurde. 1991 ließ sich US-Präsident George Bush senior mit Game Boy auf seinem Krankenbett ablichten, für Nintendo ein PR-Coup sondergleichen.
Auf Anhieb Level 7 bei Super Mario
Aber eigentlich war der Game Boy wie alle guten Spielzeuge für uns Kinder gemacht. Weil seine Batterien so lange hielten, war er wie geschaffen für lange Fahrten in den Urlaub oder stundenlange Daddelei. Es gab mehr Spiele, als man sich leisten konnte, und einige davon - Super Mario, Donkey Kong, Zelda, später Pokémon - wurden selbst zu Klassikern. Der Game Boy hat einfach den Nerv der Zeit getroffen. Oder wie es Nintendo-Boss Yamauchi sagte: "Das ist wie bei der Mode. Man muss ein Gefühl dafür haben."
Diese Konsole bewies auch Ausdauer. Unglaubliche neun Jahre lang war der klassische Game Boy Marktführer unter den Handhelds, ehe er 1998 vom Game Boy Colour abgelöst wurde. Es folgten der Game Boy Advance und 2004 der Game Boy DS, der noch einmal sämtliche Verkaufsrekorde brach.
Wir Kinderdaddler machten derweil Abi und gingen studieren. Doch statt den Game Boy auf dem Flohmarkt zu verkaufen, legten wir ihn aufs WG-Klo. Aus Nostalgie, aber auch, weil das Spielen noch 15 oder 20 Jahre später Spaß machte. DJs nutzten den Kasten zum Musikmachen, die Melodien der Spiele wurden ähnlich populär wie ihre Charaktere. So fand der Game Boy einen Platz in der Popkultur und hat bis heute den Ruf als eines der besten Videospielgeräte aller Zeiten.
Den Game Boy habe ich jetzt wieder hervorgekramt und es auf Anhieb bis ins siebte Level bei Super Mario geschafft. Nicht so übel. Es war aber nur ein schwacher Trost - "Litti's Summer Sports", mein altes Lieblingsspiel, scheint verschwunden zu sein.
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Gestatten: Wunderjunge! Am 21. April 1989 stellt Nintendo den neuen Coup des Spieleentwicklers Gunpei Yokoi vor. Der Game Boy ist eine tragbare 8-Bit-Konsole der vierten Generation und vor allem perfekt auf die Bedürfnisse kleiner und großer Zocker eingestellt. Der allererste Game Boy kostete 10242,07 Yen. Im Juli '89 kam er auch auf den US-Markt, im September nach Europa. Die Konsole
Ein Handheld, ein Spiel: Schon 1980 hatte Nintendo sich einen Namen auf dem Markt für portable Videospiele gemacht. Nachteil: Pro Gerät war nur ein Spiel installiert, wer ein anderes spielen wollte, musste ein neues Gerät kaufen. Das erste Spiel der "Game & Watch"-Reihe hieß "Ball", das letzte von insgesamt 56 "Mario the Juggler". Bis die Serie am 14. Oktober 1990 endete, hatte Nintendo mehr als 43 Millionen Exemplare verkauft.
Der Erfolg des Game Boys hat vor allem mit der Software zu tun, für die Nintendo das optimale Handheld entwickelt hatte. Der dicknasige Klempner Super-Mario entstand bereits 1985, als der Ingenieur Shigeru Miyamoto aus "Die Schöne und das Biest", "Donkey Kong" und "Alice im Wunderland" eine eigene Märchenwelt erfand - Mario wurde weltweit auf Millionen von Konsolen gesteuert. Mit Nintendo ist die Mario-Serie eng verbunden; sie lässt den freundlichen Handwerker nicht nur hüpfen, sondern auch im unvergessenen Mario-Kart Rennen fahren.
Unterbeschäftigter Erfinder: Gumpei Yokoi heißt der Kopf hinter der Entwicklung des Game Boy. Er entwarf ein Handheld mit vier normalen Batterien, in schlichter Optik und mit kleinem Bildschirm - die Konsole für die Hosentasche.
DAS Game Boy-Spiel schlechthin ist Tetris: Der russische Programmierer Alexej Paschitnow war 1984 auf die Idee gekommen, das in seiner Kindheit beliebte Puzzlespiel "Pentomino" für Computer umzusetzen - eine der berühmtesten Erfindungen in der Geschichte der Videospiele. 1988 sichert sich Nintendo die Tetris-Rechte für den Game Boy und macht das Spiel damit endgültig zum Welterfolg. Die legendäre Tetris-Melodie basiert übrigens auf dem 1861 geschriebenen Lied "Korobeiniki".
Kaum hatte Nintendo den Game Boy vorgestellt, begann SEGA an den Arbeiten eines besseren Konkurrenzprodukts. Der Game Gear wurde am 31. Oktober 1990 in Japan und ein Jahr später in den USA und Europa vorgestellt. Grafisch war SEGAs Game-Boy-Antwort besser, doch den großen Erfolg verhinderten die kürzere Akkulaufzeit, der höhere Preis (299 DM, den Game Boy gab es für 149 DM) und das unhandliche Format (den Game Gear konnte man sich, anders als den Game Boy, nicht in die Hosentasche stecken). Am Ende verkaufte SEGA nur elf Millionen Game Gears.
Dieser freudige Zocker heißt Minoru Arakawa und war der erste Präsident von Nintendos US-Ableger. Arakawa hatte die Tochter von Firmenboss Hiroshi Yamauchi geheiratet und war so ins Unternehmen gekommen. Ihm verdankt der legendäre Super Mario seinen Namen: Vermieter eines der Nintendo-Warenhäuser war der Italo-Amerikaner Mario Segale. Der Legende nach entschieden Arakawa und Kollegen irgendwann, dem nur als "Jumpman" bekannten Jump&Run-Pionier den Namen "Mario" zu geben.
Arakawa war es auch, der Tetris zum Game-Boy-Titel machte, als er sich über einen Mittelsmann die Rechte für die mobile Version sicherte. Nintendo sollte 34 Millionen Tetris-Exemplare allein für den Game Boy verkaufen. Wer mit dem Spiel aber nie reich wurde: der russische Programmierer Alexej Paschitnow, der die Idee hatte.
Klötzchen stapeln in Farbe: Mit dem Game Boy Color war der Schwarz-Weiß-Bildschirm mit den wenigen Graustufen Vergangenheit.
1994 erhörte Nintendo endlich die Gebete seiner Fans und veröffentlichte die Game-Boy-Version von Donkey Kong. Schon lange zuvor gab es für Spielwütige auf diversen Konsolen den fässerschmeißenden Affen, für die Game-Boy-Version musste Kodierer Paul Machacek eine kleine Meisterleistung vollbringen: "Das Game-Boy-Spiel WWF SuperStars hatten wir in drei Monaten entwickelt und veröffentlicht - Testphase inklusive. Bei Donkey Kong brauchte ich allein drei Wochen, um es vollständig zu kodieren. Während es bei anderen Spielen sechs bis acht verschiedene Charaktere gab, waren es bei Donkey Kong 24."
Alltagsbild in den Kinderzimmern der Neunzigerjahre: Später verkaufte Nintendo ein Adapterkabel, mit dem man beide Geräte verbinden und gegeneinander spielen konnte. Erstaunliche neun Jahre lang blieb der klassische Game Boy das meistbenutzte Handheld. Was auch am großen Erfolg der Software lag - als der Game Boy sich 1996 scheinbar schon abgenutzt hatte, brachte Nintendo das längst schwer beliebte Spiel Pokémon in die Regale, ein neuerlicher Riesenerfolg.
Nicht so gut lief es mit dem Game Boy Printer, einem kleinen Drucker, den man an den Game Boy anschließen konnte und der zeitgleich mit der Game Boy Camera auf den Markt kam. Wer wollte, konnte nun mit seinem Gerät Fotos machen und sie auf dem selbst klebenden Thermopapier ausdrucken.
Außen bunt, dann auch Bildschirm bunt: Der klassische Game Boy ist im schlichten Grau und Weiß gehalten, doch im Laufe der Jahre veröffentlichte Nintendo eine ganze Reihe unterschiedlicher aussehender Handhelds, wie 1995 die bunte Game Boy Special Edition und 1996 den Game Boy Pocket, eine deutliche kleinere Variante mit nur zwei Batterien. 1998 löste dann der Game Boy Colour seinen angejahrten schwarz-weißen Vorgänger ab. Wer es weiterhin nostalgisch wollte, konnte mit der Tastenkombination links + B-Knopf die originäre Graustufenpalette aktivieren.
2001 präsentierte Nintendo mit dem Game Boy Advance das erste Modell, das nicht auf der Technik der ursprünglichen Version basierte und sich auch noch optisch vom berühmten Ur-Game-Boy unterschied. Mit dem Game Boy Advance endete die Reihe. Auf Grundlage der Advance-Optik konstruierte Nintendo drei Jahre später den...
...Nintendo DS, eine Handheld-Konsole mit zwei LC-Displays, einem eingebauten Mikrofon und einer ganzen Reihe weiterer technischer Neuerungen. Der DS (Double-Screen) erlaubte es erstmals, Videospiele durch Berührung oder Spracheingabe zu steuern. Ein auch kommerziell würdiger Nachfolger für den Game Boy: Bis heute haben sich mehr als 155 Millionen Exemplare des DS verkauft.
Schrumpfkur: 1996 kam der Game Boy im Hosentaschenformat heraus. Abgesehen von der Schrumpfkur hatte der neue Game Boy "Pocket" auch ein deutlich kontrastreicheres Display als sein klobiger Vorgänger. Zwei Jahre später...
...präsentierte Nintendo mit dem Game Boy "Color" die erste Handheld-Konsole mit Farbdisplay. Der Game Boy in Farbe verhalf der Handheld-Konsole zu einem kleinen Revival. Zum Erfolg beigetragen hat außerdem der Pokémon-Hype gegen Ende der Neunziger. Einige der Taschenmonster-Titel zählen bis heute zu den meistverkauften Spielen für den Game Boy.
Jetzt oder nie, Nostalgie: In Zeiten, da man auf seinem Handy heute bessere Spiele zocken kann als noch vor ein paar Jahren auf dem PC, erscheint der Game Boy wie aus grauer Vorzeit. Aber die Magie des Handheld-Pioniers macht aus, dass so ein Game Boy selbst heute noch Spaß bringt - wenn auch nicht mehr vier Stunden am Stück.
Umstrittene Werbung: Mit diesem Bild eines australischen Ureinwohners warb Nintendo tatsächlich in den Neunzigerjahren auf dem Kontinent für sein neues Donkey-Kong-Spiel.
Der Frettchen-Faktor: Auch mit dieser Anzeige erregte Nintendo in den Neunzigern Aufsehen.
Erwachsen geworden: 2001 brachte Nintendo den Game Boy "Advance" heraus und löste damit das alte Game-Boy-Design ab. Die "Advance"-Reihe konnte aber nie an den Erfolg des klassischen Game Boys anschließen, auch wenn die Werbung mancherorts ein Hingucker war - wie dieses Plakat zeigt. Auch der Nachfolger der "Advance"-Modelle, der...
...Gameboy "Micro" führte in der Computerspiele-Welt eher ein Nischendasein. Der "Micro" war auch der erste Game Boy, der nicht mehr die Spielmodule des klassischen Game Boys las.
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