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Der IOC, die Nazis und ein ausgefallenes Wintermärchen

Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz/Adolf Blumenthal

Garmischs Olympia-Pläne 1940 10.000 Abfahrtsläufer für Hitler

Nach dem Erfolg der Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen 1936 hätte das Spektakel beinah auch 1940 dort stattgefunden. Das IOC hatte Hitler die Spiele erneut zugeschanzt, er träumte vom großdeutschen Skiwunder – und überfiel dann Polen.

Bei der monumentalen Choreografie hätte sich der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zwei Jahre zuvor bezahlt gemacht. Zum "Tag des Skilaufs" bei den Olympischen Winterspielen sollten 10.000 Skiläufer von den Hängen über Garmisch-Partenkirchen sternförmig auf Adolf Hitler zufahren. Die Botschaft: Der "Führer" als Magnet, der Massen und Volksgruppen anzieht. Deshalb durfte auch nichts schiefgehen, denn was wäre das für eine Blamage gewesen, hätte es einen oder gar mehrere Skiläufer auf die Piste geschmissen!

Eine "genügende Zahl todsicherer Abfahrtsläufer" forderte deshalb Carl Diem, Generalsekretär des Organisationskomitees für die fünften Olympischen Winterspiele, vom in Innsbruck ansässigen Chef des "Fachamts Skilauf" beim "Reichsbund für Leibesübungen" an. Die Antwort war beruhigend: Die "Ostmark", als welche das ehemalige Österreich nun firmierte, werde ein großes Kontingent stellen. Am 10. Februar 1940 sollten die Brettlrutscher ihren großen Auftritt haben.

Von der Vergabe der Olympischen Winterspiele 1940 an das NS-Regime und die anschließenden Planungen wissen nur wenige – schließlich fielen die Wettkämpfe nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen aus, und die vorhandenen Quellen sind weit verstreut. Dabei belegen sie, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) drei Jahre nach den als Propagandastreich in die Geschichte eingegangenen Spielen von 1936 kein Problem darin sah, die Winterspiele erneut an die Nazi-Diktatur zu vergeben.

Der IOC-Boss und die angebliche Freiheit

Sogar einstimmig fiel in der Londoner Sondersitzung des IOC im Juni 1939 die Entscheidung für Garmisch-Partenkirchen aus - trotz der antijüdischen Novemberpogrome 1938 und trotz der nationalsozialistischen Expansionspolitik auf Kosten der Tschechei. Die Aussage des damaligen belgischen IOC-Präsidenten Baillet-Latour, dass die "getroffenen Entscheidungen die Freiheit des IOC von politischen Einflüssen bewiesen" habe, war eine Farce: Die Ausrichtung der Spiele passte Hitler bestens ins Konzept und befreite das IOC aus eine Notlage.

Die olympische Bewegung hatte im Frühjahr 1939 eine Beinahe-Katastrophe erlebt: Japan hatte die Spiele zurückgegeben, St. Moritz sollte einspringen, wo noch die Infrastruktur aus dem Jahr 1928 zur Verfügung stand. Doch es gab massiven Streit zwischen dem Internationalen Skiverband (FIS), dem IOC und der Schweiz um den Amateurstatus von Hotelskilehrern. Das Alpenland, wo naturgemäß viele Einheimische als Skilehrer arbeiten, wollte durch die Regelung seine Medaillenchancen nicht geschmälert sehen und nahm in Abstimmung mit der FIS die alpinen Skiwettbewerbe aus dem Programm. Die deutsche Delegation im IOC bot Garmisch-Partenkirchen als Austragungsort an – alpine Wettbewerbe inklusive.

Hitler wollte Friedfertigkeit nach innen und außen vorgaukeln und gleichzeitig der Welt die Organisationsfähigkeit des Systems und die Überlegenheit deutscher Sportler demonstrieren. Letzteres sollte leicht fallen, wenn die härtesten Konkurrenten nicht am Start wären. Bei der einstimmigen Entscheidung profitierten die Deutschen von den "pro-faschistischen Tendenzen im IOC", wie es der Sporthistoriker Peter Heimerzheim ausdrückte.

Ein Vorstand, gespickt mit Top-Nazis

Eingefädelt hatte den sportpolitischen Coup Karl Ritter von Halt, Hitlers Vertreter im IOC und Präsident des Organisationskomitees für Garmisch. Halt hatte wie Hitler im Ersten Weltkrieg in den Schützengräben gelegen und die Versailler Verträge als Schmach empfunden. Wenn auch bezweifelt wird, dass Halt ein überzeugter Nationalsozialist war, so nutzte er als Chef des Nationalen Olympischen Komitees und als Vorstandsmitglied der Deutschen Bank zumindest entschieden jene Karrierechancen, die das NS-Regime ambitionierten Opportunisten bot.

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Der IOC, die Nazis und ein ausgefallenes Wintermärchen

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Halt hatte bereits die Spiele 1936 mitorganisiert und kannte auch vier Jahre später keine Skrupel, zusammen mit seinem Kompagnon Carl Diem in Hitlers Auftrag ein propagandistisches Wintermärchen am Fuß der Zugspitze aufzuziehen. Dabei hätte er sich über den grausamen Charakter des Regimes im Klaren sein müssen: Im Gefolge von SS-Chef Heinrich Himmler hatte er in den Jahren zuvor die Konzentrationslager in Dachau und Sachsenhausen besucht.

Der Vorstand des Organisationskomitees für die Spiele war ansonsten gespickt mit entschiedenen Nationalsozialisten. Als Vertreter der Wehrmacht war General Walther von Reichenau vertreten, der im Krieg gegen die Sowjetunion die Ermordung von 90 jüdischen Kindern befehlen und eine prominente Rolle bei der Erschießung von 30.000 Juden im ukrainischen Babi Jar spielen sollte. Weiter saß Leonardo Conti in dem Gremium, SS-Brigadeführer, Leiter des "Hauptamtes für Volksgesundheit" und Vorsitzender der NS-Ärztekammer. Anfang 1940 wohnte Conti Versuchen in Brandenburg bei, bei denen an Gefangenen die Tötung in Gaskammern und durch Injektionen erprobt wurde.

Ein Opel Kapitän für die Funktionäre

Als Präsident des Deutschen Olympischen Ausschusses durfte Staatssekretär Hans von Tschammer und Osten nicht fehlen. Der "Reichssportführer" machte bei der Gründungssitzung des Komitees am 1. Juli 1939 deutlich, was das Regime mit den Spielen in Garmisch bezweckte: "Es ist ein Sieg Deutschlands, dass die fünften Olympischen Winterspiele uns in einer für die olympische Festfolge gefährlichen Zeit einstimmig übertragen worden sind", sagte Tschammer. "Ich darf Ihnen mitteilen, meine Herren, dass der Führer die Übernahme der Spiele begrüßt hat und dass er sie als einen erfreulichen Aktivposten in seiner Politik betrachtet." Zuvor hatte der Diktator gefordert, die Spiele in größtem Rahmen durchzuführen.

Über diesen Rahmen geben heute Akten verschiedener Archive Auskunft. Sechs Millionen Reichsmark stellte man zur Verfügung, um die vorhandenen Anlagen in Garmisch-Partenkirchen zu erweitern, weitere vier Millionen kamen für Personal, Werbung und Verwaltung zusammen. Für die Funktionäre wurden Mercedes-Limousinen und ein Opel Kapitän angeschafft. Manche Planungsdetails wirken aus der heutigen Perspektive wie eine Parodie aus einem Charlie-Chaplin-Film.

So bat Carl Diem Ende Juni 1939 die Innsbrucker Fachschaft Ski in einem Schreiben nicht nur um besagte Liste von Skiläufern, sondern auch um "Pläne oder Nachweise einer vorbildlichen Skihütte zwecks Ausarbeitung eines Vorschlags an den Führer". Der habe sich "zur Stiftung von Skihütten, genannt Olympia-Hütten" bereit erklärt. Der Führer stiftete noch mehr: Eine halbe Million Reichsmark spendierte er aus eigenen Mitteln für ein neues Hallenbad in Garmisch-Partenkirchen. Der gleiche Betrag floss aus Mitteln des Oberkommandos der Wehrmacht in den Bau.

Hitler überfällt Polen, aber die Spiele sollen weitergehen

Ansonsten musste alles sehr schnell gehen. Am 20. Juli gingen Briefe an acht Künstler mit der Aufforderung, Festplaketten für die Spiele zu entwerfen. Die Entwürfe sollten bereits am 15. August vorliegen. Auch ein offizielles Plakat für die Spiele wurde gedruckt. Dass sich persönliche Interventionen beim Organisationskomitee auszahlten, beweist das Schreiben eines Herstellers von Metallwaren aus Gablonz an der Neiße. Der Geschäftsführer des Betriebs fragte per Schreiben an Ritter von Halt am 23. Juni 1939 "höflichst an", ob man bei dem großen Bedarf an Plaketten und Abzeichen anlässlich der Olympischen Winterspiele den "notleidenden Betrieb" beschäftigen könne. Der Betrieb kam zum Zuge.

Bis Mitte August 1939 hatten bereits 14 Nationen ihre Teilnahme an den Spielen zugesagt, darunter auch Großbritannien und Frankreich. Am 1. September 1939 - die Arbeiten zum Ausbau von Sprungschanzen, Pisten und Eisstadion waren in vollem Gange - überfiel die Wehrmacht Polen, zwei Tage später folgten die Kriegserklärungen Großbritanniens und Frankreichs an das Deutsche Reich. Hitler aber ordnete trotzdem den Fortgang der Arbeiten an. Für ihn wie Halt bedeutete der Waffengang nicht automatisch das Ende für die Spiele. In einem Brief an den IOC-Präsidenten schrieb Halt am 20. September: "Bis auf weiteres ist Deutschland bereit, die Winterspiele auszurichten, wenn der aktuelle Konflikt rechtzeitig beendet werden kann."

Das wurde er bekanntlich nicht. Deutschland führte den "Blitzkrieg" gegen Polen und griff im folgenden Jahr Frankreich an. Ende Oktober 1939 befahl Adolf Hitler, die Arbeiten in Garmisch-Partenkirchen einzustellen, offiziell gab man die Absage der Winterspiele am 22. November bekannt. Lediglich der Bau des Schwimmbads wurde weitergeführt. Carl Diem kündigte am 30. Oktober den Mitarbeitern des Organisationskomitees, rund 560.000 Reichsmark mussten aus bereits bearbeiteten Kartenbestellungen zurückerstattet werden. In einem Schreiben an Baillet-Latour argumentierten Halt und Tschammer entsprechend der nationalsozialistischen Kriegspropaganda, dass "die deutschen Vorschläge eines Weltfriedens von der englischen und französischen Regierung abgelehnt" worden seien und daher der Krieg weitergeführt werden müsse.

Trotz dieser Lage sah man bezüglich der Chancen für zukünftige Olympische Spiele in Garmisch-Partenkirchen alles andere als schwarz. Ein Protokollauszug von einer der letzten Sitzungen des Organisationskomitees gibt Aufschluss über die Kuhhandels-Mentalität innerhalb der olympischen Bewegung und das Überlegenheitsdenken der Deutschen. Zur Anfertigung einer Büste des IOC-Präsidenten Baillet-Latour äußerte sich Ritter von Lex, im Innenministerium für die Spiele zuständiger Oberregierungsrat: "Von Lex unterstützt den Antrag als Anerkennung für die im wesentlichen Maße auch Baillet-Latour zu verdankende Zuteilung der Olympischen Winterspiele 1940", heißt in dem Dokument, "und als Anreiz für die Zuteilung der Olympischen Winterspiele 1944."

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