Fotostrecke

Wie Navajo Code Talkers die Enigma schlugen

Foto:

U.S. Marine Corps

Kriegs-Kauderwelsch Der Code, den niemand knackte

Im Zweiten Weltkrieg verschlüsselte Deutschland Nachrichten mit der Enigma-Codiermaschine und scheiterte. Die USA agierten geschickter: Ihre Funker verstand niemand - sie waren vom Stamm der Navajo.

A-KEH-DI-GLINI AH-NAH AH-LOSZ KLESH THAN-ZIE DZEH TSE-GAH AH-JAH TSAH BE-TKAH DIBEH A-CHI DZEH BE-TKAH A-CHIN WOL-LA-CHEE A-KEH-DI-GLINI WOL-LA-CHEE AH-YA-TSINNE NE-AHS-JAH?
*Auflösung: siehe unten

Falls Sie diesen Text nicht verstanden haben sollten, dann ging es Ihnen so wie im Zweiten Weltkrieg den Funkern der Japaner und Deutschen. Ab 1942 sahen sie sich mit einer Verschlüsselungstechnik konfrontiert, die im Gegensatz zu den Codes der vermeintlich unüberwindbaren Codiermaschine Enigma tatsächlich ungeknackt bleiben sollte.

Kein Wunder: Das in Funksprüchen in einem kehligen Singsang vorgetragene Kauderwelsch war derart geheim, dass sogar die Amerikaner, die es einsetzten, es nicht verstehen konnten. Die bis Kriegsende häufigste Version basierte auf der Sprache der Navajo-Indianer.

Genutzt wurde sie aber lediglich als Basis für einen eigens entwickelten, mehrschichtigen Code. Daher wusste selbst jemand, der Navajo sprach, nicht, worum es ging. Doch das Risiko, dass beim Kriegsgegner jemand die Sprache auch nur erkennen würde, war winzig. Nach Erkenntnissen der Amerikaner beherrschten Mitte der Vierzigerjahre keine 30 Nicht-Navajo die Sprache, und niemand von ihnen lebte in Japan oder Deutschland.

Dort hatte man das Decodierdebakel durchaus kommen sehen. Bereits im Ersten Weltkrieg hatten die USA versuchsweise Choctaw- und Cherokee-Ureinwohner eingesetzt, um Nachrichten für den Gegner möglichst unverständlich zu übermitteln. Obwohl die Kryptografiemethode sich als schnell und außerordentlich effizient erwies, blieb sie ein Versuch.

Daran erinnerte sich im Zweiten Weltkrieg Philip Johnston. Weil er in einem Reservat aufgewachsen war, sprach er selbst Navajo und schlug der Armee vor, es damit zu versuchen, wie man nach Freigabe der lang geheim gehaltenen Dokumente erfuhr - und heute selbst bei der CIA  nachlesen kann.

Die Deutschen ahnten das Desaster

Schon zuvor ahnte auch der Geheimdienst der Wehrmacht, dass die Amerikaner das Potenzial ihres Minderheitssprachen-Reichtums nützen könnten. Gezielt entsandte das Deutsche Reich deshalb noch vor dem Kriegseintritt der USA Studenten und Anthropologen, damit sie in den Staaten Sprachen der amerikanischen Ureinwohner lernten. Mission impossible: Rund 30 Agenten sammelten zwar fleißig, fanden aber Hunderte von Sprachen und Dialekten von so verwirrender Vielfalt, dass es Linguisten bis heute nicht gelungen ist, sie auch nur in allgemein anerkannte Sprachfamilien einzugruppieren.

Fotostrecke

Wie Navajo Code Talkers die Enigma schlugen

Foto:

U.S. Marine Corps

Trotzdem sorgte das deutsche akademische Spionageprogramm dafür, dass es die USA weitgehend vermieden, die größeren, bekannteren Indianersprachen im europäischen Kriegsgebiet einzusetzen. Als Vielvölkerstaat hatten sie jede Menge Auswahl, wenn es um exotische Sprachen zur Verschlüsselung ging. So kamen neben zahlreichen indigenen Sprachen bei kleinen Funkergruppen auch Baskisch und Walisisch zum Einsatz, vorzugsweise außerhalb Europas. Als "Code Talker" rekrutiert wurden Sprecher keltischer Sprachen - und Muttersprachler aus 34 indigenen Völkern Nordamerikas.

Legendär wurden vor allem die Navajo. Ihre Sprache war für Geheimniskrämerei wie gemacht: Navajo (auch als Diné oder Naabehó bizaad respektive Dinék'ehjí bekannt) gilt als derart komplex, dass man es als Erwachsener kaum noch lernen kann. Ähnlich wie in manchen asiatischen Sprachen tragen im Navajo Ton, Silbe und Wort Bedeutung, dazu aber auch die Tonlänge sowie die Art und Weise und der Ort, an dem der Ton im Mund- und Kehlraum gebildet wird.

Navajo: Ein Sprachschüler-Albtraum

Das ist noch nicht alles. In Navajo können zudem die grammatikalischen Formen eines Wortes unterschiedliche Konzepte kommunizieren. Das gilt vor allem für die Verben - es macht beispielsweise einen Unterschied, ob man über Flüssigkeiten spricht oder Festes, über biegsame Gegenstände, weiche Stoffe oder offene Behälter.

Das alles verdichtet die Sprache der Navajo zu Konzeptbündeln, die sich nicht eins zu eins übersetzen lassen. Bedeutungen werden nicht durch "Vokabeln" repräsentiert, sondern im idiomatischen Verbund verschiedener Wörter.

Um etwa "Eingang" auszudrücken, müssen im Navajo die Laute für die Bedeutungen "Ding, das einen ebenen Pfad nach draußen hat" miteinander verbunden werden. Wer das nicht weiß, kann "Eingang" weder sagen noch verstehen, selbst wenn er alle Einzelvokabeln kennt.

Und es wird noch komplizierter. Für viele Dinge, die als militärisch wichtig kommuniziert werden sollten, kannten die Navajo überhaupt keine Wörter. Die Lösung: Man erfand neue.

Als adäquate Beschreibung für "Panzer" wurde beispielsweise die Phrase "chidí naa'na'í bee'eldǫǫhtsoh bikáá' dah naaznilígíí" eingesetzt. Was so viel bedeutet wie "ein Wagen, auf dem sie über dem, das sich kriechend umherbewegt, sitzen, mit einem großen Ding, das eine Explosion verursacht".

Code im Code im Code im Code

Die ersten 29 Navajo, die 1942 als Funker rekrutiert wurden, waren sich bewusst, dass selbst das alles noch nicht reichte. Sie entwickelten für die Marines einen Geheimcode, der auf Umschreibung von Buchstaben durch Navajo-Wörter beruhte. Und weil das knapp geschehen sollte, griffen sie auf ein fixes Lexikon ausgewählter Codewörter zurück, von denen jeweils drei verschiedene einen Buchstaben umschreiben konnten. Die Prinzipien beschreibt das National Museum of the American Indian hier .

Beispiel: Das Navajo-Wort Tkin stand für den Buchstaben "i", weil seine Übersetzung im Englischen "Ice" lautet, was mit "i" beginnt. Das gilt allerdings auch für die Wörter Ye-Hes ("itch", jucken) und A-Chi ("intestine", Darm), die daher ebenfalls für "i" standen. Für Dechiffrierer machte das die Sache extrem verzwickt, für die Navajo war es kinderleicht: Nicht das Wort repräsentierte den Buchstaben, sondern die Übersetzung des Wortes - für einen zweisprachigen Menschen leicht zu merken. Der Empfänger aber nahm drei komplett verschiedene Codewörter wahr, zwischen denen es keine Verbindung zu geben schien. Damit ließ sich zugleich das Auszählen von Buchstabenhäufigkeiten verhindern.

Schon durch diesen zusätzlichen Schritt wurde der Codetalk weitgehend unübersetzbar: Die zu übermittelnde Bedeutung eines verschlüsselten Funkspruchs lag nicht allein in den Navajo-Wörtern - für sich genommen waren die völlig sinnlos. Komplexere Nachrichten wurden übermittelt, indem man auf Navajo Stellvertreterwörter durch andere Navajo-Wörter buchstabierte.

Was das konkret heißen konnte? Ein Funkspruch konnte aus Navajo-Wörtern bestehen, die beispielsweise für Tiere und Pflanzen standen. Damit buchstabierten die Codierer dann die Navajo-Wörter für "Eisen" und "Fisch". Der Eisenfisch wiederum war das Neu-Navajo-Wort für U-Boot. Selbst ein Navajo-Sprecher hätte dieses Wort aber nie zu hören bekommen: Alles, was man am Empfänger hörte, war eine sinnlose Aufzählung von Tieren und Pflanzen.

Schnell, komplex, unknackbar

Das Resultat dieses vielschichtig-fremdartigen Kauderwelschs wurde dann noch ins Englische übersetzt - und erst aus den ersten Buchstaben dieser übersetzten Wörter setzte sich dann die eigentliche Nachricht zusammen.

Verwirrend? Eher genial. Hier noch einmal die Codierungsschritte:

  1. Sprachübertragung in der von extrem wenigen Menschen gesprochenen Sprache Navajo

  2. Übermittlung von Inhalten durch lexikalische Neubildungen, die selbst Navajo-Sprechern unbekannt waren

  3. Buchstabierung dieser Neuwörter in Form von Navajo-Wörtern, die stellvertretend für einen Buchstaben standen (diesen aber nicht unbedingt enthielten)

  4. Übersetzung der Nachrichten ins Englische

  5. Zusammensetzung der eigentlichen Nachricht aus den Anfangsbuchstaben der so erhaltenen englischen Wörter

Heraus kam so eine bis zu fünffach codierte Geheimsprache , die in den Ohren Uneingeweihter nicht mehr als ein Stakkato von sich ständig wiederholenden Silben und Tönen war. Die Codierer wiederum mussten sich nicht mehr als rund 180 Navajo-Codewörter merken, um ihre Nachrichten zu chiffrieren.

Damit konnten sie im Gefecht sehr schnell kurze Botschaften übermitteln, zum Beispiel, dass sich Mexikaner, rote Erde oder schwarze Schafe von A nach B bewegten (Codewörter für Truppeneinheiten verschiedener Größe). Aber auch komplexe, tief verschlüsselte Befehle, die selbst im unwahrscheinlichen Fall einer Decodierung nicht mehr als Eule, Schaf oder Erde enthalten hätten.

So kompliziert all das klingt, so effizient war die Methode. Ein einziger Codetalker der Navajo  soll bei der Invasion in der Normandie rund 800 Nachrichten in zwei Tagen abgesetzt haben. Die menschlichen Chiffrierer arbeiteten in der Praxis schneller als die damals üblichen mechanischen Chiffriermaschinen. Auch die waren ja hochkomplex, Codierung und Entschlüsselung war ein zeitraubender, mehrstufiger Vorgang.

Der Codetalk der Navajo erwies sich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs als unknackbar - und weit darüber hinaus. Auch im Korea- und Vietnamkrieg sorgten Navajo-Codetalker noch für Verwirrung, bis sie durch effiziente, schnellere technische Möglichkeiten ersetzt wurden.

Erst im Jahr 1968 machten die Amerikaner die Prinzipien und die Geschichte des Codetalking öffentlich, ungeknackt bis zuletzt. Die US National Archives beschreiben hier  den militärischen Einsatz. Doch es sollte noch bis 1982 dauern, bis mit Ronald Reagan endlich ein US-Präsident die Verdienste der Codetalker öffentlich anerkannte. Heute gelten sie als Helden des Militärs.

____________________

*P.S.: Die Buchstabenfolge oben umschreibt die Sätze "Dies ist ein Navajo-Text. Verstehen Sie Navajo?" in einfacher Codierung - Buchstabe für Buchstabe in Code-Tonfolgen übertragen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren