
Historische Lego-Modelle: Meilensteinchen der Weltgeschichte
Historische Lego-Modelle Meilensteinchen der Weltgeschichte

Benjamin Franz (Jahrgang 1996) studiert im siebten Semester Geschichte mit Nebenfach Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Januar 2019 startete er sein Projekt "History's Bricks", in dem er mit Lego historische Ereignisse nachbildet und Geschichtsdarstellungen mit Lego kritisch analysiert.
einestages: Herr Franz, lassen Sie mich raten - Ihr Lieblingsspielzeug als Kind war nicht Playmobil?
Franz: Falsch! Ich hatte zwar auch Lego, vor allem zu Star Wars und Harry Potter, aber viel mehr Playmobil. Das habe ich auch in meiner Bewerbung an der Uni geschrieben.
einestages: Sie haben sich damit beworben, dass Sie viel mit Playmobil gespielt haben?
Franz: Für das Geschichtsstudium, ja. Ich habe denen erklärt, dass mich schon als Kind die Playmobil-Römer faszinierten, die Ägypter, ebenso Mittelalter-Sets. Da konnte Lego nicht mithalten, da sie weniger historisch faszinierende Welten anboten. Diese Vorliebe änderte sich erst, als ich zwölf war und ihre Star-Wars-Sachen entdeckte, da war Lego plötzlich viel besser.
einestages: Seit Januar 2019 bauen Sie Weltgeschichte in Lego nach und analysieren historische Darstellungen mit Legosteinen in Workshops und in Ihrem Blog . Wann kamen Sie auf die Idee, statt Jedi-Schlachten Augenblicke der Weltgeschichte mit Lego festzuhalten?
Franz: Irgendwann bin ich von meiner "Star Wars"-Vorliebe zu anderen Themen gekommen. Das hat viel damit zu tun, dass um die Jahrtausendwende in der Popkultur wieder stärker der Zweite Weltkrieg thematisiert wurde - in Filmen wie "Der Soldat James Ryan" oder Computerspielen wie "Call of Duty". Dieser Hype zeigte sich dann ein paar Jahre später sogar im Lego-Programm, auch wenn die keine dezidierten Weltkriegsbausätze anboten: In Sets zu "Indiana Jones" tauchten aber Rotarmisten oder deutsche Soldaten auf.
einestages: Wenn Kinder mit Klötzchen den Zweiten Weltkrieg nachspielen - da kann einem schon mulmig werden, oder?
Franz: Sicher, zumal aus unserer deutschen Perspektive. Die große Welle der Militaria-Begeisterung in der Lego-Community kam aus den USA und Großbritannien. Dort hat man ein völlig anderes Verhältnis zur Militärgeschichte, stark geprägt durch das Pathos von Medieninszenierungen.

Historische Lego-Modelle: Meilensteinchen der Weltgeschichte
einestages: Nun haben Sie selbst durch Medieninszenierungen Ihr Interesse auch für Militärgeschichte entdeckt und bauen Szenen etwa aus der Zeit des NS-Regimes mit Lego nach. Was würden Sie Eltern entgegnen, die sagen: "Krieg spielt man nicht"?
Franz: Man kann keine Geschichte ohne Krieg schreiben. Konflikte gehören dazu. Ob Lego als Unternehmen sich stärker der Darstellung realer Kriege widmen sollte, ist eine ganz andere Frage - ich würde nicht dazu raten. Lego-Sets bieten oft klare Protagonisten und Antagonisten. Nach diesem einfachen Muster historische Konflikte darzustellen, geht nicht. Schade finde ich, dass Lego nicht mehr Material auch zu friedlichen Geschichtsthemen herstellt. Eine Reihe zur Alltagsgeschichte verschiedener Jahrhunderte fände ich toll.
einestages: Warum bietet Lego so etwas nicht schon an?
Franz: Natürlich sehen die es nicht als ihre wichtigste Aufgabe an, Geschichte zu vermitteln. Sie müssen verkaufen. Außerdem ist es sicher schwierig, solche Themen immer mit einer Spiellogik zu verbinden. Kinder sollen damit spielen können, mit klaren Helden und Gegnern. Das hat schon zu so manchen historisch fragwürdigen Sets geführt.
einestages: Nämlich?
Franz: Schwierig war zum Beispiel die Darstellung von Kolonialismus in der Reihe "Lego Adventurers": Man sah weiße, europäische Figuren mit Zylinderhüten und Tropenhelmen Abenteuer in fernen Ländern erleben. Was bedeutete, dass sie sich mit Waffengewalt deren Gold und Kulturschätze unter den Nagel rissen. Oder dass sie gegen fremdartige Götzenstatuen kämpften, eine implizite Abwertung nichtchristlicher Religionen. Die Einheimischen dieser fernen Länder waren dabei nur Staffage für die Abenteuer der weißen Protagonisten.
einestages: Immerhin hält Lego geschichtliche Militärkonflikte meist aus dem Programm heraus, mit seltenen Ausnahmen wie der "Indiana Jones"-Reihe. In der Community gibt es aber Dritthersteller wie Brickmania, die ihr Geld mit historisch korrekt nachgebildeten Kampfflugzeugen, Panzern oder Soldatenuniformen verdienen. Ist das in Ihren Augen mehr als nur Spielzeug für Militaristen?
Franz: Ich sehe das zwiespältig. Das Brickmania-Team habe ich im September bei der Legoausstellung "Bricking Bavaria" als sehr angenehme, offene Menschen kennengelernt. Das sind Amerikaner, ihr Geschichtsverständnis hat viel mehr mit Militärgeschichte zu tun als unseres. Das muss man erst einmal akzeptieren. Aus deutscher Sicht sind manche Produkte von Lego-Drittherstellern problematisch - Darstellungen von SS-Soldaten und Hakenkreuzbinden, historische Figuren wie Hitler und Himmler. In den Custom-Lego-Sets werden diese Figuren nicht in einen kritischen Kontext eingebettet. Selbst Computerspiele wie das kürzlich erschienene "Wolfenstein: Youngblood" stellen zwar den Nationalsozialismus in einem fiktiven Setting dar, liefern aber auch einen kritischen Kontext. Bei einem Lego-Set wird jedem selbst überlassen, was man damit macht. Das können kritische Darstellungen sein. Ein Großteil der Community, die ihre Arbeiten etwa auf Instagram präsentiert, neigt aber leider zu "Action-Shots", sehr heroischen Soldatendarstellungen. Oft sind das SS-Figuren, gerade auch in amerikanischen Arbeiten.
einestages: Erfüllen sich damit US-Neonazis und White Supremacists einen Kindertraum?
Franz: Den Eindruck habe ich nicht. Man tendiert dort eher dazu, die Verbrechen des NS-Regimes und die Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg kämpften, zu trennen. So bleibt der Mythos der "sauberen Wehrmacht" und der Waffen-SS als "Soldaten wie andere auch" erhalten. Daher werden die Soldaten nicht als Täter der NS-Verbrechen wahrgenommen.
einestages: In Ihrem Blog setzen Sie sich ausgiebig mit der Geschichtsdarstellung in Lego-Dioramen auseinander, auch mit der Authentizität historischer Momente. Wie kann denn die Nachbildung von Geschichte mit Plastikbauklötzen je authentisch sein?
Franz: Meiner Definition nach ist Authentizität ein Gefühl für etwas in dieser Form Vertrautes, das unserer Erwartung an die gelernte Geschichte entspricht. Bricht etwas mit unserer Erwartungshaltung, fühlt es sich nicht authentisch an - auch wenn es korrekt ist. Stellt man etwa Bauwerke des antiken Griechenlands in einem Modell bunt dar, nehmen viele das als nicht authentisch wahr. Weil wir lange in Filmen, Bildern, Büchern gelernt haben, dass die Gebäude alle weiß waren. Also stoßen wir uns an dem historisch korrekten Fakt, dass sie oft bunt bemalt waren.
einestages: Welche Rolle spielt dabei das Material Lego?
Franz: Dieses abstrakte Baumaterial kann man leicht zusammenstecken - und schon sieht der Betrachter in diesem Haufen Plastikklötze einen griechischen Tempel. Weil er das Symbol antiker Tempel so sehr verinnerlicht hat. Ganz ähnlich funktioniert auch das Erkennen von Gender in Legomodellen.
einestages: Inwiefern?
Franz: Legofiguren sehen fast gleich aus. In den minimalen Abweichungen erkennen wir trotzdem ganz schnell, welche weiblich und welche männlich sein sollen - anhand gelernter kultureller Codes: Eine Figur hat lange Haare, die andere kurze, eine Lippenstift, die andere einen Bart.
einestages: Wenn Sie mit Lego einen Tempel oder den Reichstag bauen, vermischen sich bei den Betrachtern zwei Bezüge zur Vergangenheit: natürlich zum dargestellten historischen Moment, aber auch zur eigenen Kindheit, als man mit Lego spielte. Finden Sie diese nostalgische Verbindung nicht problematisch, gerade bei Militärgeschichte?
Franz: Das schon. Es ist aber zugleich auch ein Grund, warum Lego als Medium so gut funktioniert: Jeder verbindet etwas damit. Das macht die Darstellung von Geschichte viel anschlussfähiger.
einestages: Mit Lego haben Sie Ereignisse von der "Reichskristallnacht" über den Mauerfall bis zu Kindesaussetzungen in der römischen Antike nachgebaut und etliche Modelle von anderen analysiert. Welches hat Sie besonders beeindruckt?
Franz: Sehr interessant fand ich den Nachbau eines historischen Fotos zur Schlacht von Stalingrad - sowjetische Soldaten gehen kurz nach der deutschen Kapitulation am 2. Februar 1943 an Häusertrümmern vorbei. Die Stimmung der Aufnahme auch mit Plastiksteinen wiederzugeben, ist erstaunlich gelungen.
einestages: Müssen Sie sich oft anhören: "Mensch, jetzt lass mal die Bauklötze liegen, du bist doch schon erwachsen"?
Franz: Nein, diese Zeit ist wirklich vorbei. Der Stein ist längst viel größer geworden als das Unternehmen dahinter, es ist kein bloßes Kinderspielzeug mehr, sondern ein Medium. Und das finden die Leute spannend. Denn was damit alles möglich ist, haben wir gerade erst auszuloten begonnen.