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Freiwild Schiri? So viel mussten Unparteiische erdulden.

Foto: Werner Otto/ imago images

Gewalt gegen Schiedsrichter "Ich werde nie wieder einen Fußballplatz betreten"

Brutale Übergriffe gegen Unparteiische haben in der Geschichte des Fußballs eine lange, traurige Tradition. Elf besonders schockierende Fälle verprügelter Linienrichter, wüster Beleidigungen und demolierter Ladas.

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Eine strittige Elfmeterentscheidung im Ligaspiel zwischen Catania Calcio und Como 1907 hätte den italienischen Unparteiischen Giovanni Batista Segherri 1972 beinahe das Leben gekostet. So berichtete es der SPIEGEL. Erst das Eingreifen der Polizei konnte verhindern, dass Segherri von aufgebrachten Catania-Fans gelyncht wurde. Dem Klub drohte eine mehrwöchige Platzsperre sowie weitere Strafen, doch erstaunlicherweise verlor der Schiedsrichter in seinem Spielbericht nicht ein Wort über die Attacken der Zuschauer. Mehr noch, in einem Interview mit den Kollegen der sizilianischen Zeitung "La Sicilia" leugnete der Pfeifenmann die Geschehnisse ganz einfach. Catania und seine Fans blieben unbehelligt. Der italienische Verband vermutete, die Mafia habe Segherri erpresst, blieb einen handfesten Beweis aber schuldig.

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"Elfmeter! Rowdys verprügelten Schiedsrichter", schlagzeilte im Februar 1984 die "Bild"-Zeitung und berichtete von einem Vorfall im Hamburger Amateurfußball. Beim Stand von 2:1 für Rot-Gelb Hamburg gegen Borussia Harburg hatte "Schiedsrichter B." auf Strafstoß entschieden und damit einen gewissen "Hans-Peter B." so zur Weißglut gebracht, dass der den Schiri mit den Worten "Du Spinner, hau ab" beleidigte. Als B. (der Schiedsrichter) dem Borussia-Spieler daraufhin die Rote Karte zeigte, trat der dem Unparteiischen gegen Oberschenkel und Kniegelenk, woraufhin Mitspieler "Jörg Sch." noch einen Faustschlag gegen das Ohr des Schiedsrichters nachlegte. Spielabbruch, zehn Monate Sperre für Hans-Peter B. und Jörg Sch., außerdem eine 5:0-Wertung für Rot-Gelb.

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"Von Gesicht bis Hose mit Spucke voll!", notierte Schiedsrichter Manfred Dölfel aus Fürth im September 1985 in seinem Spielbericht - und hatte damit seinen Anteil am ersten "Geisterspiel" im deutschen Fußball. Im Prestigeduell der Bayernliga zwischen 1860 München und der SpVgg Landshut hatten Zuschauer der Münchner "Löwen" Dölfel in der Halbzeit nass gemacht, und, noch schlimmer, Landshut-Tormann Julius Georgens mit einem 30 Zentimeter langen Eisenteil aus der Umzäunung beworfen. Urteil des Sportgerichts: Das Heimspiel der Sechzger am 25. Oktober gegen den FC Bamberg im altehrwürdigen Grünwalder Stadion musste ohne Zuschauer auskommen. Die Münchner Klubführung reagierte schnell und verbaute den Eingang zum Spielertunnel mit Panzerglas. 

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Freiwild Schiri? So viel mussten Unparteiische erdulden.

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Erschreckende Zahlen waren es, die die "Neue Zürcher Zeitung" im Februar 1989 veröffentlichte. In der Saison 1988/89, so das Schweizer Blatt, seien im englischen Amateurfußball bereits 250 Schiedsrichter tätlich angegriffen worden. Noch erschreckender: "In einem Fall versuchte ein vom Platz gestellter Fußballer, den Schiedsrichter mit seinem Wagen zu überfahren, als das Spiel noch im Gange war."

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Ein Ende mit Schrecken erlebte WM-Schiedsrichter Siegfried Kirschen am 6. Spieltag der letzten DDR-Oberliga-Saison 1990/91. Acht Minuten vor dem Abpfiff hatte Kirschen beim Stand von 1:0 für die Gäste aus Jena einen Freistoß wiederholen lassen - obwohl den Gastgebern von Sachsen Leipzig damit der vermeintliche Ausgleich gelungen war. Die ohnehin schon aufgeheizte Situation eskalierte nun endgültig, als Fans den Rasen zu stürmen versuchten und Schiri Kirschen unter Polizeischutz in die Kabine gebracht werden musste. Nicht ohne trotzdem ein paar Faustschläge einzustecken. Spielabbruch, 2:0-Wertung für Jena. Sachsen-Trainer Jimmy Hartwig präsentierte sich abends im "Sportstudio" nicht gerade als fairer Verlierer und betitelte Kirschen als "kleines Schweinchen". Kirschen dazu eine Woche später im SPIEGEL-Interview: "Ich bin ja gewöhnt, dass mich die Leute im Stadion als 'Schwarze Sau' bezeichnen. Aber eine solche Beleidigung lasse ich mir nicht gefallen. Sogar mein Lada ist in Leipzig demoliert worden."

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Warum nicht mal den Spieß umdrehen, dachten sich im Januar 1993 offenbar drei Amateur-Schiedsrichter aus Homburg und verpassten nach einem Hallenturnier in Erbach Libero Frank Müller vom SV Kirrberg eine ordentliche Tracht Prügel. Das behauptete jedenfalls Libero Müller anschließend in der "Bild"-Zeitung und ließ sich mit einer Schädel- und Jochbeinprellung krankschreiben. Das Schiedsrichter-Trio selbst erklärte, der Spieler habe einen der ihren nach einer Zeitstrafe im Kabinentrakt niedergeschlagen.

Fußball Trash Talk

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Im Pokalfinale des kroatischen Damen-Fußballs zwischen Zagreb und Osijek musste Schiedsrichter Ivan Crepinko im Juni 1994 eine Elfmeterentscheidung teuer bezahlen. Erst warf sich Osijeks Torfrau auf Crepinko und als er diese wegen Fußtritten vom Platz verweisen wollte, löste er damit laut "Süddeutscher Zeitung" "einen Haßausbruch der übrigen Fußball-Amazonen aus. Sie warfen Crepinko mehrmals gegen die Torstangen, bis dieser blutüberströmt zusammenbrach. Das Spiel wurde abgebrochen."

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Im April 2000 traten die Schiedsrichter im Fußball-Kreis Köln erstmals in den Streik und zwangen den Verband, sämtliche Spiele bis zur Kreisliga A abzusagen. Ausgelöst wurde die Maßnahme durch die Vorkommnisse bei einem Jugendspiel kurz zuvor: Erboste Eltern und Spieler hatten einen Unparteiischen ins Krankenhaus geprügelt. Schiri-Obmann Udo Reudenbach: "Das ist ein Hilferuf. Gerade bei jugendlichen Spielern hat die Gewaltbereitschaft gegenüber Schiedsrichtern zugenommen."

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Drastische Konsequenzen zog im März 2005 auch der schwedische Fifa-Schiedsrichter Anders Frisk, nachdem er und seine Familie wochenlang etliche Morddrohungen erhalten hatten. Frisk hatte Chelsea-Stürmer Didier Drogba nach dem Champions-League-Achtelfinale gegen Barcelona mit Gelb-Rot vom Platz gestellt. Chelsea-Trainer José Mourinho hatte daraufhin das Gerücht verbreitet, Frisk habe in der Halbzeitpause Barca-Coach Frank Rijkaard in seiner Kabine empfangen. Der schwedische Schiedsrichter bei seiner Rücktrittsentscheidung: "Ich habe viel darüber nachgedacht, was im Leben wirklich wichtig ist. Ich werde nie wieder einen Fußballplatz betreten."

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Tragisch endete im Dezember 2012 ein B-Jugendspiel zwischen dem SC Buitenboys und dem Amsterdamer Verein Nieuw-Sloten. Nach dem Schlusspfiff stürzten sich Spieler von Sloten auf Linienrichter Richard Nieuwenhuizen. Durch mehrere Tritte ins Gesicht erlitt der 41-jährige Unparteiische so schwere Hirnverletzungen, dass er im Krankenhaus für tot erklärt wurde. Die Jugendfußballer wurden wegen Totschlags angeklagt. Nieuwenhuizens Sohn Mykel musste vor Gericht als Zeuge aussagen - er hatte als Spieler der Buitenboys ebenfalls auf dem Platz gestanden.

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Kaum zu glauben, was die Frankfurter Rundschau im Juli 2013 ihren entsetzten Lesern berichtete: In einem brasilianischen Dorf nahe der Kleinstadt Pio XII im Bundesstaat Maranhão hatte Schiedsrichter Jordão da Silva in einem Streit mit einem verwarnten Spieler ein Messer gezückt und diesen erstochen. Freunde und Angehörige des Opfers waren daraufhin auf den Unparteiischen losgegangen, hatten ihn mit Steinen und Stöcken totgeschlagen, die Leiche gevierteilt und den Kopf von da Silva auf eine Stange gespießt.

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