ORTSTERMIN »GLÜCKLICH IST, WER VERGISST«
Es war nur ein kurzes, verheißungsvolles Aufschäumen, ganz so, wie wenn Champagner in die Kelche perlt. Und wie die Blasen des Schaumweins schnell im Glase platzen, so war es auch mit der Euphorie bald vorbei.
Dabei standen die Aussichten für langen Wohlstand recht gut. Theoretisch. Der Kaiser hatte sein Reich befriedet, die schöne Sisi geheiratet und seine Residenzstadt herausgeputzt. Die alten Stadt-Wälle waren geschleift, Prachtbauten mit Stuck und Marmor hochgezogen, und zur Krönung des neuen Protzes entstand eine funkelnde Hofoper. Der Bau war ein bisschen groß und aufdringlich geraten, ja geradezu neureich, aber das war halt der Zeitgeist. Und die Oper passte haargenau zu den Menschen, die sich am liebsten in ihr zeigten.
Denn das bis dato eher biedere Österreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte einen neuen Typus hervorgebracht: den Spekulanten. Eine lebenslustige Spezies, die gern feierte, moralisch kaum gefestigt war und ein Lieblingsgetränk hatte, den zuvor kaum konsumierten Champagner.
Kaiser Franz Joseph hatte den Boom in die Wege geleitet: Er ließ Eisenbahnlinien bauen, förderte neue Industrien; und alle, die ein paar tausend Gulden übrig hatten, trugen das Geld zur Börse und konnten Millionär werden. So wie 130 Jahre später beim Hype ums Internet.
Und genauso schnell wie im Jahr 2000 zerfielen auch in Wien die Träume vom ewigen Reichtum.
Kaum hatte der Kaiser die Weltausstellung 1873 eröffnet - sie sollte schöner, größer, bedeutender werden als die Vorgänger-Schauen in London und Paris -, platzte die Spekulationsblase. Das Geld war weg, die Champagnerlaune verflogen, und es blieb ein riesengroßer schmerzhafter Kater.
Da passte es gar nicht ins Bild, dass im April des Folgejahres eine Operette herauskam, die alles das beschrieb, was nun vergangen war: Reichtum ohne Arbeit, lockere Sexualmoral, kurz: ungehemmter Hedonismus.
Johann Strauß, längst schon der Walzer-König, kam mit seiner »Fledermaus« einfach zu spät. Nicht zu spät für den Weltruhm, den das Werk verdientermaßen im Lauf der Jahre erlangte, sondern zu spät für das Wien von 1874.
Es war, als hielte das Stück mit seinem Schwung, seinen seligen Melodien, seinen Walzern, mit Schmäh und Schmiss den verarmten Spekulanten hämisch einen Spiegel vor.
Gabriel von Eisenstein, ein reicher Nichtstuer, der an der Börse Glück hatte, soll wegen Beamtenbeleidigung ins Gefängnis. Doch stattdessen lässt er sich überreden, auf den Ball des dekadenten russischen Prinzen Orlofsky zu gehen. Dort trifft er, erotisch aufgeladen, auf seine als ungarische Gräfin verkleidete Frau, deren Stubenmädchen Adele (ebenfalls inkognito) und allerlei andere Menschen, die nicht sind, was sie vorgeben zu sein. Am Ende landet Eisenstein, mit schwerem Brummschädel, doch noch im Knast.
Das alles ist eine so geglückte, von unsterblicher Musik befeuerte Farce auf das freizügige Leben vor dem Crash, dass die Premierenbesucher eher pikiert als begeistert waren. Erst später in Berlin, ausgerechnet in der Hauptstadt des Landes, das die österreichische Armee 1866 bei Königgrätz vernichtend geschlagen hatte, wurde die Operette ein überwältigender Erfolg.
»Die Fledermaus« erlebte in Wien in der ersten Aufführungsserie nur 16 Vorstellungen. Und das, obwohl sie die Hymne aller Verdrängungsakrobaten, Optimisten und Geldmenschen enthält, die Nationalhymne aller internationalen Zocker und Lebenskünstler: »Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.« Ein Couplet, dem, immer neuen geplatzten Blasen sei Dank, nie die Aktualität fehlen wird.
Prosit!
Joachim Kronsbein