
Die Playboy-Regatta: Eskapaden, Alkohol und Seeluft
Erste Regatta über den Atlantik Der Playboy mit dem Segel-Spleen
Die Nacht im Oktober 1866 war schon fast vorüber. Wie üblich floss der Alkohol im luxuriösen Union Club in Strömen. Drei schwerreiche New Yorker Playboys lieferten sich im hinteren Teil des Clubs an der Fifth Avenue in Manhattan ein Wortgefecht. Erregt debattierten George Osgood, Pierre Lorillard und James Gordon Bennett junior, wer die schnellste Jacht hat. Sie tauschten Prahlereien und Beleidigungen aus, ein Wort gab das andere. Als der Morgen graute und die Herren betrunken und erschöpft den Club verließen, waren sie eine tollkühne Wette eingegangen.
Wessen Segelboot würde als Erstes im tiefsten Winter den Nordatlantik überqueren? Jeder der drei setzte 30.000 Dollar (heute insgesamt rund 1,35 Millionen Dollar), der Sieger würde alles gewinnen. Es war der Beginn der Bootsrennen über die Weltmeere.
Über die Nacht im Union Club berichteten Zeitungen wie die "New York Sun" oder die "World" in ihren Klatschspalten genüsslich in allen Details. Halb New York begeisterte sich für die kommende Regatta. Insgesamt wurden Wetten über eine Million Dollar platziert - ein gigantischer Betrag, New York City hatte zu dieser Zeit lediglich 1,2 Millionen Einwohner.
Nur einer der drei Schiffseigner fasste vor 150 Jahren den Mut, selbst am verwegenen Rennen teilzunehmen: Gordon Bennett junior, künftiger Erbe der Tageszeitung "New York Herald". An Geld fehlte es Bennett nie - sein Vater stellte ihm pro Jahr eine Summe im heutigen Wert von rund einer Million Dollar zur Verfügung. Ein Lebemann, über den zahlreiche Anekdoten kursierten.
Sein Lieblingsdrink: Nebelmischung aus Absinth und Brandy
So sah Bennett junior eines Tages in seinem Lieblingsrestaurant erstaunt einen anderen Gast auf seinem Stammplatz sitzen. Bennett beschloss, das dauerhaft zu ändern - er kaufte das Restaurant. Berühmt war Bennett auch dafür, in wahnwitzigem Tempo mit seiner vierspännigen Pferdekutsche durch Manhattans Straßen zu rasen, oft berauscht von seinem Lieblingsdrink, einem Absinth-Brandy-Mix.
Eines Nachts war er - so erzählte es sich die New Yorker Gesellschaft - mit einem weißen Seidenzylinder auf dem Kopf, einer Zigarre im Mund und ansonsten völlig nackt auf seiner Kutsche gefahren. Manchem schien es nur eine Frage der Zeit, bis Bennett senior ihn in eine Nervenklinik einweisen lassen würde.

Ozean-Rätsel: Geisterschiffe - Fluch und Segeln
Am 11. Dezember 1866 legten die Jachten "Vesta", "Fleetwing" und "Henrietta" unter dem Jubel tausender Schaulustiger in der Bucht von Sandy Hook südlich von New York ab. Alle drei Eigner hatten Profikapitäne angeheuert. Am Ruder von Gordon Bennetts "Henrietta" stand Samuel Samuels, der bereits 78-mal den Atlantik überquert hatte. "Dann sollte er die richtige Route jetzt auch kennen", kommentierte Bennett die Erfahrung des Kapitäns trocken.
Samuels war hart im Nehmen. Als er sich einst ein Bein gebrochen hatte, war er wild vor Schmerzen entschlossen gewesen, es mit einem Messer selbst zu amputieren; einer seiner Offiziere konnte ihn gerade noch davon abbringen. Nun bei der Regatta schätzten Experten die "Henrietta" als langsamste Jacht ein - doch mit Samuels am Steuer schien alles möglich.
Sein Rennen: Leben oder Tod
Auf den drei Schiffen vertrieben mitreisende Mitglieder des New Yorker Jachtclubs sich die Zeit vor allem mit Drinks. Für die Crews an Deck indes ging es von Beginn an um Leib und Leben. Schon am Morgen des zweiten Tags auf See zersplitterte auf der "Fleetwing" der Klüverbaum, die Spitze des Schiffes. Vier Tage später rollte eine riesige Woge gegen die "Henrietta" an und zerschmetterte ihr Rettungsboot. Selbst der sonst so furchtlose Samuels sah sich gezwungen beizudrehen.
Am schlimmsten traf es die "Fleetwing", als eine kapitale Welle auf das Deck brach und sechs der acht Männer mitriss, die gerade Nachtwache hielten. Fünf Stunden suchte die Besatzung in der Dunkelheit nach ihnen, dann gab es keine Hoffnung mehr. Die Fahrt ging weiter.

Die Playboy-Regatta: Eskapaden, Alkohol und Seeluft
Bis zum Schluss blieb das Rennen spannend. Einen Tag vor Heiligabend erreichten die Schiffe die Scilly-Inseln vor der Südwestspitze Englands. Als die "Vesta" gegen den Wind kreuzen musste, ging die "Henrietta" in Führung und erreichte die Ziellinie an der kleinen Insel The Needles nach 3000 Seemeilen in nur 13 Tagen und 22 Stunden.
Gordon Bennett war der Wettsieger, die Segler wurden in England gefeiert. Königin Victoria lud sie in ihr Landhaus Osborne House auf der Isle of Wight ein. Die Londoner "Times" schrieb bewundernd: "Wir würden nicht sagen, dass ein Engländer ein solches Rennen nicht gemeistert hätte. Aber die Idee dazu wäre ihm kaum gekommen."
Seine Eskapaden: In den Kamin gepinkelt
Die bis dahin berühmteste aller Regatten war wohl die von 1851, als die New Yorker Jacht "America" einige englische Rivalen nahe der Isle of Wight schlug; so entstand der America's Cup. Aber die Überquerung der Weltmeere galt als noch größere Herausforderung. Und nach dieser Atlantik-Premiere kamen es zu immer neue Jachtrennen.
Nach seiner Rückkehr in die USA bekam Gordon Bennett die Geschicke der Tageszeitung "The Herald" übertragen. Aus Sicht seines Vaters war er durch seinen Sieg endgültig zum Mann gereift. Bennett junior nahm schnell wieder seinen gewohnten Lebensstil auf: Er suchte nach Abenteuern jeglicher Art, vergnügte sich mit Frauen, trank exzessiv. Häufig, so notierten es Gesellschaftsreporter, machte er sich sturzbetrunken in New Yorker Restaurants einen Spaß daraus, an Tischdecken anderer Gäste zu ziehen, sodass Speisen und Getränke in deren Schoß landeten. Das führte manches Mal zu Schlägereien, denen Bennett nie aus dem Weg ging.
1877 zerbrach eine seiner zahlreichen Beziehungen, mit Caroline May, einer Dame der gehobenen Gesellschaft. Auch das geschah auf eine für Bennett typische Art: Bei einer Party war er aus einem unbekannten Grund verärgert und urinierte im Haus des potenziellen Schwiegervaters in den Kamin, vor den Augen aller Gäste.
Bennett wurde immer zügelloser. Eine seiner späteren Lebensgefährtinnen, die Tänzerin Camille Clermont, berichtete in ihren Memoiren: "Einmal nach dem Dinner trank er Schnaps um Schnaps und stieß plötzlich wildes Indianergeheul an, oder was er dafür hielt. Ein anderes Mal hatte er vollkommen den Verstand verloren. Er öffnete das Fenster seiner Kutsche, kletterte in voller Fahrt auf den Bock zum Kutscher und trieb die Pferde zum Galopp an. Schließlich rasten wir in einen Laternenpfahl."
"Ein Wilder im Herzen"
Die Klatschpresse nahm all die Eskapaden begierig auf. Eine Redewendung im britischen Englisch geht auf ihn zurück. Um zu zeigen, wie verblüfft oder schockiert man ist, ruft man schlicht: "Gordon Bennett!" Der Ausdruck gilt heute als etwas altmodisch, ist aber noch nach 150 Jahren geläufig.
Die "New York Times" beschrieb Bennett junior noch zu Lebzeiten als "Charakter, den kein Romanautor erfinden könnte". Einen "Wilden im Herzen" nannte ihn der britische Autor Sam Jefferson, der 2016 ein Sachbuch über Gordon Bennett und das Jachtrennen verfasste.
Bennett war Multimillionär und investierte viel von seinem Geld in Wettrennen jeder Art. Es waren vor allem Automobilrennen; eines davon führte durch den Taunus in der Nähe von Bad Homburg. Es gab auch Poloturniere sowie eine Ballonwettfahrt, die bis heute ausgetragen wird. Alle Wettbewerbe erhielten denselben Namen: Gordon Bennett Cup.
"Er wendet sich von allen Sorgen und Leid ab und lebt nur zum täglichen Vergnügen", beschrieb Camille Clermont ihren Lebensgefährten einst. Die Tänzerin gebar ihm ein Kind, das er aber stets ablehnte und nicht unterstützte. Am 14. Mai 1918 starb James Gordon Bennett Junior in Frankreich und wurde in Paris beigesetzt. "Letzten Endes war er ein Märchenprinz", beschloss die "New York Times" ihren Nachruf.