
Einmal in der Woche Abenteuer: Western oder Weltraum?
Groschenromane Die Welt für fünfzig Pfennig
Es dauerte nicht lange, da wussten es alle: Zwei Dörfer weiter hatte ein Zeitungskiosk eröffnet, an dem es Kurzromane gab, die angeblich "toff" waren, was 1949 so viel wie "cool" hieß. Wie ein Magnet zog dieser Kiosk, der nicht mehr als eine kleine Bretterbude war, die Jugendlichen der umliegenden Dörfer an. In Trauben standen sie davor, gebannt von den Titelbildern der Heftromane: Cowboys und Indianer, Detektive, Kommissare, gruselige Monster, Ufos oder Außerirdische zierten die bunten Cover. "Wir stürzten uns wie die Verrückten auf die dünnen Hefte. Sie waren die Erfüllung aller Sehnsüchte, der Weg in ferne Länder, gepflastert mit wilden Abenteuern", erinnert sich Heinz J. Galle an seinen ersten Besuch bei besagtem Kiosk. Damals entflammte eine lebenslange Leidenschaft. Der Rentner sammelt die Hefte mittlerweile seit über 50 Jahren und hat Standardwerke wie "Groschenhefte - Die Geschichte der deutschen Trivialliteratur" verfasst.
Doch vor dem Kauf seines ersten Kurzromans stand eine schwere Entscheidung. Welches der Abenteuerhefte war das spannendste? "Rah Norton, der Eroberer des Weltalls" oder "Sun Koh, der Erbe von Atlantis"? Die Geschichten um Westernhelden wie "Buffalo Bill", "Billy Jenkins" und "Robert Perkins"? Oder doch lieber die Wagnisse des Agenten "Frank Kenney" - die Wahl fiel dem damals 13-Jährigen angesichts des großen Angebots nicht leicht. Galle entschied sich schließlich für den ersten Teil von "Sun Koh". Der Titel des Heftes: "Ein Mann fällt vom Himmel". Dafür legte er die beträchtliche Summe von 50 Pfennig auf die Ladentheke - fünf Groschen. Damit war der Erwerb Groschenroman zwar weit billiger als ein Buch, doch für Kinder noch immer eine beachtliche Investition. Das Heft fest an die Brust gedrückt, zog der Schüler sich dann in die hinterste Ecke des elterlichen Heubodens zurück und versank für Stunden in der Welt von Sun Koh.
Der letzte Überlebende von Atlantis war in London vom Himmel gefallen und musste nun von dort aus den Kampf gegen seinen Erzfeind Juan Garcia aufnehmen, um die Zukunft seines versunkenen Heimatkontinents zu retten. Schließlich sollte dieser der Legende nach irgendwann wieder aus dem Ozean auftauchen. "Ich hütete das Heft wie einen Schatz", sagt Galle. Zwei Wochen später wanderte er wieder zum Kiosk, um sich die nächste Ausgabe von "Sun Koh" zu kaufen. "Das Geld dafür sparte ich mir vom Mund ab", erzählt der Sammler. Für 50 Pfennig hätte der Pennäler schließlich auch 25 Bonbons erstehen können.
All statt Alltag
Aber noch mehr als nach Süßigkeiten hungerten die Jugendlichen nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren nach Unterhaltung und Ablenkung. Alles was eine Alternative zum Radio und zur Zeitung bot, wurde begeistert aufgesogen. Viele Verleger erkannten darin ihre Chance. Kaum hatte die Währungsreform 1948 die Wirtschaft auf eine halbwegs solide Basis gestellt, boomte das Geschäft mit den Groschenromanen. Gab es in den ersten beiden Nachkriegsjahren gerade einmal zehn Heftreihen, waren es 1948 bereits 95 und ein Jahr später 130, die um die besten Plätze in den Zeitungskiosken konkurrierten. Immer neue Helden wurden geboren und alte, meist aus dem 19. Jahrhundert stammende Legenden wie beispielsweise "Zorro" oder "Buffalo Bill" neu verpackt.

Einmal in der Woche Abenteuer: Western oder Weltraum?
Die Groschenromane trafen den Nerv der Zeit. Nicht nur, weil sie deutlich billiger waren als Bücher. Sie stillten vielmehr die Sehnsucht nach einer heilen, funktionierenden Welt. Stets siegte das Gute über das Böse, dem Helden konnten seine Feinde nie ernsthaft etwas anhaben und der Leser durfte darauf vertrauen, dass sich die Liebenden am Ende stets selig in den Armen lagen. "Die Heftromane ermöglichten die Flucht aus dem tristen Alltag in eine farbenprächtige Phantasiewelt. Das machte sie so beliebt", sagt Galle.
1953 drängelten sich bereits 162 Heftreihen auf dem Markt. Etwas mehr als die Hälfte davon waren Liebes-, Schicksals- und Heimatromane. Die verbleibenden 80 Reihen beschäftigten sich mit Wildwestromantik, Gangstertum, Science Fiction und Geheimagenten. Einige von ihnen erlangten absoluten Kultstatus. Serien wie "Geisterjäger John Sinclair" oder "Perry Rhodan" sind bis heute bei Sammlern beliebt und zählen noch immer zu den heimlichen Bestsellern der Nation. Der FBI-Agent Jerry Cotton ist der älteste dieser Kulthelden. Seit 1954 bekämpft er in New York das organisierte Verbrechen. In jedem Heft wächst er, wie es sich für einen Groschenromanhelden gehört, über sich hinaus, um böse Schurken hinter Gitter zu bringen. Er bleibt immer cool und souverän. Und obwohl sich sein Job sehr kräftezehrend und äußerst nervenaufreibend gestaltet, ist ihm in den vergangenen 42 Jahren kein einziges graues Haar gewachsen.
Weltraumhelden und Bergdoktoren
Die herausragendste Figur aller Groschenhelden ist und bleibt allerdings der Weltraumvagabund Perry Rhodan. 1961 flog er zum ersten Mal ins All und betrat noch vor Neil Armstrong und der Apollo-11-Crew den Mond. Während Armstrong und seine Kollegen allerdings nichts als Geröll und Mondstaub fanden, stieß Rhodan bei seinem ersten Mondbesuch auf ein gestrandetes Raumschiff der Arkoniden. Der Fund sollte sich als absoluter Glücksgriff erweisen. Denn mit Hilfe der überlegenen Technik dieses außerirdischen Volkes konnte Rhodan die Erde vor einem dritten Weltkrieg bewahren. Im Unterschied zu den anderen Groschenheftserien, die pro Heft eine abgeschlossene Geschichte erzählen, handelt es sich bei Perry Rhodan um einen Fortsetzungsroman. Wer also heute in die Geschichte einsteigen will, hat viel zu tun. Seit 1961 sind rund 2400 Hefte erschienen. Im Übrigen spielt auch bei Perry Rhodan das Alter keine Rolle: Er ist unsterblich.
Neben diesen überaus coolen, souveränen und unangreifbaren Kultfiguren gibt es aber auch eine Reihe von Groschenromanhelden, die eher heimlich und vor allem von Frauen verehrt werden. Dazu zählen "Dr. Stefan Frank - Der Arzt, dem die Frauen vertrauen" und "Der Bergdoktor". Beide finden seit über dreißig Jahren ihre Leser. In den Neunzigern sind aus den Romanvorlagen sogar Fernsehserien entstanden, die auf Sat.1 und RTL ausgestrahlt wurden und beachtliche Einschaltquoten brachten.
Verhasst, verdammt, erfolgreich
Trotz ihres Erfolges hatten es die Groschenromanhelden nicht leicht. Immer wieder waren die Heftchen harscher Kritik ausgesetzt: sie seien zu banal, zu seicht, zu brutal. In den fünfziger Jahren sagten Kirche und Schulen der sogenannten Schmutz- und Schundliteratur den Kampf an. Heinz J. Galle erinnert sich gut an die Tornisterrazzien, die regelmäßig in seiner Schule stattfanden. "Die Hefte, die unser Deutschlehrer erbeutet hatte, verbrannte er genüsslich auf dem Pausenhof." Auch "Die Zeit" machte gegen die Kurzromane mobil. Jugendliche, die ausschließlich Groschenhefte lesen, heißt es in einem Artikel aus dem Jahr 1959, würden über einen kleinen Sprachschatz verfügen, könnten sich nicht ausdrücken und seien außerdem phantasielos. Dass in Deutschland 80 Millionen Groschenhefte jährlich verkauft würden, sei daher überaus alarmierend.
In den folgenden Jahren verschärfte sich die Kritik noch. Groschenromane galten nicht mehr nur als volksverdummend, sondern waren sogar politisch verdächtig. "Seit Beginn der siebziger Jahre stehen die Heftchenverlage und deren Autoren unter dem Verdacht, geheime Dienste für die politische Reaktion zu verrichten", schrieb Hans-Joachim Schöps 1988 im SPIEGEL. Der Ethnologe Rudolf Schenda und der Philologe Peter Nusser kritisierten damals, die Hefte würden gezielt als Herrschaftsinstrument eingesetzt, um das Volk zu narkotisieren und von den eigentlichen Problemen abzulenken.
Dem Siegeszug des Groschenromans konnte auch dies nichts anhaben. "Das erfolgreichste Jahrzehnt waren die Achtziger", meint Klaus Frick vom Pabel-Moering-Verlag. "Damals gab es die meisten Serien". 500.000 Perry-Rhodan-Hefte brachte der Verlag in dieser Zeit pro Woche auf den Markt. Insgesamt wurden in den achtziger Jahren jährlich rund 300 Millionen Groschenromane verkauft. Der Hunger nach dem leichten Lesestoff war groß und weil bei Jugendlichen das Geld chronisch knapp war, gab es in vielen Städten Tauschbörsen für Groschenhefte. "Man lieferte dort zehn Hefte ab und durfte sich dafür fünf andere mitnehmen", erinnert sich Florian Marzin, der damals seine Leidenschaft für die Kurzromane entdeckte und heute als Lektor für den Bastei-Verlag arbeitet.
Erst als Mitte der Achtziger das Privatfernsehen und Computerspiele in die deutschen Wohn- und Kinderzimmer einzogen, flaute das Interesse der Leser an den Abenteuern in Heftform langsam ab. Die Auflagen sanken. Viele Reihen wurden eingestellt. Dennoch gibt es noch heute eine treue Fangemeinde, die "Perry Rhodan", "Jerry Cotton", "John Sinclair" und Co. die Stange hält.