
Letzte öffentliche Enthauptung: Makaberes Massenspektakel
Letzte öffentliche Enthauptung Mörder mit Samtblick
Das Beil fiel um 4.32 Uhr. Mit einem dumpfen Knall sauste die Stahlklinge herab und trennte den Kopf vom Körper. Bruchteile von Sekunden später knallten die Champagnerkorken. "Auf das Monster!" johlten die Hotelgäste, die sich in Trauben an den Fenstern drängten, direkt gegenüber vom Gefängnis Saint-Pierre in Versailles, vor dessen Pforten die Guillotine aufgebaut war.
Mitten in dem aufgebrachten Mob stand ein 17-jähriger Engländer und erschauerte ob des makabren Spektakels. Es war Christopher Lee, der spätere "Dracula"-Schauspieler. "Glücklicherweise stand ich ganz hinten. Trotzdem quält mich die Erfahrung noch heute", vertraute er Jahrzehnte später dem britischen "Telegraph" an.
Christopher Lee, damals auf dem Weg an die Côte d'Azur in den Urlaub, wohnte an jenem 17. Juni 1939 einer ganz speziellen Enthauptung bei: Es war das letzte Mal, dass ein Krimineller in Frankreich öffentlich per Guillotine hingerichtet wurde. Und: Das Fallbeil traf jenen Mann, der wie kein Zweiter im Vorkriegsfrankreich das Feindbild der kaltblütigen deutschen Bestie verkörperte: Eugen Weidmann, Spitzname: "der Mörder mit dem Samtblick".
"Unwiderstehlicher Drang zum Bösen"
Zwischen Juli und November 1937 ermordete Weidmann in Paris mindestens sechs Menschen - zwei Frauen und vier Männer. Sein offizielles Motiv: Geldgier. Zudem trieb ihn, wie er während der Gerichtsverhandlung zu Protokoll gab, "ein unwiderstehlicher Drang zum Abenteuer, zum Unerreichbaren, aber auch zum Bösen". Auf die Frage, seit wann er diesen Drang verspüre, antwortete Weidmann: "Seit meiner Kindheit."
1908 in Frankfurt am Main geboren, beklaute der Sohn eines Prokuristen schon als Teenager seine Freunde, Gäste der Familie, Schwimmbadbesucher. Wegen einer Entführung wanderte Weidmann mit Anfang 20 für fünf Jahre ins Gefängnis. Kaum war er draußen, ging er nach Kanada und bestahl seine dortigen Arbeitgeber, was ihn erneut hinter Gitter brachte.
Im Mai 1937 kam Weidmann mit einem konkreten Plan in Paris an. Gemeinsam mit drei Komplizen, die er im Gefängnis kennengelernt hatte, wollte er einen Schönheitssalon eröffnen und reiche Touristen entführen, um Lösegeld zu erpressen. Doch dann tötete Weidmann lieber - und das anscheinend wahllos.
Tote Tänzerin mit Rosen dekoriert
Der Deutsche ermordete einen Taxifahrer, eine Krankenschwester und einen Immobilienmakler, einen Theaterproduzenten, eine Tänzerin und schließlich den eigenen Kumpanen. Stets jagte Weidmann seinen Opfern eine Kugel ins Genick und raffte anschließend deren Habseligkeiten zusammen. Die Frage, ob ihn Gewissensbisse plagten, verneinte der athletisch gebaute, stets korrekt gekleidete Frauenheld bei der Verhandlung: Seine Taten seien nicht schlimm, "denn die Opfer haben ja gar nicht gelitten".

Letzte öffentliche Enthauptung: Makaberes Massenspektakel
Nur einmal, bei der amerikanischen Tänzerin Jean Koven, wich er von seinem Schema ab. Weidmann erdrosselte die 22-Jährige mit bloßen Händen. Dann streifte er seinen Memoiren zufolge einen Blaumann über, schaufelte ein Grab für sein Opfer - und dekorierte den Leichnam mit selbst geschnittenen Rosen.
Als die Polizei Weidmann Anfang Dezember 1937 verhaftete, fragte sich ganz Paris: Wer war dieser braunhaarige Beau mit den so melancholisch-weich blickenden Augen, der Goethe und Schiller zitierte? Ein Spion Hitlers? Ein Terrorist? Ein Mann, der mit dem Auftrag tötete, die Franzosen in Angst und Schrecken zu versetzen?
Und wie viele Menschen hatte er noch auf dem Gewissen? Als die Polizei die von Weidmann gemietete Villa im Pariser Vorort Saint-Cloud durchforstete, fand sie zahlreiche Koffer, vollgestopft mit Männer- und Frauenkleidern. Wem die Besitztümer gehörten, konnte nie ermittelt werden.
Liebesbriefe und Kätzchen für den Killer
Dutzende Reporter sowie Prominente, unter ihnen die Schriftstellerin Colette und der Schauspieler Maurice Chevalier, verfolgten gebannt den Weidmann-Prozess. "Durch die Druckerpressen vervielfältigt, war sein schönes Konterfei in Paris und ganz Frankreich präsent, selbst in den entlegensten Provinznestern", schrieb der Autor Jean Genet.
Die Damenwelt schickte dem schmucken Serienmörder aufmunternde Liebesbriefe ins Gefängnis. Und als Weidmann an einem der Verhandlungstage erzählte, dass er sehr tierlieb sei und vor allem Katzen möge, bekam er von einem seiner weiblichen Fans drei weiße Kätzchen offeriert.
Sein Todesurteil am 31. März 1939 nahm Weidmann mit einem gelösten Lächeln auf. Anders als sein französischer Komplize Roger Millon wurde der deutsche Verbrecher nicht begnadigt. Die Enthauptung des Eugen Weidmann, so suggerierten es zeitgenössische Medien, geriet zum beispiellosen Sensations-Hype.
Blutgetränkte Taschentücher als Trophäe
Hunderte Menschen drängten sich bereits in der Nacht vor der Hinrichtung auf dem Platz vor dem Gefängnis. Im Hotel gegenüber quartierten sich Schaulustige, Fotografen und Journalisten ein. "In den hell erleuchteten Cafés drängt sich eine abstoßende Menge, reißt dumme Witze und verschlingt Butterbrote", schrieb der Reporter von "Paris-Soir". Trotz eines strikten Verbots wurde die Hinrichtung gefilmt - flackernde Schwarz-Weiß-Aufnahmen geistern noch heute durchs Netz.
Kaum war der Kopf des Mörders aufs Trottoir gerollt, jubelten die Hotelgäste frenetisch. Frauen rannten, so die Überlieferung, zur Guillotine, um ihre Taschentücher im Blut des hingerichteten Weidmann zu tränken. Der französische Premierminister Edouard Daladier war aufgebracht ob der volksfestartigen Stimmung. "Ich schäme mich für meine Mitbürger", soll der Premier Vertrauten zufolge gesagt haben und drängte auf eine Änderung des Strafgesetzbuches.
Schon eine Woche nach der Hinrichtung Weidmanns, am 24. Juni 1939, beschloss der Ministerrat, dass Enthauptungen künftig unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollstreckt werden müssen. Bis zur Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich im Jahr 1981 rollten die Köpfe hinter Gefängnismauern.
Werwolf Weidmann?
Die Justiz löste das Problem auf ihre Weise - die Frage, warum ausgerechnet Weidmann einen solchen Rummel in Frankreich entfacht hatte, blieb indes offen. Eine mögliche Antwort gibt Roger Colombani, Autor des Werks "Die Affäre Weidmann". Der gebürtige Frankfurter sei das "Symbol für den bösen Deutschen" gewesen, sagt er in einem Interview, der eine Welle des "Antigermanismus" befeuert hätte, eine Art nationale Hysterie, "die weit über das hinausging, was Weidmann angelastet wurde".
Ähnlich sieht dies der französische Gerichtsreporter Jean Laborde: Der deutsche Killer habe für die Franzosen das Alter Ego des Aggressoren Hitler repräsentiert, das "Zerrbild jenes Werwolfs, der die Welt terrorisierte", so Laborde im "Figaro".
Wer Weidmann wirklich war, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Der Serienmörder selbst sah sich weder als Nazi-Schergen noch als Psychopathen, sondern: als missverstandenen, einsamen Dandy. In seinen Memoiren schrieb der letzte in Frankreich öffentlich hingerichtete Mensch: "Baudelaire, das bin ich!"